28.06.2023

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

Juniheft 2023

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2023, 239 ff. Verfahrensaussetzung betr. Schufa wg. Vorabentscheidung durch EuGH

BGH, Beschl. v. 28.03.2023 -VI ZR 225/21, WKRS 2023, 15223

Leitsatz des Bearbeiters:

Das Verfahren über die Revision der Schufa gegen das Urteil des OLG Schleswig vom 02.07.2021 wird gem. §148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in den dort anhängigen Verfahren C-64/22 und C-26/22 ausgesetzt.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Die Frage, wann der Schufa-Eintrag zu einer erteilten Restschuldbefreiung zu löschen ist, steht nicht nur im Mittelpunkt der für das Jahr 2024 nach Art. 107a EGInsO vorgesehenen Evaluierung, sondern geht auch ihrer abschließenden gerichtlichen Klärung entgegen. Mit dem hier wiedergegebenen Beschluss hat der 6. Zivilsenat des BGH das Verfahren, in dem die Schufa die Entscheidung des OLG Schleswig, die Speicherdauer auf 6 Monate zu verkürzen, mit der Revision angreift, gem. §148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des EuGHs in den dort anhängigen und verbundenen Verfahren C-64/22 und C-26/22 ausgesetzt.

Zuvor hatte Generalanwalt Pikamae in den EuGH-Verfahren nach EuGH-Pressemitteilung Nr. 49/23 in seinen Schlussanträgen die Ansicht vertreten , dass die erheblichen negativen Folgen, die die Speicherung der Daten für die betroffene Person nach Ablauf des fraglichen Zeitraums von sechs Monaten haben werde, gegenüber dem geschäftlichen Interesse des privaten Unternehmens und seiner Kunden an der Speicherung der Daten nach diesem Zeitraum zu überwiegen scheinen. Er kommt daher zu dem Schluss, dass die Speicherung der Daten durch eine private Wirtschaftsauskunftei nicht auf der Grundlage der Bestimmung der DSGVO, in der die oben genannten Voraussetzungen aufgeführt sind, rechtmäßig sein könne, wenn die personenbezogenen Daten über eine Insolvenz aus den öffentlichen Registern gelöscht worden seien.

In dieser Konstellation sah die Schufa für ihre Ansicht, eine Speicherung sei 3 Jahre lang zulässig und ein berechtigtes Interesse i.S.d. Art. 6 DS-GVO folge u.a. daraus, dass Personen, denen die Restschuldbefreiung erteilt wurde, in den ersten drei Jahren nach Erteilung zu 15,27 % erneut negativ auffallen würden, während die Quote aller weiteren Personen nur bei 4,35% liege, offensichtlich keine Erfolgsaussichten mehr. Sie teilte mit Pressemitteilung vom 28.03.2023 mit, dass sie sich entschlossen habe, die Speicherdauer der Restschuldbefreiung auf sechs Monate zu verkürzen, um Klarheit und Sicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu schaffen.

Es bleibt nun abzuwarten, wie die weiteren Wirtschaftsauskunfteien sich hinsichtlich der Speicherung des Datums „Restschuldbefreiung erteilt“ verhalten werden, und wie alle Wirtschaftsauskunfteien mit der Speicherung weiterer Daten zu Verfahrensbeendigungen wie Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs, Zustandekommen eines gerichtlichen Schuldenbereinigungsplans oder Bestätigung eines Insolvenzplanes umgehen werden.

 

InsbürO 2023, 245: Rückforderung von vor Insolvenzeröffnung zu Unrecht erbrachter Leistungen durch Sozialversicherungsträger

LSG Hessen, Urt. v. 04.04.2022 – L 5 R 101/19, WKRS 2022, 58020 (n. rkr.)

