17.03.2022

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Märzheft 2022

 

Einkommen

InsbürO 2022, 126 f.: Entgeltumwandlung in der Einzelzwangsvollstreckung auch nach Lohnpfändung möglich

BAG, Urt. v. 14.10.2021 - 8 AZR 96/20, ZInsO 2022, 149

Leitsatz des Bearbeiters:

Auch wenn bereits eine Pfändung des Arbeitseinkommens des Schuldners vorliegt, können die Arbeitsvertragsparteien noch eine Umwandlung von Lohn in Leistungen in eine betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung) vereinbaren, auch wenn sich hierdurch der pfändbare Lohnanteil verringert.
 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Das BAG zeigt hier Schuldnern, die von einer Pfändung ihres Arbeitseinkommens betroffen sind, eine interessante Gestaltungsmöglichkeit auf, wenn sie die Möglichkeiten einer Altersvorsorge über eine Direktversicherung noch nicht nutzen. Sie können auch bei vorliegender Pfändung ihr Arbeitseinkommen um den zulässigen Anteil von aktuell 276 € reduzieren und diesen Betrag vom Arbeitgeber in eine Direktversicherung einzahlen lassen und hierdurch eine Altersabsicherung aufbauen. Allerdings sollten hierbei einige Aspekte bedacht werden, denn zum einen ist das Auszahlungsguthaben in einer Direktversicherung pfändbar (BGH, Beschl. v. 11.11.2010 - VII ZB 87/09, WKRS 2010, 27968) und damit auch massezugehörig (BGH, Beschl. v. 20.12.2018 - IX ZB 8/17, InsbürO 2019, 195 = ZInsO 2019, 318), wenn der Schuldner den Weg in ein Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung wählt. Ob dies auch gilt, wenn der Schuldner sich nicht für eine Einmalzahlung aus der Direktversicherung, sondern für eine monatliche Rentenzahlung entscheidet, ist offen. Zum anderen ist die Entgeltumwandelung im eröffneten Insolvenzverfahren und der anschließenden Wohlverhaltensphase anders als in der Einzelzwangsvollstreckung nicht mehr möglich (BAG, Urt. v. 30.07.2008 - 10 AZR 459/07 Rn. 17, InsbürO 2009, 39 = WKRS 2008, 22415). Auch stellt sich im Falle einer vorinsolvenzlichen Entgeltumwandlung die Frage einer Anfechtbarkeit nach §§ 129 InsO ff., wobei insbesondere § 132 InsO zu beachten sein dürfte. Der betroffene Schuldner sollte eine Entgeltumwandlung daher nur im Rahmen eines diese besonderen Aspekte berücksichtigenden Gesamtkonzeptes vornehmen.

 

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2022, 129 f.: Zum Anwendungsbereich des Anfechtungsausschlusses nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG bei drohend zahlungsunfähigem Schuldner

LG Hamburg, Urt. v. 08.09.2021 – 336 O 65/21 (n. rkr.)

Aus der Begründung:

Die streitgegenständlichen Zahlungen unterliegen … nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG nicht der insolvenzrechtlichen Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO. Der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 COVInsAG ist im vorliegenden Fall eröffnet. Die streitgegenständlichen Zahlungen wurden im Zeitraum v. 30.07.2020 – 24.09.2020 und damit in dem in § 1 COVInsAG genannten Aussetzungszeitraum (01.03.2020 – 30.09.2020) geleistet. Der Eröffnung des Anwendungsbereichs steht nicht entgegen, dass die Schuldnerin … den Insolvenzantrag lediglich wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt hat. Nach § 2 Abs. 2, 2. HS COVInsAG gilt der Anfechtungsausschluss des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG vielmehr ausdrücklich auch für Schuldner, die weder zahlungsunfähig noch überschuldet sind und damit keiner Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO unterliegen. … In gesetzessystematischer Hinsicht ist … zu berücksichtigen, dass die vom Kläger befürwortete teleologische Reduktion des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG dahin gehend, dass der Anfechtungsausschluss im Fall von Zahlungen nach bereits gestelltem Insolvenzantrag nicht zur Anwendung kommen solle, den gesamten Anfechtungstatbestand des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. InsO der Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG entziehen würde. Dass dies dem gesetzgeberischen Willen entspräche, erscheint insoweit zweifelhaft, als ein entsprechender vollständiger Ausschluss des Anfechtungstatbestands des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. InsO aus dem Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG regelungstechnisch ohne weitere Schwierigkeiten zu formulieren gewesen wäre. … Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass nach Vorstellung des Gesetzgebers eine mit dem Anfechtungsausschluss nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG zu unterstützende Sanierung eines pandemiebedingt in die Krise geratenen Schuldners mit Stellung eines Insolvenzantrags nicht mehr in Betracht käme. Wie bereits dargestellt, entspricht es gerade nicht der Konzeption der InsO, die Sanierung eines Unternehmens bereits mit Stellung eines Insolvenzantrags als gescheitert anzusehen. Dann muss aber das mit dem in § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG normierten Anfechtungsausschluss verfolgte gesetzgeberische Ziel, die Sanierung eines in die Krise geratenen Unternehmens dadurch zu erleichtern, dass ihm durch die Anordnung der Insolvenzfestigkeit von ihm geleisteter Zahlungen die Aufrechterhaltung seiner Geschäftsbeziehungen ermöglicht wird, gleichermaßen auch noch nach Stellung eines Insolvenzantrags verwirklicht werden können.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Es wurde Berufung beim Hanseatischen OLG eingelegt, die unter dem AZ: 11 U 172/21 geführt wird.

 

 

Steuerrecht

InsbürO 2022, 129: Insolvenzrechtliches Aufrechnungsverbot bei unberechtigtem Steuerausweis i.S. des § 14c Abs. 2 UStG

BFH, Beschl. v. 26.08.2021 – V R 38/20, ZInsO 2021, 2742

Leitsatz des Gerichts:

Für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist bei einer Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG entscheidend, wann die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist; dies ist bei vorheriger Durchführung des Vorsteuerabzugs durch den Rechnungsempfänger der Fall, wenn die geltend gemachte Vorsteuer zurückgezahlt worden ist.


Zum Sachverhalt:

Die Schuldnerin hatte Umsatzsteuerbeträge gegenüber einem Kunden ausgewiesen, der diese als Vorsteuer beim FinA geltend machte. Vor Insolvenzeröffnung wurde dies moniert und der Kunde zahlte die Vorsteuer zurück. Nach Insolvenzeröffnung beantragte der Insolvenzverwalter die Korrektur die Steuerherabsetzung wegen der berichtigten Rechnungen und um Auszahlung der sich ergebenden Steuerguthaben. Das FinA erklärte die Aufrechnung.


Aus der Begründung:

Rn. 18: Das FG hat zu Recht darauf abgestellt, ob sämtliche materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Entstehung des Steuervergütungsanspruchs bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren (…). Dies war hier … aufgrund der Rückzahlung der zuvor abgezogenen Vorsteuer durch die … KG in 2010 und damit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin in 2011 der Fall …

                     

 

Arbeitsrecht

InsbürO 2022, 130: Arbeitnehmeransprüche aus Freistellungsphase nur quotal gem. Insolvenzplan

LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 20.05.2021 - 2 Sa 170/20, WKRS 2021, 37929 (rkr.)

Amtlicher Leitsatz:

In der Blockaltersteilzeit sind Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers in der Freistellungsphase, die für seine vor Insolvenzeröffnung geleistete Arbeit geschuldet sind, als Insolvenzforderungen zu qualifizieren, die in einem Insolvenzplanverfahren nach Verfahrensaufhebung nur noch in Höhe der im Insolvenzplan festgelegten Planquote durchgesetzt werden können.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde zwar zugelassen, aber nicht eingelegt.

 

InsbürO 2022, 130: Insolvenzbeschlag am Entschädigungsanspruch wegen immateriellen Schadens

LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.05.2021 - 10 Sa 49/20, WKRS 2021, 38966 (rkr.)
 

