19.08.2020

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

August 2020

 

Eröffnungsverfahren

InsbürO 2020, 332 ff.: Missbräuchlicher Eröffnungsantrag

BGH, Beschl. v. 07.05.2020 – IX ZB 84/19, ZInsO 2020, 1310

Amtlicher Leitsatz:

Ein Eröffnungsantrag, der unabhängig von den Vermögensverhältnissen des Schuldners und etwa bestehenden Ansprüchen gegen Gesellschafter, Geschäftsführer und Anfechtungsgegner ausschließlich auf eine Abweisung des Antrags mangels einer die Kosten des Insolvenzverfahrens deckenden Masse gerichtet ist, ist wegen Fehlens eines Rechtsschutzinteresses unzulässig.

 

InsbürO 2020, 337: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kein ausreichender Grund für Nichterscheinen im Anhörungstermin

LG Leipzig, Beschl. v. 11.05.2020 – 8 T 228/20 (rkr.)

Aus der Begründung:

Das Gericht hat den Haftbefehl auf die Verletzung der Auskunftspflicht des Schuldners gestützt und ausgeführt, er sei im Anhörungstermin trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne ausreichende Entschuldigung ferngeblieben. Es hat vom Schuldner über die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung v. … hinaus einen weiteren Nachweis des Verhinderungsgrundes durch ein detailliertes und aussagekräftiges amtsärztliches oder ärztliches Attest verlangt. Zwar ist dem AG insoweit beizupflichten, dass allein die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht in jedem Fall als ausreichender Verhinderungsgrund im Anhörungstermin gilt. Anders als in den vom LG Wuppertal (6 T 797/05) und LG Heilbronn (1 T 110/06) entschiedenen Fällen enthielt die hier vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung jedoch auch die ärztliche Diagnose. Der ICD-10-Code A09.0 bedeutet „sonstige und nicht näher bezeichnete Gastroenteritis und Colitis infektiösen Ursprungs“. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Echtheit der Bescheinigung oder der inhaltlichen Richtigkeit begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die am … bescheinigte akute Darmerkrankung erscheinen nähere Darlegungen zur Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit des Erscheinens im Termin nicht erforderlich.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Neben den vorgenannten Entscheidungen des LG Wuppertal und des LG Heilbronn hat sich bspw. auch das FG Köln in einer Entscheidung vom 12.10.2016 - 3 V 593/16 (ZInsO 2017, 176) ausführlich mit den Anforderungen an eine akzeptable Entschuldigung für das Nichterscheinen im Termin auseinandergesetzt und die bis dahin ergangenen Entscheidungen umfassend aufgelistet. Danach sei eine Person nicht gehindert, eine Vermögensauskunft abzugeben sowie deren Richtigkeit und Vollständigkeit zumindest bei minimaler Schreibfähigkeit an Eides statt zu versichern, auch wenn zweifellos feststehe, dass die Person erkrankt sei. Nur eine schwerwiegende Erkrankung könne eine Vernehmung ausschließen. 

 

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2020, 331 f: Stundung bei Forderungen aus unerlaubter Handlung

LG Gera, Beschl. v. 02.06.2020 – 5 T 176/20, ZInsO 2020, 1381

Leitsatz des Bearbeiters RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Für eine Stundung der Verfahrenskosten kommt es nicht darauf an, welcher prozentuale Anteil die Forderungen aus unerlaubten Handlungen an den Gesamtverbindlichkeiten hat, sondern ob dem Schuldner nach Erteilung der Restschuldbefreiung ein wirtschaftlicher Spielraum gegeben ist und damit ein Neuanfang möglich wird.

 

InsbürO 2020, 337: Steuererstattungsansprüche nach Ablauf der Abtretungserklärung frei vom Insolvenzbeschlag

AG Freiburg im Breisgau, Beschl. v. 08.05.2020 – 58 IN 372/12 (rkr.)