Zum Sachverhalt:

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente und Erstattung gewährter Leistungen i.H.v. 17.529,60 €. Die Schuldnerin wurde wegen des unberechtigten Bezuges strafrechtlich verurteilt. Die Klägerin hatte das Ende des Strafverfahrens zunächst abgewartet und dann ihre Ansprüche bei der Schuldnerin geltend gemacht. Ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin war in der Zeit bereits beendet, so dass eine Forderungsanmeldung nicht mehr möglich war.

Aus der Begründung:

Die Aufhebung bzw. Rücknahme einer Leistungsbewilligung nach Verfahrenseröffnung (ist) – anders als der Erstattungsbescheid – auch dann zulässig …, wenn sie eine Insolvenzforderung betrifft (…). Dies folgt daraus, dass die Aufhebung zwingende Voraussetzung für das Entstehen der Erstattungsforderung ist, die im Insolvenzverfahren angemeldet wird bzw. angemeldet werden kann. … Zwar weist die Beklagte zurecht darauf hin, dass der Rückforderungsanspruch erst mit der Aufhebung der Leistungsbewilligung und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der erkennende Senat anschließt, ist von einer Anspruchsbegründung i.S.d. § 38 InsO aber bereits dann auszugehen, wenn der Rechtsgrund für das Entstehen des Anspruchs – hier also die rechtswidrige Leistungsgewährung – bereits vor Insolvenzeröffnung gelegt war (BSG, Urt. v. 17.05.2001 - B 12 KR 32/00 R …). … Das die übrigen Rechtsgebiete überlagernde Insolvenzrecht (…) (hat) für das öffentliche Recht – wie für alle anderen auch – zur Folge, dass Rückforderungen, die auf Sachverhalten vor Verfahrenseröffnung beruhen, Insolvenzforderungen und damit grds. nicht auf der Grundlage eines Verwaltungsaktes zu realisieren, sondern im Insolvenzverfahren nach § 87 InsO zu verfolgen sind. … Ergeht während eines laufenden Insolvenzverfahrens ein Erstattungsbescheid über eine Insolvenzforderung, ist dieser rechtswidrig …

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das LSG hatte die Revision für die Beklagte zugelassen und führte dazu aus, dass der Senat den für das Unterliegen der Beklagten entscheidenden Rechtsfragen vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Handhabung durch die Landessozialgerichte und angesichts der unbestimmten Anzahl betroffener Fälle, die nach einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts verlangen, grundsätzliche Bedeutung zumessen würde. Die Revision wurde auch eingelegt. Zum Zeitpunkt der Druckfreigabe war das Verfahren beim BSG unter dem AZ: B 5 R 8/22 R anhängig.

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2023, 246: Zur Entlassung eines Gläubigerausschussmitgliedes wg. Arbeitsstellenwechsel

LG Aurich, Beschl. v. 28.09.2022 – 7 T 167/22, WKRS 2022, 59346

Aus der Begründung:

Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erscheint die Fortführung der Ausschusstätigkeit für den Beschwerdeführer jedenfalls nicht unzumutbar. Das Gericht hat dabei nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer durch den Wechsel des Arbeitsverhältnisses jegliches persönliche und berufliche Interesse an der Tätigkeit in dem Gläubigerausschuss verloren hat bzw. keine Bindung mehr zu dem Insolvenzverfahren aufweist. Wie das AG jedoch zutreffend festgestellt hat, stellt allein der Wechsel des Arbeitgebers keinen wichtigen Grund i.S.d. § 70 InsO dar.

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2023, 244 f.: Anfechtbarkeit Gesellschafterdarlehen bei nur 10 % Beteiligung

BGH, Urt. v. 26.01.2023 - IX ZR 85/21, ZInsO 2023, 856

Zum Sachverhalt in Kürze:

Drei Gesellschafter (10 %, 40 % + 50 %) hatten der Schuldnerin zur Finanzierung eines Großprojektes im Verhältnis ihrer Beteiligungen Darlehen und Bürgschaften gegeben. Sie gründeten eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in deren Vermögen die Sicherheit für die Darlehen und Bürgschaften eingebracht wurde. Bei der Sicherheit handelt es sich um eine verbriefte Eigentümergrundschuld i.H.v. 3,8 Mio. Euro am Betriebsgrundstück. Der Kläger und Insolvenzverwalter verlangt Rückabtretung der Grundschuld und Zustimmung zur Herausgabe des vom Notar verwahrten Grundschuldbriefs.

