18.11.2020

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

 

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

November 2020

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2020, 448 ff.: Mit Versterben des Schuldners endet die Wohlverhaltensperiode – keine Fortführung mit den Erben

AG Dresden, Beschl. v. 17.04.2019 – 544 IN 2661/11, ZInsO 2020, 1558 (rkr.)

Leitsätze des Bearbeiters:

Stirbt ein Schuldner in der sog. "Wohlverhaltensphase", ist das Verfahren nach                  allgemeiner Meinung analog § 299 InsO einzustellen. „Restschuldbefreiung" kann den Erben des Schuldners im vorliegenden Verfahren nicht erteilt werden.

 

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Verstirbt ein Schuldner nach Aufhebung des Verfahrens in der sog. „Wohlverhaltensphase“, ist das Verfahren nach allgemeiner Meinung analog § 299 InsO beendet, da die Erben die höchstpersönlichen Obliegenheiten des Schuldners gem. §§ 295 ff. InsO nicht erfüllen können. Umstritten ist hingegen, ob eine Erteilung der Restschuldbefreiung bei Versterben des Schuldners nach Ablauf der Abtretungsfrist für die Erben in Betracht kommt (bejahend Ahrens in Frankfurter Kommentar zur InsO (FK-InsO), 9. Aufl., § 286 Rn. 106 m.w.N.). Dies verneint die vorliegende Entscheidung. Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen nicht. Zwar ist die Rechtslage für den Fall des Todes des Schuldners nicht ausdrücklich geregelt, eine Lösung ist aber mit den juristischen Mitteln der Auslegung möglich. Nach dem Gesetzeszweck soll dem (redlichen) Schuldner ein „fresh start“ ermöglicht werden. Dies könnte gegen eine Erteilung der Restschuldbefreiung sprechen. Andererseits wird bei der Restschuldbefreiung ein mögliches Nachlassinsolvenzverfahren vermieden, das allerdings in Betracht kommt, wenn der Erblasser nach Eröffnung des Verfahrens neue Verbindlichkeiten begründet hat. Sind – wie im vorliegenden Fall – zulässige Versagungsanträge eingegangen, wären diese zu bescheiden. Das kann erheblichen Arbeitsaufwand verursachen. Ein Recht zur Rücknahme des Restschuldbefreiungsantrages besteht bei Vorliegen eines zulässigen Versagungsantrages grds. nicht (Schmerbach in FK-InsO (= Frankfurter Kommentar zur InsO), 9. Aufl., § 13 Rn. 145 ff.). Es stellt sich aber die Frage, ob eine Zurücknahme nicht ausnahmsweise zulässig ist, da ein erneuter Restschuldbefreiungsantrag vom Schuldner nicht mehr gestellt werden kann. Insgesamt ist eine höchstrichterliche Klärung dieser Frage wünschenswert.

 

InsbürO 2020, 453 f.: Versagung der Restschuldbefreiung wegen Nichtangabe von Lebensversicherungen

BGH, Beschl. v. 16.07.2020 – IX ZB 77/18, ZInsO 2020, 1840

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Zum Sachverhalt:

Rn. 2: … Der Schuldner hat die nicht an die Bank abgetretenen Lebensversicherungen im Verfahren nicht mitgeteilt. Erst durch Hinweise des Gläubigers hat der weitere Beteiligte zu 1 (= Insolvenzverwalter) Ende 2013 von diesen erfahren. Er hat die Verträge gekündigt und aus den Rückkaufswerten 64.150,02 € für die Insolvenzmasse erlöst.

 

Aus der Begründung:

Rn. 13: Unter grober Fahrlässigkeit ist ein Handeln zu verstehen, bei dem die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseitegeschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte. Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung (…). … Rn. 15: Entgegen der Rechtsbeschwerdebegründung hat das Beschwerdegericht vom Schuldner nicht verlangt, nach jahrelang beitragsfrei gestellten und deshalb "vergessenen" Lebensversicherungen ohne Anlass zu suchen. Es hat sich vielmehr darauf gestützt, dass der Schuldner seine Versicherungen nur wenige Monate vor dem Eröffnungsverfahren gegenüber seiner Bank angegeben hat. Rn. 16: Das Beschwerdegericht hat den Vortrag des Schuldners zur Kenntnis genommen, wonach die Aufnahme aller Versicherungen in die Vermögensübersicht für die Bank auf deren Wunsch beruht habe, auch Vermögenswerte der Ehefrau und der Kinder anzugeben, und dass der Schuldner diese im Insolvenzverfahren "nicht seinem eigenen Vermögen zugerechnet" habe. Dieser Vortrag ist aber unerheblich, weil es darauf ankommt, dass der Schuldner Versicherungsnehmer - und damit Rechtsinhaber - war, und dies wusste. … Rn. 17: … Dem Schuldner musste klar sein, dass die Beurteilung der Verwertbarkeit seiner Versicherungsverträge nicht ihm zustand, sondern dem zur Verwertung der Insolvenzmasse berufenen Insolvenzverwalter (…).

 

 

Einkommen

InsbürO 2020, 451 ff.: Zu den Bemühungen um eine Vollzeitbeschäftigung und zur Auskunftserteilung darüber

AG Hamburg, Beschl. v. 30. 6. 2020 - 68h IK 84/19, ZInsO 2020, 1801

Leitsatz des Bearbeiters:

Ein teilzeitbeschäftigter Schuldner muss sich grds. um eine Vollzeitbeschäftigung bemühen. Er verletzt seine Mitwirkungspflicht aus § 97 InsO, wenn er Gericht und Verwalter nicht von sich aus Auskunft über seine Bewerbungsbemühungen erteilt.

 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Diese Entscheidung des AG Hamburg führt in den Alltag der Verfahren zur Versagung der Restschuldbefreiung. Der Schuldner hat seit der Reform zum 01.07.2014 auch im eröffneten Insolvenzverfahren die Verpflichtung, eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben und sich um eine solche zu bemühen, wenn er ohne Beschäftigung ist. Auf eine Teilzeitbeschäftigung übertragen bedeutet diese Verpflichtung, dass sich der teilzeitbeschäftigte Schuldner nicht mit der Teilzeitbeschäftigung zufriedengeben darf, sondern sich grds. um eine Vollzeitbeschäftigung zu bemühen hat (BGH, Beschl. 01.03.2018 - IX ZB 32/17, InsbürO 2018, 194 = ZInsO 2018, 787). Beachtet der Schuldner dieses Gebot nicht, ist ihm die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn er mit seinem Verstoß - und dies ist die Besonderheit des Versagungsgrundes des § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO - gleichzeitig die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung kann entfallen, wenn der Schuldner auch mit einer Vollzeitbeschäftigung keine pfändbaren Einkommensanteile erzielen kann (BGH, Beschl. 22.10.2009 - IX ZB 160/09, InsbürO 2009, 476 = ZInsO 2009, 2210). Diesem System folgt das AG Hamburg und versagt die Restschuldbefreiung, da sich die teilzeitbeschäftigte Schuldnerin nicht ausreichend um eine Vollzeitbeschäftigung bemüht hat und damit die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt hat. Die tatrichterlichen Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen einer Versagung kann die Schuldnerin im Beschwerdeverfahren überprüfen lassen, da das Beschwerdegericht eine vollständige zweite Tatsacheninstanz ist (BGH, Beschl. 17.09.2009 - IX ZB 62/08, InsbürO 2009, 477). Soweit enthält die Entscheidung Versagungsalltag.