Einer von vier amtlichen Leitsätzen:

Der Anspruch auf Entschädigung wegen eines immateriellen Schadens nach einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot (§ 15 Abs. 2 Satz 1 AGG) kann abgetreten und gepfändet werden. Er fällt daher in die Insolvenzmasse (im Anschluss an BGH 18.06.2020 - IX ZB 11/19). Der benachteiligte Arbeitnehmer bleibt zwar Anspruchsinhaber, verliert aber die Befugnis, das Recht in eigener Person geltend zu machen. Der Insolvenzverwalter kann den Arbeitnehmer aber ermächtigen, das Recht im eigenen Namen zur Zahlung an den Insolvenzverwalter geltend zu machen ("gewillkürte Prozessstandschaft").
                        

Zum Sachverhalt:

Der Arbeitnehmer befand sich in der Insolvenz. Aufgrund einer Schwerbehinderung von 60 % stelle die ohne Beteiligung des Integrationsamtes ausgesprochene Kündigung eine Verbotene dar. Ausgehend vom Verdienst des Jahres 2019 stehe ihm ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG i.H.v. mindestens drei Monatsbruttogehältern zu.

 


InsbürO 2022, 130: Zulässige Kündigung bei Ablehnung von Kurzarbeit

LAG Nürnberg, Urt. v. 18.03.2021 – 4 Sa 413/20, ZInsO 2021, 2328 (rkr.)

Aus der Begründung:

Die Klägerin hatte keinen Anspruch darauf, dass ihr die Beklagte im Rahmen der Vereinbarung über die Einführung der Kurzarbeit den vollen Lohnausgleich zusichert. Das Angebot der Beklagten zur Vereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit v. … erweist sich daher nicht als unerlaubte Maßregelung, weil es entgegen der Forderung der Klägerin keinen vollen Lohnausgleich vorsieht, sodass die auf die Ablehnung des Angebots gestützte Kündigung nicht gegen § 612a BGB verstößt.

                    
 

InsbürO 2022, 130 f.: Unwirksamkeit einer Kündigung bei fehlenden Soll-Angaben in der Massen-Entlassungsanzeige

LAG Hessen, Urt. v. 25.06.2021 –14 Sa 1225/20, ZInsO 2021, 2580 (n. rkr.)

Zwei von drei amtlichen Leitsätzen:

1. Enthält bei einer nach § 17 Abs. 1 KSchG anzeigepflichtigen Entlassung die Anzeige gegenüber der Agentur für Arbeit nicht die in § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG genannten Angaben (sog. „Soll-Angaben“) und werden diese nicht vor Zugang der Kündigung gegenüber der Agentur für Arbeit nachgeholt, führt dies zur Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 17 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 134 BGB.

 

InsbürO 2022, 131: Anspruch auf Wiedereinstellung als Insolvenzforderung

LAG Hamm, Urt. v. 05.03.2021 – 16 Sa 100/20, WKRS 2021, 43011 (n. rkr.)

Zum Sachverhalt:

Mit Urteil vom 15.01.2020 hat das ArbG die U GmbH verurteilt, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines ab dem 01.08.2019 gültigen Arbeitsvertrages anzunehmen und festgestellt, dass ein etwaig begründetes Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 26.08.2019 nicht aufgelöst wird. Am 02.03.2020 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der U GmbH eröffnet.
 

Aus der Begründung:

Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin hatte der Kläger allenfalls einen Anspruch darauf, dass die Insolvenzschuldnerin mit ihm einen Arbeitsvertrag schloss. Dieser Anspruch, ein Vermögensanspruch gegen die Insolvenzschuldnerin, stellte folglich eine Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO dar, die gem. § 87 InsO nur noch nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann und daher zur Tabelle anzumelden ist (§§ 174 ff. InsO). Eine Forderung, die nicht auf Geld gerichtet ist, ist dabei mit dem Wert geltend zu machen, der für die Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahren geschätzt werden kann (§ 45 Satz 1 InsO). Die Erfüllung des Anspruchs selbst, hier also der Abschluss des Arbeitsvertrages, kann dagegen nicht mehr verlangt werden.
           

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde zugelassen, weil die insolvenzrechtliche Einordnung eines Wiedereinstellungsanspruchs grds. Bedeutung habe. Sie wurde auch eingelegt und ist beim BAG unter dem AZ: 6 AZR 224/21 anhängig.

