15.02.2022

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Februarheft 2022

 

Eröffnungsverfahren

InsbürO 2022, 83 ff.: Fortgeltung der Vorwirkungsrechtsprechung des BGH

AG Hamburg, Beschl. v. 06.10.2021 – 68h IK 120/21, ZInsO 2021, 2641

Amtliche Leitsätze:

1. Die sog. Vorwirkungsrechtsprechung des BGH ist auch in Insolvenzverfahren mit Antragseingang nach dem 01.07.2014 im Stundungsbewilligungsverfahren weiterhin zu beachten.

2. Die Angabe eines im Schuldnervermögen nicht existierenden, vermögenswerten Anspruches im schuldnerseitigen Vermögensverzeichnis ist eine beachtliche Falschangabe i.S.v. § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO, insbesondere, wenn erst dadurch amtswegige verfahrenskostensteigernde gerichtliche Ermittlungen zur Werthaltigkeit ausgelöst werden. Sie ist grob fahrlässig, wenn die Nichtzugehörigkeit zum Schuldnervermögen für den Schuldner aus einem amtlichen Bescheid erkennbar war. Das gleichlaufende Verschulden seines fachanwaltlichen Vertreters ist dem Schuldner im Antragsverfahren zuzurechnen.

3. Der kurz vor Insolvenzantragstellung erfolgende Verbrauch eines Steuererstattungsguthabens der Ehefrau durch den antragstellenden Schuldner mit der Folge der Verunmöglichung eines Verfahrenskostenbeitrages der Ehefrau nach § 1360a BGB erfüllt den Restschuldbefreiungsversagungstatbestand nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO.


Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Begehrt eine natürliche Person Restschuldbefreiung, kommt es zur Verfahrenseröffnung regelmäßig nur dann, wenn dem Schuldner Stundung gem. § 4a InsO bewilligt wird. Ausgeschlossen ist eine Stundung, wenn ein Versagungsgrund gem. § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegt. Diesen Rechtsgedanken hat der BGH verallgemeinert auch auf die sonstigen Versagungsgründe gem. § 290 Abs. 1 InsO, wenn sie zweifelsfrei vorliegen. Ein Anwendungsbeispiel für diese sogenannte Vorwirkungsrechtsprechung liefert die vorliegende Entscheidung, in der der Schuldner im laufenden Verfahren nach Ansicht des AG Hamburg den Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO (sowie des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO) verwirklicht hatte. Davon ist zu unterscheiden das sogenannte Sperrfristversprechen des BGH, bei der es um die Berücksichtigung einer in einem Vorverfahren erfolgten Versagung der Restschuldbefreiung geht. Diese ist nunmehr in § 287a Abs. 2 Satz 1 InsO normiert. Unterschiedlich wird die Frage beantwortet, ob darüber hinaus noch weitere Anwendungsfälle existieren. Von Interesse sind Ausführungen zur Zurechnung des Verschuldens eines Vertreters des Schuldners und zum Vorliegen der angesprochenen Versagungsgründe, auf die aus Platzgründen nicht mehr eingegangen werden kann.

Aus praktischer Sicht ist anzumerken, dass bei Stundungsanträgen auch auf eine sachverständige Prüfung der Schuldnerangaben verzichtet und sogleich eröffnet werden kann, wenn sich aus den Angaben eine kostendeckende Insolvenzmasse ergibt. Stellt sich nach Eröffnung heraus, dass das Vermögen des Schuldners nicht werthaltig ist, kann Stundung bewilligt werden.

 

InsbürO 2022, 87: Verschiebung der Insolvenzeröffnung mit Folge für Sonderzahlung zulasten eines Arbeitnehmers

LAG Rheinland- Pfalz, Urt. v. 25.06.2021 – 6 Sa 365/20, WKRS 2021, 41097 (rkr.)


Zum Sachverhalt:

Schadensersatzklage u. a. gegen den Insolvenzverwalter mit der Behauptung, die Verschiebung der Insolvenzeröffnung um einen Monat sei ausschließlich deshalb erfolgt, um die Jahressonderzahlung nicht zahlen zu müssen.