Das AG Hamburg sieht allerdings auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht der Verbraucherschuldnerin aus § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO, da die Schuldnerin Gericht und Verwalter nicht von sich aus über ihre Bewerbungsbemühungen um eine Vollzeitstelle unterrichtet habe. Die Versagung der Restschuldbefreiung wegen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht erfordert keine Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung. Mit seiner Annahme betritt das AG Hamburg Neuland, da diese Ansicht bislang - soweit ersichtlich - in Rechtsprechung und Schrifttum nicht vertreten wird. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses oder die Aufnahme einer neuen Beschäftigung sind unstreitig und ohne Zweifel vom Schuldner auch ohne Nachfrage anzuzeigen. Doch es dürfte schon fraglich sein, ob die Auskunft über Bewerbungsbemühungen eine Auskunfts- und Mitwirkungspflicht i.S.d. des § 97 InsO ist. Die Pflichten aus § 97 InsO werden für Verbraucherschuldner aus den im amtlichen Formular nachgefragten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen hergeleitet (Allemand in Henning/Lackmann/Rein, Privatinsolvenz – Handkommentar, § 97 Rn. 6), wozu die Bewerbungsbemühungen nicht gehören. Ausschlaggebend dürfte letztlich die vom Gericht selbst angeführte Verbindung der Erwerbsobliegenheit im eröffneten Verfahren mit derjenigen in der Wohlverhaltensperiode nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO sein. Hierzu gehört die bei den weiteren Versagungsgründen des § 290 Abs. 1 InsO nicht erforderliche Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung und der Verweis in § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO auf § 296 InsO. Zur Erwerbsobliegenheit in der Wohlverhaltensperiode muss der Schuldner aber gem. § 295 Abs. 3 InsO nur auf Nachfrage des Treuhänders Auskunft erteilen. Die Ansicht des AG Hamburg ist daher als zu weitgehend abzulehnen.

 

InsbürO 2020, 454 f.: Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO umfasst auch Krankengeldanspruch

LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 30.06.2020 – L 11 KR 4604/18, ZInsO 2020, 1798 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Die Beklagte (= Krankenversicherung) vertrat … die Auffassung, die Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO a.F. sei am 18.12.2012 vom Beigeladenen unterschrieben worden und habe den Krankengeldanspruch nicht erfasst, denn Sozialleistungen gem. § 53 SGB I seien nur abtretbar, soweit sie nach § 54 SGB I, §§ 850 ff. ZPO pfändbar seien. Unpfändbar seien jedoch Sozialleistungen, deren gesetzliche Anspruchsvoraussetzungen noch durch ein künftiges ungewisses Ereignis bedingt seien (reine Erwartung). Dies gelte auch für den Fall des Anspruchs auf Krankengeld vor arbeitsunfähiger Erkrankung. Der Beigeladene sei am 18.12.2012 nicht arbeitsunfähig erkrankt, der Anspruch auf künftiges Krankengeld sei eine reine Erwartung gewesen.

 

Aus der Begründung:

Werden erst künftig entstehende Forderungen im Voraus übertragen, ist besonders bedeutsam, dass Gegenstand und Rechtsgrund der Übertragung bestimmt oder jedenfalls individuell bestimmbar sind. … Bei einer solchen Vorausabtretung ist jedoch nicht erforderlich, dass die Rechtsbeziehung, in der der künftige Anspruch wurzeln wird, schon besteht. Im Zeitpunkt der Abtretung ist lediglich die Möglichkeit erforderlich und ausreichend, dass der abgetretene künftige Anspruch entsteht. … Die von dem Beigeladenen im Zusammenhang mit der beantragten Restschuldbefreiung abgegebene Erklärung ist hinreichend bestimmt. Die Formulierung entspricht dem Wortlaut der von § 287 Abs. 2 InsO a.F. geforderten Erklärung. … In der Verbraucherinsolvenz besteht insoweit ein Formularzwang, sodass dem Eröffnungsantrag die … vorgeschriebene Abtretungserklärung beizufügen ist (…). Die Abtretungserklärung erstreckt sich auf "Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge". Davon wird auch das als Ersatz für ausgefallenes Arbeitsentgelt gezahlte Krankengeld nach § 44 SGB V erfasst. Zum Zeitpunkt der Abtretung war auch bereits die Möglichkeit gegeben, dass künftig ein Anspruch auf Krankengeld entsteht. Auch ist die (vorformulierte) Abtretungserklärung auf pfändbare Forderungen begrenzt. … Das SGB I und das SGB V enthalten keine Rechtsgrundlage für die Zahlung von Verzugszinsen. … Allerdings hat die Klägerin (= Treuhänderin) Anspruch auf Prozesszinsen. … Weder die Klägerin noch die Beklagte sind in kostenrechtlicher Hinsicht nach Maßgabe des § 183 SGG privilegiert.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Ein immer wieder vorkommendes Ereignis: Ein Schuldner erkrankt längere Zeit und bezieht Krankengeld. Vorstehend wird bestätigt, dass die Abtretungserklärung den pfändbaren Teil des Krankengeldes umfasst. Wichtig ist insoweit, dass die Krankenversicherung auch Kenntnis von der Abtretungserklärung hat, so dass die Insolvenzbüros die Versicherungsgesellschaften also direkt über den Anspruch auf Abführung der pfändbaren Anteile zu informieren haben. Schwierig ist dabei häufig, dass die Schuldner die Erkrankung nicht rechtzeitig mitteilen, so dass die Krankenversicherung dann im Zweifel wegen fehlender Kenntnis mit schuldbefreiender Wirkung an den Schuldner gezahlt hat. Ein anderes Problem ist aber vor allem die immer noch nicht eindeutig geklärte Frage, ob es überhaupt Aufgabe des Treuhänders ist, der nicht mit der Obliegenheitsüberwachung nach § 292 Abs. 2 InsO beauftragt wird, die Abführung zu prüfen. Nach § 292 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Treuhänder den Zahlungspflichtigen zu informieren. Es wäre eigentlich Sache des Schuldners, für die tatsächliche Abführung zu sorgen, was vorliegend aufgrund der rechtlich unterschiedlichen Bewertung der Abtretungserklärung durch die Krankenversicherung und die Treuhänderin aber kaum möglich gewesen wäre. Tatsächlich ist dies damit weiterhin eine „Grauzone“, denn zahlreiche Insolvenzgerichte erwarten diese Tätigkeit auch vom Treuhänder.

