03.09.2021

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Augustheft 2021

 

Eröffnungsverfahren

InsbürO 2021, 332 f.: Zum Insolvenzgrund bei Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen über mehr als 6 Monate in Corona-Zeiten

AG Darmstadt, Beschl. v. 27.11.2020 – 9 IN 411/20, ZInsO 2021, 1284

Leitsatz des Gerichts:

Rückstände mit fälligen Sozialversicherungsbeiträgen, die in den durch § 3 COVInsAG festgeschriebenen Zeitraum fallen, gelten nicht als Indiz für Zahlungsunfähigkeit i.S.d. Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 13.06.2006 - IX ZB 238/05). Bei tlw. in diesen Zeitraum fallenden Zahlungsrückständen gilt Zahlungsunfähigkeit als Insolvenzgrund allein damit auch dann nicht als glaubhaft gemacht, wenn der Zeitraum der Nichtabführung insgesamt mehr als 6 Monate beträgt.

 

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Covid-Pandemie eine Vielzahl von Sonderregelungen geschaffen, deren genaue Wirkung in der Praxis jetzt ausgelotet wird. Durch § 3 COVInsAG sollten vormals zahlungsfähige Schuldner für den Zeitraum vom 28.03.2020 bis 28.06.2020 vor Gläubigeranträgen geschützt werden. Diese Regelung hat insbesondere Sozialversicherungsträger betroffen, die unter Berücksichtigung der Rechte des BGH regelmäßig nach mehr als sechsmonatigem Beitragsrückstand Insolvenzantrag stellen. In Hessen und Rheinland/Pfalz soll es eine Vielzahl von Anträgen von Sozialversicherungsträgern gegeben haben, bei denen in die sechsmonatige „Rückstandsfrist“ auch der Zeitraum vom 28.03. bis 28.06.2020 einberechnet wurde. Der Wortlaut der Vorschrift schließt nur eine Antragstellung in dem eng umrissenen Zeitraum aus. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Rechtsfolgen des BGH zur Indizwirkung eines mehr als sechsmonatigen Rückstandes mit Sozialversicherungsbeiträgen als Zeichen der Glaubhaftmachung für eine Zahlungsunfähigkeit einschränken wollte. Deshalb ist der Gegenauffassung (s. nachfolgende Entscheidung des AG Ludwigshafen, Beschl. v. 10.05.2021 – 3b IN 72/21 LU, InsbürO 2021, 331 = ZInsO 2021, 1285) der Vorzug zu geben.

 

 

InsbürO 2021, 333 ff.: Zum Insolvenzgrund bei Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen über mehr als 6 Monate in Corona-Zeiten

AG Ludwigshafen, Beschl. v. 10.05.2021 – 3b IN 72/21 LU, ZInsO 2021, 1285

Leitsatz aus der Entscheidung:

Bei der Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes durch einen antragstellenden Gläubiger, der sich auf eine Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen stützt, sind auch Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen, die in den Zeitraum des § 3 COVInsAG (Antragstellung zwischen dem 28.03.2020 und dem 28.06.2020) fallen.

 

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Die Entscheidung betrifft einen, dem vorstehend abgedruckten Beschlusses AG Darmstadt (AG Darmstadt, Beschl. v. 27.11.2020 – 9 IN 411/20, InsbürO 2021, 329 = ZInsO 2021, 1284) vergleichbaren Sachverhalt. Es geht um die Frage, ob die Vorschrift des § 3 COVInsAG für den eng begrenzten Zeitraum vom 28.03. bis 28.06.2020 nur die Befugnis, insbesondere von Sozialversicherungsträgern, zur Stellung eines Insolvenzantrages einschränken wollte oder ob auch die gefestigte Rechtsansicht des BGH (Beschl. v. 13.06.2006 – IX ZB 238/05, ZInsO 2006, 827) modifiziert werden sollte, wonach die mehr als sechsmonatige Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen ein starkes Indiz für die Zahlungsunfähigkeit ist. Der Gesetzestext spricht für eine Beschränkung des Rechtes zur Antragstellung. Zutreffend bezieht das AG Ludwigshafen auch den Zeitraum vom 28.03. bis 28.06 2020 in die Berechnung des 6-Monatszeitraums mit ein.

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2021, 335: Maßgeblicher Zeitpunkt für den Widerruf der Anwaltszulassung

BGH, Beschl. v. 06.05.2021 – AnwZ (Brfg) 38/20, ZInsO 2021, 1437

Aus der Begründung:

Rn. 8: Im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung befand sich der Kläger in Vermögensverfall. Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Nach den unangegriffenen Feststellungen des AnwGH war er zu diesem Zeitpunkt wegen zehn Zwangsvollstreckungsverfahren in dem vom Vollstreckungsgericht zu führenden Verzeichnis eingetragen (§ 882b ZPO). Gem. § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wird der Vermögensverfall des Klägers deshalb widerlegbar vermutet. … Rn. 13: Das vom Kläger behauptete Immobilienvermögen kann nicht berücksichtigt werden. Immobilienvermögen ist nur von Relevanz, wenn es dem Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zulassungswiderrufs als liquider Vermögenswert zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten zur Verfügung gestanden hat (…). … Rn. 35: … Die Entscheidung in der Sache ist nach Maßgabe der ständigen Senatsrechtsprechung eindeutig.

 

Einkommen

InsbürO 2021, 335 f.: Tlw. Pfändungsschutz für einen Abfindungsbetrag

AG Dortmund, Beschl. v. 19.03.2021 - 254 IK 39/15, ZInsO 2021, 1182 (rkr.)