Aus der Begründung:

Der Kläger hat den Vortrag … nicht in Abrede gestellt, dass umfangreiche Verhandlungen mit potentiellen Betriebsübernehmern geführt wurden, die die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zeitlich beeinflusst haben. … Bei einer Auszahlung der betrieblichen Sonderzahlung noch im Nov. 2019 hätte dem Kläger auch bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum ursprünglich in Aussicht genommenen Zeitpunkt am 1.12.2019 insoweit lediglich eine Insolvenzforderung (§ 108 Abs. 3 InsO) und keine Masseforderung gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO zugestanden.


InsbürO 2022, 87: Keine automatische Kostentragungspflicht des Gläubiger bei Erledigungserklärung

BGH, Beschl. v. 23.09.2021 – IX ZB 66/20, ZInsO 2022, 11

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Erklärt der Gläubiger seinen Insolvenzantrag nach Erfüllung der Antragsforderung einseitig für erledigt, kann seine Kostentragungspflicht nicht damit begründet werden, dass der Insolvenzantrag trotz der Erfüllung weiterhin zulässig ist.
 

Aus der Begründung:

Die Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO schließt weder die Erledigungserklärung noch die Rücknahme des Antrags ausdrücklich aus. Dies kann ihr auch nicht sonst entnommen werden. Anderenfalls würde der im Eröffnungsverfahren geltende Dispositionsgrundsatz ausgehebelt und das Verfahren gleichsam von Amts wegen fortgeführt. Das ist dem deutschen Recht fremd (vgl. BGH, … v. 24.09.2020, IX ZB 71/19 Rn. 11).

                     

 
Nachlassinsolvenzverfahren

InsbürO 2022, 87: Schadenersatzanspruch gegen Nachlasspfleger wegen verspäteter Insolvenzantragstellung

LG Hamburg, Beschl. v. 20.09.2021 - 304 O 407/20, ZInsO 2021, 2752

Aus der Begründung:

Die unbekannten Erben … haben gegen den Beklagten (= Nachlasspfleger) einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1833 Abs. 1 S. 1 BGB. Diesen kann der Kläger in seiner Eigenschaft als Nachlassinsolvenzverwalter geltend machen, da der Anspruch zum Nachlass gehört. … Der Beklagte hat eine Pflicht aus der Nachlasspflegschaft verletzt. … Liegt ein Eröffnungsgrund gem. § 320 InsO vor (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) und ist die Antragstellung geboten, um eine Verkürzung des Nachlasses abzuwenden, wandelt sich dieses Antragsrecht in eine Antragspflicht (BGH …). … Hätte sich der Beklagte nicht pflichtwidrig verhalten, wäre der Nachlass um EUR 8.862,75 weniger belastet worden. Dieser Betrag entspricht der Vergütung für den vermeidbaren Tätigkeitsaufwand des Beklagten ab dem … Der Schadensersatzanspruch ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die von ihm entnommene Nachlasspflegervergütung rechtskräftig durch das Nachlassgericht unter der Beteiligung eines Verfahrenspflegers der Erben festgesetzt wurde.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Vorstehende Entscheidung basiert wie ersichtlich auf der Berechnung, welche Vergütung der Nachlasspfleger zu viel erhalten hat für Tätigkeiten, die nicht mehr angefallen wären, wenn er rechtzeitig einen Insolvenzantrag gestellt hätte. Es geht also nicht um den Verlust anderweitiger Vermögenswerte. Die Entscheidung zeigt damit auf, dass es sich in Nachlassverfahren lohnt, einen näheren Blick in diesen Bereich zu werfen. Die Entscheidung ist allerdings nicht rechtskräftig. Es ist ein Berufungsverfahren beim Hanseatischen OLG unter dem AZ: 11 U 179/21 anhängig.

 

 
Masseunzulänglichkeit

InsbürO 2022, 87 f.: Eingeschränktes Rechtsschutzbedürfnis bei erneuter Anzeige der Masseunzulänglichkeit

LAG Düsseldorf, Urt. v. 29.04.2021 - 5 Sa 517/20, ZInsO 2022, 25 (rkr.)

