22.04.2022

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Aprilheft 2022

 

Einkommen

InsbürO 2022, 165 f.: Kein Anspruch auf Freistellungszeit statt Zusatzgeld während der Insolvenz

BAG, Urt. v. 15.07.2021 – 6 AZR 460/20, WKRS 2021, 47882

Amtlicher Leitsatz:

In der Verbraucherinsolvenz fällt die Arbeitskraft des Arbeitnehmers als Insolvenzschuldner nicht in die Insolvenzmasse, so dass er weiterhin über das Arbeitsverhältnis als solches disponieren und so dessen Inhalt ändern kann. Über künftige Entgeltansprüche aus dem unverändert gebliebenen Arbeitsverhältnis darf er jedoch nicht zum Nachteil der Masse verfügen.
 

Anmerkung Notarassessor Robert Weber, LL.M., Sömmerda:

Auf die Fortgeltung u.a. des § 291 InsO a.F. gem. Art. 103h S. 1 EGInsO auf sog. Altverfahren mit Eröffnung vor dem 01.07.2014 kam es nicht entscheidend an. Das Insolvenzverfahren wurde bereits aufgehoben. Der Zahlungsanspruch wurde von der Abtretung gem. § 287 Abs. 2 S. 1 InsO erfasst. Deshalb sind die Ausführungen zu § 81 InsO lehrreich, aber hier nicht einschlägig (ausführlich Kluge/Kappe, VIA 2022, 14, 15 f.).

Die Entscheidung bestätigt die bisherige Rechtsprechung, die Arbeitskraft nicht der Masse zuzuordnen (BGH, Urt. v. 11.05.2006 – IX ZR 247/03, InsbürO 2006, 357 = ZInsO 2006, 708, 709 Rn. 16; BAG, Urt. v. 20.06.2013 – 6 AZR 789/11 Rn. 15, InsbürO 2013, 499 = ZInsO 2013, 1806, 1807). Das überzeugt. Der Dienst im Rahmen eines Arbeitsvertrages ist persönlich zu erbringen. Dem entspricht die jedenfalls eingeschränkte Vollstreckbarkeit von Dienstleistungen nach § 888 Abs. 3 ZPO (ausführlich dazu Walker/Koranyi, in: Schuschke/Walker/Kessen/Thole, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2020, § 888 ZPO Rn. 1). Insolvenzrechtlich ergibt sich das aus §§ 81, 35 f. InsO. § 81 InsO verlangt einen Bezug zur Masse (Vuia, in: Münchener Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2019, § 81 InsO Rn. 7). Die Masse richtet sich nach §§ 35 f. InsO. Der Schuldner kann damit nicht verpflichtet werden, überhaupt zu arbeiten. Er kann deshalb den Vertragspartner für den Arbeitsplatz frei wählen. Insolvenzverwalter und Treuhänder haben hierauf keinen Einfluss. Auswirkungen auf die Entscheidung über die Restschuldbefreiung sind aber möglich (BAG, Urt. v. 20.06.2013 – 6 AZR 789/11 Rn. 30, a.a.O.).

Die Entscheidung zwischen Zusatzentgelt und Freistellung betraf eine Vermögensposition. Der Schuldner verfügte somit zulasten seiner Gläubiger über die Insolvenzmasse, genauer: Über eine künftige Forderung aus dem Dienstvertrag. Das war ihm wegen der Abtretung nach § 287 Abs. 2 S. 1 InsO nicht möglich – im laufenden Verfahren stünde § 81 Abs. 2 InsO entgegen.

 

InsbürO 2022, 168: Frage der Unpfändbarkeit einer freiwillig gezahlten Corona-Prämien

LAG Niedersachsen, Urt. v. 25.11.2021 – 6 Sa 216/21, WKRS 2021, 52578

Amtlicher Leitsatz:

Corona-Prämien, die einem Arbeitnehmer in der Gastronomie vom Arbeitgeber zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn gezahlt werden, können aufgrund ihrer Zweckbestimmung auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen als unpfändbare Erschwerniszuschläge gem. § 850a Nr. 3 ZPO qualifiziert werden.


Aus der Begründung:

