18.09.2020

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

September 2020

 

Eröffnungsverfahren

InsbürO 2020, 381: Einzelermächtigung wegen Corona-Unsicherheit ohne aussagekräftige Liquiditätsplanung

AG Köln, Beschl. v. 09.05.2020 – 70a IN 81/20, ZInsO 2020, 1263 (rkr.)

Aus der Begründung:

In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren die Schuldnerin Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 2 InsO begründen kann, wenn sie gestützt auf § 21 Abs. 1 InsO hierzu vom Insolvenz-gericht ermächtigt wird (vgl. etwa AG Köln, Beschl. v. 26.3.20212 – 73 IN 125/12). Die Voraussetzungen liegen vor. … Die Anordnung konnte erlassen werden, auch wenn für das Gericht derzeit nicht abschätzbar ist, ob und in welchem Umfang nach Eröffnung des Verfahrens freies Vermögen vorhanden ist, um die Rückzahlung des Darlehns zu gewährleisten. Die eingereichte Liquiditätsplanung ist hier nicht genügend aussagekräftig, zumal sie mit KW 31 (27.7. bis 02.08.2020) und damit potenziell vor oder unmittelbar im Zeitraum einer möglichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet. Allerdings ist angesichts der aktuellen Situation, in der der Einzelhandel gerade erst wieder anläuft, eine seriöse Prognose über mehrere Monate ohnehin nicht möglich.

 

InsbürO 2020, 381: Rechtsweg gegen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Insolvenzeröffnung gegen Arrestschuldner

BGH, Beschl. v. 10.06.2020 – 5 Ars 17/19, WKRS 2020, 25750

(ARS = zuständiger Senat für Allgemeine Register und Gerichtsstandsbestimmungen)

Leitsätze des Gerichts:

1. Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, nach § 111i Abs. 2 StPO einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, ist der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet.

2. Der Überprüfung unterliegt dabei nur, ob die Voraussetzungen des § 111i Abs. 2 StPO vorliegen.

 

Aus der Begründung:

Rn. 1: Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass ein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen nach § 111i Abs. 2 StPO rechtswidrig gewesen sei. … Rn. 3: … Zugleich hat das LG gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c StGB) i.H.v. 17 Mio. € angeordnet und mit Beschluss vom selben Tage einen Vermögensarrest in sein bewegliches und unbewegliches Vermögen in dieser Höhe zu Gunsten des Justizfiskus NRW zur Sicherung der Vollstreckung des Einziehungsbetrages aufrechterhalten. Rn. 4: Nach den Feststellungen des LG, …, soll der Beschwerdeführer zwischen … 2012 und … 2016 als Apotheker bei der Zubereitung von Krebsmedikamenten keinen oder weniger als den verordneten Wirkstoff zugefügt haben. Für mindestens 14.498 solcher Zubereitungen soll er nach … Abrechnung über einen Dienstleister von den gesetzlichen Krankenkassen zu Unrecht insgesamt 13.605.408 € erhalten haben. … Rn. 5: Die StA Essen hat … die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beschwerdeführers nach § 111i Abs. 2 StPO beantragt, weil sein Vermögen die Ansprüche der Verletzten wahrscheinlich nicht abdecken werde. Bei ihr waren gem. § 111l Abs. 3 StPO Forderungen von Krankenkassen i.H.v. über 32 Mio. € angemeldet worden. … Rn. 33: Nach § 111i Abs. 2 Satz 1 StPO stellt die Staatsanwaltschaft nur dann einen Antrag auf Eröffnung des Vermögens des Insolvenzschuldners, wenn es mehrere Verletzte gibt und der Wert des in Vollziehung des Vermögensarrestes gesicherten Gegenstandes oder des durch dessen Verwertung erzielten Erlöses nicht ausreichen, um die Ansprüche der Verletzten auf Ersatz des Wertes des Erlangten, die ihnen aus der Tat erwachsen sind und von ihnen gegenüber der Staatsanwaltschaft geltend gemacht werden, zu befriedigen ("Mangelfall", vgl. BT-Drucks. 18/9525, S. 80; …). … Rn. 35: Nach diesen Maßstäben ist die Staatsanwaltschaft zu Recht von einem "Mangelfall" ausgegangen.

 

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2020, 377 f.: Insolvenzbeschlag am Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung

BGH, Beschl. v. 18.06.2020 - IX ZB 11/19, WKRS 2020, 27233

Leitsatz des Bearbeiters:

Der Anspruch auf Entschädigung wegen einer Diskriminierung durch Ungleichbehandlung kann abgetreten sowie gepfändet werden und fällt damit in die Insolvenzmasse.