Im Übrigen sieht die Regelung in § 183 SGG I ein kostenfreies Prozessverfahren vor den Sozialgerichten vor. Da diese Kostenfreiheit abgelehnt wurde, sollte man die insoweit auch häufig pragmatische Lösung in Betracht ziehen: Der Schuldner hat Kenntnis davon, dass während der Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens pfändbare Beträge abzuführen sind. Passiert dies nicht, sollte er die erhaltenen Beträge an die Insolvenzmasse bzw. an den Treuhänder auskehren, ohne dass gegen den Drittschuldnerin ein Prozess eingeleitet werden muss. Dies erfordert aber eine/n kooperativen Schuldner/in.

 

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2020, 455: Entschädigungszahlung aus Betriebsschließungsversicherung wg. Corona-bedingter Hotelschließung

LG Mannheim, Urt. v. 29.04.2020 - 11 O 66/20, WKRS 2020, 18054 (rkr.)

Aus der Begründung:

Die Kammer ist … der Ansicht, dass der Verfügungsklägerin aus den zwischen den Parteien bestehenden Betriebsunterbrechungsversicherungen jeweils ein Anspruch auf die vereinbarte Versicherungsleistung zusteht. Zunächst ist bei der gebotenen Auslegung von § 5 Nr. 2 der ...Bedingungen 2010 das SARS-Corona-Virus ein meldepflichtiger Krankheitserreger beziehungsweise die dadurch ausgelösten Erkrankungen meldepflichtige Krankheiten. Maßstab der Auslegung ist, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die jeweilige Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Zusammenhangs verstehen muss. Bei dieser Auslegung könnte die Formulierung "die in §§ 6, 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger" entweder eine statische Verweisung auf die bei Vertragsschluss in diesen Normen aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger bedeuten oder im Sinne einer dynamischen Verweisung letztlich alle - auch bei nachträglichen Gesetzesänderungen - unter diese Vorschriften fallenden meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger umfassen. … Die Verweisung greift aus Sicht der Kammer auch in dem vorliegenden Fall, obwohl bislang keine Änderung des enumerativen Katalogs der §§ 6, 7 IfSG vorgenommen wurde, sondern diese um das SARS-Corona-Virus im Wege einer Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 1 IfSG erweitert wurden. Diese Erweiterung ist speziell durch die Generalklauseln des § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG und § 7 Abs. 2 IfSG vom Infektionsschutzgesetz vorgesehen und daher von der dynamischen Bezugnahme umfasst.

 

InsbürO 2020, 455: (Vorläufige) Rückzahlung bereits beglichener Sozialversicherungsforderungen zwecks Sicherung der Liquidität eines Fitnessstudiobetreibers

LSG Bayern, Beschl. v. 06.05.2020 – L 7 BA 58/20 B ER, ZInsO 2020, 1891 (unanfechtbar)

Aus der Begründung:

Die Antragstellerin hat … glaubhaft gemacht, dass das Festhalten an der sofortigen Vollziehung der Beitragsnachforderung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte für sie zur Folge hätte. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die aktuelle finanzielle Situation der Antragstellerin auf staatliche Maßnahmen (zur Bekämpfung des neuen Coronavirus) zurückgeht, die keine spezifische Ursache im Betrieb der Antragstellerin haben, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse erfolgten. Die Antragstellerin konnte weiter glaubhaft machen, dass allein durch die staatlich angeordnete Einstellung ihres Studiobetriebs Liquiditätsprobleme entstanden sind. Sie konnte schließlich darlegen, dass sie - über das Betreiben des vorliegenden Verfahrens hinaus - die ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen (Verzicht der Geschäftsführer auf Gehalt, Einzahlung privater Mittel durch die Gesellschafter) getroffen hat, um den entstandenen Liquiditätsproblemen zu begegnen. Ungeachtet dessen können die laufenden Verpflichtungen im Monat Mai aus den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr bzw. nur unter Berücksichtigung der streitigen Erstattung bedient werden. Die Antragstellerin hat ihre sofortige Zahlungsunfähigkeit für den Fall glaubhaft gemacht, dass ihr die streitige Beitragsnachforderung nicht erstattet wird. … Soweit die Antragsgegnerin darauf hinweist, dass trotz aller Bemühungen eine Insolvenz der Antragstellerin und damit der endgültige Verlust der Nachforderung zu befürchten stehe, erscheint dies zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats und nach aktuellem Sachstand nicht glaubhaft.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das Landessozialamt führt in der Begründung aus, dass nach einer Entscheidung des BSG die konkret festgestellten Umstände in die vorzunehmende Gesamtabwägung einzustellen sind (Urt. v. 14.03.2018 - B 12 R 3/17 R, WKRS 2018, 18604). Das Gericht hielt es für glaubhaft dargelegt, dass die realistische Chance bestehe, dass durch die Beitragserstattung der Fortbestand des Betriebs der Antragstellerin über die aktuelle Krisensituation hinaus sichergestellt werden könne und dies stehe letztlich auch im öffentlichen Interesse bzw. dem Interesse der Sozialversicherung.

 

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2020, 455 f.: Anfechtung bei Darlehensgebern, die Gesellschaftern gleichgestellt sind

BGH, Urt. v. 25.06.2020 – IX ZR 243/18, ZInsO 2020, 1641

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsätze des Gerichts:

1. Der Insolvenzverwalter hat für eine Anfechtung einer Rechtshandlung, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens Befriedigung gewährt hat, darzulegen und zu beweisen, dass der Dritte kein Gesellschafter des Schuldners ist. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Dritte einem Gesellschafter gleichzustellen ist, trifft hingegen den Anfechtungsgegner.

2a. Ansprüche eines Darlehensgebers stehen wirtschaftlich einer Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens gleich, wenn sich die Tätigkeit der Gesellschaft für den Darlehensgeber in einer Gesamtbetrachtung aufgrund seiner einem Gesellschafter vergleichbaren Rechtsstellung als eine eigene unternehmerische Betätigung darstellt. Hierzu sind bei der jeweiligen Gesellschaftsform die bestehende Gewinnbeteiligung des Darlehensgebers, seine gesellschaftergleichen Rechte und seine Teilhabe an der Geschäftsführung in einem Gesamtvergleich mit der Rechtsposition eines Gesellschafters zu betrachten.

2b. Ein doppelseitiges Treuhandverhältnis, bei dem der Gesellschafter als Treugeber seinen Gesellschaftsanteil auf einen Treuhänder überträgt, der ihn zugleich treuhänderisch zugunsten des Darlehensgebers hält, führt nicht dazu, dass der Darlehensgeber allein aufgrund der zu seinen Gunsten bestehenden treuhänderischen Berechtigung einem Gesellschafter gleichzustellen ist. Auch insoweit kommt es darauf an, wie die Rechtsstellung des Darlehensgebers im Vergleich zu einem Gesellschafter ausgestaltet ist.

2c.Eine bloß faktische Möglichkeit des Darlehensgebers, Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft zu nehmen, genügt nicht für eine Gleichstellung mit einem Gesellschafter.

