28.07.2022

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick
 

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Juliheft 2022

 

Restschuldbefreiungsverfahren

InsbürO 2022, 287 f.: Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung in Verfahren mit Masseunzulänglichkeit bis zur Verfahrenseinstellung

BGH, Beschl. v. 24.03.2022 - IX ZB 35/21, WKRS 2022, 18934

Leitsatz des Bearbeiters:

Eine nach angezeigter Masseunzulänglichkeit zum Abschluss des Verfahrens einberufene Gläubigerversammlung ist kein Schlusstermin i.S.d. § 290 Abs. 2 InsO.
 

Anmerkung RA Henning, Dortmund:

Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass masseunzulängliche Verfahren über Vermögen natürlicher Personen mit beantragter Restschuldbefreiung im Grunde trotz Masseunzulänglichkeit wie reguläre Verfahren zu beenden sind, da sie nach Einstellung nicht enden, sondern mit der Restschuldbefreiungszeit fortzusetzen sind. Forderungen müssen daher geprüft und in ein Verteilungsverzeichnis eingestellt werden, damit in der Restschuldbefreiungszeit eingehende Gelder verteilt werden können. Findet hierfür eine Gläubigerversammlung statt, ist diese nach Feststellung des BGH einem in diesen Verfahren gerade nicht vorgesehenen Schlusstermin nicht gleichzustellen. Dem ist aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 290 Abs. 2 InsO zuzustimmen.

 

 
Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2022, 289: Geltendmachung eines pfändbaren Mehrbetrages auf P-Konto durch Insolvenzverwalter

OLG Dresden Urt. v. 13.10.2021 – 13 U 560/21, WKRS 2021, 58739 (rkr.)
 

Aus der Begründung:

Das Amtsgericht hatte beschlossen: "Die Sockel- und Mehrbeträge nach § 850k Abs. 1, 2 ZPO auf dem vom Schuldner bei der Drittschuldnerin geführten Pfändungsschutzkonto (IBAN: …) werden gem. §§ 36 InsO, 850k Abs. 4 ZPO abweichend festgesetzt. An die Stelle dieser Beträge tritt ab dem Monat … der Betrag, der dem unpfändbaren Arbeitseinkommen entspricht, das dem Schuldner von seinem Arbeitgeber, der Z. GmbH, ... monatlich überwiesen wird. Der danach festgestellte Freibetrag auf dem Pfändungsschutzkonto muss jedoch mindestens den gesetzlichen Sockelfrei- und Mehrbeträgen nach § 850 k Abs. 1, 2 ZPO entsprechen." Ein solcher sog. Blankettbeschluss ist zulässig (BGH, Beschl. v. 10.11.2011 - VII ZB 64/10, …), der Umfang der Pfandfreistellung wird jedoch durch die gerichtliche Anordnung konkretisiert. Nach dem vorliegenden Beschluss ist nicht generell Arbeitseinkommen, das ein Arbeitgeber auf das Pfändungsschutzkonto des Schuldners überweist, über den Sockelbetrag hinaus pfändungsfrei, sondern nur solche Guthaben, die auf Überweisungen der Firma Z. GmbH beruhen. Eine andere Auslegung ist angesichts des klaren Wortlauts des Beschlusses nicht möglich. Zahlungen Dritter, auch weiterer oder neuer Arbeitgeber des Schuldners, waren daher trotz des insolvenzgerichtlichen Beschlusses … nicht pfandfrei gestellt. Dies hat auch für die Gehaltsüberweisungen der Firma S. GmbH, dem neuen Arbeitgeber des Schuldners, zu gelten. Waren die hier streitigen Mehrbeträge danach nicht pfandfrei gestellt, gehörten die entsprechenden Forderungen aus den Gutschriften gem. §§ 35, 36 InsO zur Insolvenzmasse. Leistungen an den Schuldner selbst konnten die Beklagte (= Bank) gegenüber der Masse gem. § 82 Satz 1 InsO nicht mehr befreien, da sie unstreitig im Zeitpunkt der jeweiligen Verfügungen des Schuldners Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte. … Die Beklagte beruft sich zwar nicht ausdrücklich auf Verwirkung, meint aber, es könne nicht angehen, dass der Kläger es 24 Monate verabsäume, die Guthaben zur Masse zu ziehen und sie dadurch auf wirtschaftlich wertlose Ansprüche gegenüber dem Schuldner verweise. … Vor allem aber kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Beklagte aus insolvenzrechtlichen Gründen nicht davon ausgehen durfte, der Kläger (= Insolvenzverwalter) werde dauerhaft auf die Auszahlung des Kontoguthabens verzichten. Die geschäftserfahrene Beklagte musste wissen, dass ein Insolvenzverwalter gehalten ist, sämtliche Aktiva des Schuldners, mithin auch Forderungen zu verwerten, also zur Masse zu ziehen. Dass dies bei einem zweifelsfrei liquiden Drittschuldner nicht als eilbedürftig erscheinen kann, durfte die Beklagte nicht überraschen.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Entscheidung zeigt auf, wie wichtig es für die Schuldner ist, bei einem Arbeitgeberwechsel unverzüglich einen neuen gerichtlichen Beschluss bzgl. des Einkommens vom neuen Arbeitgeber zu erwirken, um Pfändungsschutz zu erlangen, aber auch, dass die Insolvenzbüros bei fehlendem Pfändungsschutz die über dem Freibetrag liegenden, nicht geschützten Beträge zur Insolvenzmasse zu ziehen haben.