 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Die vorliegende Entscheidung des 9. Zivilsenats des BGH ist vom Ergebnis her zunächst nachvollziehbar. Das vom Schuldner erlittene Unrecht, sein immaterieller Schaden war hier nicht besonders groß. Er wird die eher abstrakte Benachteiligung nicht als Mobbing erlebt haben. Etwas schwieriger ist es, dem BGH bei seiner Unterscheidung von pfändbarem und unpfändbarem Schmerzensgeld zu folgen. Schmerzensgeld wegen sexuellem Missbrauch im kirchlichen Bereich ist unpfändbar (BGH, Beschl. 22.05.2014 - IX ZB 72/12, InsbürO 2014, 445 = ZInsO 2014, 1213), Schmerzensgeld wegen zu Unrecht erlittener Stasihaft aber pfändbar (BGH, Beschl. v. 10.11.2011 - IX ZA 99/11, InsbürO 2012, 33 = ZInsO 2012, 147), der immaterielle Ersatzanspruch wegen der überlangen Verfahrensdauer eines Amtshaftungsverfahrens hingegen wieder unpfändbar (BGH, Urt. 24.03.2011 - IX ZR 180/10, ZInsO 2011, 772). Auch wenn der BGH die möglichen Unterscheidungskriterien noch einmal lehrreich aufzählt, ist eine eindeutige Beurteilung wohl nur möglich, wenn eine gesetzliche Regelung zur Unpfändbarkeit vorliegt. Soll die Unpfändbarkeit aber aus §§ 851, 399 BGB hergeleitet werden, muss es sich um einen höchstpersönlichen Anspruch handeln oder ein Gläubigerwechsel darf nicht gerechtfertigt sein oder die Leistung muss mit der geschädigten Person unlösbar verknüpft sein. Die Anwendung dieser sehr auslegungsfähigen Kriterien ist für die Praxis schwierig, so dass die Beteiligten zur Klärung eine gerichtliche Entscheidung anstreben sollten. Dies gilt auch für die noch offene Frage der Pfändbarkeit des Anspruchs wegen einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts.

 

InsbürO 2020, 381: Zur Verlängerung der Verfahrenskostenstundung auch nach Ablauf von 4 Jahre

LG Göttingen, Beschl. v. 03.06.2020 – 10 T 28/20 (rkr.)

Mit Beschl. v. 28.12.2015 hat das AG dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt … Mit Beschl. v. 12.05.2020 hat das AG … die dem Schuldner gewährte Stundung der Verfahrenskosten verlängert und gleichzeitig monatlich zu zahlende Raten i.H.v. 88 €, …, festgesetzt. … Der frühere Schuldner kann sich nicht darauf berufen, dass die Vierjahresfrist des § 4b Abs. 2 Satz 4 InsO abgelaufen ist und deshalb eine Änderung zum Nachteil des früheren Schuldners nicht mehr erfolgen kann. … Das AG hat den früheren Schuldner bereits mit Schreiben v. 01.10.2019 und damit rechtzeitig vor Ablauf der Vierjahresfrist aufgefordert, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen, … Hätte der frühere Schuldner umgehend und inner-halb der ihm gesetzten Fristen auf die gerichtlichen Anfragen reagiert, wäre eine fristgerechte Beschlussfassung möglich gewesen. … Da mithin die Änderung zum Nachteil des früheren Schuldners nicht auf einer Verzögerung des Gerichts, sondern ausschließlich auf dem Verhalten des früheren Schuldners beruht, kann er sich hier nicht auf den Fristablauf berufen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Schuldner die gebotene Anzeige seiner geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse gem. § 4b Abs. 2 InsO unterlassen hat.

 

InsbürO 2020, 382: Zulässigkeit der Aufrechnung durch eine Kassenzahnärztliche Vereinigung

BSG, Urt. v. 11.12.2019 – B 6 KA 10/18 R, WKRS 2019, 59793

(KA = zuständiger Senat für Vertragsarztrecht bzw. Vertragszahnarztrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 40: Gemäß diesen in § 69 Abs 1 SGB V vorgegebenen Grundsätzen muss vor einer Anwendung von Vorschriften des BGB im Kontext des Vertrags(zahn)arztrechts hinsichtlich jeder einzelnen Norm gesondert geprüft werden, ob und ggf. mit welchen Modifikationen sie unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Leistungserbringungsrechts des SGB V auf die dort ausgestalteten Rechtsbeziehungen übertragen werden kann (…). Diese Prüfung ergibt hier, dass die bürgerlich-rechtlichen Regelungen des § 406 BGB in den Rechtsbeziehungen zwischen einem Vertrags(zahn)arzt, seiner Kassenzahnärztliche Vereinigung und dem Neugläubiger (Zessionar) eines vertrags(zahn)ärztlichen Honoraranspruchs nur in modifizierter Form Anwendung finden können. Die Einschränkungen, die § 406 BGB für eine Wirksamkeit der Aufrechnung ab der Kenntnis von der Abtretung einer Forderung anordnet ("... es sei denn, dass er bei dem Erwerb der Forderung von der Abtretung Kenntnis hatte oder dass die Forderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist"), sind auf die von einer K(Z)ÄV vorgenommenen Aufrechnungen gegenüber abgetretenen Honorarforderungen in bestimmten Konstellationen nicht anwendbar. Insoweit gilt vielmehr, dass die K(Z)ÄV als Schuldnerin der Honorarforderung bestimmte, ihr gegen den Vertrags(zahn)arzt zustehende Forderungen auch gegenüber dem neuen Gläubiger der Honorarforderung aufrechnen kann. … Rn. 44: Der Senat verkennt nicht, dass mit dieser aufgrund von § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V im Vertrags(zahn)arztrecht geltenden erweiterten Aufrechnungsbefugnis der K(Z)ÄV die Sicherungswirkung einer zur Praxisfinanzierung vereinbarten Globalzession künftiger Honoraransprüche in gewisser Weise eingeschränkt wird. Diese Rechtsfolge entspricht jedoch der Rechtsprechung des BGH zu den Grenzen der Wirksamkeit von Globalzessionen.

