18.01.2022

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Januarheft 2022

 

Eröffnungsverfahren

InsbürO 2022, 44 f.: Auswirkung der Stundungsmöglichkeit auf den Insolvenzantrag des Finanzamtes

AG Ludwigshafen, Beschl. v. 07.09.2021 – 3d IN 60/21, ZInsO 2021, 2399

Leitsatz des Bearbeiters:

Bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Insolvenzantrages kommt es nicht auf die Frage an, ob das antragstellende Finanzamt die Antragsforderung steuerrechtlich hätte stunden müssen (hier: wegen eines BMF-Schreibens zur Stundung während der Corona-Pandemie).

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Interessant sind insbesondere die Ausführungen des Insolvenzgerichtes zu den Auswirkungen interner Vorschriften des Finanzamtes. Ihnen wird keine Relevanz für die Wirksamkeit oder Zulässigkeit des Insolvenzantrages beigemessen, da ihnen nur verwaltungsinterne Bedeutung zukommt; der Schuldner wird auf die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen verwiesen. Allerdings steht einem Schuldner nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung regelmäßig in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eine Überprüfungsmöglichkeit zu. Nach der Rechtsprechung der Finanzgerichte kann die Ermessensausübung der Finanzbehörde bei Stellung eines Insolvenzantrages darauf überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt (BFH, Beschl. v. 12.12.2005 - VII R 63/04, ZInsO 2006, 603 m. Anm. Schmittmann, S. 605; zuletzt FG Hamburg, Beschl. v. 02.07.2019 – 2 V 121/19, InsbürO 2020, 48 = ZInsO 2019, 2121; Einzelheiten Schmerbach in: Frankfurter Kommentar zur InsO, 9. Aufl., § 14 Rn. 135 ff).

 

InsbürO 2022, 45 f.: Schuldbefreiende Wirkung von Zahlungen an Dritten durch Vertragspartner der Schuldnerin

BGH, Urt. v. 08.07.2021 - IX ZR 121/20, ZInsO 2021, 2195

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsätze des Gerichts:

  • Eine Ermächtigung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter zur Fortsetzung schuldbefreiender Zahlungen an einen Dritten, die auf einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Schuldner und einem Drittschuldner beruhen, kann darin zu erblicken sein, dass der Verwalter die Geschäftsbeziehung mit dem Drittschuldner fortsetzt, ohne Abstand von der vertraglichen Vereinbarung zu nehmen.
  • Die Zahlung an einen Dritten hat schuldbefreiende Wirkung, wenn die Masse dadurch von einer Masseverbindlichkeit entlastet wird, die anderenfalls der Verwalter in voller Höhe zu begleichen hätte.

Zum Sachverhalt:

Die Schuldnerin war als Verleiherin auf dem Gebiet der Arbeitnehmerüberlassung tätig. In einem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag mit der Beklagten war geregelt, dass 30 % des Rechnungsnettobetrages an die vom Personaldienstleister gewählte Krankenkasse überwiesen werden. Der Insolvenzverwalter nimmt der Entleiherin (= Beklagten) wegen dieser gezahlten Kosten in Anspruch.

Aus der Begründung:

Rn. 31: An die konkludente Erklärung einer Einwilligung oder Genehmigung durch den Insolvenzverwalter sind im Grundsatz hohe Anforderungen zu stellen. … Rn. 36: … Mit dem Schreiben hat sich der Kläger in seiner Eigenschaft als starker vorläufiger Verwalter an die Beklagte gewandt und mitgeteilt, dass die (Leih-)Arbeitnehmerschaft … weiterhin zur Verfügung stehe und der Geschäftsbetrieb unter seiner Aufsicht fortgeführt werde. … Aus Sicht der Beklagten war das Angebot demnach im Sinne einer Fortsetzung der Geschäftsbeziehung zu den bisherigen Bedingungen zu verstehen. … Rn. 37: Aus der Sicht der Beklagten war indes auch erkennbar, dass der Kläger Erklärungen nur im Rahmen der ihm zustehenden Verfügungsbefugnis als starker vorläufiger Verwalter abgeben wollte. Diese Verfügungsbefugnis erlosch mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin (vgl. BGH …). Die dem Schreiben v. … zu entnehmende Einwilligung in die Fortführung der schuldbefreienden Zahlungen an die Streithelferin war demnach auf die Zeit des Eröffnungsverfahrens beschränkt. … Rn. 43: Bei den vom Kläger begründeten Beitragsschulden handelte es sich jedoch nicht um Masseverbindlichkeiten. Nach § 55 Abs. 2 InsO gelten zwar Verbindlichkeiten, die von einem starken vorläufigen Verwalter begründet worden sind, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten. Nach § 55 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 InsO gilt dies allerdings nicht für die in § 175 Abs. 1 Satz 1 SGB III genannten Gesamtsozialversicherungsbeiträge, soweit diese gegenüber dem Schuldner bestehen bleiben. … Rn. 44: … Durch die hier interessierenden Zahlungen der Beklagten an die Streithelferin (= Krankenkasse) nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens können die Beitragsschulden nur getilgt worden sein, wenn sie im Zeitpunkt der Eröffnung gegenüber der Schuldnerin fortbestanden.        

                  

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2022, 39 f.: Corona-Soforthilfen auch für Kleinstunternehmer mit Altschulden

VG Freiburg (Brsg.), Urt. v. 10.09.2021 - 9 K 763/21, ZInsO 2021, 2508 (rkr.)

Leitsätze des Bearbeiters:

Ein Unternehmen ist nur dann ein von der Förderung durch Corona-Soforthilfe-Leistungen ausgeschlossenes „Unternehmen in Schwierigkeiten“ i.S.d. Genehmigungsleitlinien, wenn es zum Zeitpunkt der Beantragung der Soforthilfe auf kurze oder mittlere Sicht so gut wie sicher zur Einstellung seiner Geschäftstätigkeit gezwungen sein wird. Eine Ausnahme von diesem Regelfall kann vorliegen, wenn der Unternehmer seine selbstständige Tätigkeit trotz hoher Altschulden fortsetzen kann, da die erzielten Einnahmen durch die Pfändungsschutzvorschriften geschützt sind.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Das Verwaltungsgericht beschäftigt sich in dieser Entscheidung mit der auch strafrechtlich noch offenen Frage, wann im Rahmen der Bewilligung einer Corona-Soforthilfe die selbstständige Tätigkeit eines Einzelunternehmers als „Unternehmen in Schwierigkeiten“ gem. Art. 2 Abs. 18 Allg. Gruppenfreistellungsverordnung (VO EU Nr. 651/2014) anzusehen ist. Ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ soll verständlicherweise keine Hilfen bekommen, da das Unternehmen sowieso zum Scheitern verurteilt ist. Der Einzelunternehmer, der die Hilfen gleichwohl beantragt, muss sie zurückerstatten und hat zudem strafrechtliche Konsequenzen zu fürchten.

