16.12.2021

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Dezemberheft 2021

 

Eröffnungsverfahren

InsbürO 2021, 494 f.: Insolvenzeröffnung trotz (zunächst) fehlender Masse

LG Hamburg, Beschl. v. 03.06.2021 – 326 T 27/21, ZInsO 2021, 1694

Leitsätze des Bearbeiters:

1. Eine Insolvenzeröffnung kann aufgrund prognostischer, kostendeckender Ansprüche eröffnet werden.

2. Im Rahmen der Eröffnungsentscheidung können die Ausführungen eines Sachverständigen zur überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Durchsetzung und zur Bonität der Anspruchsgegner zugrunde gelegt werden.

 

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Zutreffend bejaht die Entscheidung die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, insbesondere das voraussichtliche Vorhandensein einer ausreichenden Masse. Soweit die Entscheidung allerdings die sofortige Beschwerde als zulässig ansieht, sind Zweifel angebracht. Zwar gewährt § 34 InsO dem Schuldner gegen die Eröffnung des Verfahrens über sein Vermögen das Recht der sofortigen Beschwerde. Jedoch sind Einschränkungen angebracht. Schuldner, die keine natürliche Person sind, arbeiten häufig auf eine Abweisung mangels Masse gem. § 26 InsO hin, damit Haftungsansprüche mangels Eröffnung des Verfahrens nicht realisiert werden können. Wird ein Eigenantrag gestellt und das Verfahren eröffnet, fehlt es an der Beschwer. Der Schuldner hat das erreicht, was er beantragt hat. Deshalb kann er sich nicht darauf berufen, der Antrag sei mangels Masse gem. § 26 InsO abzulehnen gewesen (Schmerbach in: Frankfurter Kommentar zur InsO (FK-InsO), 9. Aufl., § 34 Rn. 34). Dieselben Überlegungen gelten auch, wenn das Verfahren aufgrund eines Gläubigerantrages eröffnet wird (streitig, Schmerbach in: Frankfurter Kommentar zur InsO (FK-InsO), 9. Aufl., § 34 Rn. 40).

 

InsbürO 2021, 495: Anforderungen an Gläubigerantrag nach Forderungsausgleich

AG Ludwigshafen, Beschl. v. 07.06.2021 – 3a IN 79/21, ZInsO 2021, 1754 (rkr.)

Aus der Begründung:

Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist unzulässig. … Der Gläubiger darf im Eröffnungsverfahren die geltend gemachte Forderung auswechseln; das gilt auch dann, wenn der Schuldner vorher diejenige Forderung, auf die der Antrag gestützt war, getilgt hatte. … Der Schuldner ist ausreichend dadurch geschützt, dass für die nachgeschobene Forderung sämtliche Voraussetzungen des § 14 InsO neu zu prüfen sind (BGH, Beschl. v. 05.02.2004 – IX ZB 29/03, Rn. 12). … Aus der bloßen Nichtzahlung einer geringwertigen Beitragsforderung lässt sich, insbesondere im Hinblick auf die im Verfahren unter Beweis gestellte zügige Bereitschaft des Schuldners zum Forderungsausgleich, keine Zahlungsunfähigkeit ableiten.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der zuletzt geltend gemachte Beitragsrückstand betrug 322,85 €.

 

InsbürO 2021, 495 f.: Keine Vollstreckungsfortsetzung durch Absonderungsgläubigerin

AG Hamburg, Beschl. v. 10.8.2021 – 67g IN 470/13

Zum Sachverhalt:

Die Gläubigerin hatte vor Insolvenzeröffnung die Ansprüche auf GmbH-Geschäftsanteile sowie auf Auszahlung des fälligen Anteils und der fortlaufenden Gewinnanteile durch Pfändungsbeschluss gepfändet. Die Insolvenzschuldnerin ist an der GmbH mit 40 % beteiligt. Auf Antrag der Gläubigerin wurde nach Insolvenzeröffnung die Verwertung der Anteile durch eine Versteigerung angeordnet. Der Insolvenzverwalter beantragte, die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklären. Ihm stehe analog § 166 Abs. 1 InsO das Verwertungsrecht an den GmbH-Anteilen zu.

 

Aus der Begründung:

Zuständig ist das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht. … Weiter ist die Norm analog anzuwenden, wenn – wie hier – die Abwehr eines Eingriffs in die Zuweisung der Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters gem. § 166 Abs. 1 InsO analog in Rede steht. … Das vor Insolvenzeröffnung entstandene Pfändungspfandrecht der Gläubigerin an den GmbH-Anteilen gewährt dieser ein Recht zur abgesonderten Befriedigung, § 50 Abs. 1 InsO. … Zwar handelt es sich bei den unverbrieften Anteilen weder um bewegliche Sachen, noch hat der Insolvenzverwalter diese in seinem Besitz. Auf unverbriefte Unternehmensbeteiligungen, die keine reinen Finanzanlagen sind, ist § 166 Abs. 1 InsO aber analog anzuwenden, weil eine vergleichbare Interessenlage besteht und eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vorliegt (…). … Auch Anteile eines an anderen Unternehmen können einen essenziellen Bestandteil des Schuldnerunternehmens bilden, sodass eine gemeinsame Verwertung im Interesse der Gläubiger geboten ist. In Anlehnung an die Differenzierung in § 104 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 InsO gilt dies jedenfalls dann, wenn es sich bei den Anteilen um eine Unternehmensbeteiligung und nicht lediglich um eine Finanzanlage handelt (vgl. BGH, Urt. v. 24.09.2015 – IX ZR 272/13 Rn. 32 …). Als Orientierung dient dazu die Regelung des § 271 Abs. 1 Satz 3 HGB, wonach bei einer Beteiligungshöhe von mehr als 20 % im Zweifel eine Unternehmensbeteiligung vermutet wird (vgl. BGH, … IX ZR 272/13 Rn. 33 …). … Die planwidrige Unvollständigkeit lässt sich … historisch begründen. § 199 RegEInsO sah vor, dass das Insolvenzgericht dem Insolvenzverwalter das Nutzungs- und Verwertungsrecht an sonstigen Rechten auf Antrag zusprechen konnte. Außerdem sollte das Insolvenzgericht nach dieser Vorschrift die Herausgabe verpfändeter Gegenstände auf Antrag des Insolvenzverwalters anordnen können. Der Rechtsausschuss hat die Vorschrift mit „dem Ziel einer Entlastung des Insolvenzgerichts“ ersatzlos gestrichen (BT-Drucks. 12/7302, S. 178), da kein Bedarf für ein besonderes gerichtliches Herausgabeverfahren bestehe. Die Materialien enthalten aber keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der Streichung zugleich beabsichtigt war, dem Verwalter die Verwertungsmöglichkeit für alle sonstigen Rechte abzusprechen. Insofern liegt eine planwidrige Unvollständigkeit vor (…). … Deshalb ist die bloße Aussetzung der Vollziehung im Insolvenzverfahren zulässig und geboten.