 

InsbürO 2020, 382: Keine Wiedereinsetzungsmöglichkeit zur Erfüllung der Voraussetzungen für vorzeitige Restschuldbefreiung gem. § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO

BGH, Beschl. v. 28.05.2020 – IX ZB 50/18, WKRS 2020, 26804

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Zum Sachverhalt und aus der Begründung:

Rn. 7: … Der Schuldner werde überdies nicht unzumutbar belastet, wenn er unter Hinweis auf eine fehlende Auskunftsverpflichtung des Treuhänders bzw. Insolvenzverwalters und des Insolvenzgerichts darauf verwiesen werde, eigene Betragsermittlungen anzustellen und ggf. (vorsorglich) auch einen größeren Betrag als für die gesetzlich verlangten 35 % Befriedigungsquote zzgl. Verfahrenskosten erforderlich fristgerecht einzuzahlen. … Rn. 9: Mit Beschluss vom 19.09.2019 (IX ZB 23/19, … Rn. 14 ff) hat der BGH entschieden, die Entscheidung über die vorzeitige Restschuldbefreiung nach § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO setze voraus, dass die vorgesehene Mindestbefriedigungsquote innerhalb von drei Jahren nach Insolvenzeröffnung erreicht werde. … Rn. 10: Der BGH hat bisher offengelassen, ob die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend auf die Ausschlussfrist des § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO anzuwenden sind (BGH, …). Diese Frage muss auch im vorliegenden Fall nicht beantwortet werden. … Rn. 11: … Eine Wiedereinsetzung in die Frist des § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO setzte … ein unverschuldetes Fristversäumnis voraus (§ 233 Satz 1 ZPO). Die § 234 ZPO zu entnehmende Antragsfrist müsste gewahrt sein und innerhalb dieser Frist der zur Erreichung der Mindestbefriedigungsquote erforderliche Betrag nachgeschossen werden (vgl. § 236 Abs. 2 Satz 2 Hs 1 ZPO). Letzteres ist nicht der Fall. … Rn. 12: Die Antragsfrist von zwei Wochen (vgl. § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ist durch den Zugang des Schreibens des weiteren Beteiligten (= Treuhänder) vom 03.08.2017 bei dem Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners am 09.08.2017 in Lauf gesetzt worden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt waren auf Seiten des Schuldners alle zur Berechnung des nachzuschießenden Betrags erforderlichen Umstände bekannt und damit ein zuvor möglicherweise bestehendes Hindernis behoben (vgl. § 234 Abs. 2 ZPO).

 

 

Einkommen

InsbürO 2020, 382 f.: Pfändung der Corona-Soforthilfe ist unzulässig

BHF, Beschl. v. 09.07.2020 - VII S 23/20 (AdV)

(VII. Senat = zuständig u.a. für Verbrauchsteuern, Marktordnung, allgemeines Abgabenrecht)

Einer von zwei gerichtlichen Leitsätzen:

NV: Bei der Corona-Soforthilfe handelt es sich aufgrund ihrer Zweckbindung um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 399 Alt. 1 BGB regelmäßig nicht pfändbare Forderung.

 

Aus der Begründung:

Rn. 8: Das FA vertrat die Ansicht, dass mangels Legaldefinition der "Relevanz für die Existenzsicherung" die Tilgung von älteren Steueransprüchen nicht einer etwaigen Zweckbindung der Corona-Soforthilfe widerspräche. … Rn. 27: Sie soll insbesondere Liquiditätsengpässe, die seit dem 01.03.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind, überbrücken. Ausdrücklich nicht umfasst sind nach dem Bescheid vor dem 01.03.2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe. … Die Mittel sind zur Finanzierung von Verbindlichkeiten für fortlaufende erwerbsmäßige Sach- und Finanzausgaben vorgesehen, wobei die Entscheidung darüber, welche Ausgaben damit getätigt werden und in welcher Reihenfolge damit Forderungen erfüllt werden, nach den Förderbestimmungen allein dem Empfänger der Soforthilfe obliegt, der eine zweckentsprechende Verwendung später auch zu verantworten hat. Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls bei summarischer Prüfung im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass das FG den Anspruch auf Soforthilfe als i.S.d.  § 851 Abs. 1 ZPO aufgrund der Zweckbindung nicht übertragbar und damit unpfändbar angesehen und diesen Gedanken auch auf die bereits ausgezahlten Mittel übertragen hat.

 

InsbürO 2020, 383: Zur Pfändbarkeit eines Taschengeldes in einer Pflegeeinrichtung

BGH, Beschl. v. 30.04.2020 – VII ZB 82/17, ZInsO 2020, 1368

(VII. Senat = u.a. zuständig für Zwangsvollstreckungsrecht)

Amtlicher Leitsatz:

Der Anspruch des sich in einer Pflegeeinrichtung befindlichen Schuldners gegen den Träger der Pflegeeinrichtung auf Auszahlung des gegenwärtig auf einem „Taschengeld-konto“ verwalteten Guthabens sowie die künftigen Ansprüche des Schuldners gegen den Träger der Pflegeeinrichtung auf Auszahlung der jeweils monatlich auf dem „Taschengeldkonto“ eingehenden Geldbeträge sind gem. § 851 Abs. 1 ZPO, § 399 1. Fall BGB jeweils bis zu der Höhe unpfändbar, die in § 27b Abs. 3 SGB XII für den angemessenen Barbetrag geregelt ist. Diese Vorschriften stehen einer Pfändbarkeit indes grds. nicht entgegen, soweit das jeweils vorhandene Guthaben den sich aus § 27b Abs. 3 SGB XII für einen Monat anzusetzenden Betrag übersteigt.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Nach § 27b Abs. 3 SGB XII (= notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen) beträgt der Barbetrag für erwachsene Personen mindestens 27 % der Regelbedarfsstufe 1. Danach werden seit dem 01.01.2020 monatlich 432 EUR gezahlt. 27 % hiervon ergeben 116,64 €.