Allerdings hat die natürliche Person anders als die juristische bekanntlich keine Insolvenzantragspflicht und kann von daher eine selbstständige Tätigkeit trotz Zahlungsunfähigkeit fortsetzen. Auch sind bei einem Einzelunternehmer gewerbliche und persönliche Verbindlichkeiten nicht zu trennen. So kann die natürliche Person eine gewinnbringende, den Lebensunterhalt sichernde selbstständige Tätigkeit ausüben, aber durch private Verbindlichkeiten in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, Zwangsvollstreckungen erfahren und damit scheinbar auch hinsichtlich der Selbstständigkeit in Schwierigkeiten sein. Die Selbstständigkeit wiederum kann aber über einen Schutzantrag gem. § 850i ZPO und die Möglichkeiten eines Pfändungsschutzkontos durchaus trotz der privaten Verbindlichkeiten fortgesetzt werden und damit den Lebensunterhalt des Selbstständigen sichern. Das Verwaltungsgericht hat daher den zur ausgezahlten Corona-Soforthilfe ergangenen Rückforderungsbescheid zu Recht aufgehoben.

 

InsbürO 2022, 46: Vorlage an EuGH: Verstoß der SCHUFA gegen DSGVO bei längerer als 6-monatiger Datenspeicherung

VG Wiesbaden, Beschl. v. 31.08.2021 – 6 K 226/21.WI, ZInsO 2021, 2276 (unanfechtbar)

Aus der Begründung:

Rn. 37: Zur Überzeugung des vorlegenden Gerichts bestehen schon Zweifel, ob eine "Parallelhaltung" dieser Daten neben den staatlichen Registern bei einer Vielzahl privater Firmen überhaupt zulässig ist. Dabei ist zu beachten, dass … die Daten vielfach in Deutschland auf diesem Wege vorgehalten werden, was einen massiven Eingriff in das Grundrecht aus Art. 7 GrCh bedeutet. Dies vor allem, da eine solche "Datenhaltung" gesetzlich nicht geregelt ist und berechtigt, aber auch unberechtigt, massiv in die wirtschaftliche Betätigung eines Betroffenen eingreifen kann (…). … Rn. 46: Da es vorliegend um die grds. Frage der Datenspeicherung aus öffentlichen Registern bei privaten Unternehmen geht und im Bejahensfall um die Frage, wann diese Daten bei diesen zu löschen sind, wird das vorliegende Verfahren ausgesetzt und dem EuGH vorgelegt.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Wir hatten zur Frage der Datenspeicherung u.a. zuletzt OLG Schleswig (Urt. v. 02.07.2021 – 17 U 15/21, InsbürO 2021, 454) veröffentlicht. Es hatte entscheiden, dass die Information über eine Restschuldbefreiung innerhalb der Frist in § 3 Abs. 2 InsoBekV zu löschen ist, also sechs Monate nach Rechtskraft der Restschuldbefreiung. Zu diesem Urteil ist ein Revisionsverfahren beim BGH anhängig: VI ZR 225/21. Mit der vorstehenden Vorlage an den EuGH sind nunmehr zumindest schon einmal zwei Entscheidungen von höheren Gerichten zu diesem Themenbereich zu erwarten.

 

 

Einkommen

InsbürO 2022, 37 ff.: Elterngeld als Einkommen des Unterhaltsberechtigten

LG Landshut, Beschl. v. 07.07.2021 - 34 T 1673/21, WKRS 2021, 28583

Leitsatz des Verfassers:

Elterngeld ist bei einer Entscheidung nach § 850c Abs. 4 ZPO (jetzt Abs. 6 ZPO) als Einkommen des Unterhaltsberechtigten anzurechnen.

Anmerkung Prof. Dr. Hugo Grote, Köln:

Das LG Landshut vertritt die Auffassung, dass Elterngeld im Rahmen einer Entscheidung nach § 850c Abs. 6 ZPO (früher § 850 Abs. 4 ZPO) in voller Höhe als Einkommen des Unterhaltsberechtigten anzusehen ist. Dabei setzt es sich ausführlich mit den verschiedenen Meinungen in der Literatur auseinander, in der eine Vollanrechnung bislang zum Teil mit dem Argument abgelehnt wurde, der Mindestbetrag des Elterngeldes diene nicht als Lohnersatz, sondern als Ausgleich für die mit der Elternschaft verbundenen Mehraufwendungen, was entsprechend zu seiner Unpfändbarkeit führe. Das LG Landshut vertritt die Auffassung, dass es auf die Unpfändbarkeit nicht ankomme und verweist darauf, dass Elterngeld auch bei der Grundsicherung als Einkommen des Hilfesuchenden angerechnet werde, so dass es auch im Rahmen eines Antrags nach § 850c Abs. 6 ZPO berücksichtigt werden müsse. Die Entscheidung ist sicher vertretbar, das LG Landshut hat dennoch die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen, da diese Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde. Falsch liegt das LG Landshut allerdings bei der Bemessung des Bedarfs der Ehefrau i.H.v. 601,50 €, die es nicht beanstandet. Bei der Berechnung ist die Vorinstanz offenbar von dem Bedarf einer volljährigen Person und einem Besserstellungszuschlag i.H.v. 50 % ausgegangen. Nicht berücksichtigt hat es dagegen die Wohnkosten der Ehefrau. Denn auch wenn diese - wie das Gericht zutreffend ausführt - bei einem Zusammenleben mehrerer Personen nicht proportional steigen, so ist dennoch klar, dass sie steigen und dass zwei Personen einen höheren Wohnungsbedarf haben als eine alleinstehende Person, was im Rahmen einer Entscheidung nach § 850c Abs. 6 ZPO zu berücksichtigen ist. Dieses hatte der BGH in seiner Entscheidung vom 09.07.2020 noch einmal klargestellt. Diese Entscheidung war dem LG Landshut aber möglicherweise noch nicht bekannt.

 

 

Restschuldbefreiungsverfahren

InsbürO 2022, 40 ff.: Keine Auf- bzw. Verrechnung gem. § 51 bzw. 52 SGB I nach Erteilung der RSB

Thür. LSG, Urt. v. 08.06.2021 - L 12 R 331/18 (rkr.)