 

InsbürO 2022, 131: (Keine) Anwendbarkeit von arbeitsvertraglichen Rückzahlungsklauseln auf freiwillig gezahlte Corona-Prämien

ArbG Oldenburg, Urt. v. 25.5.2021 – 6 Ca 141/21, ZInsO 2022, 38 (rkr.)

Leitsätze des Gerichts:

1. Eine Regelung in AGBs, die eine Rückzahlungspflicht für eine Sonderzahlung in Bezug auf die Corona-Pandemie i.H.v. 550 € bei einer Bindungsdauer von zwölf Monaten vorsieht, ist nach der Rechtsprechung des BAG, der sich die erkennende Kammer anschließt, unwirksam (s. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB).

2. Ferner ist eine solche Rückzahlungsklausel nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, wenn mit ihr zumindest auch eine erbrachte Arbeitsleistung honoriert werden soll. Ein Indiz hierfür ist, wenn die Sonderzahlung „einmalig steuerfrei in Bezug auf die Corona-Pandemie“ gezahlt wird.


Aus der Begründung:

Nach der Rechtsprechung des BAG … benachteiligt eine Rückzahlungsverpflichtung den Vertragspartner i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen, wenn sie … eine Bindung über das nachfolgende Quartal hinaus vorsieht (BAG, Urt. v. 21.05.2003 – 10 AZR 390/02, …). … Aus Sicht eines objektiven Dritten … (s. § 133, 157 BGB) ist dies dahin gehend zu verstehen, dass die Beklagte mit der Zahlung der Prämie die besonderen Belastungen des Klägers und seiner Kolleginnen und Kollegen während der Corona-Pandemie in gewissem Rahmen finanziell ausgleichen und anerkennen will. Dies betrifft den zurückliegenden Zeitraum und die in der Vergangenheit erbrachte Arbeitsleitung.

 

 

Verwertungstätigkeit

InsbürO 2022, 131 f.: Pfändungsschutz für Rückkaufswert von Berufsunfähigkeitsversicherung

LG Dortmund, Beschl. v. 18.01.2021 – 9 T 461/20, ZInsO 2021, 1876 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Eine Berufsunfähigkeitsversicherung wird vom Insolvenzverwalter gekündigt und der Rückkaufswert auf dem geführten Sonderkonto vereinnahmt. Die Insolvenzschuldnerin stellt einen Schutzantrag nach § 850i ZPO und behauptet, es würde sich um selbst erwirtschafte Einkünfte handele, was der Insolvenzverwalter bestreitet.
 

Aus der Begründung:

Gem. § 850i Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. ZPO ist … die Zahlung … aus der Berufsunfähigkeitsversicherung … in voller Höhe pfandfrei zu belassen. … Versicherungsleistungen, die der Schuldner als Versicherungsnehmer erhält, unterliegen grds. § 850i Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. ZPO. Von dieser Vorschrift erfasst wird auch der Anspruch auf den Rückkaufswert aus einer selbst erwirtschafteten Versicherung (…). Die Beteiligte zu 1 hat den Anspruch gegen die … auf Zahlung von … selbst erwirtschaftet, weil dieser den Gegenwert zu den von der Beteiligten zu 1 entrichteten Prämien darstellt (BGH, ZInsO 2012, 77). … Da die Leistung … nicht als Rente, sondern als Kapitalabfindung gewährt worden ist, kommt nur ein Vollstreckungsschutz nach § 850i ZPO in Betracht (…). … Verteilt man die Versicherungsleistung i.H.v. … zu jeweils 1/3 auf den Zeitraum …, verbleibt für jeden Monat nur ein erheblich unter der Pfändungsfreigrenze des § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO liegender Betrag. Da die Beteiligte zu 1 damals keine anderweitigen Einkünfte hatte, ist ihr die … überwiesene Summe in voller Höhe zu belassen.

                  
Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das LG Dortmund hatte die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil die Frage, ob die nach einer vorzeitigen Kündigung des Versicherungsvertrags durch den Insolvenzverwalter dem Schuldner zustehende einmalige Kapitalleistung unter § 850i ZPO falle, grds. Bedeutung habe und die Kammer bei ihrer Entscheidung von der Rechtsauffassung des OLG Braunschweig (Urt. v. 04.09.2019 - 11 U 116/18, InsbürO 2020, 266 = ZInsO 2019, 2527) abweiche. Das OLG Braunschweig hatte nämlich entschieden, dass Ansprüche auf einmalige Kapitalleistungen nicht von der Regelung des § 850i ZPO umfasst seien.

