17.08.2022

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick
 

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Augustheft 2022

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen


InsbürO 2022, 328: Geltendmachung von Versorgungsbeiträgen und Säumniszuschlägen als Masseverbindlichkeit

OVG Niedersachsen, Beschl. v. 16.05.2022 - 8 LC 134/20, WKRS 2022, 21042 (rkr.)

Amtliche Leitsätze:

  1. § 12 Abs. 5 Satz 1 HKG räumt die Befugnis zum Erlass von Leistungsbescheiden ein.
     
  2. Die im Rahmen einer (einvernehmlichen) Praxisfortführung veranlagten Pflichtbeiträge des Insolvenzschuldners zu einem berufsständischen Versorgungswerk zählen grds. zu den Masseverbindlichkeiten.
     
  3. Betrifft ein Leistungsbescheid eine Masseverbindlichkeit, ist zutreffender Inhaltsadressat der Insolvenzverwalter und nicht der Insolvenzschuldner.
     
  4. Säumniszuschläge teilen das insolvenzrechtliche Schicksal der Beitragsforderung, auf die sie sich beziehen, als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit.


Aus Begründung:

Hinsichtlich der Beiträge für … ist der Kläger (= Insolvenzschuldner) nicht der richtige Adressat des Zahlungsbescheides. Da es sich bei den genannten Beiträgen um Masseverbindlichkeiten handelt, hätte der Bescheid gegen den Insolvenzverwalter gerichtet werden müssen. … Nach Insolvenzeröffnung ist richtiger Inhaltsadressat von Verwaltungsakten hinsichtlich Insolvenz- und Neuforderungen weiterhin der Insolvenzschuldner (…). Pflichtiger des Leistungsgebots hinsichtlich einer Masseverbindlichkeit ist hingegen der Insolvenzverwalter, der allein über die Masse verfügen und die Abgabenforderung erfüllen kann. Deswegen ist er insoweit der zutreffende Inhaltsadressat (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 28.11.2005 - 9 ZB 04.3254 …). … Wenn der Insolvenzverwalter (im Interesse der Masse) die Fortführung der zahnärztlichen Praxis erlaubt hat, gelangen nicht nur die eingehenden Honorare in die Masse. Auch die durch den Betrieb der zahnärztlichen Praxis entstehenden Forderungen Dritter gegen den Insolvenzschuldner sind sonstige Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO. Zu den Verbindlichkeiten, die bei der selbständigen zahnärztlichen Tätigkeit entstehen, gehören neben den Steuerschulden auch die Pflichtbeiträge zur Ärzteversorgung (Bay. VGH, Beschl. v. 28.11.2005 - 9 ZB 04.3254 … Rn. 17). … Der Einwand, der Insolvenzverwalter dürfe mangels berufsrechtlicher Qualifikation als Zahnarzt die zahnärztliche Tätigkeit nicht fortführen, greift nicht durch, wenn tatsächlich die Praxisfortführung durch Tätigkeit des Insolvenzschuldners "in der Masse" erfolgt ist, … Eine Freigabe durch Negativerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO lag während der Monate, auf die sich der angefochtene Bescheid bezieht, nicht vor. Sie wurde erst im … ausgesprochen, …
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Entscheidung zeigt, dass bei der Frage über eine Fortführung oder Freigabe der selbständigen Tätigkeit eines Zahnarztes auch Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk als Masseverbindlichkeit in der Planung eines etwaigen Überschusses berücksichtigt werden müssen. Hier kann anderenfalls eine Haftung nach § 61 InsO drohen, denn wenn die Masseverbindlichkeit wegen fehlender Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden kann, droht eine Schadensersatzpflicht des Insolvenzverwalters. Das OVG hatte die Revision nicht zugelassen.

 


Einkommen
 

InsbürO 2022, 326 f.: Keine Unpfändbarkeit tarifvertraglicher Corona-Prämie

LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.02.2022 – 23 Sa 1254/21, WKRS 2022, 20368 (rkr.)

Leitsatz des Bearbeiters:

Wird einer Vielzahl von Mitarbeitern ohne Differenzierung nach ihrem Tätigkeitsbereich eine Corona-Prämie gewährt, ist diese nicht gem. § 850a Nr. 2 oder Nr. 3 ZPO unpfändbar.