 

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2021, 492 f.: Problematik der Girokontoeröffnung bei freigegebener selbständiger Tätigkeit

BGH, Urt. v. 16.09.2021 - IX ZR 213/20, ZInsO 2021, 2368

Leitsatz des Gerichts:

Erlischt ein Girovertrag des Schuldners durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und weiß die Bank nichts vom Insolvenzverfahren, können Handlungen der Bank nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners, die sich nach objektivem Empfängerhorizont als vertragsgemäßes Verhalten im Rahmen des (erloschenen) Girovertrags darstellen, nicht als konkludente Zustimmung zur Neubegründung eines Girovertrags ausgelegt werden.

 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

So übersichtlich der Sachverhalt auch ist, er hat doch komplexe rechtliche Erörterungen des 9. Senats des BGH ausgelöst, die verdeutlichen, welche Klippen der selbstständige Schuldner nach Freigabe seiner Selbstständigkeit umschiffen muss. Eine von Schuldnern häufig angestrebte Freigabe der ausgeübten Selbstständigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO kann daher nur zu ihrer erfolgreichen Fortsetzung führen, wenn die nachfolgend aufgezeigten Grundregeln beachtet werden:

Stets ist zu berücksichtigen, dass alle Einnahmen des Schuldners aus der selbstständigen Tätigkeit solange in die Insolvenzmasse fallen und damit nicht dem Schuldner zustehen, bis er einen Antrag nach § 850i ZPO gestellt hat (so schon BGH, Beschl. v. 20.03.2003 - IX ZB 388/02, ZInsO 2003, 413). Dieser Antrag sollte bei bereits ausgeübter Selbstständigkeit mit dem Insolvenzantrag verbunden werden, um die finanzielle Basis von vornherein zu sichern. Dann benötigt der Schuldner für das erfolgreiche Betreiben seiner freigegebenen Selbstständigkeit ein Girokonto, wie auch der vorliegende Fall belegt. Dieses Konto bzw. sein auf ihm vorhandenes Guthaben gehört dann zur freigegebenen Selbstständigkeit und damit nicht in die Insolvenzmasse, wenn das Konto ausdrücklich der Selbstständigkeit gewidmet ist, was sich auch im Kontonamen widerspiegeln sollte, dem Insolvenzverwalter auch als ein solches gewidmetes Konto bekannt ist und ausschließlich als Geschäftskonto für die freigegebene Selbstständigkeit genutzt wird (vgl. BGH Beschl. v. 21.02.2019 - IX ZR 246/17 Rn. 10, InsbürO 2019, 220 = ZInsO 2019, 678).

Des Weiteren ist immer wieder Streitpunkt, welche Vermögenswerte des Schuldners von der Freigabe erfasst werden. Der BGH stellt zwar fest, dass die Freigabe das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbständigen Tätigkeit zerschneidet und von daher das gesamte Vermögen des Schuldners, das dieser Selbstständigkeit gewidmet ist einschl. der Vermögensgegenstände und Vertragsverhältnisse, von der Freigabe erfasst wird (BGH, Urt. v. 09.02.2012 - IX ZR 75/11 Rn. 19, InsbürO 2012, 274 = ZInsO 2012, 481), aber im Einzelfall bleibt die Zuordnung oft schwierig. Der Schuldner sollte sich von daher darauf einstellen, dass die Freigabe unstreitig nur die Vermögensgegenstände erfasst, die unpfändbar gem. § 811 Abs. 1 Nr. 5 (ab 01.01.2022: § 811 Abs. 1b) ZPO sind. Schließlich muss der Schuldner in seine Planungen einbeziehen, dass seine Forderungen aus der freigegebenen Selbstständigkeit, die bereits vor der Freigabe entstanden waren, der Insolvenzmasse zustehen (BGH, Urt. v. 21.02.2019 - IX ZR 246/17, a.a.O.). Die Vergütung für alle vor der Freigabe erbrachten Arbeiten fällt folglich in die Insolvenzmasse. Der Schuldner beginnt damit am Tag der Freigabe hinsichtlich seiner Einnahmen komplett bei Null. In diesem Zusammenhang ist wiederum der Schutzantrag nach § 850i ZPO wichtig, der dem Schuldner auch einen Teil der vor der Freigabe erwirtschafteten Einnahmen sichern kann.

 

InsbürO 2022, 490 ff.: Zur Rücknahmemöglichkeit eines Antrages auf Restschuldbefreiung

BGH, Beschl. v. 15.07.2021 - IX ZB 33/20, ZInsO 2021, 2026

Leitsatz des Gerichtes:

Hat ein Gläubiger in einem asymmetrischen, vor dem 01.07.2014 beantragten Verfahren in dem zur Anhörung der Gläubiger anberaumten Termin oder innerhalb der stattdessen gesetzten Frist einen zulässigen Versagungsantrag gestellt, kann der Schuldner seinen Antrag auf Restschuldbefreiung nur noch mit Zustimmung dieses Gläubigers zurücknehmen.

 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Bei dieser Entscheidung des 9. Senats des BGH ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich um ein Alt-Insolvenzverfahren handelt, dass vor dem 01.07.204 beantragt wurde. Im Gegensatz zur heutigen Rechtslage konnte damals ein Versagungsantrag nicht während des gesamten eröffneten Insolvenzverfahrens, sondern erst nach Aufforderung durch das Insolvenzgericht gestellt werden. Weiterer wichtiger Aspekt des Beschlusses ist, dass der BGH erneut betont, dass grds. die Rücknahme des Antrags auf Restschuldbefreiung zulässig ist. Durch die Rücknahme des Antrags auf Restschuldbefreiung entfällt die nach § 4a Abs. 1 S. 1 InsO erforderliche Voraussetzung der Stundungsbewilligung. Das Verfahren ist daher - wenn keine Insolvenzmasse vorliegt - mangels Masse einzustellen. Ist Masse vorhanden, ist das Verfahren nach regulärem Ablauf zu beenden. Der Schuldner hat so die Möglichkeit einer Verfahrensbeendigung und kann anschließend einen erneuten Insolvenzantrag mit Antrag auf Restschuldbefreiung stellen, ohne dass diesem Sperrfristen entgegenstehen. Dieses Vorgehen kann angebracht sein, wenn der Schuldner neue Verbindlichkeiten begründet hat, bspw. weil er laufenden Unterhalt nicht zahlen konnte oder wenn er aufgrund besonderer Ereignisse den Versagungsantrag eines Gläubigers befürchtet. Ist allerdings bereits ein Antrag auf Versagung beim Insolvenzgericht eingegangen, ist dem Schuldner dieser Weg versperrt.