Im Rahmen der gebotenen Auslegung erfasst der Begriff der Erschwernis in § 850a Nr. 3 ZPO auch eine besondere Belastung bei der Arbeitsleistung (BAG v. 23.08.2017 - 10 AZR 859/16 - Rn. 24). Dazu gehören u.a. die Umstände, die für die Gesundheit des Arbeitnehmers nachteilig sind und Maßnahmen zum Schutz und zur Sicherheit des Arbeitnehmers erfordern (vgl. BGH v. 29.08.2016 - VII ZB 4/15 - Rn. 13). Die Tätigkeit der Schuldnerin im gastronomischen Betrieb … im September 2020 war für diese mit besonderen Belastungen und gesundheitlichen Risiken verbunden. … Sie war durch den Kundenkontakt einer höheren Gefahr ausgesetzt, sich mit Corona zu infizieren, als wenn sie die Tätigkeit … nicht verrichtet hätte. Daneben bestand für sie eine besondere psychische Belastung bei der Verrichtung der Arbeitsleistung. Seinerzeit gab es weder eine wirksame Medikation bei einer Corona-Erkrankung noch bestand die Möglichkeit, sich gegen eine Infektion impfen zu lassen. Welche gesundheitlichen Auswirkungen eine Coronainfektion haben konnte, war damals noch nicht geklärt. Insgesamt war die von der Schuldnerin geschuldete Arbeitsleistung deshalb mit besonderen Belastungen verbunden. Diese wollte der Beklagte über die Corona-Prämie kompensieren (vgl. AG Cottbus, 23.03.2021 - 23 IN 127/18 - Rn. 8). … Allein der Umstand, dass für den Pflegebereich die Unpfändbarkeit von Coronaprämien gesetzlich bestimmt worden ist, bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber eine besondere Belastung durch Corona für alle anderen Tätigkeitsfelder pauschal verneint. Die Bundesregierung hat noch im April 2020 beschlossen, im Jahr 2020 Sonderzahlungen von Arbeitgebern an ihre Beschäftigten in der Corona-Krise bis zu einem Betrag von 1.500,00 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei zu stellen. … Das ist zwischenzeitlich mit § 3 Nr.11a EStG gesetzgeberisch umgesetzt worden. Auch wenn sich aus der Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit eines Vergütungsbestandteiles nicht in jedem Fall der zwingende Schluss auf seine Unpfändbarkeit ableiten lässt, wird doch vorliegend der gesetzgeberische Wille erkennbar, dass eine Coronaprämie uneingeschränkt den Beschäftigten zukommen soll.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das Landesarbeitsgericht hatte die Revision wegen grds. Bedeutung zugelassen. Sie ist auch eingelegt worden und bei Druckfreigabe beim BAG unter dem AZ: 8 AZR 14/22 anhängig. Greiner nimmt in diesem Heft (InsbürO 2022, 152) kritisch zu der Entscheidung Stellung.

 

 

Restschuldbefreiungsverfahren

InsbürO 2022, 168 f.: Zum Zeitpunkt des Endes der Sperrfrist

AG Hannover, Beschl. v. 19.10.2021 – 909 IK 1381/21 – 7, ZInsO 2022, 112 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Erteilung der Restschuldbefreiung am 04.10.2011, Eintritt der Rechtskraft am 28.10.2011, neuer Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung am 07.10.2021.

Wesentliche Leitsätze aus der Begründung:

  1. Die Berechnung der Sperrfrist erfolgt in Anwendung des § 4 InsO i.V.m. § 222 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Diese Vorschriften gelten entsprechend für sog. Rückwärtsfristen (vgl. BGH, Beschl. v. 05.06.2013 – XII ZB 427/11, Rn. 11). Um eine Rückwärtsfrist handelt es sich auch bei der Sperrfrist aus § 287a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 1. Var. InsO a.F.
     
  2. Die Restschuldbefreiung ist i.S.v. § 287a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO a.F. … mit Erlass des Restschuldbefreiungsbeschlusses erteilt. Auf den späteren Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft des Beschlusses … kommt es nicht an.


Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das AG Hannover verweist in der Begründung darauf, dass nach herrschender Meinung im Schrifttum für die Sperrfristberechnung des § 287a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO a.F. maßgeblich der Rechtskrafteintritt sein soll und führt eine Vielzahl von Fundstellen auf. Nach Ansicht des AG Hannover sei diese Ansicht aber an keiner Stelle näher begründet und wird daher – wie vorstehend ersichtlich – abgelehnt. Dazu wird u.a. angeführt, dass diese Rechtspraxis die missliebige Konsequenz hätte, dass der Schuldner die Sperrfrist ohne Weiteres nicht selbst berechnen und damit den Zeitpunkt, zu dem ein neuer Insolvenzantrag mitsamt Restschuldbefreiungsantrag gestellt werden könnte, nicht exakt bestimmen könnte. Er müsste sich im Vorfeld der Neubeantragung durch Rückfrage beim Insolvenzgericht über den Eintritt der Rechtskraft Auskunft geben lassen. Das AG Hannover führt aus, dass es dem § 287a Abs. 2 InsO nicht zu entnehmen sei, dass ein derart umständliches Prozedere gewollt sei. In Verfahren ab dem 01.10.2020 gelte die Restschuldbefreiung als mit Ablauf der regulären Abtretungsfrist als erteilt.

 

 

Vergütungsrecht

InsbürO 2022, 169: Berücksichtigung von gerichtlichen Zustellungen beim Ersatz von Zustellungskosten

AG Hamburg v. 04.02.2022 - 68h IK 35/21, ZInsO 2022, 545

Leitsatz des Gerichtes:

Bei der Zustellkostenauslagenerstattung nach § 4 Abs. 2 S. 2 InsVV sind dem Insolvenzverwalter bis zum Ende des Verfahrens erfolgte gerichtliche Zustellungen auf die ersten zehn „auslagenfreien“ Zustellungen in „entsprechender“ Anwendung v. Nr.9002 KV zu Anl. 1 § 3 Abs.2 GKG anzurechnen.
 