Aus der Begründung:

Die Schuldnerin hat von ihrem Arbeitgeber einen Abfindungsbetrag i.H.v. 8.800,00 € brutto erhalten. Diese Abfindung zahlte der Arbeitgeber, …, für den Verlust des Arbeitsplatzes. Dieser Abfindungsbetrag ist dem Grunde nach in voller Höhe pfändbar. Der Schuldnerin kann nach § 850i ZPO von diesem Betrag so viel belassen werden, als sie während eines angemessenen Zeitraums für ihren notwendigen Unterhalt sowie der unterhaltsberechtigten Personen bedarf. … Das Arbeitsverhältnis endet nach dem geschlossenen Vergleich zum 31.03.2020. … Ein angemessener Zeitraum nach § 850i ZPO könnte ein Zeitraum sein, in der sich die Schuldnerin aufgrundgeringerer Einkünfte auf die neuen Lebensbedürfnisse einstellen muss. Grds. kann für die Umstellung ein Zeitraum von 6 Monaten angenommen werden. Die Schuldnerin hat jedoch vorgetragen, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung in einem Zeitraum von einem Jahr keine andere Arbeitsstelle antreten konnte. … Bis zum 04.08.2020 hat die Schuldnerin durchgehend Krankengeld in gleichbleibender Höhe bezogen. Erst nachdem sie am 04.08.2020 aus dem Krankengeld ausgesteuert wurde, musste sie eine Reduzierung ihres monatlichen Einkommens hinnehmen. Eine Aufstockung des geringen Einkommen kann daher für den Zeitraum von Aug. 2020 bis März 2021 vorgenommen werden. (Anmerkung der Schriftleitung: Das tatsächliche Einkommen, die Bemessungsgrundlage Krankengeld und der nicht gedeckte Teil des Lebensunterhalts werden tabellarisch für die vorgenannten Monate dargestellt). … Danach ergibt sich … ein nicht gedeckter Teil des Lebensunterhalts i.H.v. 2.622,84 €. … Für eine weitere Freigabe besteht im Rahmen des Pfändungsschutzes nach den § 850 ff. ZPO keine Grundlage.

               

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Bestimmung des Zeitraums, für den durch den Schutzantrag ein Ausgleich wegen der geringeren Einnahmen geschaffen werden soll, ist im Einzelfall zu bestimmen. Das LG Essen hat einem Schuldner ebenfalls wegen einer Erkrankung 12 Monate zugestanden (Beschl. v. 21.07.2011 - 7 Ta 366/11 + 397/11, InsbürO 2011, 431). In einem anderen Fall hat das LG Stuttgart (Beschl. v. 27.11.2017 – 2 T 162/17, InsbürO 2018, 159) vier Monate für die Aufnahme einer neuen Beschäftigung als ausreichend erachtet. Daran sieht man, dass die Umstände des Einzelfalls voneinander abweichen können. Wichtig ist aber nicht nur der Zeitraum, sondern vor allem auch der Vergleich mit den sonstigen Einkünften des Schuldners und die Ermittlung der Aufstockung anhand der Pfändungstabelle gem. § 850c ZPO. Was bisher schon pfändbar – also über der Pfändungsfreigrenze lag - war, darf über den Schutzantrag nicht der Pfändung entzogen werden.

 

InsbürO 2021, 336: Zur Unpfändbarkeit einer Corona-Prämie

AG Gera, Beschl. v. 27.03.2021 – 8 IK 31/18

Aus der Begründung:

Dem Schuldner wurde durch seinen Arbeitgeber eine Sonderleistung i.H.v. 1.500 € während der Coronavirus SARS-CoV-2-Pandemie (Corona-Prämie) gezahlt. Diese Prämie wurde gemeinsam mit der Gehaltsabrechnung für den Monat Dez. 2020 ausgezahlt. Der Schuldner beantragte die Freigabe dieser Prämienzahlung i.H.v. 1.500 €. Die Corona-Prämie ist vorliegend eine zweckgebundene Leistung für die Anerkennung seines Einsatzes und als Erschwerniszulage während der Coronavirus-Pandemie zu sehen. Gem. § 850a Nr. 3 ZPO ergibt sich, dass die gezahlte Prämie als Erschwerniszulage unpfändbar ist. Die Insolvenzverwalterin wurde gehört. Einwände wurden nicht erhoben.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Wir hatten bereits im Juniheft der InsbürO auf die Problematik der gezahlten Corona-Prämien im Zusammenhang mit einer Entscheidung des AG Cottbus (Beschl. v. 23.03.2021 – 63 IN 127/18, InsbürO 2021, 252) hingewiesen. Die Prämien sind nicht grds. unpfändbar, sondern es müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Die Corona-Prämien können als Gefahren-, Schmutz- und Erschwerniszulagen i.S.d. § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar sein. Sie unterliegen dann in diesen Fällen der Zweckbindung des Ausgleichs. Es ist aber im Einzelfall zu ermitteln, ob eine solche Erschwernis tatsächlich vorliegt (s. Grote, Gehaltsabrechnung des Monats: Sonderzahlung, InsbürO 2021, 137). Der vorstehenden Entscheidung des AG Gera ist nicht zu entnehmen, ob es die Anerkennung in diesem speziellen Fall meint oder den Wortlaut der Erschwerniszulage im Allgemeinen wiedergibt. Da eine Stellungnahme der Insolvenzverwalterin vorlag, darf unterstellt werden, dass sie das Vorliegen der Erschwernis geprüft hat. Ohne konkrete Benennung im vorstehenden Beschluss, bleibt dies aber eine Vermutung.

 

InsbürO 2021, 336: Zuständigkeit des Sozialgerichtes bei Frage von Massezugehörigkeit von Rentenzahlungsanspruch

LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 20.01.2021 – L 2 R 428/18, ZInsO 2021, 1217 (rkr.)