Leitsatz des Bearbeiters:

Die Aufrechnung und Verrechnung eines öffentlichen Leistungsträgers nach §§ 51, 52 SGB I ist nach Erteilung der Restschuldbefreiung nicht mehr möglich.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Erfreulich deutlich bezieht das Thüringer Landessozialgericht hier Stellung zu der umstrittenen Frage, ob ein öffentlicher Leistungsträger auch noch nach Erteilung der Restschuldbefreiung mit Forderungen auf- oder verrechnen darf, die vor Insolvenzeröffnung begründet wurden. Das bayerische Landessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 21.03.2018 (L 13 R 25/17, InsbürO 2018, 403) insolvenzrechtlich nicht nachvollziehbar diese Möglichkeit der Auf- und Verrechnung nach Erteilung der Restschuldbefreiung anerkannt, während sich das Landessozialgericht für NRW klar gegen diese Ansicht positioniert hat (Urt. 15.03.2018 - L 19 AS 1286/17, InsbürO 2018, 316 = ZInsO 2018, 1280).

Da das Bundessozialgericht - Revision anhängig für die Entscheidung des bay. LSG unter: B 13 R 123/18 - noch keine abschließende Entscheidung getroffen hat, sind die Hinweise des Thüringer LSG auf zwei einschlägige Entscheidungen des BSG (Urt. v. 16.12.2015 - B 12 KR 19/14 R, WKRS 2015, 39575 und BSG, Urt. v. 14.03.2013 - B 13 R 5/11 R, WKRS 2013, 37975) eine wertvolle Argumentationshilfe für die Praxis. In der Entscheidung vom 14.03.2013 (vgl. vorstehend) hat das BSG deutlich formuliert: „Nach Erteilung der Restschuldbefreiung … dürfte die … Beitragsforderung der DRV Mitteldeutschland allerdings nicht mehr durchsetzbar sein.“

 

InsbürO 2022, 46 f.: Keine vorzeitige Restschuldbefreiung bei fehlendem Ausgleich der Verfahrenskosten innerhalb des 5-Jahres-Zeitraums

AG Dortmund, Beschl. v. 20.10.2021 – 260 IK 90/16, ZInsO 2021, 2640

Aus der Begründung:

Nach der Entscheidung des BGH vom 19.09.2019 (IX ZB 23/19) ist die vorliegend erst nach Ablauf der Dauer von 5 Jahren seit der Insolvenzeröffnung (…) erfolgte Antragstellung zur vorzeitigen Erteilung der Restschuldbefreiung unschädlich, so dass der Schuldnerantrag … grds. zulässig ist. … Gem. der Vorschrift des § 300 Abs. 1 S. 2 InsO geht die Tilgung der Kosten (dort S. 2, 1. Hs.) den Möglichkeiten/Zeitpunkten der Verkürzung des Verfahrens (dort S. 2, 2. Hs. Ziff. 1 - 3) voran, so dass die Tilgung der Kosten vor den jeweiligen Zeitpunkten der unter Ziff. 1 - 3 genannten Möglichkeiten/Fristen als zwingende Voraussetzung zur Erlangung einer vorzeitigen Restschuldbefreiung anzusehen ist.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das AG Dortmund verweist auf die Argumentation des Gesetzgebers zur Begründung des Entwurfes des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (s. BT-Drucksache 17/11268 S. 30/31). Dort heißt es: „… wenn der Schuldner innerhalb von fünf Jahren zumindest seine Verfahrenskosten begleicht …“. Das LG Darmstadt (Beschl. v. 17.06.2021 – 5 T 146/21, InsbürO 2021, 376) hatte dies anders gesehen. Das AG Dortmund hält diese Ansicht aber für nicht überzeugend, da sie überhaupt nicht auf die Argumentation des Gesetzgebers und das sich aus der Regelung des § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 – 3 InsO (a.F.) ergebende Anreizprinzip eingehen würde.

                  

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2022, 47: Keine Haftung des Insolvenzverwalters für Abfallbeseitigung bei ordnungsgemäßer Freigabeerklärung

OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 09.06.2021 – 11 B 20.16, ZInsO 2021, 1920

Zum Sachverhalt:

Die Klägerin ist Grundstückseigentümerin und hatte das Grundstück an die Insolvenzschuldnerin verpachtet. Es geht um eine abfallrechtliche Ordnungsverfügung der Beklagten.

Aus der Begründung:

Zu beanstanden ist … nicht, dass der Beklagte im angegriffenen Bescheid nicht erwogen hat, den Insolvenzverwalter heranzuziehen. Es kann hier dahinstehen, ob und wodurch konkret der Insolvenzverwalter Abfallbesitz erlangt hat. Denn jedenfalls hat dieser unstreitig den Betrieb der Insolvenzschuldnerin nicht fortgeführt, die Stilllegung der Anlage … angezeigt und die auf dem Grundstück lagernden Abfälle vor dem maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheides an die Klägerin … aus der Insolvenzmasse freigegeben, was einen Insolvenzverwalter von einer durch Abfallbesitz begründeten Entsorgungspflicht grds. befreit (…).

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde nicht zugelassen, da keine grds. Bedeutung vorliege. Das OVG verweist auf die in der Begründung aufgeführten Entscheidungen des BVerwG, aus der sich die im Streit stehende Frage klären lasse.

 

InsbürO 2022, 47: Sittenwidrige Schädigung durch vorsätzliche Insolvenzverschleppung

BGH, Urt. v. 27.07.2021 - II ZR 164/20, ZInsO 2021, 2093

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)

Amtliche Leitsätze:

  • Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i.S.d. § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird.
  • Der Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung erfasst Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Wir hatten das der vorstehenden Entscheidung zugrundeliegende Urteil des OLG Karlsruhe (v. 09.09.2020 – 6 U 109/19) mit näherer Sachverhaltsdarstellung in InsbürO 2021, 49 veröffentlicht. Der Kläger machte gegen den Geschäftsführer einer insolventen GmbH die Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens geltend, die bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung nicht angefallen wären. Der BGH bestätigt den geltend gemachten Anspruch und damit den Schutz der Neugläubiger.

