17.06.2021

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Juniheft 2021

 

Einkommen

InsbürO 2021, 252: Unpfändbarkeit einer Corona-Prämie

AG Cottbus, Beschl. v. 23.03.2021 – 63 IN 127/18, ZInsO 2021, 796

Voraussetzung für die Auszahlung der Prämie an die Mitarbeiter ist, dass die Beihilfen oder Unterstützungen infolge der Corona-Krise zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gezahlt werden und zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die Corona-Krise gezahlt werden. … Die Pfändbarkeit oder Unpfändbarkeit der Corona-Prämie außerhalb der Altenpflege ist gegenwärtig nicht eindeutig geregelt. Die Prämie wird gezahlt, um zusätzliche Belastung durch die Corona-Krise abzumildern. Sie kann wegen dieser Zweckbestimmung unter § 850a Nr. 3 ZPO subsumiert werden. … Der Sinn der Befreiung ist …, dass die Prämie uneingeschränkt den Beschäftigten als Anerkennung zugutekomme. Daher dürfe sie auch nicht gepfändet werden. Anderenfalls käme der Bonus den Gläubigern und nicht den Beschäftigten zugute. Der Zweck der Sonderzahlung wäre verfehlt (…). Vor diesem Hintergrund führt die Abwägung der schutzwürdigen Interessen von Schuldner und Gläubiger zur Feststellung der Unpfändbarkeit der Corona-Prämie.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der BGH hat wenige Tage nach dieser vorstehenden Entscheidung die Unpfändbarkeit der Corona-Soforthilfen festgestellt (BGH, Beschl. 10.03.2021 - VII ZB 24/20, InsbürO 2021, 249 - in diesem Heft -, ZInsO 2021, 781). Darin geht es war nicht um die Corona-Prämien, die die Arbeitgeber zahlen, sondern um die staatlichen Förderhilfen. Aber auch dort war die Zweckbindung ausschlaggebend für die Verneinung der Pfändbarkeit. Allerdings muss dieser Zweck genau ermittelt werden, denn § 850a Nr. 3 ZPO regelt die Unpfändbarkeit von u.a. Gefahren-, Schmutz- oder Erschwerniszulagen. Die Zahlung einer Sonderzulage während der Corona-Pandemie legt zwar insoweit nahe, dass damit ein Erschwernis ausgeglichen werden soll, aber dies muss nicht so sein (s. Grote, Gehaltsabrechnung des Monats: Sonderzahlung …, InsbürO 2021, 137). Es muss also ggf. mit dem Arbeitgeber geklärt werden, was der Grund für die Zahlung war, um den Zweck feststellen und die Anwendung des § 850a Nr. 3 ZPO im Einzelfall prüfen zu können.

 

InsbürO 2021, 249 ff.: Unpfändbarkeit der Corona-Soforthilfen

BGH, Beschl. 10.03.2021 - VII ZB 24/20, ZInsO 2021, 781

Leitsatz des Bearbeiters:

Eine finanzielle Hilfe nach dem Soforthilfeprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen („NRW-Soforthilfe 2020“) ist unpfändbar gem. § 851 Abs. 1 ZPO. Die auf einem Pfändungsschutzkonto eingehende Soforthilfe ist gem.§ 850k Abs. 4

ZPO freizugeben.

 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Diese Entscheidung des 7. Zivilsenats in einer Einzelzwangsvollstreckungsangelegenheit außerhalb eines Insolvenzverfahrens schließt die Diskussion über die Pfändbarkeit der Corona-Soforthilfen ab. Der BFH hatte als erstes oberstes Bundesgericht die Unpfändbarkeit angenommen (Beschl. v. 09.07.2020 - VII S 23/20 (AdV), WKRS 2020, 29914). Dem schließt sich der BGH nun an. Auch die Frage, aus welcher Vorschrift die Unpfändbarkeit herzuleiten ist, ist mit Anwendung des § 851 ZPO geklärt. Die Gegenansicht (u.a. LG Köln, Beschl. v. 23.04.2020 - 39 T 57/20, InsbürO 2020, 298 = ZInsO 2020, 1028 = ZVI 2020, 213 und AG Zeitz, Beschl. v. 02.09.2020 - 14 M 222/20, ZInsO 2021, 781) hatte § 765a ZPO herangezogen. Praxisrelevant ist, dass der BGH zur Sicherung der Soforthilfe auf einem Pfändungsschutzkonto § 850k Abs. 4 ZPO entsprechend anwendet und damit Freigabeanträge der Schuldner ermöglicht. Diese entsprechende Anwendung wird auch in weiteren, durch § 850k Abs. 4 ZPO nicht ausdrücklich erfassten Konstellationen in Frage kommen. Schließlich ist auch die Feststellung des BGH für die Praxis hilfreich, dass in einem Zwangsvollstreckungsverfahren nicht zu entscheiden ist, ob die Soforthilfe zu Recht gewährt wurde. Diese Frage ist allein im Verhältnis des Schuldners zur Beihilfe bewilligenden Stelle zu entscheiden.

 

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2021, 253: Einbezug von bestrittenen Forderungen in die Kommanditistenhaftung

BGH, Urt. v. 09.02.2021 – II ZR 28/20, ZInsO 2021, 722

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)

 

Amtlicher Leitsatz:

Bei der Prüfung, ob eine Inanspruchnahme des Kommanditisten zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist, sind nicht nur die zur Tabelle festgestellten, sondern auch vom Insolvenzverwalter bestrittene Forderungsanmeldungen zu berücksichtigen, sofern eine erfolgreiche Inanspruchnahme der Masse wegen dieser Forderungen noch ernsthaft in Betracht kommt.