Amtliche Leitsätze und Begründung in Auszügen:

1. Eine Beteiligung am Haftkapital i.H.v. 10 % (und nicht von weniger als 10 %) steht der Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs nicht entgegen; eine einschränkende Auslegung der Vorschriften über das Kleinbeteiligtenprivileg scheidet aus.

Dazu aus der Begründung:

Rn. 20: Das Kleinbeteiligtenprivileg steht der Anfechtbarkeit nicht entgegen. § 39 Abs. 5 InsO privilegiert den nicht geschäftsführenden Gesellschafter, der mit 10 % oder weniger am Haftkapital beteiligt ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar betrug die Beteiligung der Streithelferin zu 2 nur 10 %. Wegen der koordinierten Finanzierung der Schuldnerin durch die Streithelferinnen (= die drei Gesellschafter) sind aber deren Beteiligungen am Kapital der Schuldnerin zusammenzurechnen.

 

2. Eine koordinierte Finanzierung durch mehrere Gesellschafter kann unabhängig von einer Krise der Gesellschaft und auch außerhalb des Anfechtungszeitraums des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO dazu führen, dass die Beteiligungen der an der Finanzierung beteiligten Gesellschafter am Haftkapital der Gesellschaft zusammenzurechnen sind; maßgeblich ist, ob eine überschießende unternehmerische Verantwortung übernommen wird.

Dazu aus der Begründung:

Rn. 28: In einer koordinierten Fremdfinanzierung kann die Übernahme einer über den nominellen Gesellschaftsanteil hinausgehenden unternehmerischen Verantwortung zum Ausdruck kommen. Darin liegt der maßgebliche Grund dafür, eine solche Finanzierung vom Kleinbeteiligtenprivileg auszunehmen (…). … Rn. 30: In der Konsortialvereinbarung haben sich die Streithelferinnen wechselseitig zur Stellung und Aufrechterhaltung der Finanzierungsbeiträge verpflichtet. Auf diese Weise hat sich die Streithelferin zu 2 einen über ihre nominelle Beteiligung am Haftkapital hinausgehenden (schuldrechtlichen) Einfluss auf die Finanzierung der Schuldnerin gesichert.

 

3. Die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung, die für die Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder für eine gleichgestellte Forderung Sicherung gewährt hat, setzt nicht voraus, dass die Sicherung dem darlehensgewährenden Gesellschafter oder dem Gläubiger einer gleichgestellten Forderung gewährt wird.

Dazu aus der Begründung:

Rn. 16: Maßgeblich ist nach dem Wortlaut, dass die Sicherung für die Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder für eine gleichgestellte Forderung gewährt wird. Sicherungsnehmer kann folglich auch ein Dritter sein. Deshalb steht es der Anfechtung der Sicherung im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass die Abtretung der Grundschuld an die aus den Streithelferinnen gebildete beklagte Gesellschaft bürgerlichen Rechts erfolgt ist, die weder Gesellschafterin der Schuldnerin noch Gläubigerin einer Forderung ist, die einem Gesellschafterdarlehen gleichsteht. Sie selbst hat keine Finanzierungsbeiträge erbracht.

 

4. Bei dem Regressanspruch des Gesellschafters gegen die Gesellschaft aus der Besicherung einer Verbindlichkeit der Gesellschaft gegenüber einem Dritten handelt es sich um eine Forderung, die einer Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens gleichgestellt ist; eine Sicherung des Regressanspruchs durch die Gesellschaft kann daher der Anfechtung unterliegen.