 

 
Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2022, 289: Keine Fortsetzung einer aufgelösten GmbH wg. Abweisung mangels Masse

BGH, Beschl. v. 25.01.2022 - II ZB 8/21, WKRS 2022, 14997

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)           
 

Amtlicher Leitsatz:

Wird eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch die rechtskräftige Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft mangels Masse gem. § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG aufgelöst, kann sie nicht fortgesetzt werden. Dies gilt auch dann, wenn die Gesellschaft über ein das satzungsgemäße Stammkapital übersteigendes Vermögen verfügt und die Insolvenzgründe beseitigt wurden.

               

InsbürO 2022, 289 f.: (Keine) Funktionale Zuständigkeit allgemeiner Zivilkammer des LG bei Klage des Insolvenzverwalter wegen existenzvernichtender Eingriffsquelle

KG Berlin, Beschl. v. 23.03.2022 – 2 AR 11/22, ZInsO 2022, 942

Leitsatz des Gerichts:

Für die Geltendmachung von Ansprüchen aus einem existenzvernichtenden Eingriff (§ 826 BGB) durch einen Insolvenzverwalter ist eine gesetzliche Zuständigkeit der Kammern insolvenzrechtliche Streitigkeiten nach § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG begründet.
 

Aus der Begründung:

Die Frage, ob Ansprüche aus einem existenzvernichtenden Eingriff unter die genannte Zuständigkeitsnorm fallen, ist in der Rechtsprechung bislang noch nicht entschieden worden. Äußerungen aus dem Schrifttum liegen hierzu – soweit ersichtlich – ebenfalls nicht vor. … Hierfür lässt sich zunächst anführen, dass es sich um einen Anspruch handelt, der gem. § 92 InsO vom Insolvenzverwalter im Interesse einer gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger geltend zu machen ist. Hinzu kommt, dass eine Herbeiführung bzw. Vertiefung der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) gewissermaßen zu den richterrechtlich entwickelten Tatbestandsvoraussetzungen des Anspruchs gehört und deshalb in jedem Einzelfall geprüft und festgestellt werden muss (…), wie dies auch bei anderen als insolvenzrechtlich zu qualifizierenden Anspruchsgrundlagen der Fall ist.

 

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2022, 290: Umfang des Anfechtungsanspruches gegen Gesellschafter wg. Befriedigung eines Dritten aus Gesellschaftssicherheit

BGH, Urt. v. 09.12.2021 - IX ZR 201/20, ZInsO 2022, 424

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)
           

Amtliche Leitsätze:

  1. Hat der Gesellschafter für eine Forderung eines Dritten auf Rückgewähr eines Darlehens eine Sicherheit bestellt oder eine Bürgschaft übernommen, benachteiligt die Befriedigung des Dritten aus der Verwertung einer Gesellschaftssicherheit die Gläubiger auch dann, wenn der Dritte zum Zeitpunkt der Befriedigung seiner Forderung den Gesellschafter nicht mehr aus der Gesellschaftersicherheit hätte in Anspruch nehmenkönnen. Dies gilt ebenso, wenn der Anspruch aus der Bürgschaft bereits verjährt gewesen ist.
     
  2. Erhöht sich die Forderung des Dritten - etwa aufgrund laufender Zinsen - nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und erhält der Dritte hierfür eine Befriedigung aus der Verwertung einer Gesellschaftssicherheit, umfasst der Anfechtungsanspruch gegen den Gesellschafter auch die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Ansprüche des Dritten, wenn sich sowohl die Gesellschaftssicherheit als auch die Gesellschaftersicherheit auf diese Ansprüche erstrecken
     
  3. Verwertet der Insolvenzverwalter eine Gesellschaftssicherheit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugunsten einer Forderung eines Dritten auf Rückgewähr eines Darlehens, für die der Gesellschafter eine Sicherheit bestellt hat, beginnt die Verjährung des Anfechtungsanspruchs gegen den Gesellschafter frühestens mit der Befriedigung des Dritten.
     

Aus der Begründung:

Rn. 22: Jede Art der Befriedigung, die zu einem Freiwerden der Sicherheit führt, wird erfasst (…). Soweit früheren Entscheidungen des Senats ein engeres Verständnis entnommen werden könnte (vgl. etwa BGH, Urt. v. 04.07.2013 – IX ZR 229/12, … Rn. 15), wird daran nicht festgehalten.

 

InsbürO 2022, 290: Zu den Anforderungen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei Gewährung einer Nachbesicherung im Stadium drohender Zahlungsunfähigkeit

OLG Frankfurt/M., Urt. v. 08.12.2021 – 4 U 12/21, ZInsO 2022, 314 (n. rkr.)
 