Anmerkung RiAG a.D. Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Die Frage der Pfändbarkeit von sogenannten Corona-Prämien ist umstritten und wird die Rechtsprechung weiter beschäftigen. Ein wichtiges Kriterium ist, ob die Prämie einer Vielzahl von Beschäftigten ohne Differenzierung nach der Arbeitsleistung und ihrer konkreten Belastung mit dem Corona-Virus gewährt wird. So verhielt es sich im vorliegenden Fall. Zu Recht verneint das LAG in der ausführlich begründeten Entscheidung eine Unpfändbarkeit. Der Beschluss ist rechtskräftig, die zugelassene Revision ist nicht eingelegt worden.

 

InsbürO 2022, 324 ff.: Das Mindestelterngeld gilt nicht als Einkommen der unterhaltsberechtigten Person

BGH, Beschl. v.23.022022 – VII ZB 41/21, ZInsO 2022, 1340

Amtlicher Leitsatz:

Das Mindestelterngeld nach § 2 Abs. 4 Satz 1 BEEG ist aufgrund seiner besonderen Zweckbindung nicht den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten i.S.v. § 850c Abs. 6 ZPO zuzurechnen.


Anmerkung Prof. Dr. Hugo Grote:

Anders als das LG Landshut in der Vorinstanz (Beschl. v. 07.07.2021 – 34 T 1673/21, InsbürO 2022, 37f.) sieht der VII. Senat die Zweckbindung des Mindestelterngeldes als entscheidend für die Annahme der Unpfändbarkeit an. Der VII. Senat differenziert dabei zwischen dem Mindestelterngeld (bis 300,00 Euro), welches vom Staat als allgemeine Familienförderung geleistet wird, und dem darüber hinaus gezahlten Elterngeld, das – je nach vorherigem Einkommen - als Einkommensersatz bis zu einem Höchstbetrag von 1.800,00 Euro gewährt wird. Der 300,00 Euro übersteigende Betrag – insoweit bestand kein Streit – ist aufgrund seiner Entgeltersatzfunktion im Rahmen einer Entscheidung nach § 850c Abs. 6 ZPO als anzurechnendes Einkommen des Unterhaltsberechtigten anzusehen.

Der BGH stellt in seiner Entscheidung auf die unterschiedlichen Schutzprinzipien ab, die den Zahlungen zugrunde liegen und lehnt beim Mindestelterngeld eine indirekte Subventionierung der Gläubiger durch die staatlich getragene Leistung ab.

Damit ist eine weitere Klärung der Frage erfolgt, welche Einkünfte des Unterhaltsberechtigten im Rahmen einer Entscheidung nach § 850c Abs. 6 ZPO zu berücksichtigen ist. Die Frage, ob auch Leistungen der Ausbildungsförderung als eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten im Rahmen des § 850c Abs. 6 ZPO anzurechnen ist, hatte der IX. Senat in seiner Entscheidung vom 19.12.2019 (IX ZB 83/18 inInsbürO 2020, 168 f.) noch offengelassen. Die Entscheidung zum Mindestelterngeld erging im Einzelvollstreckungsverfahren und wurde entsprechend durch den VII. Senat entschieden. Es ist aber zu vermuten, dass der XI. Senat sich dieser Auffassung auch für den Fall eines Insolvenzverfahrens anschließen wird.

 


Anfechtungsrecht


InsbürO 2022, 328: Kein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz wg. fehlender Kenntnisse beim Anfechtungsgegner über Vermögenslage beim Schuldner

BGH, Urt. v. 10.02.2022 - IX ZR 148/19, ZInsO 2022, 762

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtliche Leitsätze:

a) Wird die Verbindlichkeit, welche die Annahme einer Zahlungseinstellung des Schuldners trägt, erfüllt oder gestundet, und will der Verwalter die Vermutung der Fortdauer der Zahlungseinstellung für sich in Anspruch nehmen, kann er unter dem Gesichtspunkt der sekundären Darlegungslast gehalten sein, zum Zahlungsverhalten des Schuldners im Übrigen, insbesondere zu weiterhin nicht bedienten Verbindlichkeiten des Schuldners vorzutragen.

b) Bezieht sich ein im Wesentlichen gleichbleibendes, dauerhaft schleppendes Zahlungsverhalten des späteren Schuldners auch auf einen Zeitraum, in dem der Schuldner seine Zahlungen unstreitig noch nicht eingestellt hatte, kann aus dem Zahlungsverhalten nicht auf eine später eingetretene Zahlungseinstellung geschlossen werden.

c) Einem Anfechtungsgegner, der nur das Zahlungsverhalten des Schuldners ihm gegenüber kennt, fehlt i.d.R. der für die Beurteilung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderliche Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners.
 