 

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2020, 383: 5-jähriger Haftungszeitraum für Teilrückzahlungen einer Kommanditisteneinlage

OLG Hamburg, Urt. v. 31.01.2020 – 11 U 90/19, ZInsO 2020, 1033

Leitsätze des Gerichts:

1. Im Falle der Herabsetzung des Haftkapitals ist eine vormals begründete Außenhaftung des Kommanditisten für Altverbindlichkeiten analog § 160 HGB auf fünf Jahre begrenzt.

2. Für den Fristbeginn des § 160 HGB ist nicht erst auf die spätere Eintragung der Herabminderung der Haftsumme in das Handelsregister abzustellen, wenn die Gläubiger bereits zuvor positive Kenntnis von der Herabsetzung des Haftkapitals hatten (Anschluss an OLG Dresden, Beschl. v. 08.07.2019 – 8 U 925/19; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.10.2019 – 20 U 8/19; Abgrenzung zu OLG Düsseldorf, Urt. v. 01.08.2019 – I-6 U 156/18).

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Frage des Beginns der Nachhaftungsfrist im Falle einer Haftkapitalherabsetzung in der KG sei zwar bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Jedoch bestehe in der Kommentarliteratur und in der bisher ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung Einigkeit darüber, dass die inhaltlich eng verwandte Rechtsprechung des BGH betreffend das Ausscheiden eines persönlich haftenden Gesellschafters aus der OHG bzw. KG auf den streitgegenständlichen Fall der Haftkapitalherabsetzung zu übertragen sei. Allein der Umstand, dass Amts- und Landgerichte verschiedentlich eine solche Übertragung abgelehnt haben, lässt die Beantwortung der sich stellenden Frage noch nicht als zweifelhaft erscheinen.  Es wurde jedoch Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Sie ist beim BGH unter dem AZ: II ZR 38/20 anhängig.

 

 

Eigenverwaltung

InsbürO 2020, 383: Befugnis des vorläufigen Sachwalters zur Einrichtung eines Insolvenzsonderkontos für die künftige Insolvenzmasse

AG Dresden, Beschl. v. 10.07.2019 – 532 IN 876/19, ZInsO 2020, 1261 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Der vorläufige Sachwalter hatte beim Insolvenzgericht einen Antrag auf Ermächtigung zur Einrichtung eines Sonderkontos gestellt.

Aus der Entscheidung:

Bei der vorläufigen Eigenverwaltung verbleibt die Verfügungsbefugnis beim Schuldner. Allerdings kann der vorläufige Sachwalter originär den Zahlungsverkehr nach §§ 270a Abs. 1 Satz 2, 275 Abs. 2 InsO an sich ziehen, mithin also bestimmen, dass er alle eingehenden Gelder entgegennimmt und alle Zahlungen ausschließlich von ihm geleistet werden (Übernahme Kassenführung). Diese Ermächtigung ergibt sich direkt aus dem Gesetz und bedarf keiner zusätzlichen gerichtlichen Ermächtigung des vorläufigen Sachwalters (…). Zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs bedarf der vorläufige Sachwalter aber eines Kontos. … Da der (vorläufige) Sachwalter … bei Errichtung des Sonderkontos als gesetzlicher Vertreter des Schuldners handelt und die Errichtung des Sonderkontos als "Annex" von der Regelung des § 275 Abs. 2 InsO erfasst ist, bedarf es keiner weiteren Ermächtigung. Insoweit "folgt die Befugnis unmittelbar aus der Aufgabe". Einer gerichtlichen Ermächtigung bedarf der vorläufige Sachwalter aber in Form einer sog. "Einzelermächtigung", wenn für die Einrichtung und Unterhaltung des Sonderkontos Kosten in Form von Gebühren im Eröffnungsverfahren anfallen, die nicht vorab oder im Wege der Abschlagszahlung vor Verfahrenseröffnung ausgeglichen werden können (z.B. wegen quartalsmäßiger Abrechnung erst nach Eröffnung).

 

 

Insolvenzplanverfahren

InsbürO 2020, 383 f.: Fortbestand einer GmbH als Option in Insolvenzplan Voraussetzung für entsprechende Eintragung im Handelsregister

BGH, Beschl. v. 8.04.2020 – II ZB 3/19, ZInsO 2020, 1244

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)

Leitsätze des Gerichts:

1. Ein Insolvenzplan sieht den Fortbestand einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung bereits dann i.S.v. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG vor, wenn er die Fortsetzung der Gesellschaft als Möglichkeit darstellt.

2. Die Fortsetzung der Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG setzt voraus, dass noch nicht mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens unter die Gesellschafter begonnen worden ist.

 

Zum Sachverhalt:

Es wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Die Auflösung der GmbH wurde im Handelsregister eingetragen. Es erging ein rechtskräftiger Insolvenzplan und das Insolvenzverfahren wurde aufgehoben. Die Gesellschafterin der Schuldnerin beschloss die Fortsetzung der Gesellschaft, was zum Handelsregister angemeldet wurde. Dieses lehnte die Eintragung wegen der klaren fehlenden Regelung im Insolvenzplan ab.

