27.07.2023

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

Juliheft 2023

 

Eröffnungsverfahren

InsbürO 2023, 281 ff.: Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuches

LG Hamburg, Beschl. v. 23.03.2023 – 326 T 6/23

Leitsätze des Bearbeiters:

  1. Die Mitteilung der Rücknahmefiktion nach § 305 Abs. 3 InsO ist nicht beschwerdefähig.
  2. Steuerberater sind zur Ausstellung der Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuches nicht befugt.

Anmerkung RiAG a.D. Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Eine der Sonderregeln der InsO besteht darin, dass eine Beschwerdemöglichkeit gegen Entscheidungen nur besteht, wenn die InsO dies ausdrücklich zulässt, § 6 Abs. 1 Satz 1 InsO. Dies führt im Rahmen des § 305 InsO dazu, dass die sogenannte Rücknahmefiktion des § 305 Abs. 3 InsO nicht beschwerdefähig ist. In dem von der vorliegenden Entscheidung zitierten BGH (Beschluss vom 10.2.2011 (IX ZB 43/08, InsbürO 2011, 160 = BeckRS 2011, 4092) ging es um die Fortsetzung von Verhandlungen mit den Gläubigern (nähere Einzelheiten sind nicht mitgeteilt); im vorliegenden Fall um die Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuches.

Eine Beschwerde scheidet jedenfalls aus, wenn dem Beschwerdeführer erfüllbare Anordnungen auferlegt werden und die Maßnahme nicht gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG (BGH, a.a.O. Rn. 5, 9 ff.) verstößt. Der Schuldner könnte sich zwar eine Bescheinigung eines Rechtsanwaltes oder einer Schuldnerberatungsstelle über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuch besorgen. Zu bedenken ist allerdings, dass das Hamburgische Ausführungsgesetz zur Insolvenzordnung vom 8.06.1998 Steuerberater – wie auch in den übrigen Bundesländern – als geeignete Personen i.S.d. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO anerkennt. In diesem Zusammenhang könnte auch die nicht näher begründete Auswirkung der Vorschrift des § 5 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) problematisiert werden.

Zu bedenken ist auch, dass nach der jüngsten Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 24.02.2022 – IX ZB 5/21, InsbürO 2022, 243) dem Insolvenzgericht keine inhaltliche Prüfungsbefugnis der von dem Schuldner vorgelegten Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs zusteht. Konsequent erscheint eine Gleichbehandlung beider Fallkonstellationen. Eine höchstrichterliche Abklärung ist wünschenswert.

 

Einkommen

InsbürO 2023, 283 ff. Zum Verhältnis von Bar- und Naturalunterhalt bei der Bestimmung der Unterhaltszahlungen nach § 850d ZPO

BGH, Beschl. v. 15.3.2023 - VII ZB 68/21, WKRS 2023, 15498

(VII. Senat = u.a. zuständig für Zwangsvollstreckungsrecht)

Leitsatz des Verfassers:

Bei der Bestimmung des dem Schuldner nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO zu belassenden Betrages sind seine Bar- und Naturalunterhaltsleistungen gleich zu behandeln. Die Unterhaltsberechtigten einer gleichen Rangstufe erhalten vom pfändbaren Einkommen des Schuldners den Anteil, der ihnen nach der Höhe ihres gesetzlichen Unterhaltsanspruchs zusteht. Eine Aufteilung nach Kopfteilen ist nicht rechtmäßig.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Diese Entscheidung des 7. Zivilsenats des BGH ist eine wichtige Ergänzung zur jüngst ebenfalls zu § 850d ZPO ergangenen Entscheidung desselben Senats (BGH, Beschl. 18.01.2023 - VII ZB 35/20, InsbürO 2023, 202). Demnach lassen sich die Vorgaben bei Anwendung des § 850d ZPO nun wie folgt zusammenfassen: Bar- und Naturalunterhaltszahlungen stehen gleichwertig nebeneinander. Die Naturalleistungen an das im Haushalt des Schuldners lebenden Unterhaltsberechtigten werden folglich wie Barzahlungen berücksichtigt. Barzahlungen werden nur in dem Umfang berücksichtigt, in dem sie tatsächlich erfolgen, und nicht in Höhe des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs. Die an die Unterhaltsberechtigten eines gleichen Rangs zu verteilenden Gelder werden nicht nach Kopfteilen, sondern im Verhältnis zu den jeweiligen Unterhaltsansprüchen verteilt. Der Unterhaltsberechtigte mit einem höheren Anspruch erhält daher auch einen höheren Anteil am zu verteilenden Betrag.