Leitsatz des Gerichts:

Die Entscheidung über die Zugehörigkeit eines Rentenzahlungsanspruchs zur Insolvenzmasse obliegt dem Sozialgericht als Prozessgericht und nicht dem Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht, wenn über die Massezugehörigkeit als solche zu entscheiden ist und nicht über die Zulässigkeit der Vollstreckung gestritten wird (Anschluss an die Rechtsprechung des BGH vom 27.09.2018 – IX ZA 4/18 …).

 

Zum Sachverhalt:

Der Schuldner bezieht eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Insolvenzverwalter begehrt die pfändbaren Einkommensanteile. Der Schuldner bestätigt selbst, dass es keinerlei Unterhaltspflicht gegenüber seiner getrennt lebenden Ehefrau gäbe. Die Rentenversicherungsanstalt berücksichtigt die Ehefrau dennoch, weil der Schuldner verheiratet sei. Dadurch liegt die Rente innerhalb der Pfändungsfreigrenze.

 

Aus der Begründung:

Rn. 21: Der Kläger hat gegen die Beklagte … einen Anspruch auf Zahlung der pfändbaren Rentenanteile … nach §§ 850 Abs. 2, 850c Abs. 1 S. 1 ZPO ohne Berücksichtigung einer Unterhaltsverpflichtung. … Rn. 25: Aus der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 14/6468, S. 17) ergeben sich keine Gesichtspunkte von den in der ständigen Rechtsprechung des BGH dargelegten Grundsätzen abzuweichen, … Rn. 28: Bei Ehegatten, die in häuslicher Gemeinschaft leben, ist von gegenseitigen Unterhaltsleistungen auszugehen, bei getrennt lebenden Eheleuten hat der Schuldner nachzuweisen, dass er Unterhalt schuldet und tatsächlich leistet.

 

InsbürO 2021, 337: Ermittlung der Nicht-Berücksichtigung unterhaltsberechtigter Personen

AG Baden-Baden, Beschl. v. 31.03.2021 – 11 IK 36/21

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter beantragt, dass der Sohn des Schuldners bei der Ermittlung des pfandfreien Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners in voller Höhe nicht als unterhaltsberechtigte Person berücksichtigt werden soll.

 

Aus der Begründung:

Der Sohn … verfügt unstreitig über eigene Einkünfte aus einem Arbeitsverhältnis i.H.v. monatlich 773,95 € netto. … Vorliegend lebt der Sohn im Haushalt des Schuldners. In diesem Fall ist bei der Bemessung der ausreichenden Einkünfte des Sohnes die Heranziehung der Sozialhilfesätze als Orientierung angemessen (…). … Der Sozialhilfesatz beträgt zzt. 446 €. Mit einem Zuschlag von 40 % betragen die i.S.v. § 850c Abs. 4 ZPO zu berücksichtigen ausreichenden eigenen Einkünfte … somit 624,40 €. … In Anlehnung an § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1b ZPO erscheint für die notwendigen berufsbedingten Belastungen der derzeit gültige Satz i.H.v. 223 € als ausreichend und angemessen (…). Als notwendiger Lebensunterhalt des Sohnes … sind somit insgesamt 847,40 € zu berücksichtigen. Dem steht ein Einkommen … i.H.v. 773,95 € gegenüber. Im Ergebnis verfügt der Sohn … über eigene Einkünfte, die den eigenen Lebensunterhalt zu 91,3 % sichern. Der Sohn ist daher bei der Ermittlung des pfandfreien Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners i.H.v. 8,7 % als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen. Auf Antrag war die Wirkung des Beschlusses auf das Restschuldbefreiungsverfahren (Wohlverhaltensperiode) auszudehnen.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die vorstehende Berechnung ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, aber auf den zweiten Blick fehlt der Mietanteil des Sohnes, der anteilig im Verhältnis der beiden Einkommen (Schuldner und Sohn), ggf. aber auch noch unter Berücksichtigung einer Ehefrau und Mutter, aufzuteilen. Dieser dann errechnete Mietanteil ist zum Sozialhilfesatz zu addieren und der sich dann ergebende Betrag um 40 % zu erhöhen (s. dazu auch Anmerkung Henning zu LG Stuttgart, Beschl. v. 02.07.2018 – 9 T 167/17, InsbürO 2019, 304 f.). Damit wäre der Bedarf des Sohnes höher, der Anteil der Sicherung seines eigenen Lebensunterhaltes geringer und die Berücksichtigung des Anteils als unterhaltsberechtigte Person beim Schuldner höher. Der BGH hat zu dieser Thematik entschieden, dass jeweils eine Einzelfallentscheidung zu treffen sei (BGH, Beschl. v. 05.04.2005 – VII ZB 28/05, ZInsO 2005, 887).

 

Restschuldbefreiungsverfahren

InsbürO 2021, 330 ff.: Nochmals: Einordnung als Neuerwerb nach Eintritt der Voraussetzungen zur Erteilung der Restschuldbefreiung           

LG Bochum, Urt. v. 23.04.2021 - 9 S 115/20

(Es handelt sich um die Berufungsentscheidung zu AG Bochum, Urt. v. 16.10.20 - 75 C 72/20, InsbürO 2021, 44)

 

Leitsatz des Bearbeiters:

Bei vorzeitiger Erteilung der Restschuldbefreiung nach Aufhebung des eigentlichen Insolvenzverfahrens in der Restschuldbefreiungszeit stehen dem Schuldner die pfändbaren Einkommensanteile ab Ablauf der drei oder fünf Jahre und nicht erst ab Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung zu.