 

Aus der Begründung:

Rn. 31: … Demgegenüber lassen sich dem Insolvenzplan keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Antragstellerin mit Hilfe des Plans abgewickelt werden soll. Das ist nach den oben dargelegten Maßstäben ausreichend. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts muss der Insolvenzplan kein Konzept über die Art und Weise der Geschäftsfortführung enthalten. … Rn. 50: Für die Abgrenzung der wirtschaftlichen Neugründung durch eine Mantelverwendung von der (bloßen) Umorganisation oder Sanierung einer (noch) aktiven GmbH ist entscheidend, ob die Gesellschaft noch ein aktives Unternehmen betreibt, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs - sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebiets - in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpft, oder ob es sich tatsächlich um einen leer gewordenen Gesellschaftsmantel ohne Geschäftsbetrieb handelt, der seinen - neuen oder alten - Gesellschaftern nur dazu dient, unter Vermeidung der rechtlichen Neugründung einer die beschränkte Haftung gewährleistenden Kapitalgesellschaft eine gänzlich neue Geschäftstätigkeit - ggf. wieder – aufzunehmen (…).

 

 

Steuerrecht

InsbürO 2020, 384: Leistungsgebot wegen steuerlicher Masseverbindlichkeiten gegenüber früherem Insolvenzschuldner

FG Düsseldorf, Beschl. v. 25.03.2020 – 11 V 3249/19, ZInsO 2020, 1134 (rkr.)

Leitsätze des Gerichts:

1. Nach Einstellung des Insolvenzverfahrens wegen Masseunzulänglichkeit kann gegen den früheren Insolvenzschuldner ein Leistungsgebot wegen der vom Insolvenzverwalter durch Abgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung begründeten steuerlichen Masseverbindlichkeiten einschließlich Zinsen und Säumniszuschlägen ergehen.

2. Masseverbindlichkeiten werden durch die Restschuldbefreiung nicht berührt.

3. Die Einrede einer begrenzten insolvenzrechtlichen Nachhaftung ist erst im Abrechnungs- bzw. Vollstreckungsverfahren zu prüfen und stellt die Rechtmäßigkeit des Leistungsgebots nicht in Frage.

Aus der Begründung:

Eine derartige unbillige Härte liegt nach der Rechtsprechung des BFH vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Zahlung Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder schwer wiedergutzumachen wären oder wenn die wirtschaftliche Existenz gefährdet würde (…).

                  

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das FG Düsseldorf verweist u.a. auf die BFH-Entscheidung vom 28.11.2017 (VII R 1/16, InsbürO 2018, 242 = WKRS 2017, 33651), die Diplom-Finanzwirt und RR Busch in seinem Jahresrückblick auf wichtige finanzgerichtliche Entscheidungen im Jan. 2019 zuletzt erläutert hatte (InsbürO 2019, 13 ff.). Die Entscheidung der Nachhaftung für offene Masseverbindlichkeiten sei Ausfluss aus dem Besteuerungsprinzip. Steuerpflichtiger nach § 33 Abs. 1 AO und damit Steuerschuldner sei weiterhin der Insolvenzschuldner (Inhaltsadressat der Steuerbescheide); in seiner Person würden die steuerlichen Sachverhalte verwirklicht.

 

InsbürO 2020, 384: Vollstreckung von Umsatzsteuer-Rückständen gegen Schuldner nach Beendigung Eigenverwaltung

FG Düsseldorf, Beschl. v. 06.05.2020 – 5 V 2487/19, ZInsO 2020, 1498 (rkr.)

Leitsätze des Gerichts:

1. Nach Einstellung des Insolvenzverfahrens kann sich der Schuldner nicht mehr auf das nach § 210 InsO bestehende Vollstreckungsverbot für vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstandene Masseverbindlichkeiten berufen.

2. Eine Beschränkung der Nachhaftung des Insolvenzschuldners für Masseverbindlichkeiten besteht mangels eines zurechenbaren Handlungsbeitrags des Sachwalters nicht für Umsatzsteuer-Rückstände, die durch die Betätigung des Schuldners während eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung begründet wurden (im Anschluss an: BFH, Urt. v. 28.11.2017 – VII R 1/16, … – für Einkommensteuerschulden).

Aus der Begründung:

Der BFH hat sich in dieser Entscheidung mit der Rechtsprechung des BGH - … (u.a. … IX ZR 234/07) - auseinandergesetzt, … und sich dahingehend vom BGH abgegrenzt, dass diese Rechtsprechung nicht für Einkommensteuerschulden gelten könne, weil deren Entstehung nur mittelbar durch Handlungen des Insolvenzverwalters beeinflusst werde; insofern fehle es an einem zurechenbaren Handlungsbeitrag des Insolvenzverwalters (BFH, Urt. v. 28.11.2017 - VII R 1/16 …). Nichts anderes kann vorliegend hinsichtlich der Vollstreckung wegen der hier streitigen Umsatzsteuerrückstände gelten, die durch das alleinige Handeln des Antragstellers während des laufenden Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO), nämlich seiner Betätigung als Rechtsanwalt und den hierdurch erwirtschafteten Umsätzen, begründet wurden. Wie bei dem Sachverhalt, welcher der Entscheidung des BFH VII 1/16 (a.a.O.) zugrunde lag, fehlt es auch vorliegend hinsichtlich der Entstehung der hier streitigen Umsatzsteuerrückstände an einem zurechenbaren Handlungsbeitrag des Insolvenzverwalters bzw. vorliegend des Sachwalters, der eine Beschränkung der Vollstreckung nach Beendigung des Insolvenzverfahrens notwendig erscheinen ließe.