 

Aus der Begründung:

Rn. 14: … Stützt sich der Insolvenzverwalter … auf eine von ihm bestrittene Forderung, hat er substantiiert darzulegen, aus welchen Gründen trotz seines Widerspruchs noch mit einer Feststellung der Forderung zur Tabelle gerechnet werden muss und daher vorsorglich auch insoweit noch eine Inanspruchnahme des Kommanditisten zur Bildung von Rückstellungen erforderlich erscheint. …

 

InsbürO 2021, 253: Zur Nachweisführung durch Insolvenztabelle für die Kommanditistenhaftung

BGH, Urt. v. 23.02.2021 – II ZR 89/20, ZInsO 2021, 721

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 7: Dass die angemeldeten Forderungen in der vorgelegten Insolvenztabelle nur schlagwortartig (z.B. "Warenlieferung", "Dienstleistung" o.ä.) ohne Bezugnahme auf eine konkrete Berechnung oder einen Leistungszeitraum bezeichnet wurden, steht einer hinreichenden Individualisierung nicht entgegen … Vielmehr ist es im Allgemeinen ausreichend, wenn der Anspruch als solcher identifizierbar ist, indem er durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt wird, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann … Rn. 8: … Der Kläger hat mit der Klage eine … Forderungsaufstellung vorgelegt, die durch Kennzeichnung der Forderungen mit laufender Nummer, Gläubiger und Betrag auf die Forderungsanmeldungen nach § 174 Abs. 1 und 2 InsO im Insolvenzverfahren Bezug nimmt. …

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Es gibt eine weitere Entscheidung des BGH zu dieser Thematik v. 17.11.2020 (II ZR 68/20 Rn. 12 f., WKRS 2020, 47621)

 

InsbürO 2021, 253: Kommanditistenhaftung auch für Masseverbindlichkeiten

BGH, Urt. v. 28.01.2021 - IX ZR 55/20, ZInsO 2021, 606

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 13: Der Senat hat mit Urt. v. 28.01.2021 (IX ZR 54/20 …) näher ausgeführt, dass bei bestimmten Masseverbindlichkeiten die Haftung des Schuldners gegenständlich beschränkt sein kann. Eine solche gegenständlich beschränkte Haftung des Schuldners für bestimmte Masseverbindlichkeiten gebietet es jedoch nicht, die Haftung des Gesellschafters für Gesellschaftsverbindlichkeiten in der Insolvenz der Gesellschaft aus insolvenzrechtlichen Gründen einzuschränken. Dies hat der Senat im Urt. v. 28.01.2021 (…) begründet und dabei an der entgegenstehenden Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 24.09.2009 - IX ZR 234/07, …) nicht festgehalten. … Rn. 14: Der Beklagte haftet als Kommanditist für solche Masseverbindlichkeiten, welche die Schuldnerin begründet hat. Dies trifft auf die Gewerbesteuerforderung des Finanzamts aus dem Bescheid … zu. … Rn. 15: … Für § 93 InsO ist es unerheblich, ob die Verbindlichkeit der Gesellschaft eine Masseverbindlichkeit darstellt. Das gleiche gilt für § 171 Abs. 2 HGB.

 

InsbürO 2021, 253: Zum Erlöschen einer Forderung gegenüber einem Kommanditisten

BGH, Beschl. v. 12.01.2021 – II ZR 206/19, ZInsO 2021, 752

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 3: … Erlangt ein Gläubiger … nach Feststellung seiner Forderung zur Tabelle aus seinem Absonderungsrecht eine tlw. Befriedigung seiner Forderung, so erlischt diese insoweit gem. § 362 Abs. 1 BGB, worauf sich der Kommanditist berufen kann (BGH, Urt. v. 10.11.2020 - II ZR 132/19, …). Der Beklagte hat vorliegend allerdings … keinen Vortrag zur Verwertung weiterer Sicherheiten unterbreitet.

 

InsbürO 2021, 253 f.: Berechtigung des Insolvenzverwalters zur Entbindung von Geheimnisträgern von der Verschwiegenheit

BGH, Beschl. v. 27.01.2021 – StB 44/20, ZInsO 2021, 494

Leitsätze des Gerichts:

 

  1. Grds. sind diejenigen Personen dazu befugt, einen Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, die zu jenem in einer geschützten Vertrauensbeziehung stehen. Hierunter fallen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses mit einem Wirtschaftsprüfer regelmäßig nur der oder die Auftraggeber.
  2. Für eine juristische Person können diejenigen die Entbindungserklärung abgeben, die zu ihrer Vertretung zum Zeitpunkt der Zeugenaussage berufen sind.
  3. Ist über das Vermögen der juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, ist dieser berechtigt, soweit das Vertrauensverhältnis Angelegenheiten der Insolvenzmasse betrifft.

 

Zum Sachverhalt:

Der Antragsteller ist Wirtschaftsprüfer und wurde im Zusammenhang mit Jahresabschlüssen und Konzernabschlussprüfungen der Wirecard AG tätig. Der für die Wirecard AG bestellte Insolvenzverwalter erklärte ebenso wie deren aktueller Vorstand und Aufsichtsrat, den Antragsteller von seiner Verschwiegenheitspflicht gegenüber der Wirecard AG zu entbinden. Dieser wurde zur Zeugenvernehmung geladen, verweigerte aber die Auskunft mit Hinweis auf das uneinheitliche Bild in der strafrechtlichen Rechtsprechung und Literatur zu der Frage, wer bei einer insolventen Gesellschaft einen Berufsgeheimnisträger von der Verschwiegenheitspflicht entbinden könne.

 

Aus der Begründung:

Rn. 25: … Die Dispositionsbefugnis des Geheimnisherrn geht insoweit gem. § 80 Abs. 1 InsO auf den Verwalter über (…). Dessen Verwaltungs- und Verfügungsrechte erstrecken sich nicht ausschließlich auf das Gebiet des Vermögensrechts (…). Mithin kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Zeuge in einem Straf- oder Zivilverfahren - oder einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss - aussagen soll, sondern auf den Gegenstand des betroffenen Vertrauensverhältnisses und eine Bedeutung für die Insolvenzmasse (…).