 

 

Eigenverwaltung

InsbürO 2022, 47: (Nicht-)Anwendung von einschlägiger Fassung des § 272 InsO

BVerfG, Beschl. v. 17.08.2021 – 2 BvR 1086/21, ZInsO 2021, 2021

Zum Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (= Inhaber des verkauften insolventen Unternehmens, nunmehr Arbeitnehmer beim Erwerber) beanstandet die Aufhebung der Eigenverwaltung, die auf Anregung des Sachwalters erfolgte, und wendet ein, dass auf das vorliegende Insolvenzverfahren gem. Art. 103m EGInsO die bis zum 31.12.2020 geltenden Vorschriften weiterhin Anwendung fänden. Nach § 272 InsO a.F. sei eine Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung von Amts wegen nicht zulässig.

Aus der Begründung:

Rn. 16: Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. … Rn. 17: Ein Richterspruch verstößt nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG dann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG), wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. … Rn. 18: … Das Amtsgericht hat mit Art. 103m EGInsO eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt. … Rn. 20: Für die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung war § 272 InsO in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung maßgeblich. Danach war entweder der Antrag der Gläubigerversammlung, eines absonderungsberechtigten Gläubigers bzw. Insolvenzgläubigers oder des Schuldners selbst notwendig. An einem solchen Antrag fehlt es hier. … Eine Aufhebung von Amts wegen sieht das maßgebliche Gesetz (anders als die durch das SanInsFoG mit Wirkung vom 01.01.2021 neu gefasste Vorschrift des § 272 InsO) offensichtlich nicht vor. Rn. 21: Damit ist das AG … von einer Rechtslage ausgegangen, welche eindeutig nicht einschlägig ist.

 

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2022, 47: Bei Eigenantrag kein Anfechtungsausschluss durch COVInsAG

OLG München, Beschl. v. 20.10.2021 – 5 U 4809/21, ZInsO 2021, 2450 (rkr.)

Aus der Begründung:

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, weil das LG zutreffend erkannt hat, dass vorliegend § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG nicht eingreift. … Denn in der Stellung eines Eigeninsolvenzantrags manifestiert sich der Entschluss der Insolvenzschuldnerin, die Privilegierung durch das COVInsAG nicht in Anspruch nehmen zu wollen. Dann besteht aber auch keine Veranlassung, abweichend vom Grundsatz der Gleichbehandlung Gläubiger zu bevorzugen, da die Unanfechtbarkeit bestimmter kongruenter Deckungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG lediglich einen Reflex der Schuldnerprivilegierung in der Pandemiesituation nach § 1 Abs. 1 Satz 1 COVInsAG darstellt.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Berufung wurde aufgrund des gerichtlichen Hinweises zurückgenommen. Wir hatten die zugrundliegende Entscheidung des LG München I (Urteil v. 13.07.2021 – 6 O 17571/20) in InsbürO 2021, 415 veröffentlicht. Dieses war auf einen weiteren Sachverhalt eingegangen, nämlich, dass nach dem Sinn und Zweck der Privilegierung durch das COVInsAG deutlich werde, dass die Regelungen nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur für solche Gläubiger gelten solle, die in einem vertraglichen Verhältnis mit dem Schuldner stehen würden, was für Sozialversicherungsträger und die Finanzverwaltung bspw. nicht der Fall sei. Auf diesen Aspekt geht das OLG München leider nicht ein.

 

InsbürO 2022, 48: Anfechtung einer Gewinnausschüttung als wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung

BGH, Urt. v. 22.07.2021 - IX ZR 195/20, ZInsO 2021, 2156

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtliche Leitsätze:

  • Beschließt der Alleingesellschafter einer GmbH, einen festgestellten Gewinn auf neue Rechnung vorzutragen, kann der aus einem später gefassten, auf Ausschüttung des Gewinnvortrags gerichteten Gewinnverwendungsbeschluss folgende Zahlungsanspruch eine wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung darstellen.
  • Eine Behandlung als wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung scheidet aus, wenn bereits zum Zeitpunkt des ersten, auf einen Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung gerichteten Gesellschafterbeschlusses eine Gewinnausschüttung nicht vorgenommen werden durfte, weil und soweit die Auszahlung zu diesem Zeitpunkt eine Unterbilanz herbeigeführt oder vertieft hätte.

Aus der Begründung:

Rn. 19: Die Regelungen in §§ 135 Abs. 1 Nr. 2, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO setzen die Überlassung von Fremdkapital weder ihrem Wortlaut noch ihrem Sinn und Zweck nach voraus.

 

 

Steuerrecht

InsbürO 2022, 35 ff.: Einordnung von Einkommensteuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten

FG Düsseldorf, Urt. v. 19.11.2020 - 14 K 303/18 E, ZInsO 2021, 462

Leitsätze der Bearbeiter:

1. Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und (sonstigen) Masseverbindlichkeiten richtet sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Die Verwirklichung des Besteuerungstatbestandes richtet sich allein nach steuerrechtlichen Grundsätzen. Entscheidend ist, wann der Tatbestand, an den die Besteuerung knüpft, vollständig verwirklicht ist. Auf die Entstehung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis kommt es nicht an.

2. Für den Fall der unterjährigen Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist die einheitliche Steuerschuld im Steuerfestsetzungsverfahren in eine Insolvenzforderung, eine Masseforderung und eine insolvenzfreie Forderung aufzuteilen. Eine Aufteilung kann im Wege einer Schätzung nach Zeitanteilen entweder auf der Grundlage von 360 oder 365 Kalendertagen erfolgen.

3. § 55 Abs. 2 InsO, nach der der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter Masseverbindlichkeiten begründen kann, ist auf den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter nicht analog anwendbar.

4. Nach § 55 Abs. 4 InsO gelten auch Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Diese Regelung findet auch auf die Einkommensteuer Anwendung.

5. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen der schwache vorläufige Insolvenzverwalter im Bereich der Einkommensteuer Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO begründen kann, richtet sich nach der rechtlichen Befugnis des vorläufigen Verwalters und wie er diese ausübt.   

Anmerkung RA Oliver Arend und Dr. Christian Tenbergen, Münster:

Gegenstand der Entscheidung ist die Einordnung von Einkommensteuer-verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten nach der bis zum 31.12.2020 gültigen Fassung des § 55 Abs. 4 InsO. Das FG hat der Klage des Insolvenzverwalters stattgegeben und die Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. InsO a.F. verneint. Die vom BFH zur Umsatzsteuer entwickelten Rechtsgrundsätze, wonach Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Absatz 4 InsO nur im Rahmen der für den vorläufigen Verwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse begründet werden können, hat das FG auf die Einkommensteuer übertragen. Das FG begründet seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass es für die Massebegründungstatbestände nach § 55 Abs. 1 und 2 InsO, die durch § 55 Abs. 4 InsO letztlich nur erweitert würden, auf die insolvenzrechtlich bestehenden rechtlichen Befugnisse ankomme. Der Kläger sei bis zur Insolvenzeröffnung auch nicht berechtigt gewesen, die abgetretenen Forderungen einzuziehen oder in anderer Weise zu verwerten. Eine solche rechtliche Befugnis stehe ihm gem. § 166 Abs. 2 InsO erst ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu.