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2023, 287: Zur Rückforderungsmöglichkeit von Corona-Soforthilfen

OVG NRW, Urt. v. 17.03.2023 - 4 A 1986/22 u.a., WKRS 2023, 14339

Aus der Begründung:

Der Schlussbescheid … ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Corona-Soforthilfe 2020 war als – grds. nicht rückzahlbarer - Billigkeitszuschuss in Gestalt einer einmaligen Pauschale bewilligt worden. Insbesondere handelte es sich nicht um eine darlehensweise Zuwendungsgewährung. Allerdings stand die Bewilligung trotz missverständlicher Formulierungen im Bewilligungsbescheid angesichts der noch unbekannten Entwicklung und Dauer der pandemiebedingten Beschränkungen der Wirtschaft von Anfang an noch klar erkennbar zumindest unter dem Vorbehalt, ob und ggf. in welchem Umfang die bewilligten Finanzmittel für den ausschließlichen Zuwendungszweck überhaupt benötigt werden würden. Daher war der Beklagte nach Ablauf des Bewilligungszeitraums berechtigt, die den Empfängern letztlich zustehende Soforthilfe in Form eines "Schlussbescheids" endgültig festzusetzen und darin zugleich den überzahlten Betrag zurückzufordern (dazu unter I.). Jedoch hat der Beklagte bei Erlass des Schlussbescheids die für die endgültige Festsetzung maßgeblichen bindenden Vorgaben des Bewilligungsbescheids nicht beachtet (dazu unter II.). Der Schlussbescheid ist zudem schon deshalb rechtswidrig, weil er ohne eine hierfür erforderliche Rechtsgrundlage vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen worden ist (dazu unter III.).

 

InsbürO 2023, 287: Voraussetzungen für Feststellung eines Gruppeninsolvenzgerichtsstandes

AG Hamburg, Beschl. v. 02.02.2023 – 67h IE 1/23, ZInsO 2023, 699 (nicht rechtsmittelfähig)

Leitsätze des Gerichts:

  1. Ein Antrag auf Feststellung eines Gruppeninsolvenzgerichtsstandes ist auch zulässig, wenn das antragstellende gruppenangehörige Schuldnerunternehmen die in § 3a Abs.1 Satz 2 InsO regelhaft statuierte Schwelle des Anteils von Unternehmensgruppen-Arbeitnehmer*innen unterschreitet, aber nicht offensichtlich untergeordnete Bedeutung hat, indem z.B. die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen als erfüllt und eine gruppeninterne Leitungsfunktion dargelegt sind.
  2. Solange nicht klar ist, ob ausländische gruppenangehörige Unternehmen den Mittelpunkt ihres hauptsächlichen Interesses auch im hiesigen Inland haben, sind sie von der Feststellungswirkung auszunehmen.

Aus der Begründung:

Zudem werden die gemeinsamen Interessen der Gläubiger insbesondere bei der hiesigen Tätigkeitsnatur der Unternehmensschuldnerin durch eine gemeinsame insolvenzgerichtliche und insolvenzverwalterliche Koordination nur befördert, da … So betont die Gesetzesbegründung, dass dann, wenn sich durch eine koordinierte Abwicklung Koordinationsgewinne erzielen lassen, die einigen Insolvenzmassen zugutekommen, ohne die übrigen Massen zu benachteiligen, man von einem Interesse der Gläubiger an dem Gruppen-Gerichtsstand ausgehen könne.