 

Aus der Begründung:

Rn. 17: Darauf aufbauend unterscheidet § 135 InsO zwischen der Anfechtung von Rechtshandlungen, welche einem Gesellschafter oder einem ihm gleichgestellten Dritten Befriedigung oder Sicherheit gewähren (§ 135 Abs. 1 InsO), sowie der Anfechtung von Rechtshandlungen, die einem Dritten Befriedigung gewähren (§ 135 Abs. 2 InsO). … Rn. 19: Die Banken waren gesellschaftsfremder Dritter. … Rn. 42: Selbst wenn damit die Gewinne vorrangig den Banken zufließen sollten, beruht dies auf den Ansprüchen der Banken auf Darlehenszinsen und Kapitalrückzahlung und begründet insoweit in erster Linie eine Sicherheit. Eine solche letztlich nur indirekte Beteiligung am Gewinn stellt nur ein schwaches Indiz für eine Gleichstellung als Gesellschafter dar. Denn diese Vereinbarungen entsprechen in ihrem Umfang den Ansprüchen bei einem Fremddarlehen. Hingegen liegt weder eine anteilige - etwa im Verhältnis der Kapitalbeteiligung - noch eine variable Beteiligung am Gewinn vor. Damit bleibt die Beteiligung der Banken am Gewinn deutlich hinter der einem Kommanditisten nach §§ 167 ff. HGB zustehenden Gewinnbeteiligung zurück. … Rn. 54: Im Streitfall liegt die Entscheidungsbefugnis bei der Treuhänderin; sie ist jedoch nur an die Vorgaben des Treuhandvertrags gebunden und keinen Weisungen unterworfen. Ein über die Vorgaben des Treuhandvertrags hinausgehender rechtlich abgesicherter Einfluss der Banken besteht hingegen nicht. Dies führt nicht zu einem umfassenden Zustimmungsvorbehalt der Banken.                  

              

 

Steuerrecht

InsbürO 2020, 456: Umsatzsteuer aus Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung keine Masseverbindlichkeit

BFH, Beschl. v. 07.05.2020 – V R 14/19, ZInsO 2020, 1788

(V. Senat = u.a. zuständig für die Umsatzsteuer)

Leitsatz des Gerichts:

Der Umsatzsteueranspruch für einen Besteuerungszeitraum, in dem der Unternehmer einem Eröffnungsverfahren mit vorläufiger Eigenverwaltung nach § 270a InsO unterliegt, ist weder nach § 55 Abs. 2 InsO noch nach § 55 Abs. 4 InsO eine Masseverbindlichkeit; auch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften kommt nicht in Betracht (Anschluss an BGH vom 22.11.2018 – IX ZR 167/16, BGHZ 220, 243).

 

Aus der Begründung:

Rn. 19: § 55 Abs. 2 und Abs. 4 InsO setzen die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters durch das Insolvenzgericht voraus (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO), … Rn. 22: Ändert somit der auf Eröffnung in Eigenverwaltung gerichtete Antrag (§§ 13, 270a InsO) nichts daran, dass der Schuldner aus eigenem Recht handelt, ist dieser Antrag für die insolvenzrechtliche Einordnung der bis zur Verfahrenseröffnung begründeten Vermögensansprüche als Insolvenzforderung (§ 38 InsO) ohne Bedeutung. … Rn. 32: Selbst wenn man in einem hier vorliegenden Eröffnungsverfahren mit einer Dauer von über 8 Monaten angesichts einer vom FA angenommenen durchschnittlichen Verfahrensdauer von nur 3 Monaten einen Gestaltungsmissbrauch sehen sollte, kommt dies im Streitfall, …, nicht in Betracht. Rn. 33: I.Ü. besteht für das FA die Möglichkeit, einen Antrag auf Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 InsO zu stellen. Dies kann insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn die eigentlich nach § 1 Satz 1 InsO dem Insolvenzverfahren vorbehaltene Verwertung des Schuldnervermögens in das Eröffnungsverfahren vorgezogen wird oder konkrete Tatsachen dies befürchten lassen, …

 

InsbürO 2020, 456 f.: Frage des Vorsteuerabzuges aus Rechnungen des Insolvenzverwalters bei Fortführung des Unternehmens

FG Münster, Gerichtsbescheid v. 04.05.2020 – 5 K 546/17 U, WKRS 2020, 24626 (rkr.)

Aus der Begründung:

Soweit es sich um ein Insolvenzverfahren einer unternehmerisch tätigen natürlichen Person handelt, ist ein Vorsteuerabzug nur im Verhältnis der unternehmerischen zu den privaten Verbindlichkeiten (die jeweils als Insolvenzforderungen angemeldet worden sind) möglich (BFH, Urt. v. 15.04.2015 - V R 44/14, … Rn. 12). Im Falle der Insolvenz einer KG sind demgegenüber alle geltend gemachten Insolvenzforderungen regelmäßig aufgrund der Unternehmenstätigkeit der KG entstanden, so dass in diesem Fall ein vollständiger Vorsteuerabzug möglich ist (BFH, Urt. vom 02.12.2015 - V R 15/15, … Rn. 18). Der BFH hat jedoch offen gelassen, ob es auf die im Verfahren angemeldeten Forderungen auch dann ankommt, wenn der Insolvenzverwalter - anders als in den von ihm entschiedenen Fällen - das Unternehmen fortführt oder ob es im Falle einer Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter zu einer Vorsteueraufteilung nach Maßgabe der fortgesetzten unternehmerischen unter Vernachlässigung - einer nur tlw. unternehmerischen Begründung - von Insolvenzforderungen kommen könnte (BFH, … Urt. vom 02.12.2015 - V R 15/15, … Rn. 18; …). … Die vom BFH offen gelassene Streifrage, ob neben den Insolvenzforderungen (oder statt diesen) auch die Lieferungen und sonstigen Leistungen des Insolvenzverwalters im Rahmen der Vorsteueraufteilung zu berücksichtigen sind, kann … im Streitfall ebenfalls offen bleiben, da sowohl die Insolvenzforderungen zu 100 % unternehmerisch veranlasst sind als auch die vom Insolvenzverwalter ausgeführten Umsätze - wenn man die steuerfreie Grundstücksveräußerung als Verwertungsumsatz außer Betracht lässt - zu 100 % steuerpflichtig waren.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde zwar zur Fortbildung des Rechts hinsichtlich des Vorliegens und der Behandlung von durch den Insolvenzverwalter bewirkten Verwertungsumsätzen zugelassen, aber nicht eingelegt.

 

InsbürO 2020, 457: Frage der Masseverbindlichkeit bei Entgeltvereinnahmung im Insolvenzeröffnungsverfahren

BFH, Urt. v. 28.05.2020 – V R 2/20, ZInsO 2020, 1931

(V. Senat = u.a. zuständig für Umsatzsteuer)

Leitsätze des Gerichts:

Ordnet das Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO an, dass Verfügungen des Insolvenzschuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, werden Drittschuldner aus Leistungen an den Insolvenzschuldner nur dann gem. § 24 Abs. 1 i.V.m. § 82 InsO befreit, wenn sie zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannten. Hat der Drittschuldner mangels Schuldbefreiung nochmals an den Verwalter im Eröffnungsverfahren oder im eröffneten Verfahren zu zahlen, entsteht eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 oder Abs. 4 InsO.