Aus der Begründung:

Nachdem die Laufzeit der Abtretungserklärung bereits im Jahr 2018 endete und daher auch die pfändbaren Beträge seither als „Neuerwerb“ nicht mehr in die Masse fielen (BGH v. 03.12.2009 – IX ZB 247/08, ZInsO 2010, 102), kann auch ein aus diesen nicht mehr massezugehörigen Beträgen resultierender Steuererstattungsanspruch nicht mehr in die Masse fallen. Die Aufrechterhaltung des Insolvenzbeschlags und die Anordnung der Nachtragsverteilung war daher aufzuheben.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

In vorstehendem Teil der Begründung hat das AG Freiburg bereits auf die BGH-Rechtsprechung verwiesen. Ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der Abtretungserklärung ist der Neuerwerb nicht mehr vom Insolvenzbeschlag umfasst. Allerdings ist insoweit zu beachten, dass die rechtskräftige Erteilung der RestschuldbefreiungVoraussetzung für diese zeitliche Trennung ist. Solange über die Restschuldbefreiung noch nicht entschieden ist, bleibt es offen, ob der betroffene Neuerwerb in die Masse fällt (BGH v. 03.12.2009 – IX ZB 247/08, InsbürO 2010, 115 = ZInsO 2010, 102) und der Insolvenzverwalter hat die Aufgabe, die mögliche Masse zu sichern. Bei Versagung der Restschuldbefreiung bleibt der Neuerwerb in der Insolvenzmasse, bei rechtskräftiger Erteilung ist dieser Neuerwerb an den Schuldner auszukehren. Der Neuerwerb kann – wie vorstehend – Steuererstattungsansprüche betreffen. Praxisrelevant ist diese Frage des Neuerwerbs aber auch beim P-Konto. Wenn pfändbare Einkommensanteile gegeben sind, werden diese nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung vom Arbeitgeber an den Schuldner auf sein P-Konto überwiesen, übersteigen dort dann aber den Freibetrag. Die kontoführende Bank ist daher mit rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung darüber zu informieren, dass der Insolvenzbeschlag an diesem Neuerwerb nicht mehr greift, damit der Schuldner über dieses Geld verfügen kann.

 

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2020, 338: Gewerbeuntersagung bei Steuerrückständen und fehlendem Sanierungskonzept

VG Regensburg, Gerichtsbescheid v. 09.01.2020 – RO 5 K 18.776, ZInsO 2020, 245 (rkr.)

Aus der Begründung:

Der Bescheid erfüllt die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 GewO. Es liegen Tatsachen vor, die die Unzuverlässigkeit des Klägers in Bezug auf sein Gewerbe dartun, die Untersagung war zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich. … Von dem Gewerbetreibenden muss im Interesse eines redlichen und ordnungsgemäßen Wirtschaftsverkehrs erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit seinen Gewerbebetrieb aufgibt. … Steuerschulden sind Ausdruck mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit (…). … Im Gewerbeuntersagungsverfahren obliegt es dem Gewerbetreibenden, hinreichend substanziierte Angaben zu machen, die eine Prüfung ermöglichen, ob ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept vorliegt. … Angesichts der erheblichen Gesamtrückstände – insbesondere gegenüber dem Finanzamt Regensburg – kann hier insgesamt nicht von einem umfassenden Sanierungskonzept ausgegangen werden. … Die Gewerbeuntersagung war zum Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit erforderlich. Es ist davon auszugehen, dass die Steuerrückstände des Klägers im Verlauf des Verfahrens weiter steigen werden.

 

InsbürO 2020, 338: Haftungsmaßstab für unternehmerische Entscheidungen des Insolvenzverwalters

BGH, Urt. v. 12.03.2020 - IX ZR 125/17, WKRS 2020, 18976

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Zwei von acht gerichtlichen Leitsätzen:

  • Maßstab aller unternehmerischen Entscheidungen des Insolvenzverwalters im Rahmen einer Betriebsfortführung ist der Insolvenzzweck der bestmöglichen gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger sowie das von den Gläubigern gemeinschaftlich beschlossene Verfahrensziel - Abwicklung des Unternehmens, Veräußerung oder Insolvenzplan - als Mittel der Zweckerreichung.
  • Der dem Insolvenzverwalter bei unternehmerischen Entscheidungen zustehende Ermessensspielraum ist überschritten, wenn die Maßnahme aus der Perspektive ex ante angesichts der mit ihr verbundenen Kosten, Aufwendungen und Risiken im Hinblick auf die Pflicht des Insolvenzverwalters, die Masse zu sichern und zu wahren, nicht mehr vertretbar ist.