Aus der Begründung:

Die „sofortige Beschwerde“ des Insolvenzverwalters ist in Ansehung des Beschwerdewertes (dazu § 64 Abs. 3 S. 2 InsO i.V.m. § 567 Abs. 2 S. 2 ZPO; Graeber InsbürO 2006, 202) i.H.v. 24,50 € in eine befristete Erinnerung gem. § 11 Abs. 2 S. 1 RPflG umzudeuten (AG Leipzig, Beschl. v. 21.12.2021 – 401 IK 351/21 …). … Mit dem SanInsFoG kam die Neuregelung in § 4 Abs. 2 S. 2 InsVV – geltend f. d. nach dem 31.12.2020 beantragten Verfahren … So wird (es) … im Rahmen einer teleologischen Auslegung für möglich erachtet, dass der Gesetzgeber im Zuge der Erhöhung z.B. der Mindestvergütung (2 Abs. 2 S. 1 InsVV n.F. und § 13 InsVV n.F.) die Zustellkosten für die ersten 10 Zustellungen mit eingerechnet habe, obwohl dies die Erhöhung um bis zu (!) 35 € schmälere (AG Norderstedt Beschl. v. 21.12.2021 – 65 IK 27/21, …). … Eine Auslegung, dass die Neuregelung bedeute, dass die Zustellkosten Teil der Auslagenpauschale nach § 8 Abs. 3 InsVV sein sollen (entgegen bisheriger BGH-Rechtsprechung), ist nicht veranlasst (…). … Da die Regelung des KV Nr. 9002 für den Insolvenzverwalter „entsprechend“ gilt, gelten seine Zustellungen qua Übertragung nach § 8 Abs. 3 InsVV als „amtliche“, d.h. bei gerichtsseitigen Zustellungen sind diese innerhalb der ersten 10 Zustellungen zu berücksichtigen (…). … Richtig ist es …, die gerichtsseitigen bis zum Ende des Verfahrens veranlassten Zustellungen auf die ersten 10 Zustellungen des Insolvenzverwalters anzurechnen und diesen mit einer „Deckelung“ nur insofern zu belasten, als diese ggfs. noch nicht ausgeschöpft sind: nur dann sind dem Insolvenzverwalter die entsprechende Anzahl nicht zu ersetzen (Beispiel: das Gericht hat bis Verfahrensende 6 Zustellungen veranlasst, folglich sind dem Insolvenzverwalter 4 kostenfrei u. nicht anrechenbare Zustellungen abzuziehen; Beispiel: das Gericht hat bis Verfahrensende 12 Zustellungen veranlasst, der IV kann alle seine Zustellungen pauschalisiert geltend machen).
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Mit dieser Entscheidung ist ein möglicher Lösungsweg für die entstandene Problematik in der Anwendung der Neufassung in § 4 Abs. 2 S. 2 InsVV – wonach ein pauschaler Kostenersatz von 3,50 € ab der 11. Zustellung erstattet wird - aufgetan, denn momentan gibt es unterschiedliche Ansichten zur Auslegung dieser Neuregelung. Im Praxisalltag stellt sich aber die Frage, wie dieser Weg umgesetzt werden soll: Da das Insolvenzbüro keinen (gesicherten) Einblick in die Anzahl der durch das Gericht veranlassten Zustellungen hat, sondern diese nur vermuten und schätzen kann, stellt sich die Frage, ob alle vom Insolvenzbüro erfolgten Zustellungen im Vergütungsantrag anzugeben sind und das Insolvenzgericht dann jeweils ggf. eine Kürzung vornehmen wird. Dies scheint am plausibelsten. Ein stets erfolgender Vergleich zwischen der Endsumme im Vergütungsantrag und im Vergütungsbeschluss wird dann jedenfalls zukünftig mehr Arbeit verursachen, weil man die sich ggf. jeweils ergebende Differenz ermitteln und ergründen muss. Die Zusammensetzung der festgesetzten Zustellungskosten sollte sich aus der Begründung im Vergütungsbeschluss ergeben, aber die Prüfung bedeutet zunächst einmal einen neuen Arbeitsschritt. Wichtig in diesem Zusammenhang erscheint dann auch der Hinweis im Vergütungsantrag an das Insolvenzgericht, diese gerichtlichen Zustellungen festzustellen und anzurechnen, denn ein Automatismus wird – zumindest derzeit – nicht gegeben sein. Auch beim Insolvenzgericht wird damit offenbar Mehrarbeit anfallen – sofern die Insolvenzgerichte dieser Entscheidung denn flächendeckend überhaupt folgen werden.