 

InsbürO 2021, 254: Flugstornierungskosten als Masseverbindlichkeit

AG Frankfurt/M., Urt. v. 27.11.2020 – 31 C 2352/20 (15), ZInsO 2021, 801

Aus der Begründung:

Den Klägern fehlt … nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Insbesondere sind sie nicht vorrangig auf das Insolvenzverfahren zu verweisen, denn die streitgegenständlichen Forderungen sind als sonstige Masseforderungen nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO anzusehen. … Liegt es … im Interesse aller Gläubiger, dass der Insolvenzverwalter versucht, die Insolvenzmasse durch Betriebsfortführung zu vergrößern, so ist auch in Kauf zu nehmen, dass er sich hierbei der Gefahr aussetzt, sich auch unfreiwillig zusätzlichen Ansprüchen auszusetzen. … Nach hier vertretener Auffassung stellt das gelegentliche Auftreten von der Notwendigkeit, einen Flug annullieren zu müssen, eine typische Gefahr dar, die dem Geschäftsbetrieb eines Luftfahrtunternehmens innewohnt. Vorliegend führte die Beklagte unstreitig ihren Betrieb auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort; die Gefahr einer Annullierungssituation hat sich vorliegend verwirklicht; mit der Insolvenz also solcher stand sie in keinem Zusammenhang. Unabhängig davon, wie man die Rechtsnatur des Erstattungsanspruchs nach Art. 8 Abs. 1 a) VO (EG) 261/2004 einordnet, ist … festzustellen, dass der Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten formell erst mit der Entscheidung über die Annullierung der Flüge und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Fortführung des Betriebs in Eigenverwaltung entstand. Dass der Vertragsabschluss und die Buchungsbestätigung als Teil der Anspruchsvoraussetzungen vor der Insolvenzeröffnung erfolgten, ändert hieran nichts.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das AG Frankfurt/M. verweist zur Einordnung des Anspruchs als Masseverbindlichkeit auf eine BGH-Entscheidung v. 12.01.2017 (IX ZR 87/16 - Rn. 19, ZInsO 2017, 438). Danach ist ein hinreichender Bezug der Forderung zur Insolvenzmasse erforderlich.

 

 

Eigenverwaltung

InsbürO 2021, 254: Zwangsgeld gegen organschaftlichen Vertreter wg. Rechnungslegung nach Aufhebung der Eigenverwaltung

LG Münster, Beschl. v. 03.03.2020 – 5 T 87/20, WKRS 2020, 30287 (rkr.)

Leitsätze des Gerichts:

1. Die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen den organschaftlichen Vertreter der Schuldnerin zwecks Durchsetzung der ordnungsgemäßen Rechnungslegung nach Aufhebung der Eigenverwaltung und Fortführung des Verfahrens als Regelinsolvenzverfahren ist mangels einer hierfür notwendigen Rechtsgrundlage unzulässig.

2. Für die Durchsetzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Rechnungslegung nach Aufhebung der Eigenverwaltung und Fortführung des Verfahrens als Regelinsolvenzverfahren sieht das Gesetz in § 98 InsO Mittel der Durchsetzung vor.

 

Aus der Begründung:

Nach § 274 Abs. 1 InsO unterliegt der Sachwalter der Kontrolle durch das Insolvenzgericht. Er ist insbesondere Adressat von Zwangsmitteln, wie sich aus der unmittelbaren Verweisung in § 274 Abs. 1 InsO auf § 58 InsO ergibt. § 274 Abs. 2 InsO bestimmt, wer die Aufsicht über die Geschäftsführung des Schuldnerunternehmens führt und weist diese Aufgabe dem Sachwalter zu. Dem Schuldner kommen nach § 281 InsO Berichtspflichten zu, die der Sachwalter zu überwachen hat. Insbesondere hat er den Schlussbericht zu überprüfen. Zur Durchsetzung dieser Pflichten sieht das Gesetz in § 98 InsO Mittel der Durchsetzung vor. Erforderlichenfalls ist die Eigenverwaltung aufzuheben. Im Hinblick auf dieses in § 274 InsO zum Ausdruck kommende gestufte System der Kontrolle und der Zuweisung der unmittelbaren Aufsicht über den Schuldner an den Sachwalter, bleibt nach Auffassung des Gerichtes für eine unmittelbare Aufsicht des Gerichtes über den Schuldner und damit die Verhängung eines Zwangsgeldes kein Raum (…).

               

 

Insolvenzplanverfahren

InsbürO 2021, 254: Voraussetzungen für eigene Gruppe der Kleingläubiger

AG Ludwigshafen am Rhein, Beschl. v. 26.01.2021 – 3a IN 139/19 LU, ZInsO 2021, 460 (rkr.)

Aus der Begründung:

Die Bildung einer Gruppe der Kleingläubiger erfordert nicht, dass die Forderungen der Kleingläubiger vollständig bedient werden. … Zur Bildung einer Gruppe der Kleingläubiger ist es aber erforderlich, die Zugehörigkeit zur Gruppe mit nachvollziehbaren und sachgerechten Kriterien vorzunehmen. Der vorgelegte Insolvenzplan enthält keine hinreichende Begründung für die Abgrenzung der Kleingläubiger. … Erforderlich ist zumindest eine, den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls gerecht werdende Begründung (…).

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michala Heyn, Ahlen:

Im vorliegenden Fall waren die Anforderungen an die Gruppenbildung nicht erfüllt, so dass der Plan gem. § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO zurückgewiesen wurde. Dies entspricht auch der BGH-Rechtsprechung (Beschl. v. 07.05.2015 - IX ZB 75/14, InsbürO 2015, 402 = ZInsO 2015, 1398), nach der eine Zurückweisung zu erfolgen hat, wenn nicht erläutert wird, aufgrund welcher gleichartigen insolvenzbezogenen wirtschaftlichen Interessen eine bestimmte Gruppe gebildet wurde und ob alle Beteiligten, deren wichtigsten insolvenzbezogenen wirtschaftlichen Interessen übereinstimmen, derselben Gruppe zugeordnet wurden.

        

InsbürO 2021, 255: Keine Insolvenzplanvorlage nach dem Schlusstermin

AG Hannover, Beschl. v. 05.01.2021 – 904 IK 204/19, ZInsO 2021, 159 (rkr.)