Dazu aus der Begründung:

Rn. 36: …Besichert sind hier Regressansprüche, die den Streithelferinnen gegen die Schuldnerin zustehen, wenn es zu einer Inanspruchnahme der Bürgschaften durch das Eisenbahn-Bundesamt kommt. Bei diesen Regressansprüchen handelt es sich um Forderungen, die einer Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO gleichstehen. … Rn. 37: … Eine Sicherheit, welche die Gesellschaft dem Gesellschafter für seine Regressforderung aus der Besicherung des Drittdarlehens bestellt hat, (ist) unter den Voraussetzungen des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar. Dies gilt unabhängig davon, ob der Drittgläubiger die Gesellschaftersicherheit in Anspruch genommen hat oder nicht. … Rn. 38: Maßgeblicher Grund für die Einordnung des Regressanspruchs als Forderung, die einer Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens wirtschaftlich entspricht (§ 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO), ist, dass die Besicherung eines Drittdarlehens durch den Gesellschafter wirtschaftlich einer Krediteinräumung durch ihn persönlich gleichkommt (…).

 

5. Die Besicherung von Forderungen - hier Zinsen und Avalprovisionen -, die neben die Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder eine gleichgestellte Forderung treten, unterliegt der Anfechtung, wenn die Nebenforderungen im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch offen sind oder erst nach diesem Zeitpunkt anfallen.

Dazu aus der Begründung:

Rn. 46: … Insbesondere vertraglich vereinbarte Darlehenszinsen fallen auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an. Dass diese mit der Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters untrennbar verbundenen Ansprüche nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ebenfalls dem Nachrang des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO unterfallen sollen, ist die Anordnung des § 39 Abs. 3 InsO. Die Anordnung gilt unabhängig davon, ob die Nebenforderungen kreditiert oder darlehensgleich gestundet sind.

Literaturhinweis von Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Wer ergänzende Informationen zu dieser Entscheidung und eine Bewertung derselben lesen möchte, kann dies in der Ausgabe 17/2023 der ZInsO machen. Dort hat Prof. Dr. Markus Gehrlein einen Kommentar veröffentlicht (ZInsO 2023, 856, 862). Zusammenfassend stimmt er der Entscheidung zu.

 

Steuerrecht

InsbürO 2023, 246 f.: Gewinnabführungsvertrag in der Organschaft

BFH, Urt. v. 02.11.2022 – I R 29/19, ZInsO 2023, 583

Leitsätze des Gerichts:

  1. Die tatsächliche Durchführung des Gewinnabführungsvertrags ist Voraussetzung für die Anerkennung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG). Kann ein vorläufiger Jahresabschluss der Organgesellschaft wegen Insolvenz nicht mehr korrigiert werden und wäre bei zutreffender Anwendung der handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätze im endgültigen Jahresabschluss ein anderes Ergebnis auszuweisen, kann diese Nichtdurchführung des Gewinnabführungsvertrags ungeachtet der Insolvenz nicht in (analoger) Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG „geheilt“ werden.
  2. Kommt es während der Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren zur Nichtdurchführung des Gewinnabführungsvertrags, führt dies nicht nur zu einer Unterbrechung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft für einzelne Veranlagungszeiträume, sondern insgesamt zu einer (rückwirkenden) Nichtanerkennung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft.

Aus der Begründung:

Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die tatsächliche Durchführung des EAV voraus, dass er entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen vollzogen wird. Dies bedeutet u.a., dass die nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ermittelten Gewinne tatsächlich durch Zahlung oder Verrechnung an den Organträger abgeführt werden (Senatsurteil v. 5.4.1995 – I R 156/93, …). "Verrechnung" ist in diesem Zusammenhang dahin zu verstehen, dass es sich um eine einer tatsächlichen Zahlung gleichstehende Aufrechnung handeln muss; die reine Buchung der Forderung ohne Erfüllungswirkung ist dagegen nicht ausreichend (Senatsbeschl. v. 26.4.2016 – I B 77/15, …). … Der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG macht … deutlich, dass eine Nichtdurchführung des EAV während der Mindestvertragslaufzeit die Organschaft insgesamt entfallen lässt.