 

InsbürO 2022, 170: Auslagenerstattung für Zustellungen erst ab der 11. Zustellung

AG Hannover, Beschl. v. 03.01.2022 – 904 IK 40/21 – 3, ZInsO 2022, 547

Aus der Begründung:

Vorliegend sind … lediglich zwei Zustellungen bewirkt worden. Die Schwelle, ab der Auslagenerstattung für Zustellungen zugunsten des Insolvenzverwalters festzusetzen ist, ist damit nicht erreicht. … Aus dem Wortlaut der Norm kann zugegebenermaßen auf die entsprechende Anwendung der Anmerkung zu Nr. 9002 GKG-KostVerz im Insolvenzverfahren nicht eindeutig geschlossen werden. Der Wortlaut ist indifferent und deckt beide Auslegungsalternativen ab. … Richtig ist …, dass es im Grundsatz nicht angeht, dass das Gericht die ihm nach dem Gesetz obliegenden kostenträchtigen Aufgaben ohne finanzielle Kompensation auf den Insolvenzverwalter überträgt (…). Da gesetzliche Vergütungsregelungen eine Berufsausübungsregelung darstellen, steht dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich in der konkreten Ausgestaltung des Vergütungsrechts aber ein Gestaltungsspielraum zu (…), der mit § 4 Abs. 2 Satz 2 InsVV in der hier vertretenen, maßgeblich auf die Gesetzesbegründung gestützten Gesetzesauslegung nicht verlassen wird. … In hiesiger Auslegung verhindert die Norm … eine … eintretende Kostenungleichheit und sichert die Praktikabilität der Gesetzesanwendung. Bewirkt das Gericht die Zustellungen selbst, fällt die Zustellungspauschale … erst ab der elften Zustellung an … Anders wäre dies … bei vom Insolvenzverwalter … bewirkten Zustellungen, wenn die Anmerkung zu Nr. 9002 GKG-KostVerz nicht entsprechend gölte. Die sich daraus ergebende unterschiedliche kostenrechtliche Lage würde sich im letzteren Fall wegen § 54 Nr. 2 InsO zulasten der Insolvenzmasse und damit letztlich zulasten der Insolvenzgläubiger auswirken, … Zeitgleich mit § 4 Abs. 2 Satz 2 InsVV sind … die … Regel- und Mindestsätzeangepasst und die Kappungsgrenze für die Auslagenpauschale … von monatlich 250 € auf 350 € erhöht worden, um … auch in Zukunft eine angemessene und verfassungsgemäße Vergütung des Insolvenzverwalters sicherzustellen (…). Diese Erhöhungen decken in der verfassungsrechtlichen Gesamtschau den hier in Rede stehenden, vom Insolvenzverwalter maximal zu tragenden Bagatellbetrag von 35 € für bis zu zehn nicht erstattungsfähige Zustellungen ab.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Wie vorstehend ersichtlich, begründet das AG Hannover die Ablehnung der Auslagenerstattung ab der ersten Zustellung mit der Gesetzesbegründung. Auf die gerichtlich veranlassten Zustellungen geht es nicht ein.

 

InsbürO 2022, 170: Kein Zuschlag für tlw. fehlende Erstattungsfähigkeit von Zustellungskosten

AG Norderstedt, Beschl. v. 21.12.2021 – 65 IK 27/21, ZInsO 2022, 481

Aus der Begründung:

Die regelmäßige Nichtberücksichtigung der ersten zehn Zustellungen wäre für die Insolvenzverwalterschaft extrem unwirtschaftlich (zitiert wird Graeber/Graeber, InsVV, § 4 Rn. 31 Fn. 3: „Unterstellt, in den 104.069 eröffneten Insolvenzverfahren des Jahres 2019 … wäre in allen Verfahren eine Anordnung i.S.v. § 8 Abs. 3 InsO ergangen, würde ein Nichtersatz der ersten 10 Zustellungen einen Betrag von 3.642.415 € netto bedeuten, mit welchen die Insolvenzverwalter ohne jedweden Ausgleich belastet würden“), was nicht Wille des Gesetzgebers gewesen sein könne. … Das Gericht ist auch weiterhin der Meinung, dass die ersten zehn Zustellungen nach aktuellem Recht nicht angesetzt werden können. … Der Gesetzgeber hat sich in der Gesetzesbegründung … zu dieser Frage positioniert. … Damit wird klar, welches Verständnis der Gesetzgeber von seiner Neuregelung hat. Ebenso wird sein Wille deutlich, diese Regelung so umzusetzen, dass Insolvenzverwalter ausnahmslos für die ersten zehn Zustellungen im Insolvenzverfahren keine Auslagen geltend machen können. Auch wenn es möglich ist, dass der Gesetzgeber auch diese Regelung in der Eile nicht vollständig durchdacht hat … Soweit der Insolvenzverwalter meint, bei Nichtberücksichtigung der Auslagen für die ersten zehn Zustellungen kämen wieder gesonderte Zuschläge in Betracht, dürfte das nicht zutreffen. Die für die Gewährung von Zuschlägen einschlägige Bagatellgrenze von 5 % (BGH v. 11.05.2006 – IX ZB 249/04, ZInsO 2006, 642) wird regelmäßig nicht erreicht werden.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Auch dieses Gericht geht auf die gerichtlicherseits veranlassten Zustellung nicht ein. Es bleibt daher für die Insolvenzbüros zu hoffen, dass sich das AG Hamburg mit seinem Ansatz zur Lösung der Problematik durchsetzen wird, damit ggf. ein Teil des in jedem Verfahren entstehenden Schadens vermieden werden kann.