Aus der Begründung:

Mit … Anwaltsschriftsatz v. … hat der Schuldner beantragt, den anberaumten Schlusstermin wegen der Absicht, einen Insolvenzplan einzureichen, aufzuheben. … Mit Beschl. … hat der Rechtspfleger den Antrag auf Terminsaufhebung zurückgewiesen … Zwar führt die Abhaltung des Schlusstermins … dazu, dass ein zeitlich nach dem Termin eingehender Insolvenzplan nicht mehr berücksichtigt wird. Doch wird damit nur die Gesetzeslage beschrieben, … Vielmehr … greift vorliegend … die Wertung des § 227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, wonach die mangelnde Vorbereitung einer Partei keinen erheblichen Grund darstellt, es sei denn, die Partei vermag dies genügend zu entschuldigen. Mangelhafte Vorbereitung i.d.S. stellt auch die späte Information oder Beauftragung eines Rechtsanwalts dar (…). Der Schuldner hat erst nach mehr als 1 ½ Jahren verstrichener Verfahrenszeit und Bestimmung des Schlusstermins seine anwaltliche Vertretung angezeigt. … Dass der Schuldner einen Insolvenzplan vorlegen möchte, hat er erst 2 Werktage vor dem Schlusstermin angezeigt. Entschuldigungsgründe für diese späte Absichtsanzeige bzw. den noch nicht ausgearbeiteten Insolvenzplan hat er nicht aufgeführt. Weder hat er angegeben, dass ihm die angeblichen Drittmittel erst kurzfristig zu Anfang Dez. 2020 zur Verfügung gestellt worden seien, noch hat er dargelegt, dass und warum seinem anwaltlichen Vertreter die Ausarbeitung eines Insolvenzplans in der Zeit v. … nicht möglich gewesen sei.

 

 

Steuerrecht

InsbürO 2021, 255: Wahl der Zusammenveranlagung führt zur erhöhten Steuerschuld als Masseverbindlichkeit

BFH, Urt. v. 27.10.2020 – VIII R 19/18, ZInsO 2021, 726

(VIII. Senat = u.a. zuständig für Einkünfte aus selbständiger Arbeit)

Zwei von fünf Leitsätzen des Gerichts:

1. Die auf den Insolvenzschuldner entfallende Gesamteinkommensteuerschuld ist auf die insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche aufzuteilen. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Steueransprüche sind, soweit diese als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 InsO) zu qualifizieren sind, gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen. Sonstige, nach Insolvenzeröffnung begründete Steueransprüche sind insolvenzfrei und gegen den Insolvenzschuldner festzusetzen (ständige Rechtsprechung).

2. Die Ausübung des Veranlagungswahlrechts durch den Insolvenzverwalter stellt eine Handlung i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar, die zur Folge hat, dass auch die auf der Zusammenveranlagung beruhende Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit anzusehen ist. Wählt der Insolvenzverwalter die Zusammenveranlagung, ist daher auch die auf Einkünfte der nicht insolventen Ehefrau entfallende Einkommensteuer im gleichen Verhältnis wie die durch die Einkünfte des Insolvenzschuldners ausgelöste Einkommensteuer zwischen der Insolvenzmasse und dem insolvenzfreien Vermögen zu verteilen.

 

Aus der Begründung:

Rn. 14: Bei der Aufteilung der Einkommensteuer habe das FG – so der Kläger – unberücksichtigt gelassen, dass ein Teil der festgesetzten Einkommensteuer auf die Einkünfte der Ehefrau des Insolvenzschuldners entfiel, bei denen es sich unstreitig um insolvenzfreie Einkünfte handele. Die auf diese Einkünfte anteilig entfallende Einkommensteuer könne nicht als sonstige Masseverbindlichkeit betrachtet und gegen ihn – den Kläger – festgesetzt werden. … Rn. 45: Nach den … Feststellungen des FG beträgt die Einkommensteuerschuld des Streitjahres 6.326 €. Sie stellt infolge der Zusammenveranlagung des Insolvenzschuldners und seiner Ehefrau eine Gesamtschuld dar (§ 26b EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO), die jeder der Gesamtschuldner in vollem Umfang schuldet (§ 44 Abs. 1 Satz 2 AO). Nr. 46: Diese Einkommensteuerschuld ist im Verhältnis der Einkünfte den verschiedenen insolvenzrechtlichen Vermögensbereichen zuzuordnen. Die Zuordnung erfolgt nach dem Verhältnis der auf die jeweiligen Vermögensbereiche entfallenden Einkünfte zueinander, was auch in Ansehung der progressiven Einkommensteuerbelastung sachgerecht ist, weil zur Jahressteuerschuld ununterscheidbar alle Einkommensteile unabhängig von ihrem zeitlichen Anfall beigetragen haben (BFH …).

 

InsbürO 2021, 255 f.: Unternehmensbezogene Sanierung gem. § 3a Abs. 2 EStG

BFH, Beschl. v. 27.11.2020 – X B 63/20, ZInsO 2021, 725

(X. Senat = u.a. zuständig für Einzelgewerbetreibende)

Leitsätze des Gerichts:

1. NV: Die Auslegung der Tatbestandsmerkmale einer unternehmensbezogenen Sanierung i.S.v. § 3a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EStG ist durch die zu § 3 Nr. 66 EStG a.F. ergangene Rechtsprechung des BFH bereits hinreichend geklärt.

2. NV: Die für eine Steuerbefreiung von Sanierungserträgen u.a. erforderliche Sanierungsabsicht setzt in jedem Fall den Nachweis voraus, dass der Gläubiger den Schuldenerlass auch mit dem Ziel der Sanierung des schuldnerischen Unternehmens ausgesprochen hat. Ausschließlich eigennützige Motive sind insoweit nicht ausreichend.

 

Aus der Begründung:

Rn. 8: Die eher strenge Betrachtung vornehmlich durch den VIII. Senat hielt dominierende selbstnützige Motive der Gläubiger insoweit für schädlich und forderte stattdessen, dass die Absicht der Sanierung des Schuldners aus der Perspektive des Gläubigers "entscheidend ins Gewicht fällt" (…) oder zumindest "maßgeblich mitbeabsichtigt" ist (…). Demgegenüber ließ es der BFH in zahlreichen weiteren Entscheidungen genügen, wenn neben selbstnützigen Motiven des Gläubigers – wie z.B. der Rettung zumindest eines Teils der Forderung oder des Erhalts der Geschäftsverbindung – die Sanierungsabsicht lediglich (schlicht) "mitentscheidend" ist (…). Allerdings findet sich nicht eine einzige höchstrichterliche Entscheidung, die nicht fordert, dass der Gläubiger – selbst bei vordergründigem Selbstnutz – zumindest auch in der Absicht fremdnütziger Sanierung handeln muss.