Aus der Begründung:

Rn. 26: Die Schuldnerin hat weder erklärt, nicht zahlen zu können, noch erreichen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht (…). … Rn. 30: … Es fehlt an dem notwendigen, in die Zukunft gerichteten Überblick über die Vermögensverhältnisse des Schuldners. … Anders als im Falle der Zahlungsunfähigkeit (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) wird die Annahme der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch nicht durch eine gesetzliche Vermutung erleichtert.

 

InsbürO 2022, 329: Überschuldung aus Jahresabschluss kein ausreichender Beweis für Gläubigerbenachteiligungsvorsatz

BGH, Urt. v. 03.03.2022 – IX ZR 53/19, ZInsO 2022, 716

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsätze des Gerichts – zwei von vier:

1. Die insolvenzrechtliche Überschuldung ist ein eigenständiges Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und den Vollbeweis für die Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem Vorsatz.

4. Die im Rahmen des Besteuerungsverfahrens erfolgende Übermittlung eines Jahresabschlusses, dem sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag entnehmen lässt, löst keine Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit der Finanzverwaltung im Blick auf eine mögliche insolvenzrechtliche Überschuldung aus.
 

Aus der Begründung:

Rn. 18: … Ein Rechtsträger, der insolvenzrechtlich überschuldet ist, verfügt nicht über ausreichend Vermögen, um seine bestehenden Verbindlichkeiten zu decken. … Rn. 27: … Gehört der Anfechtungsgegner (hier die Finanzverwaltung) nicht zu den nach § 15a InsO antragspflichtigen Personen und steht er den für die Beurteilung der insolvenzrechtlichen Überschuldung maßgeblichen Geschehensabläufen auch nicht aus anderen Gründen so nahe wie eine antragspflichtige Person, kann von ihm nicht erwartet werden, dass er zu stillen Reserven oder sonstigen, in der Handelsbilanz nicht abgebildeten Werten vorträgt. … Rn. 32: … Die Übermittlung des Jahresabschlusses dient der Informationsgewinnung im Besteuerungsverfahren. …  Rn. 33: … Die Finanzverwaltung darf im Grundsatz davon ausgehen, dass sich die auf Seiten des Steuerpflichtigen verantwortlichen Personen die Bedeutung eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags in der Handelsbilanz bewusstgemacht und die notwendigen Konsequenzen gezogen haben.

             

InsbürO 2022, 329: Mögliche Schenkungsanfechtung für Entgelt an Arbeitnehmer

BGH, Urt. v. 10.03.2022 – IX ZR 4/21, ZInsO 2022, 886

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Gewährt ein Dritter dem Arbeitnehmer Arbeitsentgelt, unterfällt die Schenkungsanfechtung in der Insolvenz des Dritten nicht dem Bargeschäftsprivileg.
 

Zum Sachverhalt:

Der Anfechtungsgegner war Arbeitnehmer bei einer Schwesterngesellschaft der Schuldnerin. Beide Gesellschaften gehörten zur E-Gruppe. Auf dem Überweisungsträger für den Lohn an den Arbeitnehmer war die Schuldnerin als Zahlende ausgewiesen. Auch die Abbuchung erfolgte vom Konto der Schuldnerin. Der Arbeitnehmer hatte seinen Lohn in vorherigen Zeiten von anderen Gesellschaften erhalten.
 