Amtliche Leitsätze:

1) Zeigt der Insolvenzverwalter beim zuständigen AG nach einer ersten eine erneute Masseunzulänglichkeit an, fehlt einem Alt-Neumassegläubiger nur dann das Rechtsschutzbedürfnis für eine Zahlungsklage, wenn der Insolvenzverwalter im Zahlungsprozess das Vorliegen der Neumasseunzulänglichkeit darlegt und ggf. beweist. Die erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit schließt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage nicht automatisch aus.

2) Die Anzeige erneuter Masseunzulänglichkeit führt nicht zu einer abgestuften Rangfolge zwischen den Alt-Neumassegläubigern und den Neu-Neumassegläubigern.
 

Aus der Begründung:

Zwischen Alt-Neumassegläubigern und Neu-Neumassegläubigern bestehen keine unterschiedlichen Interessenlagen. Beide Gruppen erhalten ihre Gläubigerstellung zu einem Zeitpunkt nach der ersten Masseunzulänglichkeitsanzeige. Ihnen ist damit bewusst, dass es sich um ein massearmes Verfahren handelt. Somit müssen sie von vorneherein mit der Möglichkeit sich weiter verschlechternder Liquidität und der Erstattung etwaiger weiterer Masseunzulänglichkeitsanzeigen rechnen. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Besserstellung der Neu-Neumassegläubiger als nicht gerechtfertigt.


Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das LAG hatte die Revision zwar wg. grds. Bedeutung zugelassen, diese wurde jedoch nicht eingelegt. Zum Aspekt der näheren Darlegung der Gründe eines erneuten Eintritts einer Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter verweist das LAG Düsseldorf auf die BGH-Entscheidung vom 07.07.2005 (IX ZR 241/01, WKRS 2005, 19085). Vorliegend hielt das LAG den Vortrag des Insolvenzverwalters für ausreichend. Bezüglich des Gleichrangs der Alt-Neumassegläubiger und Neu-Neumassegläubiger verweist es auf die BGH-Entscheidung vom 03.04.2003 (IX ZR 101/02 Rn. 39, WKRS 2003, 23158), wonach im Falle der erneuten Masseunzulänglichkeit wieder der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger im Insolvenzverfahren (§ 1 Satz 1 InsO) eingreife.

 

 
Restschuldbefreiungsverfahren

InsbürO 2022, 79 f.: Versagung der Restschuldbefreiung wg. unrichtiger Angaben über Verhältnisse im Zeitraum von drei Jahren vor Insolvenzantragstellung

BGH, Beschl. v. 18.11.2021 - IX ZB 1/21, WKRS 2021, 49963
 

Amtlicher Leitsatz:

Unrichtige schriftliche Angaben des Schuldners über seine wirtschaftlichen Verhältnisse in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens können auch dann zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen, wenn sie im Rahmen eines Vergleichsangebots erfolgen.
 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Der BGH klärt hier, dass der Schuldner im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO auch dann keine falschen Angaben gegenüber einem Gläubiger machen darf, wenn er die Angaben freiwillig in einem Vergleichsvorschlag macht. Dies ist nachvollziehbar, da der Schuldner die Angaben gegenüber dem Gläubiger gemacht hat, um eine Stundung und Ratenzahlungsmöglichkeit zu erhalten, und damit den Tatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfüllt hat. Nicht nachvollziehbar ist nach dem Sachverhalt, warum der Schuldner die Eigentumsverhältnisse des Grundstücks nicht korrekt angegeben hat. Sollte dies aus Nachlässigkeit geschehen sein, wäre die Entscheidung Mahnung an die Schuldner, auch in den außergerichtlichen Verhandlungen vor einer Insolvenz sorgfältig und wahrheitsgemäß vorzutragen.

Abzugrenzen ist der vorliegende Fall von der Nichterfüllung eines vor der Insolvenz vom Schuldner abgeschlossenen Ratenzahlungsvereinbarung. Stellt der Schuldner - bspw. nach der Erstberatung über seine Entschuldungsmöglichkeiten nach der InsO - seine Zahlungen auf eine zuvor mit einem Gläubiger geschlossene Ratenzahlungsvereinbarung ein, liegt hierin keine Falschangabe i.S.d. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO (vgl. LG Göttingen, Beschl. v. 22.03.2010 -10 T 15/10, ZInsO 2010, 812). Denn der Schuldner macht nicht mit jeder Ratenzahlungsvereinbarung zugleich Aussagen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen.