Der Entscheidung ist lediglich im Ergebnis zuzustimmen. Wie bereits Harder/Dannemann kritisch anmerken, ist hinsichtlich der Begründung von Masseverbindlichkeiten bei Ertragsteuern vielmehr danach zu differenzieren, ob sich der Forderungseinzug des vorläufigen schwachen Insolvenzverwalters auf Altforderungen bezieht, die ausschließlich durch den (nachmaligen) Insolvenzschuldner begründet wurden oder Gegenstand des Forderungseinzuges Forderungen sind, bei denen der vorläufige Verwalter mitgewirkt hat. Nur im letztgenannten Fall stellen die aufgrund des Forderungseinzuges entstehenden Einkommensteuern Masseverbindlichkeiten dar; im erstgenannten Fall bleibt es bei der Einordnung als Insolvenzforderungen.  Für diese Weichenstellung streitet der Umstand, dass dem vorläufigen Insolvenzverwalter kein Erfüllungswahlrecht i.S.d. §§ 103 ff. InsO zusteht. In Ermangelung einer Gestaltungsbefugnis hinsichtlich völlig autonom durch den Insolvenzschuldner gesetzter Tatbestände erscheint insofern die Annahme einer nach § 55 Abs. 4 InsO a.F. erforderlichen Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters fernliegend.

Zwischenzeitlich argumentiert zudem der Reformgesetzgeber in der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO, dass „Verwerfungen“ bei der (Nicht-)Begründung von Masseverbindlichkeiten vor allem dort entstehen, wo der Schuldner die durch seine Tätigkeit entstehende Steuer von einem Dritten zum Zwecke der Abführung an den Fiskus erhalten hat. Da folglich keine wesentlichen Gestaltungsmöglichkeiten zum Nachteil des Fiskus im Bereich der Ertragssteuern gesehen werden, beschränkt sich die Neufassung auf die Umsatz-, Lohn- und Verbrauchsteuern.

Die durch das SanInsFOG mit Wirkung zum 01.01.2021 in Kraft getretene Fassung des      § 55 Abs. 4 InsO nimmt nunmehr seinem eindeutigen Wortlaut nach Einkommensteuerverbindlichkeiten aus dem Regelungsbereich der Norm heraus. Die Neuregelung findet Anwendung auf alle Insolvenzverfahren, für die ein Insolvenzantrag nach dem 31.12.2020 gestellt wurde.

Damit ist die besprochene Entscheidung für aktuelle Insolvenzverfahren mit Antragstellung ab dem 01.01.2021 nicht mehr relevant. Für zahlreiche Altverfahren hat das FG jedoch mit der Zulassung der Revision den Weg zur Schaffung von Rechtssicherheit durch den BFH eröffnet. Das Revisionsverfahren ist dort unter Az. X R 36/20 anhängig. In vergleichbaren Altfällen sollte im Hinblick auf die anstehende Entscheidung des BFH ein Ruhen des Verfahrens beantragt werden.

 

InsbürO 2022, 48 ff.: Ermittlungs- und Nachweislast bzgl. Fahrzeuge wg. Kfz-Steuerfestsetzung gegen die Insolvenzmasse

FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.06.2021 – 8 K 8013/20, WKRS 2021, 31889 (n. rkr.)

Zum Sachverhalt:

Die Schuldnerin ist eine GmbH, die einen Einzelhandel mit Pkws und die Vermietung solcher betreibe. Der Geschäftsführer erläuterte gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter, dass keinerlei Fahrzeuge im Eigentum der Schuldnerin standen, sondern Gegenstand von Leasingverträgen waren.

Aus der Begründung:

Die angefochtenen 23 Steuerfestsetzungen sind rechtmäßig und verletzen den Kläger (= Insolvenzverwalter) nicht in seinen Rechten (…). Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass Kraftfahrzeugsteuer gegenüber der Masse festzusetzen war, weil es sich um eine Masseverbindlichkeit handelt. … Für die Beurteilung der Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit kommt es nicht auf eine tatsächliche Verwendungsmöglichkeit der Kfz und damit auf deren Nutzung für die Insolvenzmasse an. Maßgebend ist vielmehr, ob die Kfzs Teil der Insolvenzmasse sind. Unerheblich ist auch allein die Haltereigenschaft, da die Rechtsposition des Halters eines Kfz kein Vermögen i.S.d. § 35 InsO ist (BFH, Urt. v. 13.04.2011, II R 49/09, …). … Der Kläger hat nicht nachweisen können, dass die Kfz nicht zur Masse gehörten. Zwar hat der Beklagte keine Ermittlungen zum Sachverhalt angestellt und sich allein auf die Zulassung und Haltereigenschaft berufen, obgleich er grds. für steuererhöhende Tatsachen die Feststellungslast trägt. Allerdings hätte es wegen der Beweisnähe des Klägers allein diesem oblegen, zureichende Anhaltspunkte gegen eine Masseeigenschaft vorzutragen. Dem ist er weder nach insolvenzrechtlichen noch nach steuerrechtlichen Maßstäben nachgekommen. … Der zuständigen Zulassungsbehörde angezeigte Halterwechsel oder Abmeldungen hat der Beklagte nachvollzogen. … Es widerspricht der wirtschaftlichen Logik und der allgemeinen Lebenserwartung, das nicht mehr existente Kfz auf neue Halter zugelassen werden. … Der Insolvenzverwalter hat zwar nicht jeder Auskunft grds. mit Argwohn gegenüberzutreten, er muss aber bei hinreichenden Anhaltspunkten für abweichende Geschehensabläufe auf Auskünfte hinwirken und ggf. gem. § 98 Abs. 1 Satz 1 InsO zur Herbeiführung wahrheitsgemäßer Aussagen über das Insolvenzgericht eidesstattliche Versicherungen zur Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskünfte einholen. Der Insolvenzverwalter verletzt bereits seine Pflicht, wenn er ohne eigene Prüfung auf vom Schuldner vorgelegte Unterlagen zurückgreift (…). … Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger als Insolvenzverwalter seinen insolvenzrechtlichen Pflichten (Masseermittlung) hinreichend nachgekommen ist, da gerade die Ermittlung der Kfz den Schwerpunkt in diesem Insolvenzverfahren gewesen wäre.


Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die vorstehende Entscheidung zeigt mal wieder, wie wichtig die Recherchearbeit des Insolvenzbüros ist. Anfragen bei den Kfz-Zulassungsstellen, bei den Vertragspartnern von Leasingverträgen, bei den Kfz-Versicherungen etc. Alle Hinweise, die man irgendwie bekommen kann, sollten für eine Prüfung genutzt werden, um einen Überblick über etwaige Vermögenswerte – hier insbesondere über Fahrzeuge - zu bekommen. Insoweit geht es ja nicht nur um die Vermeidung von Kfz-Steuern zulasten der Insolvenzmasse, sondern auch um die Ermittlung von Vermögensmasse, wenn sich nämlich Fahrzeuge ermitteln lassen, die doch im Eigentum der Schuldnerin stehen sollten. So sind bspw. auch Anfechtungsansprüche bei Verkauf unter Wert denkbar. Sollten vom Geschäftsführer keine ausreichenden Unterlagen vorgelegt, muss man versuchen, anhand der Kennzeichen in der Auskunft der Kfz-Zulassungsstelle näheres in Erfahrung zu bringen. Auch Buchungen auf Kontoauszügen sind häufig sehr hilfreich, weil man Hinweise zu Versicherungen oder Vertragspartnern erhält. Hier ist vieles denkbar. Das Gericht hat jedenfalls die Revision wg. grds. Bedeutung zugelassen. Es sei nicht hinreichend geklärt, ob die Finanzbehörde – wie im Regelfall – die Feststellungslast für das Vorhandensein eines Steuergegenstands in der Masse trifft oder ob sie sich auf die Haltereigenschaft berufen kann und es einem Insolvenzverwalter obliegt, die Nichtmasseeigenschaft nachzuweisen, selbst wenn der Geschäftsführer der Insolvenzschuldner eine weitere Mitwirkung verweigert, denn in diesem Fall käme es im Ergebnis abermals zu einer Art Massevermutung bei Zulassung durch einen Insolvenzschuldner. Die Revision wurde auch eingelegt. Das Verfahren ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe beim BFH unter dem AZ: IV R 18/21 anhängig.

 

InsbürO 2022, 49: Zur Kfz-Steuerfestsetzung gegen die Masse bei erfolgloser Ermittlungsarbeit über den Kfz-Verbleib

FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.06.2021 – 8 K 8232/19, ZInsO 2021, 2521 (n. rkr.)

Aus der Begründung:

Der Kläger (= Insolvenzverwalter) ist durch die streitgegenständlichen Steuerfestsetzungen zu Lasten der Masse in seinen Rechten verletzt (…), da der Beklagte nicht nachweisen konnte, dass die Kfz zur Masse gehörten. … Der Kläger hat … hinreichend dargelegt, welche Ermittlungen er hinsichtlich der Masse vorgenommen hatte und warum er weder sonstiges Vermögen noch die Kfz … in Besitz und Verwaltung nehmen konnte. … Insoweit hat er ferner dargelegt, dass sämtliche weitere Ermittlungen einen höheren Aufwand zu Lasten der Masse bedeutet hätten, als ein Ermittlungserfolg zu Gunsten der Masse versprochen hätte. … Da der Kläger als Insolvenzverwalter seinen Pflichten nach dem Insolvenzrecht hinreichend nachgekommen war, wäre es an dem Beklagten nachzuweisen, dass die strittigen Kfz nicht nur von der Insolvenzschuldnerin gehalten wurden, sondern auch zur Masse gehörten. Entsprechende Nachweise konnte auch der Beklagte nicht vorlegen.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Mit dieser Entscheidung hat das Gericht die Ermittlungen des Insolvenzverwalters ausreichen lassen. Gleichwohl hat es die Revision wg. grds. Bedeutung zugelassen mit der Frage: „Trifft die Feststellungslast für das Vorhandensein eines Steuergegenstands in der Masse die Finanzbehörde, wenn der Insolvenzverwalter verhältnismäßige Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt hat, damit aber die Massezugehörigkeit oder den Verbleib auf den Schuldner zugelassener Kfz nicht aufklären konnte? Wie weit reicht die Mitwirkungspflicht des Insolvenzverwalters?“ Das Verfahren wird zum Zeitpunkt der Druckfreigabe unter dem AZ: IV R 16/21 geführt.

 

InsbürO 2022, 49 f.: Verfassungswidrigkeit der Verzinsung von 0,5 % für Steuernachforderungen und -erstattungen ab 2014

BVerfG, Beschl. v. 08.07.2021 – 1 BvR 2237/14, WKRS 2021, 33007

Zwei von drei Leitsätzen des Gerichts:

1. Der Gesetzgeber kann bei der Auswahl eines Zinsgegenstands und der Bemessung eines Zinssatzes typisierende Regelungen treffen und dabei in erheblichem Umfang die Praktikabilität mit dem Ziel der Einfachheit der Zinsfestsetzung und -erhebung berücksichtigen. Zinsregelungen müssen grds. in der Lage sein, den mit ihnen verfolgten Belastungsgrund realitätsgerecht abzubilden. Werden Zinsen als steuerliche Nebenleistungen allein zum Zweck des Vorteilsausgleichs erhoben, muss die Differenzierung nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen werden, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Zins abgegolten werden soll.

2. Die typisierende Festlegung des Zinssatzes ist trotz grds. Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers nicht mehr zu rechtfertigen, wenn dieser Zinssatz unter veränderten tatsächlichen Bedingungen oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage weder durch die maßstabsbildend zugrunde gelegten noch durch sonstige geeignete Kriterien getragen ist.

Aus der Begründung:

Rn. 2: § 233a AO regelt die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen. Die Verzinsung betrifft den Zeitraum zwischen der Entstehung der Steuer – … - und ihrer Festsetzung (Grundsatz der Vollverzinsung). Der Zinslauf beginnt allerdings nicht bereits mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, sondern erst nach einer zinsfreien Karenzfrist von grds. 15 Monaten. Die Zinsen betragen nach § 238 Abs. 1 AO für jeden vollen Monat des Zinslaufs 0,5 %. … Rn. 101: § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ist verfassungswidrig, soweit er in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume betrifft. Die mit der Regelung bewirkte Ungleichbehandlung ist für diesen Zeitraum verfassungsrechtlich nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen. Für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2013 bewegt sich der Gesetzgeber dagegen noch im Rahmen seiner Gestaltungsbefugnis. … Rn. 242: Eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der AO zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO, kommt dagegen nicht in Betracht.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Mit der vorstehenden (77 Seiten umfassenden) Entscheidung ist noch nicht geklärt, ob sich die verfassungsrechtlichen Bedenken auch auf Säumniszuschläge nach § 240 AO erstrecken, die erhoben werden, wenn die Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt wird. Für diese Frage ist beim BFH ein Revisionsverfahren zum Zeitpunkt der Druckfreigabe unter dem AZ: VII B 53/19 anhängig.