 

InsbürO 2022, 170 f.: Keine Berücksichtigung des Erlösanteils eines Prozessfinanzierers in der Berechnungsgrundlage

BGH, Beschl. v. 16.12.2021 - IX ZB 24/21, WKRS 2021, 56047

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)


Amtlicher Leitsatz:

Hat der Insolvenzverwalter einem Prozessfinanzierer einen Teil der streitigen Forderung abgetreten oder sich verpflichtet, einen bestimmten Teil des Erlöses an den Prozessfinanzierer auszuzahlen, erhöht nur der Teil des Erlöses die Berechnungsgrundlage, welcher der Insolvenzmasse nach Abzug der dem Prozessfinanzierer zustehenden Beträge zufließt.
 

Aus der Begründung:

Rn. 11: Bei einer streitigen Forderung gehört nur der Betrag zur Berechnungsgrundlage, welcher der Insolvenzmasse tatsächlich zufließt. Können Forderungen nicht durchgesetzt und so verwertet werden, kommt ihnen grds. kein Wert zu, der bei der Berechnungsgrundlage zu berücksichtigen ist. … Rn. 15: Es fehlt … bereits an einem Zufluss aus der Verwertung der Forderung, der den Wert der Insolvenzmasse i.S.d. § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 1 Abs. 1 Satz 1 InsVV erhöhen könnte, soweit der Erlös dem Prozessfinanzierer zusteht. … Rn. 22: Der Grundsatz des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 InsVV, wonach die Kosten des Insolvenzverfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten nicht abgesetzt werden, gilt nicht ausnahmslos (BGH …). … Rn. 23: Die Verpflichtung, dem Prozessfinanzierer einen Teil des Erlöses der Forderung zu überlassen, fällt nicht unter § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 InsVV. Sie mindert vielmehr bereits den Wert der Forderung. … Im Streitfall hat … aus der Verwertung der Forderung 26.686 € erzielt. Hiervon hat er … dem Prozessfinanzierer … 26.111,90 € überlassen. Somit erhöht sich die Berechnungsgrundlage nur um den … verbleibenden Erlös von 574,10 €.

 

InsbürO 2022, 171: Berücksichtigung der Umsatzsteuer in der Berechnungsgrundlage bei Betriebsfortführung und Vergütungsabschlag beim Insolvenzverwalter bei vorheriger Eigenverwaltung

BGH, Beschl. v. 07.10.2021 - IX ZB 42/20, ZInsO 2022, 167

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtliche Leitsätze:

  1. Im Zuge der Betriebsfortführung vereinnahmte Umsatzsteuern sind in die mit dem Vergütungsantrag vorzulegende Überschussrechnung einzustellen.
     
  2. Es kann einen Abschlag von der Regelvergütung des Insolvenzverwalters rechtfertigen, wenn der größte Teil der Forderungen bereits von dem gesondert vergüteten Sachwalter geprüft wurde.
     
  3. Ein Abschlag kann auch gerechtfertigt sein, wenn die vom Insolvenzverwalter aus der vorangegangenen Eigenverwaltung übernommene Masse zu einem beträchtlichen Teil aus einem Kontoguthaben besteht.

    
Aus der Begründung:

Rn. 5: Das Beschwerdegericht hat die während der Betriebsfortführung von der Schuldnerin vereinnahmte Umsatzsteuer … zu Recht nicht gesondert in die Berechnungsgrundlage für die Vergütung gem. § 1 Abs. 1 InsVV eingestellt. Die vereinnahmte Umsatzsteuer ist lediglich ein Rechnungsposten bei der Ermittlung des Ergebnisses der Betriebsfortführung. Das ergibt sich aus § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. b InsVV. … Rn. 10: … Die vereinnahmte Umsatzsteuer steht in untrennbarem und unvermeidlichem Zusammenhang mit den sonstigen Einnahmen und Ausgaben im Rahmen der Betriebsfortführung. … Rn. 18: Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des Beschwerdegerichts, es sei als Abschlagsfaktor zu werten, dass der Beteiligte in seiner Funktion als Insolvenzverwalter nur noch elf der insgesamt 132 angemeldeten Forderungen zu prüfen hatte, während er den ganz überwiegenden Teil dieser Arbeit bereits zuvor als Sachwalter erledigt hatte. … Rn. 21: Eine Maßstabsverletzung liegt auch nicht darin, dass das Beschwerdegericht einen weiteren Abschlag … wegen der Übernahme eines Kontoguthabens aus der Eigenverwaltung von etwa 670.000 € für geboten gehalten hat. Rn. 22: … Die Kürzung der Vergütung rechtfertige sich daraus, dass dem übernommenen Kontoguthaben keine eigene Verwertungstätigkeit des Beteiligten als Insolvenzverwalter gegenübergestanden habe.

                  

 

Europäisches / internationales Recht

InsbürO 2022, 171: Forderungsanmeldungen im Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren

EuGH, Urt. v. 25.11.2021 – C-25/20, ZInsO 2021, 2735

Leitsatz des Gerichts:

Art. 32 Abs. 2 i.V.m. den Art. 4 und 28 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass die Anmeldung von bereits im Hauptinsolvenzverfahren angemeldeten Forderungen durch den Verwalter dieses Verfahrens in einem Sekundärinsolvenzverfahren den Vorschriften über die Fristen für die Anmeldung von Forderungen und über die Folgen verspäteter Anmeldungen unterliegt, die nach dem Recht des Staates gelten, in dem das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet wurde.
 