Aus der Begründung:

Rn. 14: … § 142 Abs. 2 Satz 3 InsO ist eine im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hinzugekommene Vorschrift. Danach steht der Gewährung des Arbeitsentgelts durch den Schuldner die Gewährung dieses Arbeitsentgelts durch einen Dritten nach § 267 BGB gleich, wenn für den Arbeitnehmer nicht erkennbar war, dass ein Dritter die Leistung bewirkt hat. … Rn. 16: § 142 Abs. 2 Satz 3 InsO ist nicht anwendbar, wenn eine Leistung in der Insolvenz des das Arbeitsentgelt gewährenden Dritten nach § 134 InsO angefochten wird. … Rn. 22: Eine Gewährung des Bargeschäftsprivilegs kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine unentgeltliche Leistung i.S.d. § 134 InsO nicht Teil eines Bargeschäfts gem. § 142 InsO sein kann (…). Das gilt sowohl im Zwei-Personen-Verhältnis als auch im hier interessierenden Drei-Personen-Verhältnis. … Rn. 29: § 142 Abs. 2 Satz 3 InsO setzt voraus, dass für den Arbeitnehmer nicht erkennbar war, dass ein Dritter die Leistung bewirkt hat. Das ist ein objektiver Maßstab. … Rn. 31: Die dem Beklagten zur Kenntnis gelangten Umstände ließen … die Drittleistung erkennen. Aus den vom Beklagten vorgelegten Kontoauszügen sind acht Überweisungen von drei unterschiedlichen Zahlern ersichtlich.

 


Arbeitsrecht
 

InsbürO 2022, 329: Keine Unwirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige bei fehlenden Sollangaben

LAG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2021 – 12 Sa 600/21,WKRS 2021, 60197 (n. rkr.)

Einer von sieben Leitsätze des Gerichts:

6. Fehlende Sollangaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führen nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (entgegen: LAG Hessen, Urt. v. 25.6.2021 – 14 Sa 1225/20, ZInsO 2021, 2580).
 

Aus der Begründung:

Dem (= Entscheidung LAG Hessen) folgt die erkennende Kammer nicht. Sie geht mit der ganz herrschenden Meinung davon aus, dass Fehler bei den Soll-Angaben des § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG für die Wirksamkeit der Kündigung unschädlich sind (…). … Die Soll-Angaben nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG mögen zweckdienlich und damit durch Art. 3 Abs. 1 UnterAbs. 3 MERL intendiert sein. Zur Überzeugung der Kammer können sie aber schon deshalb für die Wirksamkeit der Anzeige und der Kündigung nicht zwingend erforderlich sein, weil allein die Bezeichnung "zweckdienliche Angaben" in Art. 3 Abs. 1 UnterAbs. 3 MERL bei weitem zu ungenau ist, um einer Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht, die nicht alle denkbaren für die Arbeitsvermittlung zweckdienlichen Angaben als "Muss-Angaben" aufführt, die Richtlinienkonformität oder gar Wirksamkeit abzusprechen. … Ist … der nationale Gesetzgeber mangels ausreichend klarer Vorgaben der Richtlinie nicht gehalten, sämtliche denkbaren, in der MERL nicht ausdrücklich ("insbesondere") genannten zweckdienlichen Angaben für die Arbeitsvermittlung zur Wirksamkeitsvoraussetzung einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige zu erheben, dann kann auch keine richtlinienkonforme Auslegung der Soll-Vorschrift des § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG i.S.e. Muss-Vorschrift geboten sein.
              

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das LAG Düsseldorf hat die Revision u.a. wegen der Abweichung von der Entscheidung des LAG Hessen (Urt. v. 25.06.2021 - 14 Sa 1225/20, InsbürO 2022, 130 = ZInsO 2021, 2580) zu § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG zugelassen. Sie wurde auch eingelegt und ist bei Druckfreigabe beim BAG unter dem AZ: 2 AZR 104/22 anhängig. Auch das LAG Hessen hatte die Revision zugelassen und sie wurde ebenfalls eingelegt (AZ: 2 AZR 424/21), so dass nunmehr mindestens diese beiden Verfahren zur Frage der möglicherweise eintretenden Unwirksamkeit bei fehlenden Sollangaben beim BAG laufen.