 

Aus dem Sachverhalt:

Rn. 10: Hiergegen wendet sich das FA mit seiner Revision. Für das Entstehen einer Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO sei nicht nur auf die Entgeltvereinnahmung durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter, sondern auch auf die Entgeltvereinnahmung durch den Schuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters abzustellen. Dabei sei auch konkludentes Verhalten zu berücksichtigen. … Der Kläger (= Insolvenzverwalter) habe die Möglichkeit gehabt, beim Insolvenzgericht zu beantragen, dass das Insolvenzgericht Drittschuldnern verbiete, an den Insolvenzschuldner zu zahlen. Der Kläger habe auch das Konto des Insolvenzschuldners sperren lassen können. Im Hinblick auf den mit § 55 Abs. 4 InsO verfolgten Zweck seien keine hohen Anforderungen an die rechtlichen Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters zu stellen. Da der Kläger die Zahlungen der Drittschuldner an den Insolvenzschuldner nicht verhindert habe, sei von seiner Zustimmung durch schlüssiges Verhalten auszugehen. Der Zahlungseingang auf dem Konto des Insolvenzschuldners habe daher zu einer Entgeltvereinnahmung mit Zustimmung des Klägers geführt. … Rn. 12: Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Rn. 13: … Der Kläger habe in der Kürze der Zeit die Zahlungseingänge auf dem Konto nicht stoppen können.

 

Aus der Begründung:

Rn. 18: Deshalb kommt es bei § 55 Abs. 4 InsO darauf an, ob der vorläufige Insolvenzverwalter das Entgelt vereinnahmt. Es reicht nicht aus, wenn der Insolvenzschuldner das Entgelt ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters vereinnahmt hat. … Rn. 21: …. Denn das FG hat dabei nicht berücksichtigt, dass sich die Schuldbefreiung des Drittschuldners nicht erst aus einem insolvenzgerichtlichen Verbot, das sich an Drittschuldner richtet und diesen verbietet, an den Insolvenzschuldner zu zahlen, ergibt, sondern bereits unmittelbar aus § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 i.V.m. § 24 Abs. 1 und § 82 InsO folgt. … Rn. 22: Die Sache ist nicht spruchreif. Im zweiten Rechtsgang sind weitere Feststellungen dazu zu treffen, ob die Zahlungsvorgänge … nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 i.V.m. § 24 Abs. 1 und § 82 InsO nach den Grundsätzen … gegenüber der späteren Insolvenzmasse mit schuldbefreiender Wirkung erfolgten und ob, falls dies zu verneinen sein sollte, der Insolvenzverwalter mangels derartiger Wirkung eine zweite Zahlung in die Masse verlangen konnte und verwirklicht hat.

                     

 

Arbeitsrecht

InsbürO 2020, 457 f.: Kündigungsfrist für GmbH-Geschäftsführerdienstvertrag

BAG, Urt. v. 11.06.2020 – 2 AZR 374/19, ZInsO 2020, 2007

(2. Senat = u.a. zuständig für Beendigung oder Änderung des Arbeitsverhältnisses)

Leitsätze des Gerichts:

Die gesetzliche Kündigungsfrist für Geschäftsführerdienstverträge, die keine Arbeitsverträge sind, folgt aus § 621 BGB.

1. An der Stellung als Organmitglied i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG ändert sich durch eine Beschränkung der Vertretungsmacht grds. nichts (Rn. 17).

2. Art. 110 Abs. 1 Satz 2 BbgVerf erfasst nicht die Kündigung eines Dienstvertrags eines GmbH-Geschäftsführers, der nicht auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags tätig wird (Rn. 20).

3. Eine Weisungsgebundenheit des GmbH-Geschäftsführers, die so stark ist, dass sie auf einen Status als Arbeitnehmer schließen lässt, kommt allenfalls in extremen Ausnahmefällen in Betracht (Rn. 25).

4. § 622 BGB ist nur auf die Kündigung von Arbeitsverhältnissen anzuwenden. Wegen der für freie Dienstverhältnisse bestehenden Regelung in § 621 BGB fehlt es an einer Regelungslücke, die eine analoge Anwendung der Norm auf die Kündigung eines Geschäftsführerdienstvertrags zuließe (Rn. 42).

 

 

Immobilienvermögen

InsbürO 2020, 458: Prozessführungsbefugnis eines Zwangsverwalters nach Verfahrensaufhebung

BGH, Urt. v. 09.07.2020 – IX ZR 304/19, ZInsO 2020, 1844

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Wird die Zwangsverwaltung nach Rücknahme des Antrags auf Zwangsverwaltung aufgehoben, bleibt der Zwangsverwalter in einem laufenden Passivprozess prozessführungsbefugt.

 

Aus der Begründung:

Rn. 8: Nach Aufhebung der Zwangsverwaltung etwa verbleibende Befugnisse des Verwalters folgen daraus, dass dieser seine Tätigkeit ordnungsgemäß abzuschließen hat (BGH, Urt. v. 19.05.2009, a.a.O., Rn. 8; vgl. auch BGH, Beschl. v. 27.06.2019 – V ZB 27/18, Rn. 10, …). Zu unterscheiden ist, ob die Zwangsverwaltung vor Beginn oder während des infrage stehenden Rechtsstreits aufgehoben wird, ob die Aufhebung der Zwangsverwaltung auf dem Zuschlag in der Zwangsversteigerung oder auf der Rücknahme des Antrags auf Zwangsverwaltung beruht und ob der Zwangsverwalter Kläger oder Beklagter des Rechtsstreits ist.

                     

 

Insolvenztabelle

InsbürO 2020, 458: Voraussetzungen einer wirksamen Forderungsanmeldung

BGH, Urt. v. 25.06.2020 - IX ZR 47/19, ZInsO 2020, 1761

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Auszug aus den amtlichen Leitsätzen:

Für eine wirksame Forderungsanmeldung erfordert die Angabe des Grundes der Forderung die bestimmte Angabe des Lebenssachverhalts, aus dem die Forderung nach der Behauptung des Gläubigers entspringt; eine schlüssige Darlegung der Forderung ist nicht erforderlich (Klarstellung zu BGH, Urt. v. 22.01.2009 - IX ZR 3/08 …).