Aus der Begründung:

Rn. 27: Nach Art. 32 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1346/2000 melden die Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens und der Sekundärinsolvenzverfahren in den anderen Verfahren die Forderungen an, die in dem Verfahren, für das sie bestellt sind, bereits angemeldet worden sind, … Rn. 28: … Diese Bestimmung und die übrigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1346/2000 enthalten jedoch keine Angaben zu den Fristen für die Forderungsanmeldung und zu den Folgen einer etwaigen verspäteten Anmeldung. … Rn. 41: Jedenfalls kann Art. 32 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1346/2000 … nicht dahin ausgelegt werden, dass der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens abwarten muss, bis die Forderungen, die er im Sekundärinsolvenzverfahren anmelden möchte, im Hauptinsolvenzverfahren geprüft und festgestellt worden sind, bevor er sie im Sekundärinsolvenzverfahren anmelden kann. … Dass der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens die Forderungen anhand des auf das Hauptinsolvenzverfahren anwendbaren Rechts geprüft hat, ist für die Prüfung derselben, im Sekundärinsolvenzverfahren angemeldeten Forderungen von vornherein unerheblich.

                  

InsbürO 2022, 171 f.: Auftragsweitergabe im öffentlichen Recht bei Insolvenz des ursprünglichen Auftragnehmers

EuGH, Urt. v. 03.02.2022 - C461/20

Aus den Schlussanträgen des Generalanwalts … in Schweden:

4. Die Insolvenz des ursprünglichen Bieters und der Umstand, dass ein neuer Auftragnehmer an dessen Stelle tritt, ist eine im Prinzip unerwartete und außergewöhnliche Situation, da normalerweise alle Vorkehrungen getroffen werden, um sich der Zahlungsfähigkeit der Bieter zu vergewissern. Es handelt sich dennoch um ein Problem, mit dem die öffentlichen Auftraggeber im Leben der Unternehmen zuweilen konfrontiert sind, wie die Rechtssache des Ausgangsverfahrens zeigt, und welches der Gesetzgeber in der streitigen Vorschrift erstmals erfassen wollte. Der Gerichtshof wird aufgefordert, sich mit der Frage zu befassen, ob diese Vorschrift es erlaubt, dass ein neuer Auftragnehmer bestimmt wird, insbesondere vom Konkursverwalter, ohne Wettbewerb, ohne Verpflichtung des neuen Auftragnehmers, einen Teil der Geschäftstätigkeit des ursprünglichen Auftragnehmers zu übernehmen, und ohne, dass die Leitlinien für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die die Richtlinie 2014/24 wahren möchte, dadurch beeinträchtigt würden. … 104. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage … wie folgt zu antworten: Art. 72 Abs. 1 Buchst. d Ziff. ii der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass ein neuer Auftragnehmer die Rechte und Pflichten des ursprünglichen Auftragnehmers aus einer Rahmenvereinbarung übernommen hat, nachdem ihm diese Vereinbarung vom Konkursverwalter im Zuge der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des ursprünglichen Auftragnehmers übertragen worden ist, bedeutet, dass der neue Auftragnehmer i.S.d. Vorschrift ganz oder tlw. an die Stelle des ursprünglichen Auftragnehmers tritt. Es ist nicht erforderlich, dass diese Übertragung mit der Übertragung eines Teils der Geschäftstätigkeit des ursprünglichen Auftragnehmers, die der Ausführung der Rahmenvereinbarung dient, auf den neuen Auftragnehmer einhergeht.

               

 

Insolvenzverwalteramt

InsbürO 2022, 167 f.: Zulässige und unzulässige Kriterien einer Vorauswahlliste für Insolvenzverwalter

BGH, Beschl. v. 13.01.2022 – IX AR(VZ) 1/20, ZInsO 2022, 294

Leitsätze des Gerichts:

1. Ein Bewerber kann mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung geltend machen, dass die Auswahlkriterien, die der Insolvenzrichter bei der Aufnahme in die Vorauswahlliste für Insolvenzverwalter heranzieht, rechtswidrig sind und ihn in seinen Rechten verletzen. Hierzu zählen auch Merkmale, die eine Strukturierung der Vorauswahlliste ermöglichen sollen.

2. Ein Bewerber kann mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung geltend machen, dass er bei rechtsfehlerfreier Anwendung der vom Insolvenzrichter für eine Vorauswahlliste herangezogenen Kriterien in einer für ihn günstigeren Weise auf der Vorauswahlliste zu führen ist.

3. Eine Punktbewertung der Bewerber ist rechtswidrig, wenn die zugrundeliegenden Daten der einzelnen Bewerber auf einer unzureichenden Grundlage gewonnen werden oder nicht ausreichend vergleichbar sind.