Der BGH entscheidet ausdrücklich nicht über die Rechtslage in den ab dem 01.07.2014 beantragten Verfahren. Nach seiner jetzigen Argumentation ist aber davon auszugehen, dass er auch in den neuen Verfahren entsprechend urteilen würde. Prüfen sollte der Schuldner aber stets, ob der gestellte Versagungsantrag zulässig ist. Denn nur ein zulässiger Antrag auf Versagung kann die Rücknahme des Antrags auf Restschuldbefreiung verhindern. Ein zulässiger Versagungsantrag erfordert bspw. eine Glaubhaftmachung des behaupteten Versagungsgrunds, was von antragstellenden Gläubigern häufig übersehen wird. Die Glaubhaftmachung kann nach dem Schlusstermin oder der im schriftlichen Verfahren gesetzten Frist zur Stellungnahme nicht nachgeholt werden.

 

 

Unternehmensinsolvenz

InsbürO 2021, 496: Kein pauschaler Versicherungsschutz aus D&O-Versicherung für Vertretungsorgane bei Haftungsinanspruchnahme

LG Köln, Urt. v. 09.12.2020 – 20 O 1/20, ZInsO 2021, 1752

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter macht Forderungen gegen den organschaftlichen Vertreter der schuldnerischen Kommanditgesellschaft i.H.v. ca. 1,5 Mio. EUR geltend. Dieser tritt seinen Freistellungsanspruch gegen die D&O-Versicherung an den Insolvenzverwalter ab, der die Versicherung auf Zahlung verklagt.

 

Aus der Begründung:

Nach … besteht Deckungsschutz nur für den Fall, dass eine versicherte Person … wegen einer … bei der versicherten Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung auf Ersatz eines Vermögensschadens in Anspruch genommen wird. … Jedoch ist allgemein anerkannt, dass der Ersatzanspruch aus § 130a Abs. 2 HGB – ebenso wie der Anspruch der Gesellschaft gegen den GmbH-Geschäftsführer nach § 64 Satz 1 GmbHG – auf Erstattung der Zahlungen und nicht etwa nur auf den Ersatz eines Quotenschadens gerichtet ist, sodass der Anspruch aus § 130a Abs. 2 HGB demjenigen aus § 64 Satz 1 GmbHG entspricht und einen Ersatzanspruch eigener Art darstellt. … Darin besteht der entscheidende Unterschied zu einem deliktischen Schadensersatzanspruch, weil die Haftung nach §§ 177a, 130a Abs. 2 HGB unabhängig davon besteht, ob der Gesellschaft überhaupt ein Vermögensschaden entstanden ist (…). … Andererseits wird er erkennen, dass er im Insolvenzfall Versicherungsschutz in dem Fall hat, dass er auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 2 InsO in Anspruch genommen wird (…). … Würde man den Anspruch nach §§ 177a, 130a Abs. 2 HGB als Schadensersatzanspruch "im versicherungsrechtlichen Sinne" begreifen, würden nicht die konkreten Vermögensinteressen des Versicherungsnehmers geschützt, sondern die der Gläubigergemeinschaft. …

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Nach den Ausführungen des LG Köln würde auch die jüngste Entscheidung des BGH (Urt. v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, InsbürO 2021, 95 = ZInsO 2021, 53) zu keiner anderen Entscheidung führen. Dort hatte der BGH zwar entschieden, dass der in § 64 Satz 1 GmbHG geregelte Anspruch der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer auf Ersatz von nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleisteten Zahlungen ein gesetzlicher Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz i.S.d. Allgemeinen Versicherungsbedingungen der dortigen Beklagten sei. Das dortige Klauselwerk unterschied sich jedoch in einem wesentlichen Punkt von den im obigen Fall zugrundeliegenden Vertragsbedingungen. Dort wurde der Insolvenzverwalter nämlich ausdrücklich als möglicher Anspruchsteller in den Versicherungsbedingungen aufgeführt. Die vorstehende Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Zum Zeitpunkt der Druckfreigabe ist ein Berufungsverfahren beim OLG Köln unter dem AZ: 9 U 253/20 anhängig.

 

InsbürO 2021, 496 f.: Zu den Nachsorgepflichten eines Insolvenzverwalters als Betreiber einer Deponie

VGH Bayern, Beschl. v. 26.07.2021 - 12 ZB 18.2385, ZInsO 2021, 2139

Gerichtliche Orientierungssätze:

Der Insolvenzverwalter kann nur dann Betreiber der Deponie i.S.d. § 40 Abs. 1 und 2 KrWG (bzw. § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG) sein, wenn er sie auch tatsächlich betreibt. Dies ist mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht (automatisch) der Fall, denn die Übertragung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis allein macht den Insolvenzverwalter nicht zum Deponiebetreiber. Vielmehr ist eine tatsächliche Betriebsführung erforderlich. Dabei ist unter „Betriebsführung“ auch im abfallrechtlichen Kontext regelmäßig ein Tätigwerden im eigenen Namen, für eigene Rechnung und unter eigener Verantwortung zu verstehen. … Der Insolvenzverwalter rückt nicht in die Betreiberstellung ein, wenn er die Anlage nach der bloßen Besitzergreifung infolge des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis sofort stilllegt. Gleiches gilt erst recht, wenn der Betrieb bereits vor Insolvenzeröffnung durch den Schuldner eingestellt worden war.

 

InsbürO 2021, 497: Einziehung vor Eröffnung fälliger Genossenschaftsanteile

LG Bielefeld, Urt. v. 07.04.2021 – 9 O 117/20, ZInsO 2021, 1749

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter nimmt im Jahre 2019 einen Gesellschafter auf Zahlung von übernommenen Genossenschaftsanteile i.H.v. ca. 9.600 € in Anspruch. Dieser behauptet, er hätte 2012 wirksam gekündigt und habe daher einen Anspruch auf Auseinandersetzung. Er verweigert die Zahlung.

 

Aus der Begründung:

Mit der Annahme der Beitrittserklärung ist der vertragliche Anspruch auf Einzahlung der Geschäftsanteile … wirksam entstanden. … Die Kündigung bedarf der Schriftform, was nach § 126 Abs 1 BGB die eigenhändige Namensunterzeichnung im Original voraussetzt. Eine elektronische Kündigung ist unter Verwendung einer elektronischen Signatur statthaft (§§ 126 Abs 3, 126a BGB), eine Kündigung per Telefax, Telegramm oder mittels E-Mail dagegen unzulässig (…). … Der Anspruch des Klägers ist auch nicht verjährt. Insoweit gilt die 10-jährige Verjährungsfrist des § 22 Abs. 6 Satz 1 GenG. … Im hiesigen Fall stehen nicht Verbindlichkeiten der Genossenschaft bzw. Insolvenzschuldnerin in Rede, … Hier geht es um die gesetzlich geschuldete Kapitalaufbringungspflicht gegenüber der Genossenschaft. Und diese gesetzlich geschuldete Pflicht darf nicht erlassen werden, § 22 Abs. 4 S. 1 Fall 3 GenG (gesetzliches Erlassverbot), was auch im Insolvenzverfahren gilt (…).