Leitsätze des Gerichts:

  1. Bei einer Nachbesicherung des Anfechtungsgegners im Stadium drohender Zahlungsunfähigkeit muss der Insolvenzverwalter auch im Falle der Inkongruenz der Nachbesicherung weiter darlegen und beweisen, dass die Insolvenzschuldnerin dabei in der sicheren Erwartung des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit handelte oder dass gleichwertige Indizien für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz sprechen (im Anschluss an: BGH, Urt. v. 6.5.2021 – IX ZR 72/20, ZInsO 2021, 1627).
     
  2. Einer sicheren Erwartung des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit steht es entgegen, wenn die Nachbesicherung Bestandteil eines ernsthaften Sanierungsversuchs auf der Grundlage eines schlüssigen Sanierungsversuchs waren. Insbesondere das Vorliegen eines nicht auf Täuschung des Gutachters beruhenden und nicht evident falschen Sanierungsgutachtens, nach welchem mittelfristig eine positive Prognose bestand, spricht erheblich gegen eine sichere Erwartung des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit.
     
  3. Allein die nur sukzessive erst durch mehrere Verlängerungen erfolgende Prolongation auslaufender Kredite durch die Gläubigerbanken ist noch kein hinreichender Beleg für ein bei den Gläubigerbanken bestehendes Misstrauen gegen den (eine Prolongation voraussetzenden) Sanierungsplan und damit für eine Kenntnis von einem etwa bestehenden Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. Ein Sanierungsbeitrag muss nicht bereits von Anfang an vollständig erbracht werden, sondern das Sanierungskonzept muss (nur) mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt worden sein.
     

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde zwar nicht zugelassen, aber es wurde Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, die bei Druckfreigabe beim BGH unter dem AZ: IX ZR 6/22 anhängig ist.

 

InsbürO 2022, 290: Zur Kenntnis des Fiskus von Gläubigerbenachteiligungsabsicht bei Vollstreckung wegen Steuerrückständen

OLG SchlH, Urt. v. 08.12.2021 – 9 U 135/20, ZInsO 2022, 1201

Aus dem Sachverhalt und der Begründung:

Der Kläger als Insolvenzverwalter … und nimmt im Wege der Insolvenzanfechtung das beklagte Land auf Erstattung von Zahlungen der Schuldnerin in Anspruch. … Soweit das beklagte Land in diesem Zusammenhang geltend macht, aus der Drittschuldnererklärung der … Bank habe sich lediglich die Tatsache einer erfolgten Kündigung, nicht aber das Vorliegen einer außerordentlichen Kündigung ergeben, greift solches zu kurz. Mit Blick darauf, dass die Mitteilung der Kündigung in der Drittschuldnererklärung und damit im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Pfändung … erfolgte und das Schreiben darauf verweist, dass die Schuldnerin die Pfändung … nicht bis zum … erledigt habe, lag für das beklagte Land offen auf der Hand, dass die Kündigung die durch die zweifache Pfändung, bei der das gepfändete Kontoguthaben zum vollständigen Ausgleich aller Forderungen nicht ausreichte, dokumentierte Vermögensverschlechterung zum Grund hatte.

 

InsbürO 2022, 291: Zu den Voraussetzungen der Anfechtung einer Grundstücksübertragung mit Darlehensübernahme und Wohnrecht

OLG Celle, Urt. v. 02.02.2022 – 16 U 36/18, ZInsO 2022, 721 (rkr.)
 

Zum Sachverhalt:

Mit notariellem Kaufvertrag veräußerte der seinerzeit 60-jährige Schuldner das streitgegenständliche Grundstück zu einem Kaufpreis von 395.000 € an seinen Sohn, wobei beide dem Kaufpreis den am Vortag des Vertragsschlusses durch einen Sachverständigen ermittelten Verkehrswert zugrundelegten. Ein Teil des Kaufpreises sollte durch Schuldübernahme der durch den Grundbesitz abgesicherten Darlehen bei der Bank erfolgen. Die restliche Kaufpreissumme von 180.847,50 € sollte durch Bestellung eines dinglichen Wohnrechts zugunsten des Schuldners erbracht werden.
 

Aus der Begründung:

Dem Kläger steht kein Anspruch aus §§ 143, 134 Abs. 1 InsO zu. Es fehlt insoweit am Vorliegen einer unentgeltlichen Leistung des Schuldners. Unstreitig wurde vorliegend zum einen die Übernahme des Darlehens (das mit 214.152,50 € valutierte) vereinbart. Dass es später zu einer Störung des Auswahlaustauschverhältnisses gekommen sein könnte, weil die vereinbarte Gegenleistung nicht erbracht wurde, führt insoweit nicht zu einer Unentgeltlichkeit (vgl. …). Zum anderen wurde das dem Schuldner eingeräumte lebenslange dingliche Wohnrecht (das … mit 180.847,50 € bewerteten) vereinbart. Auch dieses wurde vom LG zu Recht wertmäßig berücksichtigt (…). Zwar sind auch tlw. unentgeltliche Leistungen anfechtbar. … Der Sachverständige hat den Verkehrswert … ermittelt. … Damit steht fest, dass der Schuldner und der Beklagte den ihnen zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten haben. Denn dieser Wert (= 444.000,00 €) weicht nicht hinreichend weit von den 395.000 € ab, die beide ihrer Vereinbarung zugrunde gelegt haben. … Zudem dürfte ein Anspruch des Klägers (= Insolvenzverwalter) auch daran scheitern, dass eine (Rück-)Auflassung an den Kläger nicht verlangt werden kann. Wurde ein Grundstück anfechtbar übertragen, hat der Anfechtungsgegner es an den Schuldner wieder aufzulassen und dessen Eintragung in das Grundbuch zu bewilligen. Es ist Auflassung an den Schuldner und dessen Eintragung in das Grundbuch zu beantragen (…). Der Kläger hat aber nicht die Übertragung an den Schuldner, sondern an sich, den Kläger, beantragt. … Bzgl. des Hilfsantrags hat der Beklagte wirksam die Einrede der Verjährung erhoben. … Soweit der Kläger die Ansicht vertritt, dass die zehnjährige Frist des § 196 BGB anwendbar wäre, ist dies nicht zutreffend. Denn § 196 BGB gilt für alle Ansprüche, die unmittelbar auf die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück gerichtet sind (…), worunter ein Anspruch aus Insolvenzanfechtung nicht fällt.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das vorstehende Urteil ist ergangen, nachdem der BGH den Rechtsstreit an das OLG Celle mit dem Auftrag zurückverwiesen hatte (Urt. v. 22.10.2020 – IX ZR 208/18, InsbürO 2021, 174 = ZInsO 2020, 2666), eine mögliche verschleierte Schenkung und eine Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO zu prüfen.

                

InsbürO 2022, 291: Zu den Voraussetzungen der Anfechtung nach Sanierungsversuch bei drohende Zahlungsunfähigkeit

BGH, Urt. v. 03.03.2022 – IX ZR 78/20, ZInsO 2022, 640

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)
 

Zwei von elf Leitsätzen:

Aus der Insolvenzantragspflicht oder dem Zahlungsverbot ergibt sich für den Benachteiligungsvorsatz keine Begrenzung des Zeitraums, den der Schuldner, der seine Zahlungsunfähigkeit erkannt hat, für eine künftige Befriedigung seiner Gläubiger in Betracht ziehen darf. Es kann für einen Benachteiligungsvorsatz bei drohender Zahlungsunfähigkeit sprechen, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit sicher zu erwarten ist und alsbald bevorsteht, der Schuldner sich bewusst ist, dass er kurzfristig einen Insolvenzantrag stellen wird, und er gleichwohl Gläubiger in der verbleibenden Zeit bis zum ohnehin beabsichtigten Insolvenzantrag gezielt befriedigt.

 

 


Steuerrecht

InsbürO 2022, 291 f.: Frage der Aufteilung der Vorsteuer bei umsatzsteuerpflichtigen und umsatzsteuerfreien Umsätzen bei Betriebsfortführung

FG Münster, Urt. v. 20.01.2022 – 5 K 1363/19 U, ZInsO 2022, 659 (n. rkr.)
 

Aus der Begründung:

Liegen die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG für den Vorsteuerabzug vor, ist der Unternehmer jedoch gem. § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG mit der Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die er zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet, vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen. … Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen und damit für seine wirtschaftliche Tätigkeit gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur z.T. zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, ist gem. § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist (vgl. insgesamt BFH, Urt. v. 11.11.2020 – XI R 7/20, … Rn. 10 m.w.N.). Eine Aufteilung des vom Kläger geltend gemachten Vorsteuerbetrags in einen abzugsfähigen und einen nicht abzugsfähigen Teil ist nicht vorzunehmen. Zum einen wurde die abgerechnete einheitliche Leistung des Klägers ausschließlich für das Unternehmen und damit für die wirtschaftliche Tätigkeit der Schuldnerin verwendet, da die angemeldeten Forderungen, zu denen die Leistung des Klägers in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang steht (…), im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der Schuldnerin entstanden sind. … Zum anderen stehen die Forderungen ausschließlich mit steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen im Zusammenhang. Die Schuldnerin führte bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich steuerpflichtige Ausgangsumsätze aus. Die angemeldeten Forderungen stehen danach nicht mit einer Verwendung für steuerfreie Umsätze im Zusammenhang.


Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde zugelassen. Es sei insbesondere höchstrichterlich bislang nicht geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine Fortführung des Unternehmens des Insolvenzschuldners durch den Insolvenzverwalter anzunehmen sei. Die Revision wurde auch eingelegt. Sie wird beim BFH unter dem AZ: V R 3/22 geführt. Darüber hinaus sei darauf hingewiesen, dass Keilbach sich jüngst in einem Beitrag diesem Verhältnis von umsatzsteuerfreien zu umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen und der sich daraus ergebenden Vorsteuerabzugsberechtigung des Insolvenzverwalters gewidmet hatte (InsbürO 2022, 104 ff. – Märzheft).

 

InsbürO 2022, 292: Zur Anerkennung einer unternehmensbezogenen Sanierung gem. § 3a EStG

FG Münster, Beschl. v. 07.02.2022 – 9 V 2784/21 F, ZInsO 2022, 894 (rkr.)
 