 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Das LG Bochum bestätigt in dieser Entscheidung das AG Bochum als Vorinstanz und klärt die Rechtslage in den bis zum 30.09.2020 beantragten Verfahren. In den ab dem 01.10.2020 beantragten Insolvenzverfahren hat der Gesetzgeber mit dem durch das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens (BGBl. 2020 - Teil I, S. 3328) neu gefassten § 300 InsO die Frage in die gleiche Richtung entschieden, denn § 300 Abs. 1 S. 2 InsO n.F. lautet nun: „Eine nach Satz 1 erteilte Restschuldbefreiung gilt als mit Ablauf der Abtretungsfrist erteilt“.

Das LG lässt die grds., aber vom Ergebnis her nicht maßgebliche Frage, ob der Treuhänder der Restschuldbefreiungszeit für ein Fehlverhalten wie ein Insolvenzverwalter nach § 60 InsO oder wegen Nichtanwendbarkeit des § 60 InsO nach § 280 BGB haftet, offen (vgl. zum Streitstand: K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. § 292 Rn. 22). Es geht aber ausführlich auf die für die Praxis relevante Situation ein, dass das Insolvenzgericht eine bestimmte Rechtsposition vertritt und die Umsetzung dieser Position auch vom Treuhänder erwartet, wie es wohl im vorliegenden Verfahren war. Das LG hebt hervor, dass auch in einer solchen Konstellation der Treuhänder in alleiniger Verantwortung zu entscheiden hat und durch rechtliche Vorgaben des Insolvenzgerichts nicht exkulpiert werden kann.

 

InsbürO 2021, 337: Antragszulässigkeit trotz fehlendem Wohnsitz

AG Hannover, Beschl. v. 17.03.2021 – 908 IK 180/21 – 1, ZInsO 2021, 1183 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Der Schuldner hat … einen Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens nebst Anträgen auf Erteilung der Restschuldbefreiung und … gestellt. Unter Beifügung einer Fotokopie seines Personalausweises hat er erläuternd angegeben, unter der von ihm genannten Wohnanschrift tatsächlich nicht zu wohnen. Es handele sich um die Wohnung eines Freundes, in der er vorübergehend untergekommen sei, nachdem er seine eigene Wohnung verloren habe. Wegen einer Erkrankung werde er die Stadt Hannover bald verlassen. Seine Post könne aber an die genannte Hannoversche Anschrift gerichtet werden. Sollten Termine wahrzunehmen sein, würde er nach Hannover zurückkehren. Zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen sei er unter seiner angegebenen Mobilfunknummer erreichbar.

 

Aus der Begründung:

Aus § 4 InsO i.V.m. § 16 ZPO, der auch im Insolvenzverfahren zur Anwendung gelangen kann (…), folgt, dass der allgemeine Gerichtsstand einer Person, die weder im In- noch Ausland einen Wohnsitz hat, durch den Aufenthaltsort im Inland bestimmt wird. … Der Antragsteller ist gänzlich wohnsitzlos. Maßstab hierfür ist der Wohnsitzbegriff des § 7 Abs. 1 BGB (…), mithin der Ort, an dem sich eine Person ständig niederlässt. … An einem solchen Ort fehlt es vorliegend. Der Schuldner hat in seinem Antrag angegeben, obdachlos zu sein. … Maßgeblich sind … die zuständigkeitsbegründenden Umstände im Zeitpunkt des Eingangs des Insolvenzantrags beim Gericht (vgl. BGH, Beschl. v. 22.03.2007 – IX ZB 164/06 Rn. 5, …), nachträgliche Veränderungen bleiben folglich außer Betracht. … Für den Eigeninsolvenzantrag des obdachlosen Schuldners ist … nicht zwingend zu verlangen, dass er eine aktuelle Wohnungsanschrift in den Antragsunterlagen angibt. Für seine sichere Identifizierung genügt es, wenn er – wie hier geschehen – seine letzte Anschrift mitteilt und eine Fotokopie seines Personalausweises seinem Insolvenzantrag beifügt. Zur Sicherstellung des Schriftverkehrs ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn er eine Postanschrift angibt, über die ihm aller Voraussicht nach Schriftstücke verlässlich zugehen können.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Auch das AG Göttingen hatte bspw. in einem Beschluss v. 17.07.2019 (74 IK 173/19 GÖ, InsbürO 2019, 514 = ZInsO 2019, 2074) wie vorstehend entschieden und darauf abgestellt, dass nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO i.V.m. §§ 12, 16 ZPO der Aufenthaltsort im Zeitpunkt der Antragstellung für die Zuständigkeit des Gerichtes entscheidend sei. In dem Fall befand sich ein Schuldner in einer sozialen Einrichtung an einem anderen Ort als dem Wohnort. Unter Beachtung der vorgenannten Voraussetzungen zur Erreichbarkeit kann ein Insolvenzantrag also auch ohne festen Wohnsitz für zulässig erachtet werden.