 

 

Arbeitsrecht

InsbürO 2022, 50: Keine automatische Urlaubsgewährung bei behördlich angeordneter Quarantäne

ArbG Bonn, Urt. v. 07.07.2021 – 2 Ca 504/21, ZInsO 2021, 2401 (n. rkr.)

Leitsätze des Gerichts:

1. Für eine Nichtanrechnung von Urlaubstagen gem. § 9 BUrlG bedarf es eines ärztlichen Zeugnisses. Eine behördliche Isolierungsanordnung ist nach dem Sinn und Zweck zum Nachweis nicht ausreichend, da keine Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers erfolgt.

2. Für eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG auf eine behördliche Isolierungsanordnung aufgrund der Infektion mit SARS-CoV-2 besteht mangels planwidriger Regelungslücke und vergleichbarer Sachverhalte kein Raum. Eine Infektion mit SARS-CoV-2 führt nicht in jedem Fall zu einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.

Aus der Begründung:

Aus der Ordnungsverfügung der Stadt … geht zwar hervor, dass die Klägerin an dem Coronavirus (SARS-CoV-2) erkrankt ist. Eine Beurteilung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin ist in der Ordnungsverfügung hingegen nicht erfolgt und obläge auch nicht der Stadt ... Die Beurteilung der Folgen einer Erkrankung auf den konkreten Arbeitsplatz obliegt vielmehr einem Arzt. Nur dieser ist berechtigt, die Arbeitsfähigkeit eines Arbeitnehmers zu prüfen und zu bescheinigen. Hierbei sind die Anforderungen der Richtlinie über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit zu beachten. … Soweit die Klägerin einwendet, dass es ihr unmöglich gewesen sei, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erhalten, da sie sich in häuslicher Isolation befunden habe, ist dem nicht zu folgen. Vielmehr war gemäß … bis jedenfalls zum 31.12.2020 die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach telefonischer Anamnese bis zu einer Höchstdauer von 14 Tagen möglich.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Aufgrund der besonderen Bedeutung des Sachverhaltes wurde die Berufung zugelassen. Diese wurde auch eingelegt. Das Verfahren ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe beim LArbG Köln unter dem AZ: 2 Sa 488/21 anhängig.

             

 

Immobilienvermögen

InsbürO 2022, 50: Grundstücksrückübertragung durch Anfechtung erfasst auch eingetragenes Wohnungsrecht

KG, Beschl. v. 07.10.2021 – 1 W 342/21, ZInsO 2021, 2480

Leitsatz des Gerichts:

Veräußert ein Eigentümer ein Grundstück unter gleichzeitiger Bestellung eines Wohnrechts daran zu seinen Gunsten und wird das Eigentum, nachdem das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden ist, auf Anfechtung des Insolvenzverwalters auf ihn zurück übertragen, fällt nicht nur das Eigentum, sondern auch das Wohnungsrecht in die Insolvenzmasse und der Insolvenzverwalter ist befugt, gegenüber dem Grundbuchamt die Löschung des Wohnungsrechts im Grundbuch zu bewilligen (in Abgrenzung zu: OLG München, Beschl. v. 14.09.2010 – 34 Wx 72/10 …).

Aus der Begründung:

Der Beteiligte zu 1 (= Insolvenzschuldner) hat durch seine jetzige Eintragung in Abt. I des Grundbuchs das Eigentum an dem Grundstück nicht erstmalig erworben. Vielmehr war er bereits dessen Eigentümer, bevor er es – in anfechtbarer Weise – auf die Beteiligte zu 3 übertrug. Dabei wurde zu seinen Gunsten zugleich das Wohnungsrecht im Grundbuch eingetragen. Jedenfalls für diese Fallgestaltung ist es gerechtfertigt, das Wohnungsrecht als der Insolvenzmasse angehörig zu betrachten. … Bei Personenidentität hat der Eigentümer jederzeit Einfluss auf die Zulässigkeit der Ausübung des Wohnungsrechts durch einen anderen. Insoweit unterscheidet er sich nicht von dem Inhaber unbelasteten Eigentums. Dann bedarf er aber auch nicht des Schutzes des § 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB … Infolgedessen ist das Wohnungsrecht des Beteiligten zu 1 durch die Rückübertragung des Eigentums am Grundstück auf ihn zwar zunächst bestehen geblieben, § 889 BGB. Die Vereinigung beider Rechte in seiner Person hat aber die Pfändbarkeit des Wohnungsrechts zur Folge und dessen Übergang in die von dem Beteiligten zu 4 (= Insolvenzverwalter) zu verwaltenden Insolvenzmasse. Der Beteiligte zu 4 war danach befugt, über das Wohnungsrecht zu verfügen.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Es wurde die Rechtsbeschwerde wg. grds. Bedeutung zugelassen und auch eingelegt. Das Verfahren ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe im BGH unter dem AZ: V ZB 64/21 anhängig.

 

 

Insolvenztabelle

InsbürO 2022, 42 ff.: Fristen für die Anmeldung des Attributs „Steuerstraftat“ zur Insolvenztabelle

FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 05.07.2021 - 16 K 11072/19, ZInsO 2021, 2106 (n. rkr.)

Gerichtliche Leitsätze:

1. Die rechtskräftige Verurteilung wegen einer Steuerstraftat muss noch nicht zum Zeitpunkt der Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle vorgelegen haben; bisher ungeklärt ist, ob sie bis zum Schlusstermin oder bis zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung vorliegen muss.

2. Bei der Anmeldung der Forderung zur Tabelle müssen auch keine Umstände angegeben werden, aus denen sich die Steuerstraftat ergibt. Das Attribut „Zusammenhang mit einer Steuerstraftat“ kann vielmehr nachträglich angemeldet werden (bis zum Ablauf der Abtretungsfrist).

3. Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob für den Streit über die Feststellung des Attributs „Zusammenhang mit einer Steuerstraftat“ der Zivilrechtsweg oder der Finanzrechtsweg gegeben ist.