Aus der Begründung:

Der Antrag auf Anwendung des § 3a EStG stellt nach herrschender Auffassung in der Literatur ein solches rückwirkendes Ereignis dar (…). … Gem. § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG sind Betriebsvermögensmehrungen oder Betriebseinnahmen aus einem Schuldenerlass zum Zwecke einer unternehmensbezogenen Sanierung i.S.d. Abs. 2 (Sanierungsertrag) steuerfrei. Eine unternehmensbezogene Sanierung liegt gem. § 3a Abs. 2 EStG vor, wenn der Steuerpflichtige für den Zeitpunkt des Schuldenerlasses die Sanierungsbedürftigkeit und die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, die Sanierungseignung des betrieblich begründeten Schuldenerlasses und die Sanierungsabsicht der Gläubiger nachweist. … Ein Unternehmen ist dann sanierungsbedürftig, wenn es ohne die Sanierung nicht fortgeführt werden kann (…). Dies erfordert eine Prüfung der Ertrags- und der Finanzlage, des Verhältnisses der liquiden Mittel zur Höhe der Schuldenlast und der Gesamtleistungsfähigkeit des Unternehmens (…). Jedenfalls dann, wenn ein Insolvenzantragsgrund vorliegt, liegt auch die Sanierungsbedürftigkeit vor. … An das Vorliegen der Sanierungsabsicht sind keine strengen Anforderungen zu stellen. Die Sanierungsabsicht wird vermutet, wenn der Schuldner sanierungsbedürftig ist und der Erlass geeignet war, die Sanierung herbeizuführen (…).

 

 

Arbeitsrecht

InsbürO 2022, 292: Zuständige Behörde für Massenentlassungsanzeige bei (insolvenzbedingt) aufgelöster Betriebsstruktur („Air Berlin“)

LAG Düsseldorf, Urt. v. 13.10.2021 – 12 Sa 706/21, WKRS 2021, 56096 (n. rkr.)

Einer von drei Leitsätzen des Gerichts:

Zuständige Behörde für die Massenentlassungsanzeige ist bei einer aufgelösten betrieblichen Struktur diejenige Agentur für Arbeit, in deren Zuständigkeitsbereich der letzte nach der Massenentlassungsrichtlinie feststellbare Betrieb lag und nicht diejenige Agentur für Arbeit am gesellschaftsrechtlichen Sitz des Unternehmens. Dies gilt auch für eine erneute Kündigung, nachdem die ursprüngliche Kündigung wegen Betriebsstilllegung aufgrund von Fehlern bei der Massenentlassungsanzeige rechtsunwirksam war.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde zugelassen und auch eingelegt. Das Verfahren ist bei Druckfreigabe beim BAG unter dem AZ: 6 AZR 2/22 anhängig.

 

InsbürO 2022, 292: EuGH-Vorlage: Frage der Übersendung der Mitteilung an Betriebsrat auch an Arbeitsagentur

BAG, Beschl. v. 27.01.2022 – 6 AZR 155/21, ZInsO 2022, 789
 

Amtlicher Leitsatz:

Der 6. Senat des BAG ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union um die Auslegung des Zwecks der in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG festgelegten Verpflichtung, der Arbeitsverwaltung eine Abschrift von Teilen der Mitteilung an den Betriebsrat im Konsultationsverfahren zu übermitteln. Die Kenntnis dieses Zwecks ist erforderlich, um unter Beachtung des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes die Sanktion für einen Verstoß gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie umsetzt, festlegen zu können.


Aus der Begründung:

Rn. 29: Im Zeitpunkt der Unterrichtung des Betriebsrats steht noch nicht fest, ob und wie viele Arbeitnehmer wann auf den Arbeitsmarkt gelangen werden und welche Arbeitnehmer betroffen sein werden. Darüber ist gerade im Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat (noch) zu beraten. Dieses soll dem Betriebsrat ermöglichen, konstruktive Vorschläge unterbreiten zu können, um die Massenentlassung zu verhindern oder jedenfalls zu beschränken bzw. die Folgen einer Massenentlassung durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern (…). Im von der MERL vorgesehenen Zeitpunkt der Erfüllung der Pflicht des Art. 2 Abs. 3 UAbs. 2 MERL ist damit ein Individualschutz noch gar nicht möglich.

                  

Insbüro 2022, 293: Grobe Fehlerhaftigkeit in Sozialauswahl bei etappenweiser Betriebsschließung

LAG Hamm, Urt. v. 10.09.2021 – 16 Sa 143/21, WKRS 2021, 57400 (rkr.)
 

Aus der Begründung:

Das Kündigungsschutzgesetz findet auch im Insolvenzverfahren Anwendung. Dies hat zur Folge, dass der Insolvenzverwalter grds. eine soziale Auswahl i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorzunehmen hat (vgl. BAG, Urt. v. 28.10.2004 - 8 AZR 391/03). … Entschließt sich der Arbeitgeber für eine etappenweise Betriebsstilllegung, steht ihm hinsichtlich der bei den einzelnen Etappen zu kündigenden Arbeitnehmer keine freie Auswahlbefugnis zu. Vielmehr hat er bei jeder Etappe, mit Ausnahme der letzten, eine Sozialauswahl vorzunehmen, auch wenn nur noch befristete Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestehen. … Die Arbeitnehmer mit den schwächsten Sozialdaten sind daher grds., sofern nicht § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG eine abweichende Entscheidung des Arbeitgebers rechtfertigt, mit den Restarbeiten zu beschäftigen und scheiden demgemäß zuletzt aus dem Betrieb aus (BAG, Urt. v. 10.01.1994 - 2 AZR 50/92). Die grob fehlerhafte, abteilungsbezogene Vergleichsgruppenbildung hat vorliegend auch zu einem grob fehlerhaften Auswahlergebnis geführt.
    