 

Aus der Begründung:

Rn. 10: Der Gläubiger kann den wegen einer Insolvenzforderung geführten und durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners unterbrochenen Rechtsstreit erst aufnehmen, wenn die Forderung im Insolvenzverfahren angemeldet und geprüft worden und bestritten geblieben ist (…). … Rn. 12: … Um die bisherigen Prozessergebnisse eines gem. § 240 ZPO unterbrochenen Prozesses zu erhalten und eine Sachentscheidung in diesem Prozess zu ermöglichen, ist die Wirksamkeit einer Forderungsanmeldung im Rahmen der Frage zu prüfen, ob die Aufnahme des Prozesses wirksam war. Dies gilt auch für die Frage, ob die Forderungsanmeldung den Anforderungen des § 174 InsO entspricht. … Rn. 18: … Ausdrücklich entschieden hat der BGH, dass eine der Höhe nach unschlüssige Forderungsanmeldung in vollem Umfang wirksam ist (BGH, Urt. v. 11.02.2016 - III ZR 383/12, … Rn. 18). Für die Anmeldung einer Forderung aus vorsätzlich unerlaubter Handlung hat der BGH ebenfalls angenommen, dass es keiner schlüssigen Darlegung des (objektiven und subjektiven) Deliktstatbestands bedürfe (BGH, Urt. v. 09.01.2014 - IX ZR 103/13, … Rn. 8 ff.). Rn. 19: Richtigerweise ist zwischen der hinreichenden Individualisierung der Forderung und der Schlüssigkeit der Forderungsanmeldung zu unterscheiden. Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 InsO sind erfüllt, wenn die Forderung ausreichend individualisiert ist, mithin der Streitgegenstand bestimmt ist. Es ist nicht erforderlich, dass die Forderung auch schlüssig begründet ist. … Rn. 23: Der Zweck, Verwalter und Insolvenzgläubiger in den Stand zu setzen, den geltend gemachten Schuldgrund einer Prüfung zu unterziehen (…), erfordert keinen schlüssigen Sachvortrag, sondern nur einen Sachvortrag, der eine Prüfung ermöglicht, welche bestimmte Forderung aus welchem Lebenssachverhalt Gegenstand der Forderungsanmeldung sein soll. … Rn. 32: Soweit das Berufungsgericht als Voraussetzung einer ausreichenden Bestimmtheit der Forderungsanmeldung vom Kläger die Vorlage der Klageschrift verlangt, überspannt es die Anforderungen des § 174 Abs. 2 InsO (…). Denn die Angaben in der Forderungsanmeldung ergeben bereits, dass der Kläger als Grundlage der Forderung den Kaufvertrag vom … heranzieht und es sich bei der Forderung um den Kaufpreis aus diesem Kaufvertrag und damit zusammenhängende Nebenforderungen handelt. Dies liegt aufgrund der Formulierung der Forderungsanmeldung nicht nur nahe, sondern wird durch die Bezeichnung der erhobenen Klage als "Kaufpreisklage" zweifelsfrei klargestellt. Dann dienen das Datum der Klageschrift und das Gericht der Klage nur einer zusätzlichen Individualisierung.        

 

                     

Vollstreckungsrecht

InsbürO 2020, 458: Unzulässigkeit der Pfändung von COVID-19-Soforthilfe

BFH, Beschl. v. 09.07.2020 – VII S 23/20 (AdV), ZInsO 2020, 1926

Leitsätze des Gerichts:

1. NV: Bei der Corona-Soforthilfe handelt es sich aufgrund ihrer Zweckbindung um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 399 Alt. 1 BGB regelmäßig nicht pfändbare Forderung.

2. NV: Eine Beschwerde gegen die Ablehnung der AdV durch das FG ist nicht statthaft, weil unmittelbar beim BFH ein Antrag auf AdV gestellt werden kann.

 

InsbürO 2020, 458: Erstattungsfähigkeit von Vollstreckungskosten

BGH, Beschl. v. 05.03.2020 – I ZB 50/19, ZInsO 2020, 1478

(I.Senat = u.a. zuständig für Urheberrecht)

Leitsätze des Gerichts:

1. Die Ablehnung des Gerichtsvollziehers, Kosten der Zwangsvollstreckung nach § 788 Abs. 1 ZPO mit zu vollstrecken, stellt eine Entscheidung über Kosten i.S.d. § 567 Abs. 2 ZPO dar.

2. Die Kosten des gemeinsam mit dem Antrag auf Einholung der Vermögensauskunft gem. § 802c ZPO gestellten Antrags auf Einholung von Drittauskünften nach § 802l ZPO sind keine notwendigen Kosten der Zwangsvollstreckung i.S.d. § 788 Abs. 1 Satz 1, § 91 ZPO.

 

Aus der Begründung:

Rn. 16: Gem. § 788 Abs. 1 Satz 1, 1. HS ZPO fallen die Kosten der Zwangsvollstreckung, soweit sie notwendig waren, dem Schuldner zur Last. … Nicht notwendig sind insbesondere die Kosten voreiliger Vollstreckungsmaßnahmen (vgl. BGH, Beschl. v. 10.10.2003 – IXa ZB 183/03, … Rn. 7 …). … Rn. 21: Der Gesetzgeber hat die Einholung von Drittauskünften gem. § 802l Abs. 1 Satz 1 ZPO als gegenüber der Vermögensauskunft des Schuldners subsidiäre Vollstreckungsmaßnahme ausgestaltet, da sie erst dann durchgeführt werden darf, wenn der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe nicht nachgekommen ist oder der Inhalt seiner Auskunft keine Aussicht auf vollständige Vollstreckung bietet. … Rn. 23: Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die gleichzeitige Beantragung der Einholung von Vermögensauskunft und Drittauskünften erhöhe die Effizienz der Zwangsvollstreckung, weil die Aussicht auf die Einholung von Drittauskünften den Druck auf den Schuldner erhöhe, die Vermögensauskunft vollständig und wahrheitsgemäß zu erteilen. … Rn. 24: Im Streitfall sind … die für den Antrag auf Einholung von Drittauskünften gem. § 802l ZPO geltend gemachten Rechtsanwaltskosten nicht erstattungsfähig. Der anwaltliche Vertreter der Gläubigerin hat zugleich die Anträge auf Einholung von Vermögensauskunft und Drittauskünften gestellt. Nach dem Vorstehenden sind die Kosten des Antrags auf Einholung von Drittauskünften als (noch) nicht notwendig i.S.v. §§ 788 Abs. 1 Satz 1, 91 ZPO anzusehen.

              

     

Vergütungsrecht

InsbürO 2020, 450 f.: Ersatzfähiger Umfang bei Sachverständigentätigkeit

LG Leipzig, Beschl. v. 19.03.2020 – 08 T 319/19, ZInsO 2020, 1954 (rkr.)

Leitsätze des Bearbeiters:

1. Gem. § 8 Abs. 1 JVEG erhält der Sachverständige ein Honorar für seine Leistungen.

2. Eine Leistung liegt nur vor, wenn sich der Sachverständige in einer wissenschaftlichen Art und Weise mit dem Beweisthema auseinandersetzt.

3. Davon sind zu unterscheiden reine Bürotätigkeiten wie das Anlegen der Akte.

 

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Die Entscheidung des AG differenziert zwischen (nicht ersatzfähigen) Bürotätigkeiten und Leistungen i.S.d. § 8 Abs. 1 JVEG, die zu vergüten sind.

 

InsbürO 2020, 459: Höhe des Stundensatzes eines Gläubigerausschussmitgliedes bei Eigenverwaltung

LG Bückeburg, Beschl. v. 08.07.2020 – 4 T 49/16, ZInsO 2020, 2062 (rkr.)