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2023, 287 f: Fehlende Gegenleistung führt nicht zur Unentgeltlichkeit der anderen Leistung

BGH, Beschl. v. 26.01.2023 - IX ZR 17/22

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtliche Leitsätze:

  1. Bewirkt der Schuldner die ihm bei einem gegenseitigen Vertrag obliegende Gegenleistung, obwohl der Anspruch des Gläubigers auf die Gegenleistung entfallen ist, weil die dem Gläubiger obliegende Leistung unmöglich ist, kann der Schuldner das Geleistete auch dann nach Rücktrittsrecht zurückverlangen, wenn die Gegenleistungspflicht bereits zum Zeitpunkt der Rechtshandlung des Schuldners entfallen war.
  2. Steht dem Schuldner bei einem gegenseitigen Vertrag hinsichtlich der von ihm erbrachten Gegenleistung ein Rückgewähranspruch nach Rücktrittsrecht zu, ist die von ihm erbrachte Gegenleistung auch dann nicht als unentgeltliche Leistung anfechtbar, wenn der Schuldner wusste, dass die Leistung des anderen Teils unmöglich war.

Aus der Begründung:

Rn. 2: Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Unentgeltlichkeit einer Erfüllungshandlung nach dem Grundgeschäft zu beurteilen ist (…). … Für die Zahlung von Mieten gilt entsprechendes. Solche Zahlungen sind nicht allein deshalb unentgeltlich, weil

die Gegenleistung ausgeblieben ist (…). … Rn. 11: Unabhängig davon ergibt sich allein aus § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht, dass eine gleichwohl erbrachte Gegenleistung eine unentgeltliche Leistung i.S.d. § 134 Abs. 1 InsO darstellt. Vielmehr bestimmt § 326 Abs. 4 BGB, dass das Geleistete nach §§ 346 bis 348 BGB zurückverlangt werden kann, soweit eine nach § 326 BGB nicht geschuldete Gegenleistung bewirkt ist.

 

InsbürO 2023, 288: Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung

BGH, Beschl. v. 12.01.2023 - IX ZR 71/22, ZInsO 2023, 785

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 2: Für den Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes, für den § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht gilt, muss hinzukommen, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können. Entsprechendes gilt für den Vollbeweis der Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz (…). Der Nachweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz wird allerdings durch die gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO erleichtert. Die Voraussetzungen des Vermutungstatbestands sind von der Neuausrichtung der Rechtsprechung des Senats nicht betroffen (vgl. BGH, Urt. v. 06.05.2021 - IX ZR 72/20, Rn. 49 ff.). Für das Eingreifen der gesetzlichen Vermutung der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz muss der Anfechtungsgegner demnach nicht wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können.

 

Steuerrecht

InsbürO 2023, 288: Doppel-Berichtigungsanspruch bei Entgeltvereinnahmung im Rahmen der Eigenverwaltung

FG Düsseldorf, Urt. v. 25.01.2023 – 5 K 1749/21 U, WKRS 2023, 12789

Aus der Begründung:

Hat ein Unternehmer, der … der Sollbesteuerung unterliegt, eine Leistung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht, für die erst der Insolvenzverwalter die Gegenleistung vereinnahmt, führt die Vereinnahmung durch diesen nach der ständigen Rechtsprechung der beiden für Umsatzsteuerrecht zuständigen Senate des BFH zu einer Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und Abs. 1 Satz 1 UStG, die insolvenzrechtlich eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet (…). … In seinem Urteil vom 27.09.2018 (V R 45/16) (…) hatte der BFH über die Frage zu entscheiden, ob die Rechtsprechung zur sog. Doppelberichtigung auch auf die Insolvenz in Eigenverwaltung übertragbar ist.Der BFH hat dies bejaht und … Für den Streitfall folgt … zum einen, dass … auch in der hier maßgeblichen Konstellation der Eigenverwaltung eine Pflicht zur Vornahme der ersten und zweiten Berichtigung besteht. … Zum anderen folgt aus der dogmatischen Verankerung der Rechtsprechung zur Doppelberichtigung im § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, dass … die Durchführung der zweiten Berichtigung nicht von der Vornahme der ersten Berichtigung abhängt. … Dem steht auch nicht der Wortlaut des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG entgegen. Soweit darin von einer "erneuten" Berichtigung gesprochen wird, ist dies keine Tatbestandsvoraussetzung, setzt also m.a.W. keine erste Berichtigung voraus, sondern dient lediglich der Klarstellung, dass es sich materiell-rechtlich um eine Folgeberichtigung handelt.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde wg. grds. Bedeutung zugelassen und auch eingelegt. Das Verfahren ist bei Druckfreigabe beim BFH unter dem AZ: XI R 3/23 anhängig.

 

Absonderung

InsbürO 2023, 288: Bestimmtheitsgebot bei Sachgesamtheit ohne räumliche Zusammenfassung

BGH, Urt. v. 16.12.2022 – V ZR 174/21, ZInsO 2023, 615

(V. Senat = u.a. zuständig für Grundbuchsachen)

Leitsätze des Gerichts:

  1. Soll eine Gesamtheit von Gegenständen, die nicht räumlich zusammengefasst sind, unter Verwendung eines Gattungsbegriffs übereignet werden, ist der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz nur dann gewahrt, wenn sich die Vertragsparteien bewusst und erkennbar über Merkmale einigen, aufgrund deren die übereigneten Gegenstände der Gattung individualisierbar sind (Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 04.10.1993 – II ZR 156/92, …).
  2. Eine Einigung, nach der nur diejenigen Gegenstände einer bestimmten Gattung übereignet werden sollen, die der Veräußerer nicht näher bezeichneten Dritten überlassen hat, genügt für sich genommen den Anforderungen an den sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht (hier: Flüssiggastanks, die nicht näher bezeichneten Kunden überlassen worden sind).

Aus der Begründung:

Rn. 16: Die Sammelbezeichnung "alle von der VGO an ihre Kunden überlassenen Flüssiggastanks" genügt jedoch für sich genommen deshalb dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht, weil nicht erkennbar ist, welche einzelnen Flüssiggastanks von der Übereignung erfasst sind. … Rn. 18: … Soll … eine Gesamtheit von Gegenständen, die nicht räumlich zusammengefasst sind, übereignet werden, ist der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz nur dann gewahrt, wenn sich die Vertragsparteien bewusst und erkennbar über Merkmale einigen, aufgrund deren die übereigneten Gegenstände der Gattung individualisierbar sind (…). … Rn. 19: … Die Überlassung der Flüssiggastanks an Kunden der VGO ist kein bestimmtes Merkmal, mit dem die zu übereignende Menge der Flüssiggastanks qualitativ beschrieben wird.

 

Vergütungsrecht

InsbürO 2023, 288: Kein Abschlag von der Regelvergütung bei unterdurchschnittlichen Anforderungen bei sehr geringer Insolvenzmasse

LG Berlin, Beschl. v. 13.02.2023 – 84 T 160/21, ZInsO 2023, 745 (rkr.)

Aus der Begründung:

Ein Abschlag ist nicht gerechtfertigt. … Die Masse war vorliegend außerordentlich gering und blieb deutlich hinter der Masse eines durchschnittlichen Nachlassinsolvenzverfahrens zurück. In Relation hierzu waren die Vermögensverhältnisse nicht überschaubar, sondern durchschnittlich. … Vorliegend trifft es zu, dass das Insolvenzverfahren an die Geschäftsführung des Verwalters absolut gesehen … wegen der Durchführung als schriftliche Verfahren gem. § 5 Abs. 2 InsO und deshalb, weil keine zu verwertenden Vermögensgegenstände vorhanden waren und von Drittschuldnern keine Einziehung zur Masse mehr erfolgen musste, nur unterdurchschnittliche Ansprüche stellte. Jedoch gilt auch hier, dass diese Umstände schon dadurch angemessen berücksichtigt werden, dass die Berechnungsgrundlage außerordentlich gering ist. Für ein Verfahren mit einer entsprechend geringen Masse handelte es sich im Wesentlichen um ein durchschnittliches, kein unterdurchschnittliches Verfahren. Die Anforderungen des Verfahrens entsprechen zusammengenommen und unter Berücksichtigung der Masse dem Bild eines Normalverfahrens, dessen Erledigung durch den Insolvenzverwalter mit der gesetzlichen Regelvergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV entgolten werden soll.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das LG Münster hat ebenso wie vorstehend das LG Berlin entschieden und führt in seiner Entscheidung vom 28.05.2019 (5 T 300/18, InsbürO 2019, 464) aus: „2.b.: … Dass ein Verfahren wenig umfangreich bzw. komplex ist, wird im Rahmen der Bestimmung der Vergütungshöhe aber in der Regel schon durch die damit einhergehende geringe Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage der Vergütung berücksichtigt. Je geringer die Insolvenzmasse daher ist, desto eher ist der damit einhergehende Minderaufwand durch die Staffelvergütung bereits berücksichtigt. …“

 

Europäisches / internationales Recht

InsbürO 2023, 289: Vorlegung eines Dokuments mit personenbezogenen Daten im Rahmen eines Zivilgerichtsverfahren -Schutz personenbezogener Daten

EuGH, Urt. v. 02.03.2023 - C-268/21

Zum Sachverhalt und der Entscheidung:

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits … wegen eines Antrags auf Offenlegung des elektronischen Personalverzeichnisses von …, die für … Arbeiten durchgeführt hatte, um die Kosten der von … zu zahlenden Arbeiten zu bestimmen.

Rn. 56: Für den Fall, dass sich die Vorlegung des Dokuments mit personenbezogenen Daten als gerechtfertigt erweist, folgt aus diesem Grundsatz …, dass das nationale Gericht, wenn offenbar nur ein Teil dieser Daten für Beweiszwecke erforderlich ist, die Ergreifung zusätzlicher Datenschutzmaßnahmen in Betracht ziehen muss, wie die in Art. 4 Nr. 5 DSGVO definierte Pseudonymisierung der Namen der betroffenen Personen oder jede andere Maßnahme, die dazu bestimmt ist, die Beeinträchtigung des Rechts auf Schutz der personenbezogenen Daten, die die Vorlegung eines solchen Dokuments darstellt, zu minimieren. Zu solchen Maßnahmen können insbesondere die Beschränkung des Zugangs der Öffentlichkeit zu den Akten oder eine Anordnung an die Parteien, denen die Dokumente mit personenbezogenen Daten zugänglich gemacht wurden, gehören, diese Daten nicht zu einem anderen Zweck als zur Beweisführung in dem betreffenden Gerichtsverfahren zu verwenden. … Rn. 60: Art. 6[1] Abs. 3 und 4 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments[2] … ist dahin auszulegen, dass diese Vorschrift im Rahmen eines Zivilgerichtsverfahrens auf die Vorlegung eines Personalverzeichnisses als Beweismittel anwendbar ist …

 

Rechtsstreitigkeit

InsbürO 2023, 289: Aufnahme eines Rechtsstreites beim Aussonderungsrecht

BGH, Beschl. v. 25.01.2022 – V ZR 72/21, ZInsO 2022, 591

(V. Senat = u.a. zuständig für Grundbuchsachen)

Zum Sachverhalt:

Die Klägerin verlangt von der als Eigentümerin eines Grundstücks im Grundbuch eingetragenen Beklagten (= Schuldnerin), u.a. der Eintragung der Klägerin als Eigentümerin des Grundstücks zuzustimmen. Ihr Anspruch ist durch Vormerkung gesichert.