 

InsbürO 2022, 85 f.: Löschung der Eintragung über die Erteilung der Restschuldbefreiung

OLG Oldenburg (13. Zivilsenat), Urt. v. 23.11.2021 – 13 U 63/21

Leitzsatz des Bearbeiters:

Gegenüber privaten Auskunfteien besteht kein Anspruch auf Löschung der Eintragung der Erteilung der Restschuldbefreiung bereits nach Ablauf von sechs Monaten, da die Vorschrift über Löschungsfristen in § 3 Abs. 2 InsoBekVO nicht zu beachten ist (a.A. OLG Schleswig InsbürO 2021, 434).
 

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Die Frage, ob die Löschung von sechs Monaten für die Eintragung der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht nur für gerichtliche Veröffentlichungen, sondern auch für Auskunfteien gilt, beschäftigt zunehmend die Rechtsprechung. Mit der Entscheidung des OLG Oldenburg liegen gegenteilige Entscheidung vor. Gegen das zitierte Urteil des OLG Schleswig (Urt. v. 02.07.2021 - 17 U 15/21, InsbürO 2021, 454 = ZInsO 2021, 1620) ist die zugelassene Revision eingelegt worden (BGH: VI ZR 225/21). Daneben beschäftigt die Rechtsfrage auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Gegen die, die Auskunftserteilung auf sechs Monate begrenzende Entscheidung des VG Wiesbaden (Urt. v. 07.06.2021 – 6 K 307/20 WI, InsbürO 2021, 456 = ZInsO 2021,1972) ist Berufung zum hessischen Verwaltungsgerichtshof eingelegt worden (AZ: 10 A 1651/21 Z). Schließlich existiert noch ein Vorlagebeschluss des VG Wiesbaden an den EuGH vom 31.08.2021 (6 K 226/21, ZInsO 2021, 2276). Vielleicht schlägt der Gesetzgeber den gordischen Knoten durch, indem er – wie bereits bei der letzten Reform erwogen aber schließlich nicht durchgesetzt – die Löschungsfrist einheitlich auf ein Jahr festsetzt.

 

 
Einkommen

InsbürO 2022, 81 ff.: Zur Pfändung von Ansprüchen aus einem Pensionsvertrag

BGH, Beschl. v. 23.06.2021 - VII ZB 15/18, ZInsO 2021, 2213

Einer von zwei amtlichen Leitsätzen:

Die Möglichkeit, ein in einem Pensionsvertrag vorgesehenes etwaiges künftiges Angebot des Arbeitgebers auf Vertragsänderung (hier: Kapitalabfindung statt monatliche Rentenzahlung) anzunehmen, ist als bloße rechtsgeschäftliche Handlungsmöglichkeit nicht pfändbar.


Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Der BGH entscheidet hier durch den 7. Zivilsenat zu dem eher seltenen Fall der Option, ein in einem Pensionsvertrag vorgesehenes Angebot des Arbeitgebers auf Vertragsänderung (Kapitalabfindung statt monatliche Rentenzahlung) anzunehmen, dass diese Möglichkeit als bloße rechtsgeschäftliche Handlungsmöglichkeit nicht pfändbar und damit auch nicht von der Pfändung des Auszahlungsanspruchs miterfasst wird. Diese Entscheidung stellt zum einen die interessante Konstellation einer Selbstpfändung dar, also der Pfändung eines Anspruchs des Schuldners gegen den pfändenden Gläubiger, und hebt hervor, dass monatliche Altersrentenzahlungen aus einer Direktversicherung Arbeitseinkommen i.S.d. § 850 ff. ZPO sind.

Zum anderen ist die Entscheidung von Bedeutung, da die Feststellung des BGH zur Massezugehörigkeit von Guthaben in Direktversicherungen zur Altersvorsorge (BGH, Beschl. 20.12.2018 - IX ZB 8/17, InsbürO 2019, 195 = ZInsO 2019, 381) offengelassen hatte, ob ein dem Schuldner zu der Direktversicherung zustehendes Wahlrecht zwischen Kapital- und Rentenzahlung ebenfalls massezugehörig ist. Die Wahl einer Rentenzahlung kann für den Schuldner die Möglichkeit sein, das Versicherungsguthaben für seine Altersvorsorge zu sichern, da auch nach der Feststellung in der vorliegenden Entscheidung die Rentenleistung aus einer Direktversicherung Arbeitseinkommen ist. Damit kann das Insolvenzverfahren nach § 196 Abs. 1 InsO allein wegen des Rentenbezugs nicht fortgeführt werden.