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Gegen die vorstehende Entscheidung wurde Berufung beim OLG Hamm (Az: 8 U 118/21) eingelegt.

 

InsbürO 2021, 497: Honorar für Jahresabschlussprüfung als Masseverbindlichkeit

OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.03.2021 – I 5 U 91/20

Zum Sachverhalt:

Wirtschaftsprüfer fordert Rechnungsausgleich für Jahresabschlussprüfung. Es stellt sich die Frage der Einordnung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit.

 

Aus der Begründung:

Die Honorarforderung stellt eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. InsO dar. … Gem. § 155 Abs. 1 InsO bleiben handels- und steuerrechtliche Pflichten des Schuldners zur Buchführung und Rechnungslegung auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt. Demnach bestehen auch die Pflichten nach § 316 HGB, den Jahresabschluss, den Lagebericht, den Konzernabschluss und den Konzernlagebericht durch einen Abschlussprüfer prüfen zu lassen, unverändert fort. Sie werden lediglich durch § 155 InsO modifiziert (...). … Im Fall des § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO, der die vor Eröffnung erfolgte wirksame Bestellung eines Abschlussprüfers auch für die Zeit nach der Eröffnung unberührt lässt, kann im Ergebnis – auch für die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahren erbrachten Arbeiten – nichts anderes gelten. Dies korrespondiert mit dem Umstand, dass die Vorschrift des § 155 InsO eine Durchbrechung der §§ 115, 116 InsO darstellt, die anordnen, dass Geschäftsbesorgungsverträge i.d.R. mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen (…). Dies hat erkennbar zum Ziel, den bereits ordnungsgemäß bestellten Abschlussprüfer mit seiner bereits begonnenen Arbeit, die der Insolvenzverwalter ansonsten selbst in Auftrag geben bzw. einen entsprechenden Antrag bei dem Registergericht stellen müsste, fortfahren zu lassen.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde hinsichtlich der Frage, ob es sich bei der Honorarforderung des bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits bestellten Abschlussprüfers insgesamt um eine Masseverbindlichkeit handelt, zugelassen. Sie wurde auch eingelegt. Das Verfahren war zum Zeitpunkt der Druckfreigabe unter dem AZ: IX ZR 69/21 anhängig. Zu diesem Sachverhalt gibt es eine Entscheidung des OLG Frankfurt/M. (Urt. v. 28.04.2021 - 4 U 72/20, InsbürO 2021, 421 = ZInsO 2021, 2145), die zu einem anderen Ergebnis kam:  Danach seien die Leistungen aufzuteilen in die Zeiträume der Tätigkeit vor und nach Insolvenzeröffnung. Nur die nach Eröffnung erbrachten Leistungen seien als Masseverbindlichkeit zu begleichen. Auch vom OLG Frankfurt/M. wurde die Revision zugelassen und diese auch eingelegt.

 

InsbürO 2021, 497: Zuordnung einer Beitragsabfindung aus der gesetzlichen Unfallversicherung als Masseverbindlichkeit

BSG, Urt. v. 15.12.2020 – B 2 U 14/19 R, ZInsO 2021, 1859

Aus der Begründung:

Rn. 11: Die Beitragsabfindung gilt nach § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO als Masseverbindlichkeit. … Zwischen der Beklagten und der KG bestand bis … in der gesetzlichen Unfallversicherung ein Mitgliedschaftsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, das als Dauerschuldverhältnis i.S.d. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO zu qualifizieren ist (…). Die Beklagte erbrachte eine Dauerleistung, indem sie die KG von der zivilrechtlichen Haftung für Personenschäden – durch die Gewährung von Versicherungsschutz – gegenüber Versicherten, ihren Angehörigen und Hinterbliebenen partiell freistellte (§§ 104 ff. SGB VII), und die KG war der Beklagten zu jährlich wiederkehrenden Beitragsleistungen im Wege der Umlage verpflichtet (§§ 152 ff. SGB VII). … Rn. 12: § 55 Abs. 3 InsO steht der Zuordnung einer Beitragsabfindung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu den Masseverbindlichkeiten nicht entgegen. … Rn. 16: Weder die Entstehungsgeschichte der § 55 Abs. 2 und Abs. 3 InsO noch systematische Erwägungen geben einen Hinweis darauf, dass ein insolvenzrechtliches Auseinanderfallen bei der Einstufung einerseits rückständiger Unfallversicherungsbeiträge als Masseverbindlichkeit und andererseits zu entrichtender Gesamtsozialversicherungsbeiträge als Insolvenzforderungen und eine damit einhergehende bevorrechtigte Gläubigerstellung der Unfallversicherungsträger gegenüber anderen Sozialversicherungsträgern nicht gewollt gewesen sein könnte. … Rn. 20:  Abgefunden wurden Beiträge für den Zeitraum v. …, in dem der Kläger als starker vorläufiger Insolvenzverwalter die KG fortführte, Versicherte (weiter-)beschäftigte und die Haftungsfreistellung in Anspruch nahm.

                  

InsbürO 2021, 498: Auskunftspflicht des (ehemaligen) Geschäftsführers gegenüber GmbH bei begründetem Verdacht von Pflichtverletzung

BGH, Beschl. v. 22.6.2021 – II ZR 140/20, ZInsO 2021, 2308

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 11: Der Geschäftsführer einer GmbH ist gegenüber der Gesellschaft gem. § 666 BGB i.V.m. §§ 675, 611 BGB zur Auskunftserteilung verpflichtet (…). Diese Verpflichtung besteht auch nach der Abberufung des Geschäftsführers und Beendigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags fort (…). Rn. 12: Die Auskunfts- und Rechenschaftspflicht nach § 666 BGB setzt nicht voraus, dass der Geschäftsherr die begehrte Information zur Vorbereitung weiterer Ansprüche benötigt. Vielmehr genügt sein allgemeines Interesse, die Tätigkeit des Geschäftsbesorgers zu kontrollieren (…). … Rn. 13: … Im Haftungsprozess gegen den ehemaligen Geschäftsführer trägt dieser zwar die Darlegungs- und Beweislast für sein pflichtgemäßes Verhalten. Ein Auskunftsinteresse ergibt sich aber ungeachtet dessen aus dem begründeten Verdacht einer Pflichtverletzung und der Wahrscheinlichkeit eines daraus resultierenden Schadens (…). Die Auskunftspflicht des Geschäftsführers wird auch nicht dadurch eingeschränkt, dass der Geschäftsführer mit der verlangten Auskunft eine Pflichtverletzung offenbaren würde (...).