Aus der Begründung:

Rn. 4: Die Berechtigung der Klägerin zur Aufnahme des Rechtsstreits ergibt sich aus § 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO. … Da der Gläubiger eines durch Vormerkung gesicherten Anspruchs Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen kann (§ 106 Abs. 1 Satz 1 InsO), ist der Anspruch insolvenzfest. Inhaltlich handelt es sich um ein Aussonderungsrecht (…), so dass der Anwendungsbereich von § 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO eröffnet ist.

 

InsbürO 2023, 289: Aufnahme eines Rechtsstreites bei Rechtsnachfolge

BGH, Beschl. v. 16.02.2023 – IX ZR 22/22, WKRS 2023, 14139

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 18: Das Gericht hat als besondere Sachurteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen, ob die Forderung in der geltend gemachten Form zur Insolvenztabelle angemeldet und geprüft worden ist. Darlegungs- und beweisbelastet ist die Antragstellerin als Insolvenzgläubigerin, da sie die Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits gegen die Insolvenzverwalterin des Schuldners erstrebt (…). Die vorgenannten Grundsätze gelten auch für die insolvenzrechtliche Erfassung der Rechtsnachfolge, wenn … der Rechtsnachfolger einen noch von dem Rechtsvorgänger eingeleiteten Prozess als Feststellungsklage aufnehmen will. Rn. 19: Gemessen hieran ist die Antragstellerin die zur Feststellungsklage gem. § 179 Abs. 1, §§ 180, 181 InsO berechtigte Gläubigerin, denn sie ist in der Insolvenztabelle als Rechtsnachfolgerin erfasst worden. … Rn. 20: Die Anmeldung war auch wirksam. … Dies gilt namentlich für die Frage, ob die Forderungsanmeldung den Anforderungen des § 174 InsO entspricht (…). … Rn. 22: Die angemeldete Forderung stimmt mit dem Gegenstand des in erster Instanz anhängigen Klageverfahrens überein. … Dabei kommt es darauf an, ob die zur Tabelle angemeldete Forderung Gegenstand des unterbrochenen Rechtsstreits ist und der Rechtsstreit Fragen betrifft, die für die Feststellung der Forderung zur Tabelle erheblich sind (…).

 

InsbürO 2023, 290: lex fori concursus bei Aufnahme (inländischen) Rechtsstreits durch Insolvenzverwalter

BGH, Beschl. v. 14.02.2023 – IV ZR 177/21, WKRS 2023, 13291

(IV. Senat = zuständig für Erbrecht und Versicherungsvertragsrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 9: § 182 InsO[3] gilt grds. für alle Klagen gem. §§ 179, 180 InsO auf Feststellung einer bestrittenen Insolvenzforderung (…). Der Feststellungsantrag der Klägerin richtet sich jedoch nicht auf Feststellung einer Insolvenzforderung, sondern auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses. Die Aufnahme der Verteidigung gegen diese Feststellungsklage durch den Insolvenz- oder Konkursverwalter fällt weder in den Anwendungsbereich von § 182 InsO noch wäre sie nach deutschem Insolvenzrecht überhaupt zulässig. Aufgrund der gesetzlichen Grenzen für die Aufnahme von Passivrechtsstreiten, in denen über die Pflicht zu einer Leistung gestritten wird, die aus der Masse zu leisten ist (…), kann ein Passivprozess, in dem gegen die beklagte Insolvenzschuldnerin die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden soll, nicht vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden (…). … Rn. 10: … Nach § 352 Abs. 1 Satz 2 InsO[4] ist für die Frage, wer zur Aufnahme des Rechtsstreits berechtigt ist, die Prozessführungsbefugnis nach dem Recht des Eröffnungsstaates entscheidend, während sich die Art und Weise der Aufnahme nach deutschem Prozessrecht bestimmt (…). Das bedeutet, dass sowohl hinsichtlich des für die Aufnahme des Rechtsstreits in Betracht kommenden Personenkreises als auch für alle Voraussetzungen für die Aufnahme eines inländischen Rechtsstreits die lex fori concursus[5] anzuwenden ist; lediglich die Form der Aufnahme richtet sich nach deutschem Recht (…).