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2021, 338: Streit über Wertung zum Betrieb einer Anlage wg. Anforderungen aus Ordnungsverfügung

OVG NRW, Beschl. v. 31.03.2021 – 8 B 1160/20, ZInsO 2021, 1134 (unanfechtbar)

Aus der Begründung:

Die Beschwerde des Antragstellers (= Insolvenzverwalters) hat Erfolg, soweit sie die Vollziehung der Nr. 2 und 8 lit. b der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung v. … (Entleerung, Spülung und Reinigung des Furanharztanks sowie Vorlage eines entsprechenden Entsorgungsnachweises und diesbezügliche Zwangsgeldandrohung) betrifft. … Nach den für die Inanspruchnahme des Betreibers einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage zur Erfüllung von Nachsorgepflichten gem. § 5 Abs. 3 BImSchG geltenden Maßstäben (…) ist derzeit zweifelhaft und muss einer abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, ob der Antragsgegner den Antragsteller zur Erfüllung der Betreiberpflichten heranziehen durfte (…). … Ein Insolvenzverwalter kann … Betreiber sein, wenn er die Anlage des Gemeinschuldners kraft eigenen Rechts und im eigenen Namen fortbetrieben hat; es genügt, wenn dies auch nur für kurze Zeit geschehen ist (… VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 17.04.2012 – 10 S 3127/11 Rn. 4 … m.w.N.). Allein die Stellung als Insolvenzverwalter genügt nicht für die Betreibereigenschaft, wenn der Betrieb schon vor der Insolvenzeröffnung vollständig eingestellt wurde (…). … Die Ausführungen des Antragstellers in seinem „Bericht gem. § 156 InsO zur 1. Gläubigerversammlung“ v. … dürften … noch hinreichend konkret darauf schließen lassen, dass der Betrieb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens … nicht – auch nicht kurzzeitig – fortgeführt worden ist. Der Antragsteller weist in diesem Bericht darauf hin, dass das operative Geschäft der I Eisengießerei GmbH & Co. KG bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens „nahezu vollständig“ eingestellt worden sei und aktuell lediglich noch Rest- und Abwicklungsarbeiten vorgenommen würden. … Der genannte Bericht des Antragstellers lässt – ebenso wie seine Stellungnahme gegenüber dem Insolvenzgericht … – erkennen, dass er sich der Problematik einer möglichen Betreiberhaftung im Fall des Fortbetriebs bewusst war und diese Haftung vermeiden wollte. Andererseits sind seine Ausführungen gerade in wesentlichen Punkten sprachlich recht vage gefasst. Angaben dazu, in welchem Zustand er das Betriebsgelände … vorgefunden hat und welche konkreten (Abwicklungs-)Arbeiten zu diesem Zeitpunkt noch stattgefunden haben, hat er nicht gemacht.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der Entscheidung sind die rechtlichen Anforderungen bzw. Risiken zu entnehmen, die der Insolvenzverwalter bei dem Betrieb einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage zu berücksichtigen hat. Aber sie zeigt auch „einfache“ praxisrelevante Aspekte auf, nämlich wie konkret ein Bericht zur ersten Gläubigerversammlung gefasst sein muss, damit dieser später als entlastendes Element für rechtliche Streitigkeiten herangezogen werden kann.

 

Insolvenzplanverfahren

InsbürO 2021, 338 f.: Absonderungsrechte im Insolvenzplan

OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 16.03.2021 – 4 M 140/20, ZInsO 2021, 1072 (unanfechtbar)

Leitsätze des Gerichts:

1. Die Regelung des § 190 InsO ist auch innerhalb eines Insolvenzplanverfahrens anwendbar, sofern der Insolvenzplan hierauf verweist.

2. Eine einem Absonderungsrecht unterliegende und zur Insolvenztabelle für den Ausfall angemeldete Forderung nimmt dann nicht an der Verteilung der Insolvenzmasse teil, wenn der Gläubiger den Ausfall nicht gem. § 190 InsO geltend gemacht hat. Dies bedeutet aber nicht, dass die so angemeldete Forderung nicht dem Erlass nach § 227 Abs. 1 InsO unterliegen würde.

3. § 256 InsO ist auf das Absonderungsrecht als Recht auf Befriedigung aus einer Sicherheit nicht anwendbar, sondern umfasst nur die nach § 190 InsO geltend gemachte Ausfallforderung.

 

Zum Sachverhalt:

Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine von der Antragsgegnerin gegenüber einer Drittschuldnerin erlassene Pfändungs- und Einziehungsverfügung. In einem angenommenen Insolvenzplan wurde keine Gruppe absonderungsberechtigter Gläubiger gebildet. Auf die Forderung der Antragsgegnerin, die für den Ausfall festgestellt war, entfiel keine Zahlung laut Insolvenzplan.

 

Aus der Begründung:

Nach § 256 Abs. 1 Satz 1 InsO ist ein Rückstand mit der Erfüllung des Insolvenzplans i.S.d. § 255 Abs. 1 InsO nicht anzunehmen, wenn die Höhe der Ausfallforderung eines absonderungsberechtigten Gläubigers noch nicht feststeht … Das Absonderungsrecht, also nach § 223 Abs. 1 InsO das Recht zur Befriedung aus Gegenständen, und die Ausfallforderung sind nicht gleichbedeutend. Ihnen liegt zwar dieselbe Forderung gegenüber dem Insolvenzschuldner zugrunde, sie nehmen im Rahmen des Insolvenzverfahrens aber völlig unterschiedliche Stellungen ein. Denn das Absonderungsrecht nimmt … nach Nr. … des Insolvenzplanes … i.V.m. § 223 Abs. 1 InsO nicht am Insolvenzplan und der darin enthaltenden Stundungen bzw. Teilerlass teil. Sie (= Antragsgegnerin) könnte sich nur dann auf die §§ 255, 256 InsO berufen, wenn ihr Absonderungsrecht zu einer Ausfallforderung geworden ist, die am                 Insolvenzplan teilnimmt …, womit die Anwendung der §§ 255, 256 InsO eröffnet wäre (…). … Das Verwaltungsgericht geht - … - ausdrücklich davon aus, dass das Absonderungsrecht auch noch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden kann … § 52 InsO sieht ausdrücklich vor, dass absonderungsberechtigte Gläubiger dann wie Insolvenzgläubiger behandelt werden, wenn sie auf ihr Absonderungsrecht verzichtet haben oder dieses bei ihnen ausgefallen ist.