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Beantragt ein Schuldner Restschuldbefreiung und ist er wegen einer Steuerstraftat rechtskräftig verurteilt oder erfolgt eine solche Verurteilung während eines laufenden Insolvenzverfahrens, hat das Finanzamt zwei Optionen: Es kann Versagung der Restschuldbefreiung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO beantragen. Im Falle der Versagung kann der Schuldner spätestens nach Ablauf der Dreijahresfrist einen erneuten Antrag stellen. Der Fiskus erhält allenfalls eine Quote.

Das Finanzamt kann die Forderung aber auch gem. § 302 Nr. 1 InsO anmelden mit der Folge, dass insoweit keine Restschuldbefreiung erfolgt, sofern der Schuldner nicht widerspricht bzw. im Fall des Widerspruchs eine entsprechende Feststellung erfolgt. Die Streitfrage, ob eine derartige Feststellung auf dem Finanzrechtsweg oder in der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu erfolgen hat, ist in dem vorliegenden (stark gekürzt wiedergegebenen) Urteil zwar problematisiert, letztendlich aber nicht entschieden worden. Ebenso konnte dahinstehen, ob die rechtskräftige Verurteilung bis zum Schlusstermin oder bis zur Entscheidung über den Antrag auf Restschuldbefreiung erfolgt sein muss (wobei die letztgenannte Alternative systemfremd erscheint).

Die Revision wurde wg. grds. Bedeutung zugelassen und auch eingelegt. Das Verfahren ist beim BFH unter dem AZ: VII R 23/21 anhängig.

 

InsbürO 2022, 50 f.: Keine negative Feststellungsklage durch Insolvenzverwalter bei bestrittener Forderung ohne Titel

OLG Hamm, Urt. v. 24.02.2021 – I-8 U 2/20, ZInsO 2021, 2485 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Eine gesetzliche Krankenkasse hatte ca. 8,5 Mio. EUR zur Insolvenztabelle angemeldet, die der Insolvenzverwalter bestritt. Gegenüber der Gläubigerin erläuterte er seine rechtlichen Gründe dafür und bat um Rücknahme der Anmeldung. Ohne diese Forderung könnten die anderen Insolvenzgläubiger vollständig befriedigt werden und weitere mögliche Ansprüche müssten nicht verfolgt werden. Da bis 2 Wochen nach öffentlicher Bekanntgabe des Verteilungsverzeichnisses die Erhebung einer Feststellungsklage durch die Gläubigerin als Risiko bestünde, sei es geboten, diese rechtliche Unsicherheit durch eine negative Feststellungsklage von Seiten des Insolvenzverwalters aufzulösen.

Leitsatz des Gerichts:

Für die Klage eines Insolvenzverwalters auf Feststellung, dass sein gegen eine zur Tabelle angemeldete Forderung erhobener Widerspruch begründet sei, fehlt i.d.R. das Feststellungsinteresse.

Aus der Begründung:

Es genügt zur Bejahung der Zulässigkeit einer negativen Feststellungsklage grds., dass der Gegner sich eines Anspruchs berühmt, den der Klagende bestreitet und geklärt wissen möchte (…). Diese Voraussetzungen lägen vorliegend grds. vor, denn die Beklagte hat sich mit der Anmeldung des streitgegenständlichen Anspruchs zur Insolvenztabelle ernstlich einer solchen Berechtigung berühmt und der Kläger als Insolvenzverwalter hat dem Anspruch widersprochen und möchte dessen Schicksal in dem vorliegenden Rechtsstreit verbindlich geklärt wissen. Unter Berücksichtigung der besonderen insolvenzrechtlichen Vorschriften …, insbesondere der §§ 179 – 181 InsO, geht der Senat jedoch in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, … davon aus, dass eine negative Feststellungsklage des Insolvenzverwalters gegen eine von ihm bestrittene Forderung grds. mangels besonderen Feststellungsinteresses unzulässig ist und nur in – vorliegend nicht gegebenen – Ausnahmefällen zulässig sein kann. … Dies erscheint im Einzelfall jedenfalls auch deshalb als sachgerecht, weil die Beklagte trotz der wiederholten Aufforderungen des Klägers aus gutem Grund untätig geblieben ist: Die für das Bestehen ihrer angemeldeten Forderung dem Grunde nach u.a. bedeutsame Frage der Rückforderbarkeit der vom Fiskus erhobenen USt. war steuerrechtlich komplex und unklar und befand sich noch in einer mehrjährigen finanzgerichtlichen Klärung. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Kläger seine negative Feststellungsklage ungeachtet der grds. Unzulässigkeit (…) zur Unzeit erhoben.      

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die negative Feststellungsklage ist nach § 179 Abs. 2 InsO nur dann für den Insolvenzverwalter geboten und sogar erforderlich, wenn er Widerspruch gegen eine angemeldete Forderung erhebt, für die ein Vollstreckungstitel vorliegt. Auf genau diese Vorschrift geht das OLG Hamm ausführlich näher ein und prüft, ob sich daraus ein Anspruch des Klägers im vorliegenden Fall herleiten lässt, was es aber im Ergebnis ablehnt. Es wurde zwar die Zulassung der Revision vom Insolvenzverwalter beantragt. Diese ist aber nicht erfolgt.        

 

               

Vergütungsrecht

InsbürO 2022, 51: Bestimmung der Vergütung eines abgewählten Insolvenzverwalters

AG Norderstedt, Beschl. v. 18.06.2021 - 66 IN 70/13, ZInsO 2021, 1987 (rkr.)

Einer von vier amtlichen Leitsätzen:

Hat ein Insolvenzverwalter die Masse durch eine von ihm begangene unerlaubte Handlung gemehrt, kann es gerechtfertigt sein, den hierauf entfallenden Mehrbetrag nicht in die Berechnungsgrundlage seiner Vergütung einzubeziehen. Für die Annahme, der Insolvenzverwalter habe eine masseanreichernde unerlaubte Handlung begangen, wird i.a.R. aber eine rechtskräftige Verurteilung des Insolvenzverwalters wegen einer solchen vorliegen müssen.

Aus der Begründung:

Es erscheint mit der öffentlichen Ordnung unvereinbar, aus unerlaubten Handlungen noch einen finanziellen Nutzen ziehen zu können. Insbesondere scheint es nicht vorstellbar, dass der Gesetz- / Verordnungsgeber mit einer Vergütung rechtswidriger Schädigungshandlungen bedenkenlos einverstanden wäre.