InsbürO 2023, 290: Erstattungsfähige Reisekosten für auswärtigen Anwalt bei Beauftragung durch Insolvenzverwalter

OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 11.01.2023 – 18 W 170/22

Leitsatz des Gerichts:

Die Beauftragung eines am Sitz des Insolvenzverwalters ansässigen Hauptbevollmächtigten zur Rechtsverteidigung stellt eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverteidigung i.S.v. § 91 Abs. 2 Satz 1 2. Hs. ZPO dar, wenn der Insolvenzverwalter erst im Laufe des Rechtsstreits (hier: in der Berufung) Partei wird und er nach Aufnahme des Rechtsstreits die bisherigen Prozessbevollmächtigten mandatiert.

Aus der Begründung:

Die Rechtspflegerin (hat) zutreffend auf die Rechtsprechung des BGH verwiesen, der zufolge die Beauftragung eines am Sitz des Insolvenzverwalters ansässigen Hauptbevollmächtigten zur Führung eines Rechtsstreits vor einem auswärtigen Gericht i.d.R. keine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung i.S.v. § 91 Abs. 2 Satz 1, 2 HS ZPO darstellt (… BGH, Beschl. v. 27.02.2018 – II ZB 23/16, ZInsO 2018, 1004). … Der Grundsatz (gilt) nicht ausnahmslos und schließt dies auf den Einzelfall bezogene Erwägungen zur sachlichen Rechtfertigung der Beauftragung eines nicht am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts nicht aus (BGH, Beschl. v. 27.02.2018 – II ZB 23/16, ZInsO 2018, 1004). Der BGH hat eine Ausnahme bspw. bei einer besonderen Komplexität der jeweiligen Rechtsstreitigkeit (…) … anerkannt, … Indem der Insolvenzverwalter auf die Prozessbevollmächtigten der insolvent gewordenen Klägerin zurückgriff und diese mit der Fortsetzung des Rechtsstreits für ihn beauftragt hat, hat er auf den vorhandenen Kenntnissen und der Sachkunde der bereits mit dem Fall und dem Verfahren vertrauten Prozessbevollmächtigten aufgebaut, die ihre Tätigkeit nahtlos fortsetzen konnten. In einem solchen Fall darf ein Insolvenzverwalter als verständige Partei … auch bei der gebotenen typisierenden Betrachtung die Beauftragung des nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts als zweckentsprechend, d.h. bei der Führung des Rechtsstreits in seiner konkreten Lage als sachdienlich ansehen.

 

InsbürO 2023, 290: Ausreichende Individualisierbarkeit beim Mahnbescheid zwecks Hemmung der Verjährung

OLG Frankfurt/M., Hinweisbeschluss v. 11.01.2023 – 4 U 129/22

Leitsätze des Gerichts:

  1. Zur Hemmung der Verjährung von Insolvenzanfechtungsansprüchen gegen den Fiskus.
  2. Zur Zurechenbarkeit eines Gesamtwissens beteiligter Finanzbehörden (hier: Finanzamt Stadt/OFD).

Aus der Begründung:

Die Verjährung sei nicht gem. § 204 Abs. 1 Nr. 3, 1. Alt. BGB durch die Zustellung des Mahnbescheids am … an das FinA Stadt gehemmt worden, weil das Finanzamt Stadt weder der zutreffende Anspruchsgegner noch für das beklagte Land als zutreffendem Anspruchsgegner vertretungsberechtigt gewesen sei. Auch die Zustellung des nunmehr gegen die OFD Frankfurt/M. gerichteten Mahnbescheides am … habe die Verjährung nicht gehemmt, weil der geltend gemachte Anspruch nicht nach § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hinreichend individualisiert gewesen sei. Bei Geltendmachung mehrerer Einzelansprüche gehöre zur notwendigen Individualisierung des Anspruchs, dass die Zusammensetzung des geltend gemachten Betrags für den Antragsgegner bereits aus dem Mahnbescheid erkennbar sei. Vorliegend sei ohne Kenntnis der beiden im Mahnbescheid zitierten Anspruchsschreiben v. … die Zusammensetzung der Forderung nicht nachvollziehbar gewesen. … Eine Informationspflicht, bei deren Nichterfüllung eine Wissenszurechnung in Betracht kommt, setzt jedoch voraus, dass ein Informationsaustausch möglich und zumutbar ist. Dies war vorliegend nicht der Fall.Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, dass aus dem der OFD zugestellten Mahnbescheid nicht hervorging, welches Finanzamt für den vorliegenden Sachverhalt zuständig war. Als Anspruchsgrund war lediglich angegeben „Anfechtungsanspruch gem. § 133 InsO gem. Anspruchsschreiben vom …“. Weder war der Adressat des Anspruchsschreibens benannt, noch eine Steuernummer, die eine Zuordnung ermöglicht hätte. …Allerdings obliegt es dem Kläger als Anspruchsteller, bei der Anbringung eines Mahnantrags dafür Sorge zu tragen, dass den Anforderungen des § 690 ZPO Genüge getan wird.

 

Allgemeines

InsbürO 2023, 291: Akteneinsicht in Insolvenzakten

BayObLG, Beschl. v. 21.12.2022 – 102 VA 174/21, ZInsO 2023, 149

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter widersprach dem Einsichtsgesuch, da der Antragsteller nach dem endgültigen Bestreiten der Forderung mangels Erhebung einer Feststellungsklage kein Beteiligter des Insolvenzverfahrens i.S.d. § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 1 ZPO sei. … Die P. GmbH habe einen Teil der angemeldeten Ansprüche unmittelbar vor der Gläubigerversammlung rechtsmissbräuchlich unentgeltlich u. a. an den Antragsteller abgetreten, um im Rahmen der Abstimmung über ihre Anträge über eine Kopfmehrheit der abstimmenden Gläubiger zu verfügen.

Aus der Begründung:

(2) … Bestreitet der Insolvenzverwalter die Forderung und ist sie deshalb, wie im vorliegenden Fall, nicht zur Tabelle festgestellt worden, genügt die bloße Behauptung des Antragstellers, die Einwände des Insolvenzverwalters seien haltlos, tatsächlich stehe ihm die strittige Forderung zu, nicht für die Annahme eines rechtlichen Interesses im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO. … (8) Mit seiner Erklärung, er wolle den Inhalt der Insolvenzakten daraufhin überprüfen, ob sich Anhaltspunkte für (weitere) strafrechtlich relevante Vorgänge von Verfahrensbeteiligten ergeben, stützt sich der Antragsteller lediglich auf ein allgemeines Ausforschungsinteresse

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das Gericht setzt sich mit 9 unterschiedlichen Argumenten auseinander, mit denen das Gericht das rechtliche Interesse an der Akteneinsicht verneint hat.

 

[1] Ergänzung der Schriftleitung: Art. 6 DSGVO – Rechtsmäßigkeit der Verarbeitung

[2] Ergänzung der Schriftleitung: vollständige Bezeichnung: Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Kurz: Datenschutz-Grundverordnung)

[3] § 182 InsO - Streitwert

[4] § 352 InsO - Unterbrechung und Aufnahme eines Rechtsstreits, Abs. 1 Satz 2: „Die Unterbrechung dauert an, bis der Rechtsstreit von einer Person aufgenommen wird, die nach dem Recht des Staats der Verfahrenseröffnung zur Fortführung des Rechtsstreits berechtigt ist, oder bis das Insolvenzverfahren beendet ist.“

[5] Lex fori concursus = das Recht am Ort des Konkursgerichts