            

Steuerrecht

InsbürO 2021, 339: Umsatzsteuerschuld bei Bauleistungen im Rahmen einer Organschaft

FG Sachsen, Urt. v. 03.02.2021 – 2 K 763/20, ZInsO 2021, 1086

Aus der Begründung:

Sind Unternehmer und Leistungsempfänger davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine vor dem 15.02.2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, ist die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein (§ 27 Abs. 19 Satz 1 UStG). … Die Ansprüche gegen die Bauträgerin sind grds. auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abtretbar. … Diese (= Insolvenzverwalterin) ist weder durch ein absolutes noch durch ein relatives Veräußerungsverbot (§ 135 BGB) an einer Abtretung der zur Insolvenzmasse gehörenden Ansprüche gegen die Bauträger auf Zahlung eines zusätzlichen Entgelts i.H.d. USt-Beträge gehindert.

               

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das FG Sachsen hatte die Revision zugelassen, weil der BFH in dieser Konstellation noch keine Entscheidung getroffen hätte. Sie wurde auch eingelegt und ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe unter dem AZ: V R 5/21 anhängig.

 

Immobilienvermögen

InsbürO 2021, 339: Zum anteiligen Kaufpreisanspruch aus Miteigentum bei Arrestanordnungen

OLG Hamm, Urt. v. 30.09.2020 – 11 U 9/20, WKRS 2020, 51557

Leitsatz des Gerichts:

Zur Aufteilung von Kaufpreisforderungen aus dem Verkauf von im Miteigentum stehenden Grundstücken, die den Miteigentümern zunächst gemeinschaftlich zustanden, weil sie auf eine unteilbare Leistung gerichtet waren (§ 432 BGB).

 

Zum Sachverhalt:

Der Schuldner und seine Ehefrau waren Eigentümer von mehreren Immobilien. Gegen beide wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet und Arrestbeschlüsse erlassen. Es wurden zugunsten des Landes Sicherungshypotheken in den Grundbüchern eingetragen. Sodann erfolgte ein freihändiger Verkauf und es wurden Teilzahlungen auf ein Konto der Justizkasse geleistet. Die Arrestanordnung gegen den Schuldner wurde vier Monate vor Insolvenzeröffnung aufgehoben. Der Insolvenzverwalter beansprucht einen Betrag von 95.444,67 € - 1,3 % der überwiesenen Kaufpreise – mit der Begründung, der Schuldner und seine Ehefrau seien als Miteigentümer eine Bruchteilsgemeinschaft gewesen und es hätte bis heute keine Auseinandersetzung gegeben, so dass sich die Gemeinschaft an den Kaufpreisforderungen fortsetze.

 

Aus der Begründung:

Die Klageforderung ist … nicht aus § 812 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. … Dafür, dass dies … dem Willen des Insolvenzschuldners und seiner Ehefrau entsprach und beide mit den von ihnen erteilten Zahlungsanweisungen (konkludent) zugleich auch die mit den Grundstückverkäufen realisierten Kaufpreisforderungen hälftig zwischen sich aufgeteilt haben, spricht zudem entscheidend, dass … zwischen den Beteiligten Verhandlungen darüber geführt wurden, ob die Ehefrau des Insolvenzschuldners ihren Anteil an den Kauferlösen für die Befriedigung der Gläubiger des Insolvenzschuldners zur Verfügung stellt, … Auch wenn die Ehefrau des Klägers … letztlich nicht an ihrer vorgenannten Bereitschaft festgehalten hat, …, so verdeutlicht dieser Sachverhalt doch gerade, dass sowohl der Insolvenzschuldner wie auch seine Ehefrau bei den seinerzeit geführten Verhandlungen von einer bereits erfolgten hälftigen Aufteilung der Verkaufserlöse zwischen ihnen ausgegangen sind.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Entscheidung ist hier nur sehr verkürzt wiedergegeben. Es gab weitere Sachverhaltsaspekte wie u.a. eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung, die bedient wurde, und die Prüfung einer Anspruchsgrundlage nach § 818 BGB. Die Revision wurde zwar nicht zugelassen, aber eine Nichtzulassungsbeschwerde ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe beim BGH unter dem AZ: V ZR 209/20 anhängig.

 

Vertragsverhältnisse

InsbürO 2021, 340: Coronabedingte (hälftige) Kürzung von gewerblicher Miete

Kammergericht Berlin, Urt. v. 01.04.2021 – 8 U 1099/20, ZInsO 2021, 1334

Leitsatz des Gerichts:

Bei einer staatlich angeordneten Geschäftsschließung wegen der Corona-Pandemie kann die Miete gem. § 313 BGB auf die Hälfte herabzusetzen sein, ohne dass eine Existenzbedrohung des Mieters im Einzelfall festgestellt werden muss.

 

Aus der Begründung:

Rn. 42: Der Tatbestand der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB setzt ein tatsächliches Element, ein hypothetisches und ein normatives Element voraus (…). … Rn. 46: … Das mit der Störung der großen Geschäftsgrundlage verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden (…). Der aufgrund der Pandemie staatlich angeordnete Shutdown stellt einen derart tiefgreifenden, unvorhersehbaren, außerhalb der Verantwortungssphäre beider Vertragsparteien liegenden und potenziell existenzgefährdenden Eingriff in die im Vertrag vorausgesetzte Nutzungsmöglichkeit dar, dass - unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls - die Nachteile solidarisch von beiden Vertragsparteien zu tragen sind und die Miete bei vollständiger Betriebsuntersagung zur Hälfte zu reduzieren ist (…).… Rn. 47: Es ist für einen Anspruch aus § 313 BGB nicht unabdingbar, dass eine konkrete Existenzbedrohung für den Mieter anhand seiner betriebswirtschaftlichen Daten positiv festgestellt wird, sondern es sind die "unter Umständen existenziell bedeutsame Folgen" i.S.d. BGH-Rechtsprechung zu vermuten, wenn eine angeordnete Schließung einen Monat oder länger andauert (…).