Der BGH betont allerdings, dass grds. akzessorische Nebenrechte wie auch das Wahlrecht zu einem Lebensversicherungsvertrag zwischen Kapital- und Rentenzahlung von der Pfändung miterfasst werden und damit auch massezugehörig wären. Im vorstehend angegebenen Beschluss vom 20.12.2018 (IX ZB 8/17, a.a.O.) hatte der BGH ebenfalls erkannt, dass nur der Auszahlungsanspruch aus einer Direktversicherung massezugehörig ist, während aber der Direktversicherungsvertrag bis zum Eintritt des Versicherungsfalls dem Schutz des § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG unterliegt. Ist die Versicherung aber bis zum Eintritt des Versicherungsfalls und der dann folgenden Auszahlung geschützt, kann argumentiert werden, dass auch das vor dem Versicherungsfall auszuübende Wahlrecht vor Pfändung oder Massezugehörigkeit geschützt ist und damit ungehindert vom Schuldner ausgeübt werden kann.

 

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2022, 88: Rückzahlung von Arbeitseinkommen im Rahmen eines Scheinarbeitsvertrages unter Ehegatten

LAG Köln, Urt. v. 08.04.2021 – 6 Sa 1159/20, WKRS 2021, 3275 (rkr.)

Leitsätze des Gerichts:

1. Im Rahmen der Insolvenzanfechtung trägt grds. der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die die Annahme eines Scheingeschäfts bedingen sollen.

2. War die beklagte Ehegattin des Geschäftsführers aber nie im Betrieb, war sie vertraglich mit einer Schwester-Gesellschaft des insolventen Unternehmens in gleicher Weise gebunden, hatte sie keine eigene dienstliche Telefonnummer, keine Arbeitsplatzbeschreibung, keinen zugewiesenen Arbeitsbereich und gibt es keine namentlich benennbaren Mitarbeiter des insolventen Unternehmens, die von einer Arbeitsentfaltung der Beklagten berichten können und hat die Beklagte das Rentenalter bereits weit überschritten und erhielt sie bei alledem in den vergangenen vier Jahren knapp 100.000,00 EUR jährlich als Arbeitseinkommen abgerechnet, dann ist es nach § 138 Abs. 2 ZPO an ihr, konkrete Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ihre Behauptung ergeben soll, bei der vorgelegten Arbeitsvertragsurkunde handele es sich nicht um die Dokumentation eines unwirksamen Scheingeschäfts.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der Insolvenzverwalter verlangt die Rückzahlung von Arbeitsentgelt in einer Gesamtsumme von ca. 388.000 € im Rahmen einer Anfechtung nach § 134 InsO. Das LAG ist der Berufungsbegründung des Insolvenzverwalters gefolgt und hat der Klage stattgegeben. Die Revision wurde zwar nicht zugelassen.

 

InsbürO 2022, 88: Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners bei kontoführender Bank

OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.07.2021 – 4 U 67/18, ZInsO 2021, 2438 (rkr.)

Zwei von sechs Leitsätzen:

  1. Überweisungen des Schuldners von Konten bei anderen Banken auf ein beim Anfechtungsgegner geführtes Konto können gem. § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar sein.
     
  2. Eine Gläubigerbenachteiligung gem. § 129 Abs. 1 InsO kann zu bejahen sein, wenn die Aktiva des einen positiven Saldo aufweisenden Kontos, von dem das Geld überwiesen wird, vermindert werden, während das Konto, auf das überwiesen wird, im Soll ist. …

6. Diese Voraussetzung kann bei einer Bank, bei der der Schuldner seine wesentlichen Konten führt und auf die der Schuldner Mittel von Konten bei anderen Banken überweist, dann zu bejahen sein, wenn die Empfängerbank die bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kennt und nicht darlegt und beweist, dass sie gleichwohl auf Grund einer veränderten Tatsachengrundlage sicher davon ausgehen durfte, dass der Schuldner seine Zahlungen wieder aufgenommen hat.


Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde nicht zugelassen.

 

 

Haftung

InsbürO 2022, 88 f.: Verjährung des Anfechtungs-/Rückforderungsrechts wegen grob fahrlässigem Pflichtverstoß des Insolvenzverwalters

OLG Brandenburg, Urt. v. 21.07.2021 – 7 U 134/19, ZInsO 2021, 2142

Zum Sachverhalt:

Das Insolvenzverfahren wurde 2009 eröffnet. 2008 hatte die Hausbank sich eine Forderung der Schuldnerin gegen die Finanzverwaltung auf Investitionszulagen abtreten lassen und im Nov. 2008 einen Betrag von 513.734 € erhalten. Der Kläger als Insolvenzverwalter macht Rückforderung aufgrund insolvenzrechtlicher Anfechtung geltend. Die Klage reichte er Ende 2017 ein. Die beklagte Hausbank wendet die Einrede der Verjährung ein.
 

Aus der Begründung:

Die Berufung ist begründet. Sie führt … zur Klageabweisung, weil die Forderung verjährt ist. … Einem Insolvenzverwalter ist … grobe Fahrlässigkeit anzulasten, wenn er einem sich aufdrängenden Verdacht nicht nachgeht oder auf der Hand liegende, erfolgversprechende Erkenntnismöglichkeiten nicht ausnutzt oder sich die Kenntnis in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühen und Kosten beschaffen könnte (… BGH, 30.04.2015 - IX ZR 1/13 Rn. 10). Solche Anhaltspunkte lösen eine Ermittlungsobliegenheit aus, die ihn sonst nicht trifft (…). Die Anforderungen an den Insolvenzverwalter sind hoch; sie folgen seiner Berufsqualifikation (…). … In einem umfangreichen Verfahren genügt der Verwalter den Sorgfaltsanforderungen, wenn er die Suche nach etwaigen Anfechtungsansprüchen strukturiert, indem er zunächst die Buchhaltung der Schuldnerin nach inkongruenten Zahlungen im letzten Monat vor Antragstellung insbesondere an die institutionellen Gläubiger durchforstetet, sodann die Prüfung auf Zahlungen in den letzten drei Monaten vor Antragstellung ausweitetet und anschließend immer weiter in der Prüfung zeitlich zurückgeht (BGH, 15.12.2016 - IX ZR 224/15 Rn. 20).
           

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde zwar nicht zugelassen, aber es ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH unter dem AZ: IX ZR 138/21 anhängig.

 

 

Insolvenztabelle

InsbürO 2022, 89: Verjährungshemmung ab Anmeldung der Forderung

OLG München, Hinweisbeschl. v. 21.12.2020 – 7 U 4914/20, ZInsO 2376 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter nimmt den Rechtsnachfolger eines Kommanditisten in Anspruch. Der beruft sich auf die Verjährungsfrist von fünf Jahren gem. § 159 HGB und vertritt die Ansicht, diese Frist laufe ab dem Stichtag der Anmeldefrist im Eröffnungsbeschluss.


Aus der Begründung:

Der Lauf der Verjährung ist ab Anmeldung einer Forderung zur Tabelle während der gesamten Dauer des Insolvenzverfahrens gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB). Diese Hemmung der Verjährung gegenüber der Gesellschaft wirkt, …, gem. § 159 Abs. 4 HGB auch zulasten der Gesellschafter. Die Ansicht der Beklagten, die Hemmung ende bereits mit dem Prüfungstermin über die angemeldeten Forderungen …, trifft nicht zu. … Diese Sichtweise entspricht der des BGH (Urt. v. 08.12.2009 – XI ZR 181/08, …).
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Es wurde zunächst Berufung eingelegt, die aber nach einem Hinweis des Senats gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgenommen wurde.