                  

InsbürO 2022, 132: Zur Abgabepflicht hinsichtlich CO2-Emissionszertifikaten nach Insolvenz

VG Berlin, Urt. v. 01.07.2021 – 10 K 501/19, ZInsO 2021, 1926

Zum Sachverhalt:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Z und begehrt die Feststellung, dass die Z für den Ausstoß von CO2 im Zeitraum v. 01.01. bis zum 29.08.2018 nicht zur Abgabe von Emissionsberechtigungen verpflichtet war. Es hat einen Betreiberwechsel gegeben.
 

Aus der Begründung:

Die Gesetzesbegründung zur a.F. des § 25 Abs. 1 Satz 2 TEHG (BT-Drucks. 17/5296) stellt eindeutig klar, dass der neue Betreiber nicht nur die Pflichten aus dem Jahr der Übernahme, sondern auch alle noch nicht erfüllten Pflichten nach den §§ 5 und 7 TEHG aus den vorangegangenen Betriebsjahren übernimmt. ... Dass dem Betreiberwechsel hier die Insolvenz der früheren Betreiberin vorging, führt nicht dazu, dass die Abgabepflicht der Klägerin für das Jahr 2018 nicht sämtliche in diesem Jahr getätigten Emissionen umfassen würde. Denn durch die Insolvenz der früheren Betreiberin der Anlage ist weder die Abgabepflicht entfallen noch besteht sie nur im Umfang einer zu Insolvenztabelle anzumeldenden Forderung. Die Abgabepflicht nach § 7 Abs. 1 TEHG ist kein Vermögensanspruch i.S.d. § 38 InsO und auch keine Forderung i.S.d. § 45 InsO, die in Geld umgerechnet werden kann.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Zum Zeitpunkt der Druckfreigabe ist ein Berufungsverfahren beim OVG Berlin-Brandenburg unter dem AZ: OVG 12 N 187/21 anhängig.

 

 

Vertragsverhältnisse

InsbürO 2022, 132: Abfallgebührenpflicht der Insolvenzmasse nach Freigabe des Geschäftsbetriebes

VG Saarlouis, Urt. v. 28.07.2021 – 5 K 141/21, ZInsO 2021, 2273 (rkr.)

Aus der Begründung:

Der Vorauszahlungsbescheid … richtet sich hinsichtlich der ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens … festgesetzten Gebühren an den richtigen Gebührenschuldner, denn das betroffene Grundstück ist seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Teil der Insolvenzmasse nach § 35 Abs. 1 InsO. … Das Grundstück ist … nicht aus der Insolvenzmasse freigegeben worden. Hierbei ist zwischen der Freigabe des Grundstücks (sog. echte Freigabe) und der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zu unterscheiden. … Eine Freigabe der selbstständigen Tätigkeit gem. § 35 Abs. 2 InsO umfasst nur den Neuerwerb und nicht das im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits vorhandene Vermögen (vgl. BFH, Urt. v. 08.09.2011 – II R 54/10 …). … Eine solche Freigabe des Grundstücks kann auch nicht durch Auslegung der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO dahin angenommen werden, dass der Insolvenzverwalter neben der selbstständigen Tätigkeit zugleich im Wege der echten Freigabe (sämtliches) bereits vorhandenes unternehmerisches Vermögen des Schuldners freigegeben hat. … Benutzungsgebühren werden in der insolvenzrechtlichen Kommentarliteratur ganz einheitlich als Masseverbindlichkeiten angesehen, soweit sie in der Zeit nach der Insolvenzeröffnung angefallen sind (…). Dies gilt … auch für Müllgebühren, denn derartige Benutzungsgebühren fallen zeitanteilig an und sind auch zeitanteilig aufteilbar.