 

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2021, 498: Zurechnung einer Kenntnis eines Abtretenden von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners

OLG Schleswig, Urt. v. 23.06.2021 - 9 U 109/20, ZInsO 2021, 1805

Zum Sachverhalt:

Die Schuldnerin schloss mit der C. AG, einem Dienstleister im Bereich der Mittelstandsfinanzierung, einen Rahmenvertrag. Diese räumte der Schuldnerin ein Bestelllimit ein. Im Rahmen eines Factoringvertrages trat die C. AG eine Forderung gegen die Schuldnerin an die Beklagte ab, die vor Insolvenzeröffnung beglichen wurde. Der Insolvenzverwalter fordert im Wege der Anfechtung Rückzahlung von der Beklagten.

 

Aus der Begründung:

Rn. 16: Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache bis … Erfolg. … Rn. 50: Die Wissenszurechnung gem. § 166 Abs. 1 BGB beruht auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass derjenige, der sich zur Erledigung seiner Angelegenheiten eines Anderen bedient, sich dessen Wissen unabhängig von einem Vertretungsverhältnis zurechnen lassen muss (BGH …). … Rn. 52: Die C. AG ist nach der Arbeitsorganisation der Beklagten dazu berufen gewesen, für diese im Rechtsverkehr aufzutreten. … Rn. 54: Im Rahmen ihrer Tätigkeit ist die C. AG verpflichtet gewesen, Wissen betreffend die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin an die Beklagte weiterzuleiten. Eine solche Verpflichtung ergibt sich ausdrücklich aus Nr. 4 b) der Allgemeinen Factoringbedingungen der Beklagten.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde nicht zugelassen, aber es wurde eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt: IX ZR 116/21.

 

InsbürO 2021, 498: Zurechnung von angefochtenen Gutschriften auf Sollsaldo im Rahmen der Geschäftsführerhaftung

BGH, Urt. v. 15.06.2021 – II ZR 146/20, ZInsO 2021, 1684

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)

 

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter macht Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer einer GmbH geltend. Dieser moniert im Hinblick auf die Haftungssumme, dass die Einzahlung von 14.800 € aus der Kasse der Schuldnerin auf das debitorische Konto bei der V-Bank bereits durch Anfechtung gegenüber der V-Bank zum Ausgleich in der Insolvenzmasse geführt habe.

 

Aus der Begründung:

Rn. 9: Wird im Wege der Insolvenzanfechtung die Rückführung des ausgereichten Dispositionskredits in Höhe des Betrags ausgeglichen, um den die Summe der in das Kontokorrent eingestellten Zahlungen die Auszahlungen übersteigt, ist angesichts der damit verbundenen Saldierung der Zahlungsein- und -ausgänge die Zuordnung dieses Ausgleichs zu einzelnen Gutschriften regelmäßig nicht möglich. Hieraus folgt aber nicht, dass eine Zuordnung nach wirtschaftlicher Betrachtung ausscheidet und ein den Zweck der Ersatzpflicht erreichender Ausgleich insgesamt zu verneinen ist. … Rn. 11: Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich nicht ableiten, in welcher Höhe die Einzahlung i.H.v. 14.800 € durch die erfolgreiche Insolvenzanfechtung ausgeglichen wurde. Das Berufungsgericht hat … nicht festgestellt, in welcher Höhe weitere Gutschriften zwischen dem … und dem … in die Bildung des Saldos eingeflossen sind.

 

InsbürO 2021, 498 f.: Keine Anfechtung von irrtümlich gezahlter Vermittlungsprovision

BGH, Urt. v. 10.06.2021 - IX ZR 157/20, ZInsO 2021, 1977

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtlicher Leitsatz:

Zahlt ein Schuldner vereinbarungsgemäß Maklerlohn für die Vermittlung von Verträgen, stellt die Zahlung der sich an der Höhe der in den Hauptverträgen vereinbarten Vergütung orientierenden Provision keine unentgeltliche Leistung dar, auch wenn die Hauptverträge zivilrechtlich anfechtbar sind oder die Kunden des Schuldners verlangen könnten, schadensersatzrechtlich so gestellt zu werden, als ob die Verträge nicht geschlossen worden seien, weil der Schuldner sie bei Abschluss der Verträge betrogen hat.

 

Aus der Begründung:

Rn. 10: Leistet der Schuldner, weil er sich irrtümlich hierzu verpflichtet hält, steht ihm hinsichtlich der Leistung ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zu. Der Empfänger ist von vornherein diesem Bereicherungsanspruch ausgesetzt. Daher ist eine Leistung des Schuldners … nicht nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar.

 

InsbürO 2021, 499: Unentgeltlichkeit von vertraglich vereinbarten, von Jahresüberschüssen abhängigen Gewinnausschüttungen

BGH, Urt. v. 22.07.2021 - IX ZR 26/20, ZInsO 2021, 2098

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtlicher Leitsatz:

Vertraglich vereinbarte, von Jahresüberschüssen abhängige Gewinnausschüttungen sind unentgeltlich, wenn die Jahresabschlüsse fehlerhaft sind, fehlerfrei erstellte Jahresabschlüsse keine Gewinne ausgewiesen hätten und der Schuldner aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre darum wusste.

 

Zum Sachverhalt:

Der Kläger (= Insolvenzverwalter) verlangt die von der Schuldnerin an den Beklagten erbrachten Ausschüttungen aufgrund von Schenkungsanfechtung, hilfsweise bereicherungsrechtlich, zurück.

 

 

Arbeitsrecht

InsbürO 2021, 488 ff.: Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages

BAG, Urt. v. 23.02.2021 - 5 AZR 314/20, ZInsO 2021, 1878

Leitsatz des Bearbeiters:

Die Freistellung eines Arbeitnehmers und Vereinbarung eines Sonderkündigungsrechtes im Aufhebungsvertrag kann so ausgelegt werden, dass die etwaig erzielte Vergütung aus einem neuen Arbeitsverhältnis anzurechnen ist, auch wenn dies nicht ausdrücklich geregelt ist.

 

Anmerkung Stadtrechtsdirektor a. D. Markus Geißler, Freiburg i. Br.:

Nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Aufhebungsvertrag sollte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30.04.2019 unter voller Fortzahlung der Bezüge enden, wobei er ab dem 21.09.2018 endgültig von der Arbeit freigestellt war. Er machte jedoch von seinem vorzeitigen Sonderkündigungsrecht Gebrauch und trat zum 01.01.2019 in ein neues und besser entlohntes Beschäftigungsverhältnis ein, weswegen ihm die beklagte Arbeitgeberin die Fortentrichtung der bisherigen Bezüge in der Zeit vom 01.01. bis zum 30.04.2019 verweigerte. Hiergegen wendet sich der Kläger und trägt vor, er müsse sich auf seinen vereinbarten Lohnfortzahlungsanspruch den anderweitig erzielten Verdienst nicht anrechnen lassen. In beiden Tatsacheninstanzen hatte er mit seinem Begehren Erfolg; das BAG hat das Berufungsurteil aber – soweit hier von Interesse – aufgehoben. Indessen offenbaren bereits die divergierenden Entscheidungen eine gewisse Brisanz des streitgegenständlichen Rechtsproblems, und es fragt sich, ob dieses dann auch innerhalb des § 113 InsO für die Insolvenzverwaltung relevant werden kann.