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das Gericht hatte die Revision zwar zugelassen, aber sie wurde nicht eingelegt.

 

InsbürO 2022, 293: Wirksamkeit von Einigungsstellenspruch zur Aufstellung von insolvenzmeidenden „Sozialplan 0“

LAG Hamm, Beschl. v. 26.10.2021 – 7 TaBV 19/21, WKRS 2021, 56320 (n. rkr)
 

Leitsätze des Gerichts:

  1. Es ist ermessensfehlerfrei, wenn durch Spruch der Einigungsstelle über die Aufstellung eines Sozialplans bei festgestellten wirtschaftlichen Nachteilen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer trotz vorgetragener erheblicher Bedenken zur wirtschaftlichen Vertretbarkeit der beabsichtigten Regelung kein undotierter Sozialplan (sog. „Sozialplan 0“) beschlossen wird.
     
  2. Ein „Sozialplan 0“stellt bereits tatbestandlich keinen Sozialplan i.S.d. § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG dar und ist daher mit der vom Gesetzgeber in § 112 Abs. 4 BetrVG festgeschriebenen Erzwingbarkeit von Sozialplänen nicht vereinbar.


Aus der Begründung:

Das BAG hat bislang offengelassen, ob die wirtschaftliche Vertretbarkeit i.S.d. § 112 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 BetrVG zur Zulässigkeit eines "Null-Sozialplans" führen kann (Beschluss v. 26.05.2009 - 1 ABR 12/08, Rn. 24). Und weitergehend: Im Beschluss vom 15.03.2011, 1 ABR 97/09 Rn. 21 hat der 1. Senat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch ein in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenes Unternehmen "weitere Belastungen durch einen Sozialplan auf sich zu nehmen [hat]" und hierbei die Sozialplanpflicht "sogar in der Insolvenz" angeführt (…).


Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Rechtsbeschwerde wurde wg. grds. Bedeutung zugelassen und auch eingelegt. Das Verfahren ist bei Druckfreigabe unter dem AZ: 1 ABR 28/21 beim BAG anhängig.
 

 

 

Absonderung

InsbürO 2022, 293: Umfang der Verwendung von verpfändeten Mietsparguthaben

BGH, Urt. v. 27.01.2022 – IX ZR 44/21, ZInsO 2022, 768

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)
 

Leitsätze des Gerichts:

  1. Hat ein gewerblicher Mieter ein Sparguthaben für alle Ansprüche des Vermieters aus dem Mietverhältnis und seiner Abwicklung wirksam verpfändet und macht der Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch, sichert das vertragliche Pfandrecht auch den Schadensersatzanspruch des Vermieters wegen vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses. Der Vermieter ist zur abgesonderten Befriedigung berechtigt.
     
  2. Die Vorschrift des § 50 Abs. 2 InsO ist auf ein vertraglich vereinbartes Pfandrecht nicht entsprechend anwendbar.

 

 


Insolvenztabelle

InsbürO 2022, 293: Beitragsnachweis im Insolvenzverfahren gilt nicht als Vollstreckungstitel

AG Düsseldorf, Beschl. v. 10.01.2022 – 502 IN 132/19, ZInsO 2022, 272 (rkr.)
 

Zum Sachverhalt:

Ein Sozialversicherungsträger meldet eine Forderung aus unerlaubter Handlung zur Insolvenztabelle an. Der Schuldner erhebt fristgerecht Widerspruch. Der Sozialversicherungsträger beantragt die Löschung des Widerspruchs, weil der Schuldner den Widerspruch nicht nach § 184 Abs. 2 InsO weiter verfolgt habe. Die Beitragsnachweisung gelte gem. § 28f Abs. 3 S. 3 SGB IV als Leistungsbescheid der Einzugsstelle und stünde einem rechtsverbindlichen Titel gleich.


Aus der Begründung:

Die Voraussetzungen der Löschung des Widerspruchs der Schuldnerin liegen nicht vor. … Gem. § 28f Abs. 3 S. 3 SGB IV gilt der Beitragsnachweis, den der Arbeitgeber gem. § 28f Abs. 3 S. 1 SGB IV übermittelt hat, für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle und im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderungen der Einzugsstelle. Im Verhältnis zum Schuldner mag die Eigenerklärung als Leistungsbescheid und damit auch als Grundlage der Vollstreckung gegen den Schuldner im Wege der Verwaltungsvollstreckung dienen, es mangelt jedoch an der Ausfertigung des Leistungsbescheides und zum anderen an der Vollstreckbarkeitserklärung oder einer Vollstreckungsanordnung zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung. Einer Nachholung nach Insolvenzeröffnung zum Zwecke der Titulierung kommt eine Wirkung nicht zu. … Eine andere Sicht müsste den Insolvenzverwalter oder andere Gläubiger im Bestreitensfalle in die Verfolgung des Widerspruchs treiben, und dies nur auf einer möglicherweise unzutreffenden Eigenerklärung des Schuldners …