 

InsbürO 2022, 133: Aufteilung einer kommunalen Gebührenschuld im Insolvenzverfahren

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.10.2021 – 2 S 2765/21, ZInsO 2021, 2614

Zwei von drei Leitsätzen des Gerichts:

1. Für die Begründung eines Gebührenanspruchs i.S.d. § 38 InsO kommt es nur auf die Verwirklichung des Gebührentatbestands im Veranlagungszeitraum, nicht aber auf den Ablauf des Veranlagungszeitraums an. …

2. Wird das Insolvenzverfahren während des Veranlagungszeitraums eröffnet, muss die Gebührenschuld zur Geltendmachung in eine Insolvenzforderung (§ 38 InsO) und eine Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) aufgeteilt werden.

 

 

Vergütungsrecht

InbürO 2022, 127 ff.: Keine Berücksichtigung von freiwilligen Zahlungen des Schuldners in der Berechnungsgrundlage

BGH, Beschl. v. 11.11.2021 - IX ZB 38/20, ZInsO 2022, 274

Leitsatz des Bearbeiters:

Zahlt ein Schuldner im eröffneten Verfahren monatliche Vorschüsse an den Insolvenzverwalter auf die Verfahrenskosten, sind diese Zahlungen bei der Bestimmung der Insolvenzverwaltervergütung nicht zu berücksichtigen.
 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Nach dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt fühlte sich der Schuldner wohl zu Recht vom Insolvenzverwalter an der Nase herumgeführt. Denn obwohl er nach seinen Einkommensverhältnissen keine Zahlungen an die Insolvenzmasse leisten musste, tat er dies, um nach Erteilung der Restschuldbefreiung nicht weiter für die Kosten des Verfahrens in Anspruch genommen zu werden. Der Insolvenzverwalter nahm diese Zahlungen ausdrücklich als Zahlungen auf die Verfahrenskosten entgegen, wollte sie dann aber bei Bestimmung seiner Vergütung berücksichtigen und damit die Verfahrenskosten erhöhen. Dies erinnert an das vergebliche Bemühen von Schuldnern mit zusätzlichen Zahlungen die 35 %-Quote des § 300 InsO a.F. zu erreichen.

Auch wenn das Rechtsgefühl spontan signalisieren mag, dass das doch wohl nicht sein kann, ist die Rechtslage nicht eindeutig. Denn der BGH hat aktuell noch ausdrücklich festgestellt, dass Massezuflüsse hinsichtlich der festzusetzenden Vergütung nicht nach dem Zweck zu behandeln sind, zu dem sie an die Masse geleistet werden (BGH, Beschl. v. 19.11.2020 - IX ZB 10/19, InsbürO 2021, 88). Auch § 1 Abs. 2 Nr. 5 Fall 1 InsVV schließt nach seinem Wortlaut Zahlungen des Schuldners gerade aus.

Der BGH wendet § 1 Abs. 2 Nr. 5 Fall 1 InsVV aber überzeugend entsprechend an und kommt so zu einem sachgerechten Ergebnis. Schuldner haben damit die Sicherheit, dass ihre Zahlungen auf die Verfahrenskosten diese auch eins zu eins abtragen. Sie sollten allerdings darauf achten, ausdrücklich auf die Verfahrenskosten und nicht ohne Zahlungsbestimmung an den Verwalter zu leisten. Auch sollten sie bedenken, dass Zahlungen auf die Verfahrenskosten nicht zwingend zu leisten sind, sondern dass gem. § 4b InsO nach Erteilung der Restschuldbefreiung auch eine Verlängerung der Stundung in Frage kommt.

 

InsbürO 2022, 133: Kriterien für die Vergütung während einer vorläufigen Verwaltung

BGH, Beschl. v. 10.06.2021 - IX ZB 51/19, ZInsO 2021, 1658

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)        

Amtlicher Leitsätze:

  1. Der vorläufige Insolvenzverwalter befasst sich in erheblichem Umfang mit Vermögensgegenständen, an denen bei Verfahrenseröffnung Aus- oder Absonderungsrechte bestehen, wenn er nach dem zeitlichen und sachlichen Maß der Befassung einen erheblichen Teil seiner Arbeitskraft auf die Bearbeitung des Vermögensgegenstandes verwendet und dabei das gewöhnliche Maß an Tätigkeit eines vorläufigen Insolvenzverwalters derart überschreitet, dass eine erhebliche Mehrbelastung des vorläufigen Verwalters durch die Befassung mit dem Vermögensgegenstand feststeht. Der erhebliche Umfang der Befassung muss sich dabei gerade auf den Vermögensgegenstand richten, welcher der Berechnungsgrundlage hinzuzurechnen ist. Erforderlich ist ein konkreter Vortrag des vorläufigen Insolvenzverwalters, welche Tätigkeiten er für den Vermögensgegenstand im Einzelfall entfaltet hat.
     