                                 

InsbürO 2021, 256: Voraussetzungen für Festsetzungshemmung

BFH, Urt. v. 23.09.2020 – XI R 1/19, ZInsO 2021, 732

(XI. Senat = zuständig für die Umsatz- und Körperschaftsteuer)

Zwei von vier Leitsätzen des Gerichts:

 

  1. Stellt ein Steuerpflichtiger, der zur Einreichung einer Steuererklärung gesetzlich verpflichtet ist, vor Ablauf der Festsetzungsfrist bei dem für ihn zuständigen FA einen Antrag, kommt diesem die Rechtswirkung des § 171 Abs. 3 AO nur dann zu, wenn sich das von ihm verfolgte Begehren seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen bereits aus dem Antrag selbst ergibt; Angaben zur betragsmäßigen Auswirkung sind für die Bestimmtheit des Antrags für sich genommen nicht ausreichend.
  2. Soweit dem Steuerpflichtigen wegen fehlender Unterlagen genaue Angaben (noch) nicht möglich sind, muss er zur Konkretisierung seines Antrags auf Schätzung eines Gesamtbetrags der Einkünfte in einer bestimmten Höhe gegenüber dem FA eine substantiierte eigene Schätzung anhand der ihm zugänglichen Erkenntnisquellen vornehmen.

 

Aus der Begründung:

Rn. 52: Im Ergebnis beantragt er (= Insolvenzverwalter) … beim FA, es möge aufgrund der Nichtabgabe der Steuererklärung die Steuer gem. § 162 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 AO mit den vom Steuerpflichtigen geschätzten Besteuerungsgrundlagen festsetzen. … Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen wird … nicht unzumutbar eingeschränkt, da sich der Umfang seiner Substantiierungspflicht nach den ihm zugänglichen Erkenntnisquellen richtet. Dies gilt auch im Streitfall, in dem sich der Kläger als Insolvenzverwalter die zur Erstellung der Steuererklärung erforderlichen Unterlagen nach seinen Angaben erst bei Dritten beschaffen musste; Maßstab für das an seinen Antrag zu richtende Erfordernis zur Substantiierung sind die ihm am Tag des Antrags zugänglichen Erkenntnisquellen.

           

 

Arbeitsrecht

InsbürO 2021, 256: Keine Quotelung von Urlaubsabgeltung    

BAG, Beschl. v. 16.02.2021 – 9 AS 1/21, ZInsO 2021, 596

Aus der Begründung:

Rn. 1: Der 6. Senat des BAG hat gem. § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG angefragt, ob der 9. Senat des BAG an seiner Rechtsauffassung zum insolvenzrechtlichen Rang von Urlaubsabgeltungsansprüchen im Anwendungsbereich des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO festhält (Teilurt. v. 10.09.2020 – 6 AZR 94/19 [A]). Rn. 2: Der 9. Senat hat bisher angenommen, … § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO sei … dahin gehend auszulegen, dass … die Ansprüche auf Urlaubsentgelt und Urlaubsabgeltung … (nur) in dem Umfang als Neumasseverbindlichkeit zu berichtigen seien, der rechnerisch auf den Zeitraum des aktiven Beschäftigungsverhältnisses nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit im Verhältnis zum Urlaubsjahr entfällt … (BAG v. 21.11.2006 – 9 AZR 97/06 Rn. 17, 22 ff., 27, …). Rn. 3: An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht fest. … Rn. 9: Weder § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO noch § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO sehen die (nur) anteilige Zuordnung der "geldwerten Urlaubsansprüche" als Masse- bzw. Neumasseverbindlichkeiten vor (vgl. BAG v. 10.09.2020 – 6 AZR 94/19 [A], Rn. 53 f.). Wird die Arbeitsleitung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit oder während der vorläufigen starken Insolvenzverwaltung in Anspruch genommen, sind die offenen Urlaubsansprüche – unabhängig davon, ob sie aus dem laufenden Urlaubsjahr oder den Vorjahren resultieren – entweder durch die Gewährung des Urlaubs in natura, d.h. Freistellung von der Arbeitspflicht und Zahlung von Urlaubsentgelt als (Neu-)Masseverbindlichkeit zu erfüllen, oder im gleichen Rang abzugelten, falls das Arbeitsverhältnis unmittelbar im Anschluss an die Inanspruchnahme der Arbeitsleistung beendet wird (vgl. BAG v. 10.09.2020 – 6 AZR 94/19 [A], Rn. 45). …             Rn. 22: Auch Ansprüche auf Urlaubsvergütung und Urlaubsabgeltung, die auf Urlaub aus den Vorjahren beruhen, sind im Anwendungsbereich von § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO oder nach § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht i.S.e. zeitabschnittsbezogenen Rangzuordnung teilbar. …

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Anfrage des 6. Senats hatten wir in InsbürO 2021, 134 veröffentlicht (BAG, Urt. v. 10.09.2020 – 6 AZR 94/19 (A), WKRS 2020, 47932).

 

InsbürO 2021, 256 f.: Kündigung bei Betriebsübergang

ArbG Düsseldorf, Urt. v. 03.12.2020 – 10 Ca 3223/20, ZInsO 2021, 620

Einer von zwei Leitsätzen des Gerichts:

Erweist sich eine Kündigung des Insolvenzverwalters wegen einer beabsichtigten Betriebsstilllegung aufgrund der Prognose zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als wirksam und kommt es im Anschluss doch noch vor Ablauf der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers zu einem Betriebsübergang auf einen Erwerber, steht dem Arbeitnehmer ein Wiedereinstellungsanspruch gegenüber dem Betriebserwerber zu (noch offen gelassen von BAG 28.10.2010 – 8 AZR 199/09).

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Gegen die Entscheidung wurde Berufung eingelegt. Das Verfahren ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe beim LArbG Düsseldorf unter dem AZ: 8 Sa 911/20 anhängig.

 

   

Vertragsverhältnisse

InsbürO 2021, 257: Monatliche Miete im Monat der Insolvenzeröffnung anteilig Masseverbindlichkeit

BGH, Beschl. v. 11.03.2021 – IX ZR 152/20, ZInsO 2021, 907

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Bei einem Mietvertrag über einen unbeweglichen Gegenstand ist in der Insolvenz des Mieters die Mietforderung für den Monat, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wird, in dem Umfang Masseverbindlichkeit, der dem ab der Verfahrenseröffnung verbleibenden Teil des Monats entspricht.