 

Im Rahmen der Privatautonomie können die Parteien eines Arbeitsverhältnisses selbstverständlich vereinbaren, dass dem freigestellten Arbeitnehmer seine Bezüge bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch dann in voller Höhe belassen werden, wenn er zwischenzeitlich ein anderes Beschäftigungsverhältnis begründet. Im Streitfall ist dies allerdings daran gescheitert, dass der Auf-hebungsvertrag insoweit nicht eindeutig formuliert war. Anders gestaltet sich jedoch die Rechtslage, wenn der Insolvenzverwalter den nach § 113 InsO gekündigten Arbeitnehmer von seiner Pflicht zur weiteren Dienstleistung freistellt. Unabhängig davon hat dieser zunächst in jedem Fall nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO bis zum Ablauf der dreimonatigen Kündigungsfrist einen Anspruch gegen die Mas-se auf Fortentrichtung seiner bisherigen Bezüge, auf die er sich jedoch gewährte Sozialleistungen (z. B. ALG I) anrechnen lassen muss (Hergenröder, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenz-recht, 4. Aufl. 2020, § 113 Rn. 62). Gleichermaßen gilt dies für die Einkünfte, die er vor Beendigung des bisherigen durch Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses erzielt. Denn die §§ 55 Abs. 1 Nr. 2, 113 InsO können den Arbeitnehmer finanziell ja nicht besser stellen, als er ohne die insolvenzbedingte Kündigung stünde. Aufgrund dieser gesetzlichen Vorgaben kann der Insolvenzverwalter mit dem gekündigten Arbeitnehmer dann auch keine hiervon abweichende Vereinbarung treffen. Dies wäre eine schuldhafte Pflichtverletzung (§ 60 Abs. 1 InsO), weil er damit die Masse ohne zwingenden Rechtsgrund zum Nachteil der Gläubiger schmälern würde. Die Nichtanrechnung zusätzlicher Bezüge können zwar – wie das Urteil des BAG vom 23.02.2021 vermerkt – die Parteien eines Arbeitsverhältnisses miteinander vereinbaren, weil sie hiermit ausschließlich ihre ureigenen Interessen austarieren. Der Insolvenzverwalter würde hingegen mit einer solchen Regelung ja einseitig in die Belange der Gläubiger eingreifen.

 

InsbürO 2021, 499: Geltung einer versehentlich zu lang gewählten Kündigungsfrist

LAG Hamm, Urt. v. 16.06.2021 - 10 Sa 122/21, WKRS 2021, 29103 (rkr.)

Amtlicher Leitsatz:

Kündigt ein Arbeitgeber fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Termin und benennt als Beendigungstermin ein konkretes Datum mit versehentlich zu lang gewählter Kündigungsfrist, kann die Auslegung nach dem Empfängerhorizont trotz des erkennbaren, schnellstmöglichen Beendigungswillens des Arbeitgebers die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erst zu dem genannten Datum ergeben.

 

Aus der Begründung:

Vereinfacht formuliert: Dort wo kein Kündigungsdatum genannt ist, kann auch weder eine berechtigte Fehlvorstellung der Arbeitnehmerin noch ein schützenswertes Vertrauen auf die Erklärung der Arbeitgeberin entstehen. Ist hingegen ein Datum genannt, kann dies nicht später einfach so wieder revidiert werden.

 

InsbürO 2021, 499: Verminderter Urlaubsanspruch bei konjunktureller Kurzarbeit

LAG Düsseldorf, Urt. v. 12.03.2021 – 6 Sa 824/20, ZInsO 2021, 1357

Leitsatz des Gerichts:

Für Zeiträume, in denen Arbeitnehmer aufgrund konjunktureller Kurzarbeit „Null“ keine Arbeitspflicht haben, ist der jährliche Urlaubsanspruch anteilig zu kürzen.

 

Aus der Begründung:

Weder enthält § 1 BUrlG, nach dem jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub hat, eine Ausnahmeregelung für den Fall des Ruhens des Arbeitsverhältnisses noch nimmt § 2 Satz 1 BUrlG Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis kraft Abrede der Arbeitsvertragsparteien oder aufgrund tariflicher Anordnung ruht, vom Geltungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes aus (…). … Insoweit gilt während der Kurzarbeit nichts anderes, denn der Sinn und Zweck von Kurzarbeit liegt gerade in der Vermeidung einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. … Davon zu trennen ist aber die Frage, in welcher Höhe ein Urlaubsanspruch entsteht. … § 3 Abs. 1 BUrlG bestimmt die Zahl der Urlaubstage ausgehend vom Erholungszweck des gesetzlichen Mindesturlaubs in Abhängigkeit von der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht (…). …  Danach steht der Klägerin … jährlich maximal ein Urlaubsanspruch von 14 Tagen zu, da sie nur drei statt der gesetzlich vorausgesetzten sechs Werktage pro Woche arbeitet. … Es gibt keine gesetzlichen Normen, die einer Kürzung des Urlaubsanspruchs infolge der Vereinbarung konjunktureller Kurzarbeit entgegenstehen.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Es wurde die Revision zwar wegen grds. Bedeutung zugelassen, aber nicht eingelegt.         

 

InsbürO 2021, 499 f.: Keine Anfechtung von Lohnzahlungen im Mindestlohnbereich

ArbG Gießen, Urt. v. 13.04.2021 – 5 Ca 188/20, ZInsO 2021, 1980

Leitsatz des Gerichts:

Die durch das Mindestlohngesetz (MiLoG) bundesgesetzlich statuierte Sicherung des durch Arbeitsleistung erworbenen Existenzminimums des Arbeitnehmers gilt auch im Insolvenzverfahren des Arbeitgebers und schließt die Insolvenzanfechtung jedenfalls hinsichtlich der in der Leistung des Arbeitsentgelts enthaltenen Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruches aus.

 

Zum Sachverhalt:

Die Lohnzahlungen an die Arbeitnehmerin der Insolvenzschuldnerin erfolgten über das Konto der Mutter des Insolvenzschuldners. Daher war der Insolvenzverwalter der Auffassung, dass eine inkongruente Deckung vorliege.          