 

Insolvenztabelle

InsbürO 2023, 247: Erstattung vorgerichtlicher Inkassokosten: Beurteilung von Mitverschulden des Gläubigers

BGH, Urt. v. 07.12.2022 – VIII ZR 81/21, WKRS 2022, 55928

(VIII. Senat = u.a. zuständig für Kaufrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Beauftragt ein Gläubiger einen Inkassodienstleister mit der Einziehung einer – zunächst – unbestrittenen Forderung nach Verzugseintritt des Schuldners, sind dessen Kosten grds. auch dann in voller Höhe erstattungsfähig, wenn der Gläubiger aufgrund eines später erfolgten (erstmaligen) Bestreitens der Forderung zu deren weiteren – gerichtlichen – Durchsetzung einen Rechtsanwalt einschaltet.

Aus der Begründung:

Rn. 26: Die Klägerin durfte aufgrund des unterbliebenen Bestreitens ihrer Forderungen … aus ex-ante-Sicht davon ausgehen, dass sie den Beklagten mittels eines Inkassodienstleisters zu einer (Raten-)Zahlung bewegen bzw. ihre Forderung im Mahnverfahren - vertreten durch den Inkassodienstleister (§ 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ZPO) - werde titulieren können (…). … Rn. 34: … Die Klägerin (kann) trotz der unterbliebenden Kürzung der Verfahrensgebühr des Rechtsanwalts die beim Inkassodienstleister angefallene Geschäftsgebühr in voller Höhe ersetzt verlangen. Sie muss sich nicht so behandeln lassen, als hätte sie den - ausschließlich im gerichtlichen Verfahren mandatierten - Rechtsanwalt schon mit ihrer außergerichtlichen Vertretung beauftragt, so dass … eine Anrechnung erfolgt und im Ergebnis eine der Gebühren (Geschäfts- oder Verfahrensgebühr) lediglich in geringerem Umfang (0,65) hätte geltend gemacht werden können. … Rn. 35: … Die Klägerin (hat) nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) verstoßen … Rn. 40: … Der Begriff der Inkassodienstleistung ist in Anbetracht der in den Gesetzesmaterialien niedergelegten Zielsetzungen … nicht in einem zu engen Sinne zu verstehen. Insbesondere ist es einem registrierten Inkassodienstleister nicht verwehrt, im Rahmen des außergerichtlichen Forderungseinzugs in substantieller Weise - auch begleitend zu einem Gerichtsverfahren - Rechtsberatung vorzunehmen (…).

 

Verwertungstätigkeit

InsbürO 2023, 248: Massebeschlag im familienrechtlichen Versorgungsausgleichsverfahren

OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 24.03.2022 – 6 UF 117/21, ZInsO 2023, 790 (rkr.)

Leitsätze des Gerichts:

1. In Fällen der Insolvenz eines Ehepartners ist der Insolvenzverwalter gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG[1] am Versorgungsausgleichsverfahren zu beteiligen und gem. § 59 FamFG[2] beschwerdeberechtigt, soweit der von der Insolvenz betroffene Ehepartner über ein Versorgungsanrecht[3] verfügt, welches nach § 35 InsO zur Insolvenzmasse gehören kann.

2. Private Altersvorsorgeverträge, bei denen es sich nicht um eine Riesterrente gem. § 10a EStG handelt und soweit nicht die Voraussetzungen des § 851c Abs. 1 ZPO vorliegen, fallen in die Insolvenzmasse und sind dem Versorgungsausgleich entzogen.

3. Während der Anwartschaftsphase fallen betriebliche Anrechte gem. § 36 Abs. 1 InsO nicht in die Insolvenzmasse und können intern geteilt werden, wobei die Beschränkungen des ursprünglichen Anrechts aufgrund des Insolvenzverfahrens auch für das übertragene Anrecht gelten.