Aus der Begründung:

Zu Recht hat das AG im vorliegenden Einzelfall einen Stundensatz von 250 € als angemessene individuelle Vergütung des Beschwerdeführers angesehen. Entgegen seiner Auffassung ist hier kein Stundensatz von 350 € zugrunde zu legen. … Eine Über-schreitung des in § 17 verankerten Höchststundensatzes kann … nur bei außerordentlichem Umfang oder bei außergewöhnlichen Schwierigkeiten im Verfahren sowie bei besonderer Tätigkeit, besonderen Haftungsrisiken, besonderen Leistungen oder Qualifikationen des Gläubigerausschussmitgliedes in Betracht gezogen werden (…). … Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Vergütung nicht an den Stundensätzen orientiert, welche das Mitglied des Gläubigerausschusses außerhalb des Verfahrens in seinem Beruf üblicherweise berechnen könnte, weil es sich nicht um eine Fortsetzung der jeweiligen beruflichen Tätigkeit des Mitglieds handelt und der Vergütung keine einkommenssichernde Wirkung zukommen muss (…). … Im Hinblick auf die Ausschusstätigkeit ist … zu berücksichtigen, dass dem Gläubigerausschuss in einem Eigenverwaltungsverfahren eine besondere Bedeutung zukommt. Da der Schuldner mit der Abwicklung des Verfahrens selbst betraut ist, besteht stets die Gefahr, dass er Eigeninteressen verfolgt und dadurch die Gläubiger schädigt. Deshalb hat der Schuldner nach § 276 InsO die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen hat, wenn er Rechtshandlungen vornehmen will, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind. Die Aufgaben des Gläubigerausschusses nach § 69 InsO umfassen daher auch die Überwachung und Kontrolle des Schuldners …

 

 

Europäisches / internationales Recht

InsbürO 2020, 459: Keine Anwendung von § 240 ZPO auf Vollstreckung bei Auslandsverfahren

BGH, Beschl. v. 13.05.2020 – VII ZB 44/19, ZInsO 2020, 1773

(VII. Senat = u.a. zuständig für Zwangsvollstreckungsrecht)

Aus der Begründung

Rn. 9: Das Verfahren ist nicht, …, nach § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO aufgrund der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin in Liechtenstein unterbrochen, wobei in diesem Zusammenhang die Anerkennungsfähigkeit des liechtensteinischen Konkursverfahrens im Inland (vgl. § 343 InsO) dahinstehen kann. Die prozessunterbrechende Wirkung des § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO, der auf im Ausland eröffnete Insolvenzverfahren bezogen ist, geht nicht weiter als die prozessunterbrechende Wirkung des auf im Inland eröffnete Insolvenzverfahren bezogenen § 240 Satz 1 ZPO, dem er nachgebildet ist (vgl. BT-Drucks. 15/16, S. 24; …). Nach der Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 28.03.2007 – VII ZB 25/05, Rn. 8 ff., …) ist § 240 ZPO bei Pfändungsmaßnahmen im Rahmen der Zwangsvollstreckung nicht anwendbar.

 

 

Insolvenzverwalteramt

InsbürO 2020, 459 f.: Streichung von der Vorauswahlliste (Delisting) wg. Falschangabe zur Niederlassung

OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.02.2020 – 11 VA 8/18, ZInsO 2020, 1014 (rkr.)

Aus dem Sachverhalt:

Der Antragsteller wurde von der Vorauswahlliste für Insolvenzverwalter gestrichen mit der Begründung, er habe im Fragebogen zur Aufnahme angegeben, er betreibe eine Niederlassung in …, was nicht korrekt war.

 

Aus der Begründung:

Der Bescheid der Antragsgegnerin ist … rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten. … Eine Streichung von der Vorauswahlliste ("Delisting") kommt nur in Betracht, wenn das Insolvenzgericht feststellt, dass die Voraussetzungen, die Grundlage der Aufnahme in die Vorauswahlliste waren, tatsächlich nicht vorlagen oder aber nach erfolgter Aufnahme weggefallen sind (…). Das Kriterium "Vertrauen" kann für die Aufnahme in die Vorauswahlliste eine Rolle spielen, wenn es an objektive Kriterien, z. B. dem Fehlen von fachlichen oder persönlichen Fähigkeiten, geknüpft ist, mithin verifizierbare Anhaltspunkte für mangelndes Vertrauen liefert, ein nur gefühltes Misstrauen genügt nicht (…). … Der Senat geht daher zwar von einem fahrlässigen Verhalten des Antragstellers aus, das dieser auch unmittelbar nach Bekanntwerden des Fehlers und Konfrontation durch den Insolvenzrichter ... ohne weiteres telefonisch eingeräumt hat. Dieser Fehler erreicht jedoch den Vorwurf grober Fahrlässigkeit i.S.e. besonders schweren Nachlässigkeit nicht. Auch ist die hier versehentlich erfolgte Falschangabe der Zweigniederlassung … mit Blick auf etwaige schwerwiegendere Verfehlungen im Rahmen der sachlichen Berufsausübungen eines Insolvenzverwalters, die in der Insolvenzpraxis zu einem Delisting geführt haben (…), als vergleichsweise gering anzusehen.

InsbürO 2020, 460: Kriterien für eine Vorauswahlliste

Kammergericht Berlin Beschl. v. 14.05.2020 - 1 VA 17/17, ZInsO 2020, 1481

Auszug aus den amtlichen Leitsätzen:

Bewerber um die Aufnahme in die Vorauswahlliste haben einen Anspruch darauf, eine faire Chance auf Bestellung zum Insolvenzverwalter zu erhalten. Eine solche Chance hat ein künftiger Insolvenzverwalter nur bei willkürfreier Einbeziehung in die Auswahl vor der eigentlichen Bestellung, die aufgrund der im Vorauswahlverfahren geschaffenen Liste der generell geeigneten Bewerber getroffen wird. … Die Anwendung von Punktesystemen birgt grds. die Problematik, dass Bewerber, welche die Aufnahmekriterien grds. erfüllen, je nach Anzahl der erreichten Punkte bessere oder schlechtere Chancen auf Bestellung zum Insolvenzverwalter haben. Durch Schaffung und Gewichtung von Einzelkriterien, die alteingesessene Bewerber am Ort des Insolvenzgerichts an Punktwerten bevorzugen, läuft ein solches Verfahren darauf hinaus, dass schon bei der Bildung der Vorauswahlliste ungleiche Chancen für die Bestellung im Einzelfall festgelegt werden.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde seien nach Ausführungen des KG bereits wegen der Divergenz der Entscheidung zum Beschluss des OLG Celle v. 27.03.2017 - 16 VA 9/16), der sich mit der Zulässigkeit einer Vorauswahlliste nach dem sog. Hannoveraner Modell befasst, gem. § 29 Abs. 2 Nr. 2 EGGVG gegeben. Das OLG Celle hatte entschieden, dass die im sog. Hannoveraner-Modell abgefragten Kriterien sämtlichst geeignete und nicht sachwidrige oder gar willkürliche Kriterien seien, die zur Prüfung der generellen Eignung und auch zu der von der Rechtsprechung geforderten Strukturierung und Verifizierung der Daten geeignet erscheinen würden. Die aktuell zugelassene Rechtsbeschwerde wurde gegen den Beschluss des Kammergerichts auch eingelegt. Sie ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe beim BGH unter dem AZ: IX AR (VZ) 1/2020 anhängig.