 

Aus der Begründung:

Eine dem MiLoG genügende Vergütungszahlung muss dem Arbeitnehmer daher endgültig verbleiben, darf also nicht rückzahlbar sein (vgl. BAG, Urt. v. 15.05.2016 – 5 AZR 135/16 …). … Soweit der Kläger (= Insolvenzverwalter) darauf hinweist, dass der Beklagten Insolvenzgeldansprüche zustünden und die Anfechtung bereits vor diesem Hintergrund "unbedenklich" sei, kann dies nicht verfangen. … Auch würde der – neben der Sicherung des Existenzminimums bestehende – ausdrückliche Zweck des MiLoG, nämlich die Entlastung der sozialen Sicherungssysteme mit einem Verweis auf etwaige Insolvenzgeldansprüche, ausgehöhlt.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das AZ der Berufungsinstanz lautet: 12 Sa 587/21.

 

 

Insolvenztabelle

InsbürO 2021, 500: Nachversicherungsbeiträge in der Insolvenztabelle

BSG, Urt. v. 22.3.2021 – B 13 R 20/19 R, ZInsO 2021, 1883

Zum Sachverhalt:

Rn. 2: Der ursprünglich klagende Insolvenzschuldner … unterhielt … in Deutschland sog. Glaubenshäuser. … Rn. 3: Die Beigeladene war … 1972 mit 18 Jahren in das Glaubenshaus des Insolvenzschuldners … aufgenommen worden, … Rn. 4: … hinsichtlich ihrer Tätigkeit … waren … keine Rentenversicherungsbeiträge abgeführt worden. … Der beklagte Rentenversicherungsträger forderte vom Insolvenzschuldner Nachversicherungsbeiträge … Rn. 7: Die Beklagte (= Rentenversicherungsträger) hat eine Forderung i.H.v. 159.328,29 € zur Insolvenztabelle angemeldet. … Rn. 8: Der Kläger (= Insolvenzverwalter) hat die Forderung bestritten und … die Aufnahme des vorliegenden Rechtsstreits erklärt. Er rügt in materieller Hinsicht eine Verletzung des § 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI. Das LSG habe die Begriffe "geistliche Genossenschaften" und "ähnliche Gemeinschaften" ungenügend ausgelegt.

 

Aus der Begründung:

Rn. 15:  Der Bescheid der Beklagten … in Gestalt des Widerspruchsbescheids … stellt einen … Schuldtitel dar. … Rn. 24: Die Beigeladene war unter Geltung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI (…) versicherungsfrei. Nach dieser Vorschrift sind u.a. satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften … in dieser Beschäftigung versicherungsfrei. Dabei gilt nach dem Rechtsgedanken des § 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI der Dienst für die Gemeinschaft als Beschäftigung i.S.d. Rechts der Rentenversicherung. … Rn. 28: Das Adjektiv "ähnlich" verdeutlicht, dass die betreffenden Gemeinschaften für die rentenversicherungsrechtliche Behandlung zwar nicht vollständig, jedoch in den maßgeblichen Merkmalen mit den zuvor genannten "geistlichen Genossenschaften" und Gemeinschaften der "Diakonissen" übereinstimmen müssen. … Rn. 44: Indem die Beigeladene aus der D austrat und nicht länger in einem Glaubenshaus lebte, ist der Nachversicherungsfall eingetreten, der sich nach alldem für den gesamten Nachversicherungszeitraum nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI bestimmt. Nach dieser Vorschrift werden u.a. Personen nachversichert, die als Angehörige ähnlicher Gemeinschaften versicherungsfrei waren, wenn sie ohne Anspruch oder Anwartschaft auf Versorgung aus der Beschäftigung ausgeschieden sind und Gründe für einen Aufschub der Beitragszahlung nicht gegeben sind.

 

InsbürO 2021, 500: Gesetzlicher Zinssatz bei Kapitalisierung von Betriebsrentenansprüchen in der Insolvenztabelle

BAG, Urt. v. 18.05.2021 – 3 AZR 317/20, ZInsO 2021, 1959

Zum Sachverhalt:

Der Pensions-Sicherungs-Verein VVaG meldet als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung (§ 14 Abs. 1 BetrAVG) auf ihn übergegangene Betriebsrentenansprüche aus diesen Zusagen gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG i.H.v. ca. 280.000 € zur Insolvenztabelle an. Der Summe liegt ein Abzinsungssatz von 3,74 % zugrunde. Der Insolvenzverwalter ist der Ansicht, dass 4 % als Abzinsungssatz anzusetzen sind und hat daher einen Teil der Forderung bestritten.
 

Leitsätze des Gerichts:

  1. Bei der Kapitalisierung von Betriebsrentenansprüchen, die der Pensions-Sicherungs-Verein VVaG als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung in der Insolvenz des ehemaligen Arbeitgebers aufgrund übergegangenen Rechts geltend macht, ist der gesetzliche Zinssatz anzuwenden, um den Vorteil der sofortigen Fälligkeit auszugleichen.
  2. Nach § 41 Abs. 1 InsO gelten nicht fällige Forderungen – auch monatlich zu zahlende Betriebsrentenforderungen – als fällig. Ihre Höhe ist aufgrund der Fiktion der sofortigen Fälligkeit zu ermitteln (Rn. 23).
  3. Ansprüche auf laufende Betriebsrenten gehen im Umfang der Insolvenzsicherung in der Insolvenz des ehemaligen Arbeitgebers nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG auf den Pensions-Sicherungs-Verein VVaG … über. Für ihre Bewertung ist § 46 Satz 2 InsO maßgeblich. Denn bei den laufenden Betriebsrentenansprüchen handelt es sich um wiederkehrende Leistungen, deren monatliche Beträge bestimmt, deren Dauer aber unbestimmt ist (Rn. 24).
  4. Es hat – unter Anwendung versicherungsmathematischer Grundsätze – eine Kapitalisierung der Ansprüche durch Schätzung zu erfolgen. Dabei ist die ungewisse Laufzeit zu bewerten, und es ist durch Abzinsung ein Ausgleich für den Vorteil der sofortigen Fälligstellung künftiger Betriebsrentenansprüche vorzunehmen (Rn. 25).
  5. Zum Ausgleich dieses Vorteils der sofortigen Fälligkeit ist der gesetzliche Zinssatz nach § 46 Satz 2 i.V.m. § 46 Satz 1, § 45 Satz 1, § 41 Abs. 2 Satz 1 InsO, § 246 BGB i.H.v. 4 v.H. anzuwenden (Rn. 33 ff.).

 

 

Vergütungsrecht

InsbürO 2021, 501: Keine Erhöhung der Mindestvergütung anhand der Gläubigeranzahl bei jur. Personen

BGH, Beschl. v. 22.07.2021 – IX ZB 4/21, ZInsO 2021, 2220

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Die Bestimmungen über die Erhöhung der Mindestvergütung entsprechend der Anzahl der Gläubiger, die ihre Forderungen angemeldet haben, sind auf die Vergütung des Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person nicht anwendbar.