               

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der Haftungsumfang eines Schuldners nach Erteilung der Restschuldbefreiung wird mit dieser Entscheidung erweitert. Bislang konnten lediglich rückständige, als Masseverbindlichkeit nicht ausgeglichene Einkommensteuerbeträge gegen den Schuldner geltend gemacht werden. Nunmehr werden auch Umsatzsteuerbeträge aus einem Eigenverwaltungsverfahren umfasst. Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen.

 

InsbürO 2020, 385: Haftung des Abtretungsempfängers für Umsatzsteuerschulden

FG Münster, Urt. v. 23.04.2020 – 5 K 2400/17 U, WKRS 2020, 18809

Aus der Begründung:

Mit Haftungsbescheid vom … nahm der Beklagte die Klägerin (= Bank) gem. § 191 Abs. 1 AO i.V.m. § 13c UStG für Steuerschulden der D GmbH …in Haftung. … Die Klägerin war … Abtretungsempfängerin i.S.d. § 13c UStG. Der Haftungstatbestand umfasst alle Formen der Abtretung und damit auch die Abtretung bestimmter künftiger Forderungen aus bestehenden Geschäftsbeziehungen zugunsten eines Dritten im Zusammenhang mit Waren- oder Bankkrediten, insbesondere die Globalzession (BFH …). … Denn § 13c UStG ist auch im Fall der stillen Zession anzuwenden (…). … Soweit in der Literatur kritisiert wird, dass einem Kreditinstitut unangemessene Haftungsrisiken auferlegt würden, …, so folgt der Senat dem nicht. … Eine Nichthaftung steigert vielmehr die Gefahr, dass die Bank die Fortführung des Geschäfts (aus eigenen Interessen) ermöglicht und es hierdurch zu weiteren/höheren Steuerausfällen kommt.

               

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grds. Bedeutung zugelassen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen durch Eingang von Gutschriften auf einem Kontokorrentkonto im Fall der Überschreitung des vereinbarten Kreditrahmens eine Vereinnahmung i.S.d. § 13c UStG vorliege, sei noch nicht durch die Rechtsprechung des BFH geklärt und in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung sowie in der Literatur umstritten. Die Revision wurde auch eingelegt. Das Verfahren ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe dieser Ausgabe beim BFH unter dem AZ: V R 16/20 anhängig.

 

 

Arbeitsrecht

InsbürO 2020, 385: Unwirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige wg. irreführender Darstellungen

LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.07.2019 – 21 Sa 189/19, WKRS 2019, 41467

Leitsätze des Gerichts:

1. Arbeitgeber*innen dürfen eine Entscheidung oder eine Maßnahme, die sie unmittelbar zwingt, eine Massenentlassung vorzunehmen, erst treffen, wenn das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG abgeschlossen ist. Eine derartige Entscheidung oder Maßnahme kann auch die unwiderrufliche Freistellung oder Kündigung anderer Arbeitnehmer*innen sein, die für die Fortführung des Betriebs notwendig sind.

2. Eine Massenentlassungsanzeige ist unwirksam, wenn der oder die Arbeitgeber*in gegenüber der Agentur für Arbeit den Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat irreführend darstellt. Eine irreführende Darstellung ist u. a. gegeben, wenn er oder sie angibt, die beabsichtigte Massenentlassung mit dem Betriebsrat beraten zu haben, obwohl tatsächlich nur ein Austausch über die erforderlichen Informationen stattgefunden hat.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde wegen grds. Bedeutung sowie wegen Divergenz zu mehreren Entscheidungen des LAG Düsseldorf und anderer Kammern des LAG Berlin-Brandenburg zugelassen. Sie wurde auch eingelegt. Das Verfahren ist per Stand der Druckfreigabe beim BAG unter dem AZ: 6 AZR 569/19 anhängig.

 

 

Immobilienvermögen

InsbürO 2020, 385 f.: Mögliche Anfechtung von Mietzahlungen an Abtretungsgläubiger

BGH, Urt. v. 30.04.2020 – IX ZR 162/16, ZInsO 2020, 1471

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsätze des Gerichts:

1. Werden an den Grundpfandgläubiger Mieten gezahlt, die in den Haftungsverband des Grundpfandrechts fallen, benachteiligt dies die Gläubigergesamtheit, wenn die den Zahlungen zugrundeliegenden Mietforderungen nicht insolvenzfest beschlagnahmt waren und deshalb dem Gläubigerzugriff unterlagen; die Beschlagnahme kann vorgerichtlich auch durch eine Pfändung aufgrund des dinglichen Anspruchs vorgenommen werden (Ergänzung zu BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, BGHZ 182, 264 Rn. 17).

2. Erklärt sich der spätere Schuldner gegenüber einem Grundpfandgläubiger damit einverstanden, die aus dem Grundpfandrecht folgende Haftung von Mietforderungen in einer Art und Weise zu verwirklichen, die in ihren Wirkungen für das der Gläubigergesamtheit haftende Schuldnervermögen einer formellen Zwangsverwaltung entspricht, kann es am Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners fehlen, wenn die Erstreckung des Grundpfandrechts auf die Mietforderungen insolvenzfest ist.