               

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das KG hat die Revision insoweit zugelassen, als der Senat den 50 %igen Mietanspruch unter Anwendung des § 313 BGB im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie abgewiesen hat. Ob die Revision auch eingelegt wurde, konnte bis zum Tage der Druckfreigabe leider nicht in Erfahrung gebracht werden.

 

Vergütungsrecht

InsbürO 2021, 340: Sondervergütung für Erlöse nach § 93 InsO

LG Detmold, Beschl. v. 21.04.2021 - 3 T 195/20, ZInsO 2021, 1307

 

Aus der Begründung:

Zwar sehen weder die InsO noch die InsVV einen Anspruch auf gesonderte Vergütung des Insolvenzverwalters für die Verwaltung von Sondermassen vor. Nach der vom BGH in seinem Urt. v. 21.07.2016 (Az. IX ZB 70/14) dargelegten Auffassung ist jedoch die Tätigkeit des Insolvenzverwalters (dort: des vorläufigen Sachwalters) umfassend zu entlohnen. Dieser Auffassung schließt sich die Kammer für den hier vorliegenden Fall gesonderter Tätigkeiten eines Insolvenzverwalters für eine Sondermasse nach eigener Prüfung an. … Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters für die Sondermasse ist entgegen der Auffassung des AG nicht von der Vergütung für seine Regeltätigkeit umfasst. Dies ergibt sich bereits daraus, dass im Fall einer einheitlichen Vergütungsfestsetzung auch die Gläubiger eine Vergütung für die entsprechende Tätigkeit des Insolvenzverwalters zahlen müssten, die hiervon mangels Zugehörigkeit zur insolvenzrechtlichen Sondermasse gar nicht profitieren. Entsprechend hat der BGH für vergleichbare Verfahrenskonstellationen entschieden, dass unbeteiligte Insolvenzgläubiger mit (abgrenzbaren) Verfahrenskosten für Sondersituationen nicht belastet werden sollen (BGH, Urt. v. 05.03.2015 – IX ZR 164/14, ZInsO 2015, 742).

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

§ 93 InsO sieht vor, dass die persönliche Haftung der Gesellschafter in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien während der Dauer des Insolvenzverfahrens für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden können. Wie das LG Detmold vorstehend erläutert, gibt es für diese Tätigkeit keine eigene vergütungsrechtliche Regelung in der InsO oder in der InsVV. Jedoch gibt es inzwischen – wie vorstehend ebenfalls ersichtlich – BGH-Rechtsprechung, aus der sich ein solcher gesonderter Vergütungsanspruch ableiten lässt. Hintergrund für diese Sondervergütung ist, dass eine Sondermasse gebildet wird, die nur an die Alt-Gläubiger verteilt wird. Aus dieser realisierten Sondermasse ist die Sondervergütung – um die es in der vorstehenden Entscheidung ging – vorab zu entnehmen, so dass die „normalen“ Insolvenzgläubiger damit nicht belastet werden. Wir hatten bereits 2019 mit Aufsätzen in der InsbürO auf diese Thematik aufmerksam gemacht und dürfen darauf verweisen. In diesen werden die Grundlagen und die mögliche Berechnung eingehend dargelegt: Graeber/Graeber, Vergütungsrecht in der Insolvenzpraxis: Die Durchsetzung von Ansprüchen gem. §§ 92, 93 InsO durch das Verwalterbüro, InsbürO 2019, 71 ff. (Heft 2/2019) und Haarmeyer, Die Vergütung des Insolvenzverwalters bei der Generierung und Verwaltung von Sondermassen, InsbürO 2019, 130 ff. (Heft 3/2019).

            

InsbürO 2021, 340: Verwaltervergütung in größeren Verfahren

BGH, Beschl. v. 29.04.2021 – IX ZB 58/19, ZInsO 2021, 1304

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz des Gerichts:

In einem größeren Insolvenzverfahren ist der regelmäßig anfallende Mehraufwand des Insolvenzverwalters im Grundsatz bereits dadurch abgegolten, dass die größere Vermögensmasse zu einer höheren Vergütung führt.

 

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter beantragte bei einer Berechnungsgrundlage von 1.085.016,87 € neben der Regelvergütung Zuschläge von 150 %. Das AG hielt lediglich 100 % für gerechtfertigt.

 

Aus der Begründung - beispielhaft:

Rn. 19: Es hat lediglich bei der Bemessung der Höhe des Zuschlags den Umstand berücksichtigt, dass bei größeren Insolvenzverfahren regelmäßig ein quantitativ höherer Aufwand bei der Betreuung der Gläubigergemeinschaft für den Verwalter anfällt, und daher der … genannten Anzahl der anmeldenden Gläubiger und der im Schlussverzeichnis berücksichtigten Gläubiger ein geringeres Gewicht beigemessen. … Rn. 22: Einen weiteren Zuschlag hat das Beschwerdegericht für "komplexe Rechtsstreitigkeiten/… gewährt, wobei es bei der Bemessung der Höhe des Zuschlags berücksichtigt hat, dass die erfolgreich durchgeführten Rechtsstreitigkeiten zu einer Massemehrung und dadurch zu einer um rund 16.000 € höheren Regelvergütung … geführt haben.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der BGH widmet sich in der Begründung den einzelnen beantragten unterschiedlichen Zuschlagstatbeständen. So führt er u.a. zu den Kürzungen der Zuschläge für eine hohe Gläubigeranzahl, für erschwerte Bedingungen beim Forderungseinzug und für komplexe Rechtsstreitigkeiten und Haftungsansprüche aus und erläutert eine weitere Kürzung wegen der vorherigen Tätigkeit als vorl. Verwalter.