 

Zum Sachverhalt:

Nach Eröffnung meldeten 55.919 Gläubiger Forderungen zur Insolvenztabelle an. Der Insolvenzverwalter beantragte unter Berücksichtigung dieser Gläubigeranzahl für seine Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter die Mindestvergütung gem. § 2 Abs. 2 InsVV mit einem Nettobetrag von 1.119.400 €. Nach Zurückweisung des Antrages durch das Insolvenzgericht erfolgte eine Kürzung von 50 % durch den Insolvenzverwalter. Mit der Beschwerde verfolgte er den Antrag wegen des Restes weiter. Das LG hat die Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

 

Aus der Begründung:

Rn. 7: … Auf die Rechtsbeschwerde unterliegt die Entscheidung … wegen der fehlerhaften Besetzung des Beschwerdegerichts der Aufhebung von Amts wegen, weil der Einzelrichter über die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen grds. Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nicht selbst entscheiden durfte, sondern das Verfahren gem. § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Richtern besetzten Kammer hätte übertragen müssen. … Rn. 8: Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: … Rn. 11: Der Verordnungsgeber hatte in erster Linie massearme Verfahren im Blick (…). Dies ergibt sich aus der Begründung zur Verordnung (…). … Rn. 14: Der BGH hat bislang nicht entschieden, ob eine Erhöhung der Mindestvergütung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV stets allein entsprechend der Anzahl der Gläubiger erfolgt oder ob diese von weiteren Voraussetzungen abhängt. Die bisherigen Entscheidungen des BGH zu § 2 Abs. 2 InsVV betrafen masselose oder massearme Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person. … Rn. 20: Die Regelung über die Erhöhung der Mindestvergütung entsprechend der Anzahl der Gläubiger nach § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV ist auf das eröffnete Insolvenzverfahren zugeschnitten. Der Verordnungsgeber hat die Frage, welche Bedeutung die Zahl der Gläubiger für die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters hat, nicht in seine Erwägungen einbezogen. … Rn. 22: … Mangels eines typisierten Aufwands aufgrund der Zahl der Gläubiger im Eröffnungsverfahren kann diese Regelung die Besonderheiten des im Eröffnungsverfahren entstehenden Aufwands nicht erfassen. … Rn. 27: … Es entspricht allgemeiner Meinung, dass eine hohe Gläubigerzahl einen Zuschlag nach § 3 Abs. 1 InsVV rechtfertigen kann (…). Führt die große Zahl der eine Forderung anmeldenden Gläubiger zu einem Mehraufwand, kann der Tatrichter dies bei der Bemessung der Zuschläge angemessen berücksichtigen (…).

 

 

Allgemeines

InsbürO 2021, 501: Einordnung der Kosten eines Revisionsverfahrens

BGH, Beschl. v. 23.07.2021 – 4 StR 36/19, WKRS 2021, 32319

Aus der Begründung:

Eine … Insolvenzforderung liegt vor, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand schon vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist, … Nach diesem Maßstab handelt es sich bei der verfahrensgegenständlichen Kostenforderung nicht um eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO. Denn der Anspruch auf Zahlung der Kosten des strafprozessualen Revisionsverfahrens wird im insolvenzrechtlichen Sinne erst mit der Einlegung der Revision begründet. … Da der Beschwerdeführer die Revision gegen das im ersten Rechtsgang ergangene Urteil des Landgerichts erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingelegt hatte, war der Kostenanspruch zum Eröffnungszeitpunkt noch nicht begründet.

                     

InsbürO 2021, 501 f.: Wiedereinsetzung wegen fehlerhafte automatisierter Faxnummer aus der Software

BGH, Beschl. v. 30.03.2021 – VIII ZB 37/19, ZInsO 2021, 1700

(VIII. Senat = u.a. zuständig für Kaufrecht)

Aus der Begründung:

Dem Erfordernis, durch organisatorische Anweisungen sicherzustellen, dass Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer erkannt werden, kann … durch die Anweisung genügt werden, die im Sendebericht ausgedruckte Faxnummer mit der schriftlich niedergelegten zu vergleichen, wenn sichergestellt ist, dass diese ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist. Dies setzt aber voraus, dass zusätzlich die generelle Anweisung besteht, die ermittelte Faxnummer vor der Versendung auf eine Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen (…).

 

InsbürO 2021, 502: Zumutbarkeit von Prozesskostenvorschüssen bei „öffentlichen“ Gläubigern

KG, Beschl. v. 17.12.2020 – 7 W 1021/20, ZInsO 2021, 1965 (rkr.)

Aus der Begründung:

Zwar hat der BGH zunächst für die Bundesagentur für Arbeit als Inhaberin übergegangener Arbeitnehmeransprüche (… Beschl. v. 27.09.1990 – IX ZR 250/89 …) und anschließend allgemein für alle Träger der Sozialverwaltung (… Beschl. v. 05.02.2004 – IX ZR 473/00 …) die Zumutbarkeit von Prozesskostenvorschüssen an den Konkursverwalter grds. ausgeschlossen. Ob diese Auffassung, die jedenfalls auch mit der bevorrechtigten Stellung der Träger der Sozialversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit (jetzt Bundesagentur für Arbeit) nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO begründet wurde (vgl. BGH, … VII ZB 3/92, ... Rn. 17), auch nach der Abschaffung dieser Privilegierung durch die am 01.01.1999 in Kraft getretene InsO weiterhin Gültigkeit haben soll, ist höchstrichterlich jedenfalls noch nicht ausdrücklich entschieden worden (…). Von den OLG und in der Literatur wird eine Vorschusspflicht der Träger der Sozialversicherung und der Bundesagentur für Arbeit als Gläubiger im Rahmen von § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO ganz überwiegend auch nach Abschaffung des Privilegs des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO durch die InsO verneint (…). Der Senat hält indes an seiner Auffassung fest, dass bei der nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO vorzunehmenden Prüfung des PKH-Antrags eines Insolvenzverwalters eine anteilige Kostenaufbringung den Träger der Sozialversicherung als im Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten jedenfalls nicht grds. und ohne weitere Prüfung unzumutbar ist. Vielmehr ist für die Beurteilung der Einzelfall entscheidend (… Beschl. v. 25.02.2000 – 7 W 602/00, …). … Zutreffend hat das LG Berlin in der angefochtenen Entscheidung dargelegt, dass die drei o.g. Gläubiger (= Krankenkasse, Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft und der Bundesagentur für Arbeit) an dem von dem Antragsteller geführten Rechtsstreit in erheblichem Umfang beteiligt sind. … Das LG Berlin hat die beantragte PKH folglich zu Recht versagt.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Rechtsbeschwerde wurde zugelassen, aber nicht eingelegt.