Aus der Begründung:

Rn. 55: Grundlage der außergerichtlichen Verwaltung muss ein Grundpfandrecht sein, das sich anfechtungsfest auf die Miet- oder Pachtforderungen erstreckt. … Insbesondere dürfen sich für die Gläubigergesamtheit keine erheblichen wirtschaftlichen Nachteile ergeben gegenüber einer Zwangsverwaltung nach den §§ 146 ff ZVG (…).

 

 

Absonderung

InsbürO 2020, 386: Zum Ersatzabsonderungsrecht bei stillschweigend vereinbarter Einziehungsermächtigung und schuldbefreiender Leistung von Drittschuldnern an Schuldner

BGH, Urt. v. 12.12.2019 – IX ZR 26/19, ZInsO 2020, 296

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 7: … Nach § 48 InsO kann der Aussonderungsberechtigte, dessen Recht durch eine Verfügung des Schuldners oder des Verwalters vereitelt worden ist, die Abtretung des Rechts auf die Gegenleistung verlangen, soweit diese noch aussteht. Er kann die Gegenleistung aus der Masse verlangen, soweit sie dort noch unterscheidbar vorhanden ist. Auf Absonderungsrechte ist die Vorschrift des § 48 InsO entsprechend anwendbar (BGH, …). Weiter stellt die Einziehung einer zur Sicherheit abgetretenen Forderung eine "Veräußerung" i.S.d. § 48 InsO dar (BGH, …). An der im Rahmen des verlängerten Eigentumsvorbehalts an die Klägerin (= Lieferanten) abgetretenen Forderung hatte diese ein Absonderungsrecht gem. § 51 Nr. 1 InsO (vgl. BGH, …). Rn. 8: Voraussetzung eines Anspruchs aus § 48 InsO analog ist …, dass Schuldner oder Insolvenzverwalter vor oder nach Insolvenzeröffnung eine Forderung, an der ein Absonderungsrecht bestand, mit Wirkung gegen den Absonderungsberechtigten unberechtigt eingezogen haben, der Drittschuldner mithin befreiend an Schuldner oder Insolvenzverwalter geleistet hat. … Rn. 21: Allerdings hat die Klägerin die Schuldnerin ermächtigt, die ihr zur Sicherheit abgetretenen Forderungen einzuziehen. Zwar fehlt es an einer ausdrücklichen Ermächtigung in den Vertragsbedingungen. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die Schuldnerin stillschweigend zur Einziehung der Forderung ermächtigt worden ist, … Rn. 23: … Dabei verliert der Vorbehaltskäufer, der ihm zustehende Forderungen zur Absicherung von eigenen Verbindlichkeiten an den Vorbehaltsverkäufer abgetreten hat, die ihm in der Sicherungsvereinbarung eingeräumte Befugnis, die abgetretenen Forderungen einzuziehen, nicht ohne weiteres, wenn er in eine finanzielle Krise gerät, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt wird und ein sogenannter schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt wird. … Rn. 28: Ob die Klägerin … die erteilte Einziehungsermächtigung frei widerrufen konnte und ob - sollte sie die Einziehungsermächtigung erst widerrufen können und die Abtretung gegenüber der Drittschuldnerin erst offenlegen dürfen, wenn der Sicherungszweck gefährdet und die Schuldnerin sich vertragswidrig verhalten hätte - die Voraussetzungen für den Widerruf vorgelegen haben, ist nicht festgestellt. … Rn. 32: Ein Anspruch der Klägerin wegen Massebereicherung nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO scheidet aus, weil der Kaufpreis für die Werkzeuge vor der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Schuldnerin auf deren Geschäftskonto geflossen ist. … Rn. 33: Vielmehr hat er als vorläufiger Insolvenzverwalter die von der Schuldnerin auf ihren Geschäftskonten vereinnahmten Gelder auf ein Treuhandkonto überwiesen.

                     

InsbürO 2020, 386: Nachträglich erteilte Genehmigung eines unberechtigten Forderungseinzugs im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Vorbehaltskäufers

BGH, Urt. v. 12.12.2019 - IX ZR 27/19, ZInsO 2020, 188

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz des Gerichtes:

Die im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Vorbehaltskäufers nachträglich erteilte Genehmigung seines unberechtigten Forderungseinzugs ist unwirksam.

Aus der Begründung:

Rn. 38: Es ist richtig, dass jedenfalls im vorliegenden Fall die Genehmigung nach § 185 Abs. 2 BGB gem. § 91 Abs. 1 InsO unwirksam ist, … Die Norm (§ 91 InsO) schützt die Masse vor dem Verlust von Vermögensgegenständen, indem sie jeden Rechtserwerb für unwirksam erklärt, gleich auf welcher Rechtsgrundlage er beruht. Damit wird die haftungsrechtliche Zuweisung der Masse an die Gläubiger gegen Eingriffe gesichert, die in anderer Weise als durch Rechtshandlungen des Schuldners und Vollstreckungsmaßnahmen bewirkt werden (…). Rn. 39: … Erst durch die Genehmigung will die Klägerin (= Vorbehaltsverkäuferin) auf diese Massebestandteile zum Nachteil der anderen Insolvenzgläubiger zugreifen. Das aber verhindert § 91 InsO.