 

Aus der Begründung:

Rn. 3: … Ob die Verbindlichkeit aus einem gegenseitigen Vertrag gem. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO eine Masseverbindlichkeit darstellt, hängt nicht davon ab, wann diese Verbindlichkeit insolvenzrechtlich entstanden ist. Entscheidend für Mietforderungen ist vielmehr, inwieweit diese Verbindlichkeit die Gegenleistung für den Teil einer Leistung aus einem gegenseitigen Vertrag darstellt, dessen Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Ist die Leistung teilbar, ist die Gegenforderung nur in einem der Leistung an die Insolvenzmasse entsprechenden Teil Masseverbindlichkeit.

 

 

Vergütungsrecht

InsbürO 2021, 257: Einheitlicher Stundensatz für verschiedene Tätigkeiten eines Gläubigerausschussmitgliedes

LG Koblenz, Beschl. v. 15.07.2020 – 2 T 383/20, ZInsO 2020, 2349 (rkr.)

Aus der Begründung:

Zu Unrecht hat das AG keinen einheitlichen Vergütungssatz angewandt und zwischen Ausschusstätigkeit und Fahrtkosten differenziert. Der zu vergütenden Zeitaufwand umfasst alle Zeiten, die im Zusammenhang mit der Ausschusstätigkeit stehen, also nicht nur die Zeiten der unmittelbaren Anwesenheit in Sitzungen und bei Besprechungen, sondern auch Zeiten der An- und Abfahrten, der häuslichen Vorbereitung, für Aktenstudium, Telefonate, Recherchen in Literatur und Praxis, letztlich also jede Tätigkeit, die der sachgerechten Wahrnehmung der Aufgaben eines Gläubigerausschussmitgliedes zu dienen bestimmt war (… LG Hamburg, Beschl. v. 03.08.2018 – 326 T 41/17 Nr. 2.a und LG Münster, Beschl. v. 27.09.2016 – 5 T 253/16 Rn. 71; LG Göttingen, Beschl. v. 01.12.2004 – 10 T 128/04, ZInsO 2005, 48). Bei der Berechnung des Vergütungsanspruchs ist ein einheitlicher Stundensatz anzusetzen, da das Gesetz bei der Höhe der Vergütung gerade nicht zwischen den unterschiedlichen Tätigkeiten eines Gläubigerausschussmitgliedes bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben differenziert (LG Münster, Beschl. v. 27.09.2016 – 5 T 253/16 Rn. 71).

                  

InsbürO 2021, 257 f.: Kriterien zur Bestimmung der Vergütung eines Gläubigerausschussmitgliedes

BGH, Beschl. v. 14.01.2021 - IX ZB 71/18, ZInsO 2021, 409

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsätze des Gerichts:

 

  1. Die Vergütung des Mitglieds eines Gläubigerausschusses ergibt sich i.d.R. aus dem tatsächlichen Zeitaufwand und dem Stundensatz.
  2. Für den Stundensatz sind der Umfang und die Schwierigkeit des Insolvenzverfahrens, der Umfang und die Schwierigkeit der Aufgaben des Gläubigerausschusses in dem betreffenden Insolvenzverfahren, nicht versicherbare Haftungsrisiken, Art und inhaltlicher Umfang (Intensität) der Mitwirkung des Ausschussmitglieds sowie die Qualifikation und Sachkunde des jeweiligen Ausschussmitglieds zu berücksichtigen.
  3. Die Vergütung des Mitglieds eines Gläubigerausschusses stellt eine Aufwandsentschädigung dar.
  4. Das Gericht ist berechtigt, bei besonderen Umständen Stundensätze festzulegen, die den in § 17 Abs. 1 Satz 1 InsVV genannten oberen Betrag übersteigen.
  5. Soweit es die Umstände des Einzelfalls rechtfertigen, ist das Gericht befugt, den Stundensatz für die einzelnen Mitglieder des Gläubigerausschusses unterschiedlich zu bestimmen.
  6. Ist ein Nichtgläubiger Mitglied des Gläubigerausschusses, kann das Gericht für die Vergütung einen an marktüblichen Bedingungen orientierten Stundensatz festsetzen, der dem Umfang der Tätigkeit entspricht.

 

Aus der Begründung:

Rn. 10: … Für eine Einordnung als Aufwandsentschädigung spricht …, dass das Mitglied des Gläubigerausschusses als solches keinen Beruf i.S.d. Art. 12 GG ausübt (BGH, …). Die Tätigkeit ist keine hauptberufliche Tätigkeit. Sie wird vielmehr neben der beruflichen Tätigkeit und in einem im Verhältnis zur regelmäßig verfügbaren Arbeitszeit nur untergeordneten Ausmaß ausgeübt. Die Vergütung hat daher keine einkommenssichernde Funktion (…).

 

InsbürO 2021, 257: Weitere Kriterien zur Vergütung eines Gläubigerausschussmitgliedes

BGH, Beschl. v. 14.01.2021 – IX ZB 94/18, ZInsO 2021, 562

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

1. Die Höhe des Stundensatzes richtet sich nach den für das Mitglied des Gläubigerausschusses gegebenen Umständen.

2. Es ist nicht zulässig, die Vergütung des Mitglieds des Gläubigerausschusses mit einem Bruchteil der Vergütung des Insolvenzverwalters festzusetzen.

3. Dem Mitglied des Gläubigerausschusses steht ein Anspruch auf Vergütung und Auslagen nur für die Tätigkeit nach seiner Bestellung zu.

4. Qualifikation und Sachkunde beeinflussen den Stundensatz bei einer juristischen Person nur, soweit die juristische Person sich durch eine besonders qualifizierte und sachkundige Person vertreten lässt und dies nach den Umständen objektiv erforderlich war.

 

InsbürO 2021, 258: Einwand der Verjährung bei Vergütungsantrag durch ehemaligen vorläufigen Insolvenzverwalter

LG Wiesbaden, Beschl. v. 18.11.2020 – 4 T 292/20, ZInsO 2021, 566 (rkr.)