 

 

Allgemeines

InsbürO 2022, 89: Kein Anspruch des (Nachlass-)Insolvenzverwalters gegen Urkundsnotar auf pauschale Auskunfts- bzw. Abschriftenerteilung

BGH, Beschl. v. 08.07.2021 – V ZB 42/19, ZInsO 2021, 2246

(V. Senat = u.a. zuständig für Grundstücksrecht)

Leitsatz des Gerichts:

§ 51 BeurkG verpflichtet den Notar weder dazu, einem Urkundsbeteiligten oder seinem Rechtsnachfolger Auskunft darüber zu erteilen, ob er oder sein Rechtsvorgänger überhaupt an der Errichtung von Niederschriften beteiligt waren, die in dem Notariat errichtet wurden oder verwahrt werden, noch dazu, ihnen alle Niederschriften zu benennen, an denen diese beteiligt waren. Der Notar ist auch nicht verpflichtet, einem pauschalen Antrag auf Erteilung von Abschriften aller Niederschriften zu entsprechen, die Erklärungen des Urkundsbeteiligten oder seines Rechtsvorgängers enthalten.
 

Aus der Begründung:

Rn. 9: Jeder, von dem oder für den bei Errichtung einer Niederschrift eine Willenserklärung abgegeben worden ist, kann nach § 51 Abs. 1, 1. HS Nr. 1, Abs. 3 BeurkG von dem Notar die Erteilung einer Ausfertigung oder – hier – Abschrift verlangen. Der Notar ist zur Erteilung der Abschriften bei Vorliegen dieser Voraussetzungen verpflichtet; er hat keinen Ermessensspielraum (…). … Rn. 15: Der von dem Antragsteller angeführte Gesichtspunkt, er könne das ihm übertragene Amt eines Nachlassinsolvenzverwalters nicht sachgerecht ausfüllen, wenn er von den Notariaten keine Informationen über Vermögensverfügungen des Erblassers erhalte, rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Der Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung von § 51 BeurkG bewusst für einen engen, an die Errichtung der konkreten Niederschrift anknüpfenden Anspruch auf Erteilung von Ausfertigungen und Abschriften entschieden. … Rn. 17: … Der Antragsteller hat mit keinem Wort erläutert, was ihn zu der Annahme veranlasst hat, der Erblasser könne überhaupt an Niederschriften beteiligt gewesen sein, die in dem Notariat errichtet wurden oder verwahrt werden. … Der Antrag war mithin ins Blaue hinein gestellt. … Rn. 18: In dem Antrag wird … ein Bezug zu konkreten Niederschriften nicht hergestellt. In zeitlicher Hinsicht ist der Antrag nicht eingegrenzt; es wird die Erteilung von Abschriften aller Niederschriften beantragt, an denen der Erblasser beteiligt war.

 

InsbürO 2022, 89: Gebühren für Auskunftsersuchen beim Hauptzollamt

VG Köln, Gerichtsbescheid v. 27.08.2021 – 22 K 2185/20, ZInsO 2021, 2270 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter bat beim Hauptzollamt um Auflistung sämtlicher Zwangsvollstreckungsaufträge gegen den Schuldner in einem bestimmten Zeitraum. Die Auskunft wurde nach dem IFG erteilt und ein Gebührenbescheid über 180,00 € erlassen.
 

Aus der Begründung:

Die … festgesetzte Gebühr i.H.v. 180 € ist dem Grunde (dazu 1.) und der Höhe (dazu 2.) nach rechtmäßig. … Entgegen … handelt es sich … nicht um eine "einfache" Auskunft nach § 10 Abs. 1 Satz 2 IFG, für die keine Gebühren erhoben werden. Maßstab für die Frage, ob es sich um eine einfache Auskunft handelt, ist der für die Bearbeitung des Zugangsbegehrens erforderliche Verwaltungsaufwand. … Die Recherche anhand der vom Kläger genannten Kriterien in verschiedenen Datenbanken, sowie die Sichtung, Selektion und Zusammenstellung der gewünschten Auskünfte haben hier einen – nicht geringen – Zeitaufwand von insgesamt 7 Std. verursacht. … Der entstehende Verwaltungsaufwand wird nur zu einem Teil in Ansatz gebracht. Die einstündige Dienstleistung eines Beamten im gehobenen Dienst wird nur mit 45 €, eines Beamten im mittleren Dienst mit 30 € berechnet, obwohl nach den Berechnungen des BMF insoweit tatsächliche Kosten i.H.v. 65,86 € und 43,50 € anfallen. … Eine Befreiung von der Gebührenpflicht für einzelne Berufsgruppen kennt das IFG nicht.