          

 

Europäisches / internationales Recht

InsbürO 2022, 294: Zuständigkeit für Hauptverfahren nach Sitzverlegung nach Antragstellung

EuGH, Urt. v. 24.03.2022 – Rs. C-723/20, ZInsO 2022, 881
 

Leitsatz des Gerichts:

Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2015 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass das Gericht eines Mitgliedstaats, das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens befasst ist, für die Eröffnung eines solchen Verfahrens weiter ausschließlich zuständig bleibt, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners nach Antragstellung, aber vor der Entscheidung über diesen Antrag in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wird. Infolgedessen kann sich, soweit diese Verordnung auf diesen Antrag anwendbar bleibt, ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats, das später mit einem Antrag mit demselben Ziel befasst wird, grds. nicht für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens für zuständig erklären, solange das erste Gericht nicht entschieden und seine Zuständigkeit nicht verneint hat.

 

 

Haftung

InsbürO 2022, 294: Haftungskriterien bei Inanspruchnahme des Geschäftsführers

OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.12.2021 – 12 U 23/21, ZInsO 2022, 1068


Zwei von vier amtlichen Leitsätzen:

  1. Eine masseschmälernde Zahlung i.S.v. § 64 Satz 1 GmbHG liegt auch dann vor, wenn der Geschäftsführer nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Gehälter an Mitarbeiter der Gesellschaft zahlt, weil Arbeits- oder Dienstleistungen regelmäßig für eine Verwertung durch die Gläubiger nicht geeignet sind.
     
  2. Zahlungen zur vorübergehenden Aufrechterhaltung des Betriebs sind nur dann i.S.d. § 64 Satz 2 GmbHG mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, wenn ohne die Zahlung der Betrieb sofort eingestellt werden müsste und damit eine ernsthafte Chance auf Sanierung oder Fortführung im Insolvenzverfahren zunichte gemacht würde. Das Bestehen einer ernsthaften Sanierungschance ist vom Geschäftsführer darzulegen und zu beweisen.


Aus der Begründung:

Wie das LG zutreffend ausgeführt hat, gilt das Zahlungsverbot auch dann, wenn die Zahlungen nicht vom Geschäftsführer selbst, sondern von einem Mitarbeiter des Unternehmens veranlasst wurden, selbst dann, wenn er von den Zahlungen gar nichts wusste. Der Geschäftsführer muss ab Insolvenzreife dafür sorgen, dass solche Zahlungen unterbleiben. Es reicht mithin aus, dass er diese hätte verhindern können (BGH, Urt. v. 16.03.2009 - II ZR 280/07, Rn. 12 …). … Schließlich hat der Beklagte … auch die gegen ihn streitende Vermutung nicht widerlegt, dass die tatsächlich bestehende Insolvenzreife der Schuldnerin erkennbar war (vgl. BGH, Urt. v. 27.10.2020 - II ZR 355/18, Rn. 53 m.w.N.; …). Bei der Bewertung seines Vorbringens ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung für eine Organisation sorgen muss, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht (vgl. BGH, Urt. v. 06.11.2018 - II ZR 11/17, Rn. 14 …). Der Geschäftsführer handelt fahrlässig, wenn er sich nicht rechtzeitig die erforderlichen Informationen und die Kenntnisse verschafft, die er für die Prüfung benötigt, ob er pflichtgemäß Insolvenzantrag stellen muss (BGH, Urt. v. 19.06.2012 - II ZR 243/11, Rn. 11 ff. …). … Der Geschäftsführer ist kraft zwingender Gesetzesnorm (§ 41 GmbHG) verpflichtet, für eine ordnungsgemäße Buchführung der Gesellschaft zu sorgen. Er muss sich deshalb, auch im Hinblick auf § 64 GmbHG, über die Buchführung informieren. Wird dem Geschäftsführer diese Information systematisch vorenthalten, ist ein gedeihliches, gesetzestreues Arbeiten für ihn unmöglich. Dies stellt einen wichtigen Kündigungsgrund dar (BGH, Urt. v. 26.06.1995 - II ZR 109/94 Rn. 11 …). Der Beklagte hätte - wollte er einer Haftung gem. § 64 Satz 1 GmbHG a.F. entgehen - sein Amt mit sofortiger Wirkung niederlegen können und müssen (vgl. BGH, Urt. v. 26.06.1995 - II ZR 109/94 Rn. 4 …).