Aus der Begründung:

Zu Recht hat das AG den Vergütungsfestsetzungsantrag wg. Verjährung zurückgewiesen. Die dreijährige Verjährungsfrist gem. § 195 BGB begann Ende 2016, in dem Jahr, in dem der ehemalige Insolvenzverwalter H aus dem Amt ausgeschieden ist, zu laufen (§ 199 Abs. 1 BGB). … Bereits zum Zeitpunkt seiner Entlassung musste es dem ehemaligen Insolvenzverwalter H möglich sein, seinen Vergütungsanspruch für seine Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter zu beziffern.  … Die Kammer vertritt, …, die Auffassung, dass die Verjährung von Amts wegen berücksichtigt werden kann. Dies hat der BGH in seiner Entscheidung v. 20.01.2010 – IX ZB 190/09 … jedenfalls nicht beanstandet. …  Ungeachtet dessen ist die Verjährungseinrede jedenfalls durch den neuen Insolvenzverwalter S als Vertreter der Schuldnerin zulässig erhoben worden. … Der Verwalter, der ausscheidet, bedarf nach seiner Entlassung nicht mehr dem Schutz des Rechtsgedankens des § 8 Abs. 2 Satz 1 RVG, weil seine Tätigkeit beendet ist und er sodann verpflichtet ist, die Schlussrechnung einzureichen (§ 66 InsO).

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 RVG (analog) wird die Verjährung der Vergütung für eine Tätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren gehemmt, solange das Verfahren anhängig ist. Das LG Wiesbaden hält die Regelung im vorliegenden Fall für nicht anwendbar und verweist insoweit darauf, dass das Mandat mit der Entlassung beendet worden sei und dadurch eine Zäsur eintrat, nämlich dass der ehemalige Insolvenzverwalter nicht mehr in dem Verfahren tätig werde. § 8 Abs. 2 Satz 1 RVG liege aber der Fall zugrunde, dass das Mandat nicht beendet sei, sondern bis zum Ende der Verfahrensanhängigkeit fortbestehe.

 

InsbürO 2021, 258: Vergütung eines nur mit der Prüfung einer Insolvenzforderung beauftragten Sonderinsolvenzverwalters

BGH, Beschl. v. 14.01.2021 - IX ZB 27/18, ZInsO 2021, 631

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsätze des Gerichts:

  1. Die Berechnungsgrundlage für die Vergütung eines nur mit der Prüfung einer Insolvenzforderung beauftragten Sonderinsolvenzverwalters richtet sich nach der für die angemeldete Forderung zum Zeitpunkt der ersten Tätigkeit zu erwartenden Befriedigungsquote.
  2. Ist der Sonderinsolvenzverwalter nur mit der Prüfung einer Forderung beauftragt, ist für die Bemessung des angemessenen Bruchteils der Regelvergütung neben der Frage, welchen Anteil die Forderungsprüfung an den mit der Regelvergütung abgegoltenen Aufgaben eines Insolvenzverwalters ausmacht, auch der tatsächlich erforderliche Aufwand einzubeziehen.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Dieser vorstehenden Entscheidung liegt der Beschluss des LG Münster vom 14.03.2018 (5 T 448/17, ZInsO 2018, 1069) zugrunde, den wir in InsbürO 2018, 324 veröffentlicht hatten. Damals wurde die Rechtsbeschwerde zur Frage zugelassen, ob die zu prüfende Gesamtforderung in voller Höhe oder nur in Höhe der zu erwartenden Quote für die Berechnungsgrundlage entscheidend sei. Dies ist nunmehr durch den BGH geklärt.

              

InsbürO 2021, 258 f.: (Keine) Herabsetzung der Mindestvergütung nach Beschluss zur Nichtanwendung des § 13 InsVV

LG Potsdam, Beschl. v. 30.10.2020 – 2 T 36/20, ZInsO 2021, 565 (rkr.)

Aus der Begründung:

Das Insolvenzgericht hatte bereits mit Beschluss v. … eine Entscheidung über die Nichtanwendbarkeit des § 13 InsVV getroffen. Hierfür war der beschließende Richter auch funktionell zuständig, ... Die gesetzliche Regelung der funktionellen Zuständigkeit für das Insolvenzverfahren weist sämtliche Entscheidungen - ungeachtet ihres Gegenstandes - im Eröffnungsverfahren dem Richter (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG) und im eröffneten Verfahren dem Rechtspfleger (§ 3 Nr. 2 RPflG) zu. Trifft der Richter danach bereits im Eröffnungsverfahren eine Entscheidung, ist für eine gegenteilige Entscheidung eines Rechtspflegers im eröffneten Verfahren danach kein Raum, sodass die mit dem hier angefochtenen Beschluss gleichwohl erfolgte Anwendung des § 13 InsVV zu Unrecht erfolgte. Einer Vorbehaltserklärung i.S.d. § 18 Abs. 2 RPflG bedurfte es dabei nicht, da der Richter als noch funktionell zuständiges Organ entschieden hatte. Ob der richterliche Beschluss eine Begründung enthielt, ist insoweit ebenso wenig entscheidend, wie die Frage, ob zu diesem Zeitpunkt bereits ein Vergütungsantrag vorlag oder die zu vergütende Tätigkeiten bereits erbracht waren.

 

               

Insolvenztabelle

InsbürO 2021, 248 f.: Aufzehrung eines früheren Vollstreckungstitels durch eine Feststellung zur Tabelle

AG Ahaus, Beschl. v. 25.01.2021 – 6 M 1988/20, ZInsO 2021, 740 (rkr.)

Leitsätze des Bearbeiters:

1. Die vom vollstreckbaren Tabellenauszug erfassten Forderungen können aus dem früheren Vollstreckungstitel nicht mehr vollstreckt werden.

2. Wenn eine Forderung zur Insolvenztabelle festgestellt ist, erfolgt die Vollstreckung nur noch mittels einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Insolvenztabelle.

3. Insoweit werden bereits bestehende Titel durch die Verstellung zur Tabelle aufgezehrt.

 

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Wird eine Forderung zur Tabelle angemeldet und festgestellt, kann aus einem früher ergangenen Titel nicht mehr vollstreckt werden; die Vollstreckung ist gesperrt und der Titel ist aufgezehrt. Dies gilt auch dann, wenn der Schuldner im Wege des isolierten Widerspruchs nicht den Titel insgesamt, sondern nur der Qualifikation einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gem. § 302 InsO widersprochen hat. Eine Ausnahme gilt nur für Forderungen, die nicht zur Tabelle angemeldet werden können, insbesondere für Zinsansprüche ab Eröffnung des Verfahrens als nachrangige Forderungen i.S.d. § 39 Nr. 1 InsO.

 

InsbürO 2021, 246 f.: Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle aus einer unerlaubten Handlung

AG Mannheim, Beschl. v. 18.03.2021 – 4 IN 1550/20, ZInsO 2021, 797 (rkr.)