 


Vergütungsrecht
 

InsbürO 2022, 330: Zustellungskosten trotz Auslagenpauschale

LG Göttingen, Beschl. v. 25.02.2022 – 10 T 55/21 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter macht neben einer Auslagenpauschale auch die Kosten für 84 Zustellungen in seinem Vergütungsantrag geltend. Das AG hat die Erstattung der Zustellungskosten abgelehnt.
 

Aus der Begründung:

Zur Begründung hat das AG ausgeführt, für die ab dem 01.01.2021 eröffneten Verfahren könne der Insolvenzverwalter bei den betreffenden Auslagen zwischen der Einzel-abrechnung oder einer Auslagenpauschale wählen. … Die sofortige Beschwerde des Insolvenzverwalters ist gem. §§ 6 Abs. 1, 64 Abs. 3 InsO zulässig, sie ist auch überwiegend begründet. … Seit der Entscheidung des BGH v. 21.12.2006 – IX ZB 129/05, ZInsO 2007, 202 war in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Insolvenzverwalter, dem die Zustellungen übertragen worden waren, neben der allgemeinen Auslagenpauschale auch die Kosten für die Zustellung geltend machen konnte. … Der Auffassung des AG, dass das Nebeneinander der Pauschale gem. § 8 Abs. 3 InsVV und der Zustellkosten gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 InsVV deshalb nicht mehr in Betracht komme, weil der Gesetzgeber mit der Neufassung der InsVV für die seit dem 01.01.2021 beantragten Verfahren keine entsprechende Regelung aufgenommen habe, schließt sich das Beschwerdegericht ausdrücklich nicht an. Die Rechtsprechung des BGH gilt fort (…). Der Insolvenzverwalter hat jedoch nur Anspruch auf Erstattung der Auslagen für die Zustellungen, soweit diese die Anzahl von zehn Zustellungen übersteigen. … Damit ergibt sich eindeutig, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der Insolvenzverwalter für zehn Zustellungen keine Auslagen geltend machen kann, für alle sonstigen Zustellungen, die darüber hinausgehen, steht ihm jedoch ein Anspruch von je 3,50 € zu.

 

InsbürO 2022, 330: Zustellungskosten ab erster Zustellung

AG München, Beschl. v. 01.04.2022 – 1513 IK 297/21

Aus der Begründung:

Insgesamt ist die Meinungslandschaft zu dieser Frage in den Kommentierungen und der sonstigen Literatur sehr vielfältig. … Voraussetzung für eine Beschränkung der Kostenerstattung i.S.d. Nr. 9002 GKG-KostVerz ist, dass es sich um Gebühren handelt, die sich nach einem Streitwert richten. Vorliegend geht es jedoch um eine Vergütung, welche sich gerade nicht nach dem Streitwert richtet. Die Voraussetzungen liegen also für die Vergütung eines Insolvenz-verwalters nicht vor. … Bereits nach der Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 21.03.2013 – IX ZB 209/10, ZInsO 2013, 894) steht fest, dass die Zustellungen grds. den Gerichten obliegen und damit nicht zu den mit der Regelvergütung abgegoltenen Tätigkeiten des Verwalters gehören können. Der BGH stellt insofern fest: „Würde der Verwalter für diese im Auftrag des Gerichts ausgeführte Sondertätigkeit nicht vergütet, wäre er letztlich ehrenamtlich tätig (…).“ … Der Versuch der Neuregelung ist … in sich widersprüchlich ist. Allein auf den Wortlaut der Sonderklausel Nr. 9002 abzustellen, kann vorliegend nicht die Lösung sein. … Die Begründung des RegE verfehlt es, den Besonderheiten der Vergütung des Insolvenzverwalters Rechnung zu tragen. Es mag zwar der ursprüngliche Gedanke des RegE gewesen sein, jedoch kann dies dem Text der Neuregelung, dem Sinn und Zweck der Regelung sowie dem Wortlaut der Nr. 9002 GKG-KostVerz schlicht nicht entnommen werden. Der Beschluss des AG München war daher bezüglich der Kostenfestsetzung zu ergänzen und eine Kostenerstattung bereits ab der ersten Zustellung zu gewähren.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

In dieser Entscheidung werden in der vollständigen Fassung - vorstehend ist nur ein Auszug veröffentlicht - die unterschiedlichen Ansichten in der Rechtsprechung und Literatur dargestellt, so dass man einen zusammenfassenden Überblick erhält. Interessant ist, dass es innerhalb des AG München offensichtlich unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt, denn die nachfolgende Entscheidung lehnt eine Erstattung für die ersten zehn Zustellungen ab.