            

 

Allgemeines

InsbürO 2022, 294 f.: Wiederaufnahmemöglichkeit eines Prozess durch Nachlassinsolvenzverwalter

BAG, Urt. v. 02.12.2021 – 3 AZR 119/19, ZInsO 2022, 144

(3. Senat = u.a. zuständig für die betriebliche Altersvorsorge)


Aus der Begründung:

Mit seiner Klage hat der Verstorbene die Differenzen zwischen seinen Versorgungsansprüchen und den tatsächlichen Versorgungszahlungen - zuletzt für die Jahre 2014 bis 2016 - geltend gemacht. … Der Kläger ist als Insolvenzverwalter über den Nachlass des Verstorbenen befugt, die streitgegenständlichen Ansprüche durchzusetzen. Die Abtretung der streitgegenständlichen Forderungen an die Tochter auf den Todesfall war nach § 133 Abs. 4 InsO anfechtbar. Die Tochter hat die Forderungen an den Kläger wirksam … rückabgetreten. Der Insolvenzverwalter hat den Rechtsstreit wirksam nach § 85 Abs. 1 InsO aufgenommen. Soweit von einem Massebezug der streitbefangenen Forderung auszugehen ist, ist allein der Kläger als Nachlassinsolvenzverwalter, nicht aber die Tochter des Verstorbenen als Einzelrechtsnachfolgerin zur Aufnahme des Rechtsstreits berechtigt. Liegen die Voraussetzungen des § 85 InsO i.V.m. § 240 ZPO vor, besteht in der Nachlassinsolvenz keine Aufnahmemöglichkeit mehr durch die Rechtsnachfolger des Verstorbenen nach § 239 ZPO. Nach § 239 Abs. 1, Abs. 2 ZPO kann und muss zwar die Rechtsnachfolgerin aufgrund Abtretung auf den Todesfall den Rechtsstreit aufnehmen (…). Hat allerdings nach dem Tod einer Partei der Rechtsnachfolger den Rechtsstreit noch nicht aufgenommen und wird nun das Insolvenzverfahren über den Nachlass eröffnet, so wird die Unterbrechung der §§ 246, 239 ZPO durch die (zusätzliche) Unterbrechung nach § 240 ZPO überlagert (Doppelunterbrechung). In diesem Fall kann nur für und gegen den Verwalter das Verfahren aufgenommen werden, denn den Rechtsnachfolgern des Verstorbenen fehlt die Prozessführungsbefugnis (vgl. § 243 ZPO).

 

InsbürO 2022, 295: Widerruf Investitionszuschuss wegen Gefährdung Arbeitsplätze durch Insolvenzeröffnung

VG Ansbach, Urt. v. 15.02.2022 – AN 4 K 20.00518, ZInsO 2022, 1192
 

Aus der Begründung:

Die Klage gegen den Widerrufsbescheid v. 19.3.2020 ist zwar zulässig (I.), hat in der Sache aber nur hinsichtlich der Zinsforderung Erfolg (II.). … Die Klägerin ist trotz der vor Klageerhebung erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen prozessführungsbefugt. … Die Prozessführungsbefugnis betreffend sämtlicher Rechte und Pflichten der Insolvenzmasse verbleibt im Fall der Eigenverwaltung beim Insolvenzschuldner (…). … Der Zuwendungsbescheid konnte gem. Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1, 3. Var. BayVwVfG widerrufen werden, da die Zuwendung bereits mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin nicht mehr für den im Zuwendungsbescheid bestimmten Zuwendungszweck der Sicherung und ständigen Besetzung der Dauerarbeitsplätze verwendet wurde. … Der Einschätzung, dass bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer konkreten Gefährdung der Dauerarbeitsplätze führt, steht auch nicht entgegen, dass ein Insolvenzverfahren theoretisch auch zur Sanierung des Unternehmens führen kann. … Angesichts der Ungewissheiten, ob eine Sanierung überhaupt gelingt und ob diese mit einem Personalabbau verbunden ist, war die Sicherung der Dauerarbeitsplätze für weitere 4 Jahre und 10 Monate schon bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin nicht mehr verlässlich gewährleistet. … Nach Art. 49 Abs. 2a Satz 1 BayVwVfG durfte der Widerruf des Zuwendungsbescheides wegen Zweckverfehlung mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen.

 

InsbürO 2022, 295: (Keine) Entschädigung wegen pandemiebedingter Verfahrensverlängerung beim Sitzungsbetrieb

BFH, Urt. v. 27.10.2021 – X K 5/20, WKRS 2021, 61808


Leitsätze des Gerichts:

  1. Nach den Erwägungen des Gesetzgebers setzt der (verschuldensunabhängige) Entschädigungsanspruch i.S.d. § 198 GVG voraus, dass die Umstände, die zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer geführt haben, innerhalb des staatlichen bzw. dem Staat zurechenbaren Einflussbereichs liegen müssen.
     
  2. Eine zu Beginn der Corona-Pandemie hierdurch verursachte Verzögerung beim Sitzungsbetrieb führt nicht zur Unangemessenheit der gerichtlichen Verfahrensdauer i.S.d. § 198 Abs. 1 GVG, da sie nicht dem staatlichen Verantwortungsbereich zuzuordnen ist.
     
  3. Bei der Corona-Pandemie und den zur Eindämmung getroffenen Schutzmaßnahmen handelt es sich nicht um ein spezifisch die Justiz betreffendes Problem, da sie – was ihr Personal und die Verfahrensbeteiligten anbelangt – ebenso betroffen ist wie andere öffentliche und private Einrichtungen und Betriebe.
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