Leitsätze des Bearbeiters:

 

1. Die Voraussetzungen einer Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle nach § 174 Abs. 2 InsO sind erfüllt, wenn die Forderung ausreichend individualisiert ist, mithin der Streitgegenstand bestimmt ist.

2. Es ist nicht erforderlich, dass die Forderung auch schlüssig begründet ist.

3. Art und Umfang der erforderlichen Angaben hängt im Einzelfall von den zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des Anspruches ab.

 

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Der – stark gekürzt wiedergegebene – Beschluss stellt klar, welche Anforderungen an eine Anmeldung zur Tabelle aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gem. § 302 InsO (nicht) bestehen. Das Ergebnis wird ausführlich begründet, auch unter Berücksichtigung der abweichenden Auffassungen. Danach ist eine schlüssige Darlegung nicht erforderlich, betroffene Arbeitnehmer müssen nicht namentlich genannt werden. Hinsichtlich der Darlegung des Vorsatzes ist eine Klarstellung angebracht: Der wegen Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch genommene Geschäftsführer handelt mit bedingtem Vorsatz, wenn er eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt (BGH, Urt. v. 03.05.2016 - II ZR 311/14 Rn. 23, InsbürO 2016, 376 = ZInsO 2016, 1362 = NJW 2017, 886). Es ist dann seine Aufgabe, sich im Rahmen der sekundären Darlegungslast zu exkulpieren (BGH, wie vor, Rn. 19). In der Sache wird der Beschluss des Rechtspflegers aufgehoben und an ihn zurückverwiesen.

 

 

Insolvenzverwalteramt

InsbürO 2021, 259: Zur Zulässigkeit von Treuhandkonten im Insolvenzverfahren

OLG Koblenz, Urt. v. 29.12.2020 – 3 U 383/20, ZInsO 2021, 147

Zwei von vier Leitsätzen des Gerichts:

1. Schließt ein zum „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter bestellter Rechtsanwalt mit einem seiner Sozietät angehörenden anderen Berufsträger einen Vertrag, wonach dieser zum Zwecke der Geschäftsfortführung während der vorläufigen Insolvenzverwaltung ein Treuhandkonto eröffnet (sog. Dritt-Treuhänder-Modell), ist dieser Vertrag jedenfalls dann nicht wegen Insolvenzzweckwidrigkeit gem. § 138 BGB nichtig, wenn der Vertrag zeitlich vor dem Urteil des BGH vom 07.02.2019 (IX ZR 47/18) geschlossen wurde.

2. Zahlt ein (vorläufiger) Insolvenzverwalter Gelder, die zur Insolvenzmasse gehören, auf ein solches Treuhandkonto ein, liegt regelmäßig ein Verstoß gegen dessen Pflichten vor (BGH, Urt. v. 07.02.2019 - IX ZR 47/18 Rn. 31). Die Folgen dieser Pflichtverletzungen sowie der Schutz der Gläubiger vor Benachteiligung sind in der Insolvenzordnung selbst ausreichend geregelt (§§ 60, 92 InsO bzw. §§ 129 ff. InsO), sodass es einer Nichtigkeit auch nicht aus Gründen des Gläubigerschutzes bedarf.

 

Zum Sachverhalt:

Einrichtung der Konten im Jahre 2004. Über das Vermögen „des anderen Berufsträgers“ wird 2016 das Insolvenzverfahren eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt weisen die beiden Konten Guthaben von 50.224,37 € bzw. 16.002,93 € auf. Der „schwache vorl. Verwalter“ (der inzwischen Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren ist) macht ein Aussonderungsrecht im Verfahren über das Vermögen des „Berufsträgers“ geltend.

 

Aus der Begründung:

… von einer offensichtlichen Insolvenzzweckwidrigkeit kann … bei Vertragsschlüssen im Jahr 2004 keinesfalls ausgegangen werden. Vielmehr blieben Treuhandkontenmodelle im Insolvenzeröffnungsverfahren zumindest bei der Bestellung eines "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalters jedenfalls bis zum Urteil des BGH v. 07.02.2019 (IX ZR 47/18, ZInsO 2019, 845) ein gebräuchliches Mittel, um die Unternehmensfortführung sicherzustellen (vgl. …).

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde nicht zugelassen. Es wurde aber Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt: IX ZR 8/21, die zum Zeitpunkt der Druckfreigabe noch anhängig war.

 

 

Europäisches Recht

InsbürO 2021, 251 f.: Frage der Zuständigkeit eines Mitgliedstaates bei Verlegung des COMI während des Eröffnungsverfahrens

BGH, Beschl. v. 17.12.2020 – IX ZB 72/19, ZInsO 2021, 87

Leitsätze des Gerichts:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gem. Art. 267 Abs. 1 lit. b, Abs. 3 AEUV folgende Fragen vorgelegt:

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Aus der weiteren Begründung zur Vorlage an den EuGH wird ersichtlich, dass die Rechtsbeschwerdeführerin meint, für das Merkmal "gewöhnlich" gem. Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 EuInsVO komme als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nur ein Ort in Betracht, an dem die Schuldnergesellschaft länger als 3 Monate vor dem Insolvenzantrag entweder ihren Sitz gehabt habe oder der Verwaltung ihrer Interessen nachgegangen sei. Die Rechtsbeschwerdegegner halten dem entgegen, dem Erfordernis der gewöhnlichen Verwaltung sei genügt, wenn die Verwaltung auf Dauer angelegt sei. Der EuGH habe zudem zu Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2000 entschieden, dass ein Wechsel der Zuständigkeit vom zuerst befassten Gericht zu einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats den Zielen der Verordnung widerspräche (EuGH, Urt. v. 17.01.2006 - C-1/04, abrufbar über Wolters Kluwer Rechtsprechung Online = WKRS) und der Verhinderung eines missbräuchlichen Forum Shoppings dienen solle. Es komme ausschließlich auf die Umstände im Zeitpunkt der Antragstellung an. Für die alte Regelung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2000 war dies daher geklärt. Nach Ansicht des BGH erörtert die Frage, ob mit Blick darauf, dass die Neufassung der EuInsVO andere Mechanismen zur Verhinderung missbräuchlichen Forum Shoppings bereithalten könnte, der Gerichtshof an seiner bisherigen Rechtsprechung auch für Art. 3 Abs. 1 EuInsVO festhalte (Rn. 29).