  2. Vereinbart der vorläufige Insolvenzverwalter mit den Grundpfandrechtsgläubigern, die Mieten aus laufenden Mietverhältnissen einzuziehen und an die Grundpfandrechtsgläubiger zu verteilen, liegt darin allein keine Befassung im erheblichen Umfang mit dem Grundstück oder dem Grundpfandrecht.
     
  3. … Der Tatrichter hat die Höhe des Gesamtzu- oder Gesamtabschlags danach zu bemessen, dass der festgestellte Mehr- oder Minderaufwand angesichts der im Einzelfall bestehenden Besonderheiten insgesamt angemessen vergütet wird.
     
  4. Soweit der vorläufige Insolvenzverwalter eine Vergütung für den aus der erheblichen Befassung mit einem Vermögensgegenstand entstandenen Aufwand erhält, weil die Berechnungsgrundlage um den Wert des Aus- oder Absonderungsrechts erhöht worden ist, können solche über die Erhöhung der Berechnungsgrundlage vergütete Tätigkeiten nicht herangezogen werden, um einen Zuschlag zu rechtfertigen.
     
  5. Führt der Insolvenzverwalter das Unternehmen fort, richtet sich die Höhe des Zuschlages nach dem durch die Betriebsfortführung veranlassten zusätzlichen Aufwand; ein Mindestzuschlag (etwa i.H.v. 25 %) besteht nicht.
     
  6. War die Masse groß, kann die Geschäftsführung geringe Anforderungen an den Verwalter gestellt haben, wenn das Vermögen des Schuldners seine Verbindlichkeiten erheblich übersteigt und die Höhe dieses Vermögens in keinem Verhältnis zu dem entfalteten Aufwand steht, etwa weil sich die Insolvenzmasse ohne jegliches Zutun des Insolvenzverwalters ergeben hat. Tätigkeiten, die über einen Zuschlag vergütet werden, dürfen hierbei nicht berücksichtigt werden.

 

InsbürO 2022, 133 f.: Keine Vergütungsermittlung anhand der geleisteten Stunden als vorl. Verwalter

BGH, Beschl. v. 07.10.2021 – IX ZB 4/20, ZInsO 2021, 2455

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Die Bemessung von Zu- und Abschlägen ist von dem Tatrichter so vorzunehmen, dass dem vorläufigen Insolvenzverwalter eine angemessene Vergütung gewährt wird. Eine Vergleichsrechnung anhand der Anzahl der aufgewendeten Stunden des Verwalters und seiner Mitarbeiter hat nicht stattzufinden (…).

Aus der Begründung:

Der für die Bewertung der Angemessenheit des Gesamtzuschlags … herangezogene Gesichtspunkt der Höhe des Stundensatzes, der sich aus der gewährten Erhöhung von 75 % bei Zugrundelegung der vom Beschwerdegericht geschätzten Zahl der aufgewendeten Arbeitsstunden des Verwalters ergebe, verschiebt die Maßstäbe. Der darin vorgenommene Vergleich mit Stundensätzen ist, wie der Senat bereits entschieden hat, kein geeignetes Kriterium für die Bemessung der Höhe des Vergütungssatzes (BGH, Beschl. v. 01.03.2007 – IX ZB 278/05, … Rn. 11 m.w.N.). Eine solche Vergleichsrechnung widerspräche dem System der InsVV.

 

              

Allgemeines

InsbürO 2022, 134: Keine Zuständigkeit der Insolvenzkammern für Feststellungsklagen

LG Frankfurt/M., Beschl. v. 25.10.2021 – 2-13 O 163/21, ZInsO 2021, 2749

Leitsatz des Gerichts:

Feststellungsklagen nach den §§ 180 ff. InsO fallen nicht in die (Spezial-)Zuständigkeit der Insolvenzkammern nach § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG (im Anschluss an: LG Frankfurt/M., Beschl. v. 18.02.2021 – 2-13 O 35/221, ZInsO 2021, 604).
 