Aus der Begründung:

Während der Anwartschaftsphase fallen betriebliche Anrechte gem. § 36 Abs. 1 InsO nicht in die Insolvenzmasse, da sie gem. § 4 Abs. 1 BetrAVG nicht übertragen werden können und mithin gem. § 851 Abs. 1 ZPO nicht pfändbar sind (BGH, Urt. v. 10.06.2021 – IX ZR 6/18 …).

 

Haftung

InsbürO 2023, 242 ff: Schadensersatzanspruch bei fehlerhafter Insolvenzreifeprüfung

BGH, Beschl. v. 26.01.2023 – III ZR 91/22, ZInsO 2023, 673

Leitsätze des Bearbeiters:

1. Eine vertragliche Haftung für die Richtigkeit einer Auskunft zur Frage der Insolvenzreife einer Gesellschaft und die Verpflichtung des Geschäftsführers zum Stellen eines Insolvenzantrages ist dann anzunehmen, wenn die Auskunft für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung ist und er sie zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse machen will.

2. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen der Auskunftgeber für die Erteilung der Auskunft besonders sachkundig oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse im Spiel ist.

Anmerkung RiAG a.D. Ulrich Schmerbach, Göttingen:

§ 522 ZPO lässt in Zivilsachen die Zurückweisung einer Berufung durch einstimmigen Beschluss u.a. dann zu, wenn die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Eine mündliche Verhandlung vor dem LG oder OLG findet dann nicht statt. Zuvor ist dem Berufungsführer ein entsprechender Hinweis zu erteilen. Im vorliegenden Fall war zwischen den Parteien u. a. streitig, ob überhaupt ein Vertrag geschlossen worden war. Das OLG verneinte insoweit einen schlüssigen Vortrag. Dem tritt der BGH entgegen und betont, dass die Substantiierungslast des Klägers nicht überspannt werden darf. Es genügt, dass die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, den geltend gemachten Anspruch als entstanden erscheinen zu lassen. Dafür sprachen u.a. die erhebliche Bedeutung der Verpflichtung zur Insolvenzantragstellung, der anderenfalls persönlich haftende Geschäftsführer (§ 64 GmbHG a.F., nunmehr §§ 15a und 15b InsO) und die Ausstellung einer Rechnung. Diesen Vortrag durfte das OLG nicht übergehen, es hätte vielmehr in die Beweisaufnahme eintreten müssen. Darauf hat auch der Berufungsführer mehrfach hingewiesen. Wegen Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) war die Entscheidung des OLG daher aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

 

InsbürO 2023, 248: Indizien für Zahlungseinstellung im Haftungsprozess für Ansprüche gem. § 64 GmbHG

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.11.2022 – I-12 U 46/22, ZInsO 2023, 510 (rkr.)

Aus der Begründung:

Das LG hat zu Recht ein wesentliches Indiz für eine Zahlungseinstellung darin gesehen, dass die Schuldnerin den Mietzins für die Betriebsimmobilie nicht mehr zahlen konnte. ... Erklärt der Schuldner, eine fällige und nicht unbeträchtliche Verbindlichkeit binnen 3 Wochen nicht – und zwar auch nicht nur ratenweise – begleichen zu können, wird i.a.R. von einer Zahlungseinstellung des Schuldners im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung auszugehen sein (BGH, Urt. v. 06.05.2021 – IX ZR 72/20, … Rn. 41; Urt. v. 10.2.2022 – IX ZR 148/19, … Rn. 22). Obwohl die Vermieterin sich bereit erklärt hatte, mehr als 2/3 der offenen Forderungen bis Ende März 2020 zu stunden, war die Schuldnerin nicht einmal in der Lage, die vereinbarte Teilzahlung bis Ende Nov. 2019 zu erbringen.