 

InsbürO 2021, 341: Vereinbarung einer Vergütung von Gläubigerausschussmitgliedern im Rahmen einer Planüberwachung

BGH, Urt. v. 06.05.2021 – IX ZR 57/20, ZInsO 2021, 1302

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)     

Leitsatz des Gerichts:

Die Vergütung der Mitglieder eines mit der Überwachung der Planerfüllung betrauten Gläubigerausschusses kann Gegenstand einer nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens geschlossenen Vereinbarung zwischen dem Schuldner und den Ausschussmitgliedern sein.

 

Zum Sachverhalt:

Der Kläger ist Verwalter in dem eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der W. AG (…). Er verlangt die Rückgewähr von Vergütungen, welche der Beklagte als Mitglied des Gläubigerausschusses für die Überwachung der Erfüllung eines in einem früheren Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zustande gekommenen Insolvenzplans erhalten hat.

 

Aus der Begründung:

Rn. 10: Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans kann vorgesehen werden, dass die Erfüllung des Plans überwacht wird (§ 260 Abs. 1 InsO). … Aufgaben und Befugnisse des Gläubigerausschusses ergeben sich, wenn der Insolvenzplan keine abweichenden Bestimmungen enthält (…), aus § 261 Abs. 2, § 262 Satz 1 InsO. … Rn. 11: … Der Insolvenzplan kann etwa die Überwachung nicht durch den Insolvenzverwalter, sondern durch einen von den Gläubigern bestimmten Sachwalter vorsehen (…). Ebenso kann der Gläubigerausschuss durch einen neu bestimmten Planüberwachungsausschuss ersetzt werden. Die Vergütung eines privatrechtlich beauftragten Sachwalters richtet sich nach den getroffenen vertraglichen Regelungen (…). Gleiches gilt für die Vergütung der Mitglieder eines Planüberwachungsausschusses. … Rn. 14: Entgegen der Annahme des Klägers und der Vorinstanzen ist diese Vereinbarung nicht wegen Verstoßes gegen zwingende Vorschriften des Insolvenzrechts unwirksam. … Rn. 17: Zwingende Vorschriften des Vergütungsrechts stehen einer Vergütungsvereinbarung zwischen den Mitgliedern des Gläubigerausschusses und dem Schuldner nicht entgegen. … Rn. 21: … Das im Zeitpunkt der Aufhebung des Insolvenzverfahrens etwa vorhandene und das künftig zu erwerbende Vermögen des Schuldners steht allein dem Schuldner zu, der mit ihm nach seinem Belieben verfahren kann (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO). Vom Schuldner geschlossene Verträge unterliegen nicht der Kontrolle des Insolvenzgerichts. … Vom Schuldner und von den Mitgliedern des Gläubigerausschusses kann erwartet werden, dass sie ihre diesbezüglichen, sicherlich teils gegenläufigen Interessen eigenverantwortlich wahrnehmen.

                     

Haftung

InsbürO 2021, 341: Haftungsinanspruchnahme des Landes wg. Arrestanordnungen

OLG Hamm, Urt. v. 17.02.2021 – 11 U 51/19, ZInsO 2021, 1168

Zum Sachverhalt:

Die Kläger … zu 1) als Geschäftsführer und Gesellschafter der in Insolvenz geratenen A GmbH und der Kläger zu 2) als deren Insolvenzverwalter verlangen von dem beklagten Land Schadensersatz wegen Schäden, die nach ihrer Behauptung dadurch eingetreten sind, dass der Kläger zu 1) im Laufe des Steuerstrafverfahrens … in Untersuchungshaft genommen wurde, und … Arrestanordnungen in das gesamte Vermögen des Klägers und der A GmbH erwirkt und vollzogen wurden. Sie machen geltend, dass der gegen den Kläger zu 1) erhobene Verdacht, im Rahmen seiner Geschäftsführung bei der A GmbH Steuerstraftaten begangen zu haben, … ungerechtfertigt und damit amtspflichtwidrig gewesen seien und zur Insolvenz der A GmbH geführt hätten.

 

Aus der Begründung:

Den Klägern stehen keine Schadensersatzansprüche gegen das beklagte Land aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu. Den im vorliegenden Fall handelnden Behörden fällt, …, keine schuldhafte Amtspflichtverletzung zur Last. … Als Folgen der Insolvenz, welche bereits mit Wahrscheinlichkeit einen Schaden der A GmbH begründet, sind auf Seiten des Klägers zu 1) der Verlust des Firmenwerts, seines Geschäftsführergehalts, die Inanspruchnahme aus für die A GmbH persönlich abgegebenen Sicherheiten und als Folge der gegen den Kläger zu 1) betriebenen Strafverfolgung das Entstehen von Kosten für die Strafverteidigung ebenfalls wahrscheinlich. … Die Vertretbarkeit der Handlungsweise der Staatsanwaltschaft wird dadurch belegt, dass das LG Bochum … die Haftbeschwerde des Klägers als unbegründet verworfen hat, ferner durch weiteren Beschluss … die Haftfortdauer angeordnet wurde und schließlich das OLG Hamm mit Beschluss … die Fortdauer der Untersuchungshaft … über 6 Monate hinaus anordnete.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Es ist Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt worden: III ZR 39/21.