Aus der Begründung:

Zweck der Einrichtung von Spezialkammern nach § 72a GVG ist es, vertiefte Kenntnisse bei den in einer Kammer tätigen Richter anwachsen zu lassen und damit im Ergebnis eine beschleunigte Bearbeitung der Verfahren, eine Steigerung der Qualität der Rechtsprechung und eine Erhöhung ihrer Akzeptanz zu erreichen (…). Bei Feststellungsklagen nach den §§ 180 ff. InsO ist das Insolvenzverfahren aber bloße Einkleidung. Streitgegenstand im Kern ist die jeweilige Forderung, für deren Beurteilung i.a.R. keine insolvenzrechtlichen Spezialkenntnisse vonnöten sind. … Bei … mag das Sonderkündigungsrecht nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO eine Rolle spielen. Wie § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO aber klarstellt, handelt es sich bei dem Schadensersatzanspruch um eine einfache Insolvenzforderung. Zur Beurteilung der Schadenshöhe und der damit in Zusammenhang stehenden Fragen sind wiederum keine insolvenzrechtlichen Spezialkenntnisse erforderlich.

 

InsbürO 2022, 134: Rückforderung einer auf ein Insolvenzanderkonto eingegangenen Zahlung

BFH, Beschl. v. 31.08.2021 – VII B 64/20 (AdV), ZInsO 2021, 2604

(VII. Senat = u.a. zuständig für allgemeines Abgabenrecht)

Leitsätze des Gerichts:

1. Schuldner eines abgabenrechtlichen Rückzahlungsanspruchs ist derjenige, zu dessen Gunsten erkennbar die Zahlung geleistet wurde, die zurückverlangt wird. Dies ist i.d.R. derjenige, demgegenüber die Finanzbehörde ihre – vermeintliche oder tatsächlich bestehende – abgabenrechtliche Verpflichtung erfüllen will.

2. Ein Insolvenzverwalter, der im Rahmen seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 InsO) eine zur Insolvenzmasse geschuldete Steuererstattung entgegennimmt, ist nicht Leistungsempfänger i.S.d. § 37 Abs. 2 AO.


Aus der Begründung:

Ein Dritter ist …, obgleich er tatsächlich Empfänger einer Zahlung ist, dann nicht Leistungsempfänger, wenn er lediglich als Zahlstelle, unmittelbarer Vertreter oder Bote für den Erstattungsberechtigten aufgetreten oder von diesem benannt worden ist oder wenn das Finanzamt aufgrund einer Zahlungsanweisung des Erstattungsberechtigten an den Dritten eine Steuererstattung ausgezahlt hat (BFH …). … Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin (= Insolvenzverwalterin) ihrerseits davon ausging, das Finanzamt habe an sie persönlich leisten wollen, sind nicht ersichtlich. Sie ist damit zwar Zahlungsempfängerin gewesen, nach summarischer Prüfung aber nicht Leistungsempfänger geworden. Auf die Frage, wie das Konto des Dritten, über das eine solche Transaktion abgewickelt wird, rechtlich ausgestaltet ist, kommt es in Anbetracht dieser Umstände nicht an. … Ebenso ist der vom FG zitierte Senatsbeschluss in ZIP 2013, 2370 im Streitfall nicht einschlägig; denn dort ging es – … - um eine Zahlung des Finanzamts, die einen anderen Steuerpflichtigen betraf und nur versehentlich auf ein Konto gelangt war, das ein Insolvenzverwalter für einen Insolvenzschuldner eingerichtet hatte, ... Nur für diesen Fall hat der beschließende Senat auf die ständige BGH-Rechtsprechung verwiesen, der zufolge Zahlungen, die auf ein von einem Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter eingerichtetes Anderkonto eingehen, weder in das Schuldnervermögen noch in die Masse fallen, sondern ausschließlich dem Anwalt zustehen und von diesem nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zurückgefordert werden können.

                     

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