4. Der Insolvenzrichter kann für die Vorauswahlliste von Bewerbern grds. aus den von diesen abgeschlossenen Insolvenzverfahren Daten zu verfahrensbezogenen Merkmalen (wie etwa „Sanierung“, „Insolvenzpläne“, „Massesteigerung“, „Ausschüttungsquote“, „Verwaltungskosten“, „Abweisung mangels Masse“ und „Verfahrensdauer“) erheben.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die 23 Seiten umfassende und damit ausführliche Entscheidung des BGH zur Vorauswahlliste für Insolvenzverwalter, in denen er auf einzelne Kriterien eingeht und erläutert, ob er sie zur Nutzung für geeignet oder ungeeignet hält (insbesondere ab Rn. 45 ff.) kommt zur passenden Zeit, denn auch das geplante Berufsrecht für Insolvenzverwalter, das eigentlich schon im Koalitionsvertrag der alten Regierung als Ziel vorgesehen war, nimmt wieder an Fahrt auf. Auch darin ist die Führung einer Vorausauswahlliste vorgesehen. Der VID und der Gravenbrucher Kreis hatten hierzu im Jan. bzw. Febr. 2022 Pressemitteilungen veröffentlicht, die wir in diesem Heft in „InsbürO aktuell“ (2022, 139 f.) in Auszügen vorstellen. Frind hat diese vorstehend BGH-Entscheidung ausführlich in der ZInsO (2022, 333 ff.) kommentiert und erörtert ebenfalls mögliche Auswirkungen auf die aktuelle Diskussion zum Berufsrecht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Insolvenzgerichte "verfahrensbezogene Merkmale" im Rahmen der Prüfung von Leistung und der Nachfrage zu Erfahrungen bei "ihren" Bewerber-Verwaltern abfragen und erheben und als Vorauswahllistungsstrukturierungskriterien nutzen dürften. Dies sollte aber keinesfalls mit einem intransparenten Punktesystem vermischt werden. Der BGH habe seiner Ansicht nach die Tür für Qualitätskontrolle geöffnet und nicht etwa geschlossen. Dies sieht Haarmeyer genauso (ZInsO 2022, 294, 299) und erklärt: „Mit den gemachten Darlegungen stößt der BGH nun die Tür für die Erhebung von Kennzahlen weit auf und es ist nun Sache der Gerichte durch diese Tür zu gehen und Qualität in Insolvenzverfahren transparent und zur Grundlage von Entscheidungen im Rahmen von § 56 InsO zu machen, so wie es der BGH ausdrücklich erklärt.“ Vorstehend wurde nur ein Teil der wesentlichen Aussagen des BGHs ausgewählt. Ein Blick in die gesamte Entscheidung lohnt sich auf jeden Fall. Darüber hinaus kann darauf hingewiesen werden, dass der erste Deutsche Restrukturierungs- und Insolvenzgerichtstag am 22./23.09.2022 in Erfurt u.a. unter dem Motto stehen wird „Qualität des Insolvenzverwalters (Messbarkeit, Kennzahlen, etc.)“. Mit dieser Thematik beschäftigt sich ein gesonderter Ausschuss. Informationen dazu finden Sie über www.insolvenzgerichtstag.de > Tagung.

 

InsbürO 2022, 172: Freigabe des Kundenstamms durch Insolvenzverwalter und Schuldnerbegünstigung

LG Paderborn, Beschl. v. 09.06.2021 – 8 KLs 7/21, ZInsO 2021, 2206 (rkr.)


Zum Sachverhalt:

In seiner Funktion als Insolvenzverwalter erteilte der Angeschuldigte … mit Schreiben v. … die Freigabe für die Übertragung des Kundenstamms der Gesellschaft an … Der Kundenstamm wurde anschließend übertragen. Eine Gegenleistung hierfür zu Gunsten der Insolvenzmasse wurde durch den Angeschuldigten nicht gefordert und ist nicht erfolgt. Der übertragene Kundenstamm hatte einen Wert von mindestens 600.000 €. … Durch das … Schreiben habe der Angeschuldigte als Insolvenzverwalter seine Zustimmung zur Übertragung der entsprechenden Rechtsposition von der Gesellschaft auf andere erteilt. Dies stelle ein Beiseiteschaffen von Vermögensbestandteilen i.S.d. § 283d StGB dar.
 

Aus der Begründung:

Das Hauptverfahren ist aus tatsächlichen Gründen gem. § 204 Abs. 1 StPO nicht zu eröffnen. Die vorgebrachten Beweismittel vermögen keinen hinreichenden Tatverdacht gegen den Angeschuldigten zu begründen. … Tatsächlich habe der Angeschuldigte mit seinem Schreiben … allein die Intention verfolgt, die Stornoreserven i.H.v. … ca. 221.000 € zugunsten der Insolvenzmasse und damit der Gläubiger zu "retten". …  Soweit ein anderer Versicherungsmakler die Betreuung übernehme, sei jedoch zu befürchten gewesen, dass dieser den Kunden, um ein Neugeschäft und damit Provisionen zu generieren, eine Kündigung der Altverträge und den Abschluss von Neuverträgen empfahl. Damit wären der Insolvenzmasse jedoch die Stornoreserven verloren gegangen. … Tatsächlich sei nur eine Einverständniserklärung für zukünftige Einzelfälle abgegeben worden, … Die Berechnungen im Gutachten … litten unter erheblichen Mängeln, … Vor allem fehle es aber an der Werthaltigkeit, da der Kundenstamm nicht verwertbar gewesen sei.