 

InsbürO 2022, 330 f.: Keine Erstattung Zustellungskosten für ersten 10

AG München, Urt. v. 11.05.2022 – 1500 IN 968/21

Aus der Begründung:

Der Verwalter beantragt … gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 InsVV i.V.m. Nr. 9002 GKG-KostVerz auch für die ersten 10 Zu-stellungen die Erstattung der Auslagen i.H.v. 3,50 € je Zustellung mit der Begründung, dass der Anspruch nach Sinn und Zweck schon für die ersten 10 rückwirkend gelten müsse. … Allerdings ist in der Gesamtschau nach obiger Ansicht und wohl herrschenden Rechtsanwendung des Nr. 9002 GKG-KostVerz die Festsetzung der Auslagen erst ab der 11. Zustellung zu bewilligen. Insofern wird sich AG Hannover, Beschl. v. 03.01.2022 – 904 IK 40/21-3, ZInsO 2022, 547; … angeschlossen.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Auch in dieser Entscheidung werden in der vollständigen Fassung eine Vielzahl von Rechtsmeinungen und schon ergangenen Beschlüssen aufgeführt. Das AG München kommt aber – wie ersichtlich – zu einem anderen Ergebnis als die vorgenannte andere Abteilung innerhalb des Insolvenzgerichts beim AG München.

 

InsbürO 2022, 331: Vergütungsansprüche des gemeinsamen (Gläubiger-)Vertreters von Anleihegläubiger keine Verfahrenskosten und keine Masseverbindlichkeit

BGH, Urt. v. 10.03.2022 – IX ZR 196/20, ZInsO 2022, 821

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 2: Von einer Abschlagszahlung des Insolvenzverwalters auf die Quote behielt der Beklagte (= gemeinsamer Vertreter) einen Betrag von 845,61 € als Abschlag auf seine Vergütung ein. … Rn. 3: Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin (= Anleihegläubiger) die Zahlung von 845,61 € …, die Feststellung, dass der Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung resultiere, sowie … verlangt. … Rn. 17: … Im vorliegenden Fall haben die Gläubiger die Bestellung des gemeinsamen Vertreters … beschlossen, nachdem der Insolvenzverwalter ihnen mitgeteilt hatte, dessen Vergütung und Auslagen würden von der Insolvenzmasse getragen. Das traf so nicht zu. Die Vergütung und die Auslagen des gemeinsamen Vertreters gehören nicht zu den Kosten des Insolvenzverfahrens und stellen auch keine Masseverbindlichkeit dar (BGH, Beschl. v. 14.07.2016 – IX ZB 46/15, … ZInsO 2016, 1650; Urt. v. 12.01.2017 – IX ZR 87/16, … ZInsO 2017, 438). … Rn. 18: … Die Vorstellung des Gesetzgebers (= § 7 Abs. 6 SchVG), dass die durch die Bestellung des gemeinsamen Vertreters entstehenden Kosten dem Schuldner und nicht den Gläubigern zur Last fallen, lässt sich im Insolvenzverfahren nicht mehr verwirklichen. … Rn. 19: Die Gläubiger, die mehrheitlich die Bestellung eines gemeinsamen Vertreter beschlossen haben, werden durch die Entnahmebefugnis des gemeinsamen Vertreters nicht unbillig belastet. Sie konnten nicht erwarten, dass dieser unentgeltlich für sie tätig werden würde. Auch eine aus der Masse zu zahlende Vergütung hätte ihre Quote gemindert.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Wer nähere Informationen zum grds. Umgang mit Anleihegläubigern und dem häufig gewählten gemeinsamen Vertreter sucht, der sei auf eine ausführliche Anmerkung zu einer Entscheidung des AG Düsseldorf zum Stimmrecht des gewählten Vertreters verwiesen (Beschl. v. 20.03.2020 – 502 IN 155/19, InsbürO 2020, 374), in der sich auch detaillierte Erläuterungen zum Hintergrund einer Anleihe finden.

 

 

 

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