 

 

Insolvenztabelle

InsbürO 2020, 386: Präklusionswirkung für bereits vor Tabelleneintragung von Forderungsfeststellungsvermerks vorhandener materiell-rechtlicher Einwendungen

OVG NRW, Beschl. v. 16.12.2019 – 9 B 618/19, ZInsO 2020, 1076 (unanfechtbar)

Zum Sachverhalt:

Es läuft eine Vollstreckung gegen den Schuldner wegen offener Grundbesitzabgaben von mehr als 30.000 EUR. Der Schuldner hat für den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung PKH beantragt. Die Vollstreckung basiert auf einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Insolvenztabelle, nachdem dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt wurde.

Aus der Begründung:

Der Antragsteller ist vorliegend mit seinen … vorgebrachten Einwendungen gegen die von der Antragsgegnerin nunmehr (ausschließlich) aufgrund des vollstreckbaren Tabellenauszugs betriebene Vollstreckung wegen der von der Rechtskraftwirkung der Eintragung des Feststellungsvermerks ausgehenden Präklusionswirkung ausgeschlossen. Aufgrund dieser Präklusionswirkung sind nämlich - zur Absicherung der Rechtskraft des Titels und zum Schutz der Vollstreckung vor Verzögerungen - alle materiell-rechtlichen Einwendungen, deren tatsächliche Grundlagen bereits vor der Eintragung des Feststellungsvermerks in die Insolvenztabelle vorlagen, ausgeschlossen, und zwar unabhängig von der Kenntnis und vom Verschulden des Vollstreckungsschuldners.

               

 

Vollstreckungsrecht

InsbürO 2020, 379 f.: Keine Erzwingungshaft für Geldbußen aus Zeit vor Insolvenzeröffnung

LG Stuttgart, Beschl. v. 10.06.2020 - 9 Qs 29/20, ZInsO 2020, 1592

Gerichtlicher Leitsatz:

Die Anordnung von Erzwingungshaft gem. § 96 Abs. 1 OWiG ist als Maßnahme der Zwangsvollstreckung i.S.d. § 89 Abs. 1 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig, soweit sie Geldbußen betrifft, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden sind.

 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Sehr eingehend setzt sich das LG Stuttgart in dieser Entscheidung mit der auch 21 Jahre nach Inkrafttreten der InsO noch immer umstrittenen Frage auseinander, ob das Vollstreckungsverbot des § 89 InsO auch die Anordnung einer Erzwingungshaft erfasst. Bei insolvenzrechtlicher Betrachtung und Beachtung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung kann der Entscheidung nur zugestimmt werden. Auch der öffentliche Bußgeld-Gläubiger muss sich dem Insolvenzverfahren beugen und darf seine Forderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mit Zwang durchsetzen, um sich so einen Vorteil gegenüber den weiteren Gläubigern zu verschaffen. Gründe außerhalb des Insolvenzrechts, die eine Anordnung der Erzwingungshaft rechtfertigen könnten, sieht das LG Stuttgart ausdrücklich nicht. Somit haben nun folgende Landgericht die Anordnung der Erzwingungshaft nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für unzulässig erklärt:

• LG Duisburg, Beschl. v. 05.07.2017 - 69 Qs 22/17, InsbürO 2017, 429 = WKRS 2017, 17237

• LG Bochum, Beschl. v. 04.12.2012 - 9 Qs 86/12, InsbürO 2013, 240 = WKRS 2012, 32379

• LG Dresden, Beschl. v. 20.07.2012 - 5 Qs 95/11

• LG Hannover, Beschl. v. 07.09.2009 - 48 Qs (OWi) 101/09

• LG Hechingen, Beschl. v. 24.05.2007 - 1 Qs 49/07 OWi.

 

Für zulässig halten die Erzwingungshaft:

• LG Offenburg, Beschl. v. 07.08.2018 - 3 Qs 38/18

• LG Deggendorf, Beschl. v. 28.03.2012 - 1 Qs (b) 62/12, ZInsO 2012, 2206.

Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens in der Wohlverhaltenszeit setzt sich im Übrigen das Vollstreckungsverbot gem. § 294 Abs. 1 InsO fort.

 

InsbürO 2020, 387: Aussetzung der Vollziehung zwecks Aufhebung öffentlich-rechtlicher Verstrickung

LG Stuttgart, Beschl. v. 18.03.2020 – 19 T 145/19, ZInsO 2020, 1324 (rkr.)

Aus der Begründung:

Die Verstrickung wird hierbei auch beseitigt, sofern das Vollstreckungsorgan die Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens aussetzt, ohne die Pfändung insgesamt aufzuheben (BGH, Urt. v. 21.09.2017 – IX ZR 40/17, ZInsO 2017, 2267; AG Hamburg-Altona, NZI 2019, 673; AG Dresden, ZInsO 2018, 1581).

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Eine weitere Entscheidung zur streitigen Thematik, ob zur Aufhebung der öffentlich-rechtlichen Verstrickung die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme oder nur deren Aussetzung erforderlich ist. Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes (Pfändungsschutz-Fortentwicklungsgesetz – PkoFoG) nimmt sich dieser Problematik der Praxis leider nicht an (s. Binner, InsbürO 2020, 275). Dies hat auch der VID in seiner Stellungnahme vom 11.06.2020 zu diesem vorgenannten Gesetzesentwurf kritisiert (InsbürO 2020, 314)