 

InsbürO 2020, 460: Zulassung zum Fachanwalt für Insolvenzrecht

BGH, Urt. v. 10.06.2020 – AnwZ (Brfg) 1/20, ZInsO 2020, 1769

Aus der Begründung:

Rn. 9: Die Ablehnung des beantragten Fachanwaltstitels verletzt, …, den Kläger in seinen Rechten (…). … Rn. 14: Nicht erfüllt ist das Merkmal, dass in zwei Verfahren der Schuldner bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigte (§ 5 Abs. 1 Buchst. g) Nr. 1 Halbsatz 2 FAO). Entgegen der Ansicht der Beklagten konnte der Kläger diese Verfahren jedoch nach § 5 Abs. 1 Buchst. g) Nr. 3 der Norm ersetzen. … Rn. 16: Im Ausgangspunkt ist der Beklagten darin beizupflichten, dass der Wortlaut der Vorschrift eine Ersetzung durch eine Insolvenzverwaltung in einem eröffneten Insolvenzverfahren nicht vorsieht. Dies beruht jedoch auf einer Regelungslücke, die im Wege der Analogie zu schließen ist. … Rn. 24: Die Regelungslücke ist durch Zulassung der Ersetzung durch jeweils sechs Insolvenzverwaltungen in Unternehmen mit weniger als sechs Arbeitnehmern zu schließen: … Rn. 35: Der Kläger hat die zwei Insolvenzverwaltungen mit mehr als fünf Arbeitnehmern durch insgesamt zwölf sonstige Insolvenzverwaltungen ersetzt. Zusammen mit drei weiteren Insolvenzverwaltungen erfüllt er somit im Ergebnis das Quorum nach § 5 Abs. 1 Buchst. g) Nr. 1 und Nr. 3a FAO.

                        

 

Allgemeines

InsbürO 2020, 460 f.: Akteneinsichtsrecht eines Gesellschaftsgläubigers nach Verfahrensbeendigung

BayObLG, Beschl. v. 08.04.2020 – 1 VA 132/19, ZInsO 2020, 1010

Aus der Begründung:

Rn. 24: … Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters zur Einziehung gem. § 171 Abs. 2 HGB und die damit verbundene Sperrwirkung für den Gläubiger gelten jedoch nur „während der Dauer des Verfahrens“, also nicht mehr nach dessen Aufhebung. … Ebenso wie die Beschränkungen für das Vorgehen der Insolvenzgläubiger gegen den Insolvenzschuldner gem. § 201 Abs. 1 InsO mit der Verfahrensaufhebung wegfallen, findet auch die insolvenzrechtliche Beschränkung des § 171 Abs. 2 HGB nach der Verfahrensaufhebung keine Anwendung mehr (…). … Rn. 25: Die Antragstellerin hat ihre Gläubigerstellung glaubhaft gemacht. … Das sich aus der Gläubigerstellung ergebende rechtliche Interesse entfällt nicht deshalb, weil die Antragstellerin mit ihrem Akteneinsichtsgesuch – möglicherweise sogar vorrangig – das Ziel verfolgt, festzustellen, ob ihr Schadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter zustehen. … Rn. 32: Der Senat kann über das Akteneinsichtsgesuch aber nicht abschließend entscheiden. Denn aus der Bejahung des rechtlichen Interesses an der Akteneinsicht folgt noch kein Anspruch auf Akteneinsicht. Das Vorliegen des rechtlichen Interesses eröffnet vielmehr erst den Weg für eine Ermessensentscheidung der Justizverwaltung nach § 299 Abs. 2 ZPO (BGH …). Da der Senat sein Ermessen nach ständiger Rechtsprechung (…) nicht an die Stelle des Gerichtsvorstands setzen kann, ist die Sache noch nicht spruchreif (…). Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung kann auch zu erwägen sein, besonders geheimhaltungsbedürftige Aktenteile vor der Einsichtnahme aus den Akten zu entnehmen (…).

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen.

 

InsbürO 2020, 461: Antrag auf Aufhebung eines Beschlusses einer Gläubigerversammlung durch den Insolvenzverwalter

BGH, Beschl. v. 28.05.2020 - IX ZB 64/17, ZInsO 2020, 1772

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtlicher Leitsatz:

Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Aufhebung eines Beschlusses einer Gläubigerversammlung ist i.d.R. nicht gegeben, wenn die Gläubigerversammlung eine Beschlussfassung mehrheitlich abgelehnt hat.

 

Zum Sachverhalt:

Die Insolvenzverwalterin beantragte die Einberufung einer Gläubigerversammlung. Sie wollte sich von der Versammlung ermächtigen lassen, eine Auskunftsklage gegen die vom Schuldner vor Verfahrenseröffnung beschäftigte Steuerberatungsgesellschaft zu erheben (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Der Schuldner hatte an die Steuerberatungsgesellschaft mehrfach Geldbeträge gezahlt zur Weiterleitung an bestimmte Gläubiger, u.a. an das Finanzamt. Durch die Auskunftsklage sollten mögliche Anfechtungsansprüche der Masse aufgedeckt werden. Das Insolvenzgericht ordnete das schriftliche Verfahren an. Das FinA erklärte schriftlich, dass es der von der Insolvenzverwalterin beabsichtigten Klage nicht zustimme. Weitere Gläubiger äußerten sich nicht. Im Protokoll wurde die fehlende Zustimmung festgehalten. Die Insolvenzverwalterin beantragte daraufhin die Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung gem. § 78 Abs. 1 InsO wegen Verstoßes gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger.

 

Aus der Begründung:

Rn. 8: § 78 InsO schafft ein "Veto-Recht" für die in Abs. 1 der Vorschrift genannten Gläubiger und den Insolvenzverwalter (…). … Rn. 9: … Die Aufhebung des Beschlusses stellt die Lage wieder her, wie sie war, bevor der dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widersprechende Beschluss gefasst worden ist. Entsteht durch die Beschlussaufhebung eine Regelungslücke, so ist die Gläubigerversammlung dazu berufen, erneut zu entscheiden. … Dies zeigt, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 78 Abs. 1 InsO nur im Blick auf solche Beschlüsse angenommen werden kann, deren Aufhebung den Widerspruch zum gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger jedenfalls vorläufig beseitigt. Hierzu muss der Beschluss den Widerspruch begründen oder jedenfalls vertiefen. Das ist i.d.R. nicht der Fall, wenn die Gläubigerversammlung eine Beschlussfassung lediglich ablehnt. … Rn. 10: … § 78 InsO verfolgt nicht das Ziel, der Gläubigerversammlung den Widerspruch gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger für eine erneute Beschlussfassung vor Augen zu führen. Mit der Beschlussaufhebung soll allein die Durchsetzung von Eigen- oder Sonderinteressen der (Stimmen-)Mehrheit verhindert werden.

 

 

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