 

 

Haftung

InsbürO 2022, 172: Einschränkung der Steuerberaterhaftung nach PartG mbB bei fehlendem Hinweis auf Insolvenzantragspflicht

LG Erfurt, Urt. v. 14.07.2021 – 8 O 1503/19, ZInsO 2021, 2689 (rkr.)


Aus der Begründung:

Voraussetzung einer Haftungsbeschränkung gem. § 8 Abs. 2 PartGG ist …, dass der in Anspruch genommene Partner nicht mit der Bearbeitung des Auftrags befasst war oder nur einen Bearbeitungsbeitrag von untergeordneter Bedeutung geleistet hat. Sinn der in § 8 Abs. 2 PartGG angeordneten Haftungsbeschränkung ist es, den betroffenen Angehörigen der freien Berufe Planungssicherheit zu vermitteln und ihre jeweiligen Haftungsrisiken kalkulierbar zu machen (BT-Drucks. 13/9820, S. 21). Das Haftungsrisiko der Partner, die mit der Sache nicht befasst waren, soll eingeschränkt werden (BGH, Urt. v. 12.09.2019 – IX ZR 190/18, Rn. 7 ff.).

                  

InsbürO 2022, 172 f.: Haftung einer Sanierungsberaterin

OLG Köln, Beschl. v. 13.10.2021 – 2 U 23/21, ZInsO 2021, 2495

Aus der Begründung:

Die Kammer hat im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gem. §§ 133, 157 BGB zutreffend angenommen, dass die Beklagte als Sanierungsberaterin im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht aus dem Sanierungsberatervertrag aufgrund zu erwartender überlegener Sachkunde verpflichtet war, auf die Insolvenzreife der Schuldnerin hinzuweisen. Denn im Zweifel hat ein Sanierungsberater den Auftraggeber auch ohne ausdrückliche Aufforderung auf eine bestehende Insolvenzantragspflicht hinweisen, wenn ihm die dazu relevanten Informationen zur Verfügung gestellt wurden. … Zudem hat der Sachverständige die Zahlungsunfähigkeit zum … festgestellt und ausgeführt, dass die Schuldnerin und die Beklagte hiervon gewusst haben müssen. Dabei ist die Fortdauer der einmal eingetretenen Zahlungsunfähigkeit … auch im vorliegenden Fall zu vermuten.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Wir hatten die Entscheidung der ersten Instanz im Oktoberheft der InsbürO (2021, 419) veröffentlicht. Das OLG Köln stimmt dieser damaligen Entscheidung des LG Aachen (Urt. v. 14.04.2021 – 11 O 241/17) zu und hat die Berufung mit vorstehender Entscheidung zurückgewiesen. Hiergegen wurde allerdings Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt (AZ: III ZR 168/21).

 

 

Allgemeines

InsbürO 2022, 173: Voraussetzung für Gewährung von Prozesskostenhilfe an jur. Person

BGH, Beschl. v. 9.11.2021 – II ZR 224/20, ZInsO 2022, 143

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)
 

Aus der Begründung:

Rn. 5: Eine inländische juristische Person oder parteifähige Vereinigung erhält gem. § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. … Rn. 8: … Ein allgemeines Interesse i.S.d. Vorschrift kann angenommen werden, wenn … von der Durchführung des Prozesses die Existenz eines Unternehmens abhinge, an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl von Arbeitsplätzen ein allgemeines Interesse besteht (BGH …). … Rn. 9: Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass ohne die beabsichtigte Rechtsverfolgung allgemeine Interessen gefährdet wären. Wie die Beklagten in der Antragsbegründung ausführen, haben sie ihre gewerbliche Tätigkeit bereits seit 2013 weitgehend eingestellt und beschäftigen keine Arbeitnehmer mehr. … Die Beklagten machen schließlich auch nicht geltend, dass die Kaufpreisansprüche die Befriedigung von Kleingläubigern ermöglichen würde.

                     

InsbürO 2022, 173: Auswirkung der Insolvenz eines Musterrechtsbeschwerdeführers

BGH, Beschl. v. 23.11.2021 - XI ZB 23/20, ZInsO 2022, 141

(XI. Senat = u.a. zuständig für Kapitalmarktrecht)

Amtlicher Leitsatz:

Wird über das Vermögen des Musterrechtsbeschwerdeführers ein Insolvenzverfahren eröffnet, bestimmt das Rechtsbeschwerdegericht entsprechend § 21 Abs. 4, § 13 Abs. 1 Fall 2, § 9 Abs. 2 KapMuG einen neuen Musterrechtsbeschwerdeführer.


Aus der Begründung:

Rn. 3: Das KapMuG enthält keine Regelung für den Fall, dass im Rechtsbeschwerdeverfahren über das Vermögen des Musterrechtsbeschwerdeführers ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. … Rn. 13: Die Gesetzeslücke kann sachgerecht durch eine entsprechende Anwendung von § 21 Abs. 4, § 13 Abs. 1 Fall 2, § 9 Abs. 2 KapMuG geschlossen werden, …