 

Immobilien

InsbürO 2023, 241 f.: Befugnis des Insolvenzverwalters zur Löschung eines Wohnungsrechts des Insolvenzschuldners am eigenen Grundstück

BGH, Beschl. v. 02.03.2023 - V ZB 64/21, WKRS 2023, 15169

Leitsatz des Bearbeiters:

Die Bestellung eines Wohnungsrechts am eigenen Grundstück (Eigentümerwohnungsrecht) ist zulässig. Ein Eigentümerwohnungsrecht ist aber stets pfändbar. Es fällt bei Insolvenz des wohnungsberechtigten Grundstückseigentümers in die Insolvenzmasse.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Der 5. Zivilsenat des BGH betont in dieser Entscheidung zunächst, dass beschränkte persönliche Dienstbarkeiten und damit auch das Wohnungsrecht grds. nicht in die Insolvenzmasse fallen. Die Überlassung des Wohnungsrechts an Dritte darf hierfür allerdings nicht gestattet sein, und die Einräumung des Wohnungsrechts darf nicht in anfechtbarer Weise erfolgt sein. Das Eigentümerwohnungsrecht dagegen gehört zur Insolvenzmasse und kann von daher auch nicht als geschickter Schachzug zur Verhinderung von Zwangsversteigerung oder Verwertung gesehen werden.

In der Insolvenz des Wohnungsberechtigten ist das Wohnungsrecht nach §§ 851, 857 ZPO unpfändbar und damit nicht massezugehörig. In der Insolvenz des Grundstückeigentümers hindert das für einen Dritten eingeräumte Wohnungsrecht die Zwangsversteigerung und damit auch die Verwertung im Insolvenzverfahren grds. nicht, da gem. § 91 ZVG das Wohnungsrecht mit dem Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren erlischt. Dem Wohnungsrechtsberechtigten ist aber in diesem Fall gem. § 92 ZVG ein Wertersatz zu leisten, der zu einer wertausschöpfenden Belastung des Grundstücks führen kann. Grundlagen und Berechnungsgrößen des Wertersatzes sind die mit der Immobilie zu erzielenden Mieteinnahmen sowie die dem Wohnungsberechtigten noch verbleibende Lebenszeit.

 

Rechtsstreitigkeit

InsbürO 2023, 248: Unvollständiges PKH-Gesuch durch Insolvenzverwalter

OLG Brandenburg, Beschl. v. 13.02.2023 – 10 U 112/21, WKRS 2023, 11760

Aus der Begründung:

Gemäß § 116 S. 1 Nr.1 ZPO erhält eine Partei kraft Amtes Prozesskostenhilfe, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen. Allein der Hinweis, dass Masseunzulänglichkeit angezeigt wurde, genügt dabei nicht, um die Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO darzulegen (BGH …). … Daher hat ein Insolvenzverwalter die Frist zur Einlegung einer Berufung i.d.R. nicht unverschuldet versäumt, wenn er innerhalb der Frist einen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt, jedoch … nicht dargelegt hat, aus welchen tatsächlichen Gründen den wirtschaftlich beteiligten Insolvenzgläubigern eine Prozessfinanzierung nicht zumutbar ist (vgl. BGH, Beschl. v. 28.03.2019 - IX ZA 8/18 …). … Diesen Anforderungen genügt der Antrag der Beklagten … nicht, sie hat lediglich einen Kontoauszug und eine Anzeige der Masseunzulänglichkeit vorgelegt …

 


[1] § 7 FamFG – Beteiligte, Abs. 2: „Als Beteiligte sind hinzuzuziehen: 1. diejenigen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird, …“; FamFG = Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

[2] § 59 FamFG – Beschwerdeberechtigte, Abs. 1: „Die Beschwerde steht demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist.“

[3] Versorgungsanrecht = der bei der Scheidung stattfindende Ausgleich der während der Ehezeit von den Eheleuten erworbenen Anwartschaften und Aussichten auf eine Versorgung wegen Alters oder verminderter Erwerbsfähigkeit.