 

Aus der Begründung:

Rn. 29: Die Business Judgement Rule und ihre gesetzliche Umsetzung in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gelten nicht für den Sorgfaltsmaßstab, an dem unternehmerische Entscheidungen des Insolvenzverwalters zu messen sind. Rn. 30: Nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG liegt keine Pflichtverletzung vor, wenn das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. … Rn. 32: Die Haftungsmaßstäbe für den Insolvenzverwalter ergeben sich aus den Bestimmungen der Insolvenzordnung, die Besonderheiten bei unternehmerischen Entscheidungen des Insolvenzverwalters ausreichend Rechnung tragen. … Rn. 34: Die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters als allgemeiner Maßstab für das Handeln des Insolvenzverwalters entspricht auch der Intention des Gesetzgebers. Dieser hat bewusst von einer unveränderten Übertragung der Sorgfaltsanforderungen des Handels- und Gesellschaftsrechts auf den Insolvenzverwalter abgesehen, sondern die Formulierung in § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO nur an die entsprechenden Vorschriften (§ 347 Abs. 1 HGB, § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 1 GenG, § 43 Abs. 1 GmbHG) angelehnt. Damit hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass die Besonderheiten zu beachten sind, die sich aus den Aufgaben des Insolvenzverwalters und aus den Umständen ergeben, unter denen er seine Tätigkeit ausübt (vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 129; BGH, Beschl. v. 15.10.2015 - IX ZR 296/14, … Rn. 4).                    

                                     

InsbürO 2020, 338: Voraussetzungen für die Einberufung einer Hauptversammlung trotz laufender Insolvenz

KG, Beschl. v. 12.03.2020 – 22 W 73/19, ZInsO 2020, 1263

Einer von zwei Leitsätzen des Gerichts:

Eine gerichtliche Ermächtigung zur Einberufung der Hauptversammlung einer AG ist auch möglich, wenn sich die Gesellschaft in Insolvenz befindet, soweit sich die zu behandelnden Beschlussgegenstände auf insolvenzfreie Bereiche beziehen.

Aus der Begründung:

Die Befugnis des Einberufungsverlangens durch die Minderheit nach § 122 AktG gilt … nur dann fort, sofern sich das Einberufungsverlangen auf Beschlussgegenstände bezieht, für welche die Hauptversammlung trotz Insolvenz der Gesellschaft zuständig bleibt, wie etwa die Abberufung und Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, Vertrauensentzug gegen-über dem Vorstand, Satzungsänderungen über Mehrheitserfordernisse oder Kapitalerhöhungen sowie Sonderprüfungsanträge. … Die begehrte Tagesordnung zu einem Bericht des Vorstands zu Geschehnissen und Ursachen, die den Vorstand zur Stellung des Insolvenzantrags bewogen haben, umfasst keine Beschlussfassung und ist aus diesem Grunde nicht tauglicher TOP im Rahmen des § 122 Abs. 1 AktG. Eine Ausnahme vom Verbot der beschlusslosen Hauptversammlung ist nur in den gesetzlich geregelten Fällen der beschlusslosen Behandlung wie der Verlustanzeige und der Vorlage des Jahresabschlusses (§§ 92 Abs. 1, 175 Abs. 1 Satz 2 AktG) möglich (…).

 

 

Eigenverwaltung

InsbürO 2020, 338 f.: (Persönliche) Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung bei Insolvenz in Eigenverwaltung

FG Düsseldorf, Urt. v. 17.12.2019 – 13 K 3467/18 E, ZInsO 2020, 1093 (rkr.)

Aus der Begründung:

Im Streitfall ist eine Schätzung dem Grunde nach gerechtfertigt, da der Kläger weder im Veranlagungs- noch im Klageverfahren Steuererklärungen abgegeben hat, obwohl er hierzu verpflichtet gewesen wäre. Die Steuererklärungspflicht folgt vorliegend aus § 56 EStDV. Insoweit kann dahinstehen, ob der Kläger tatsächlich, …, nur Einkünfte unterhalb des Grundfreibetrags erzielt hat (…). Denn er war jedenfalls gem. § 56 Satz 2 EStDV zur Abgabe einer Steuererklärung für 2015 und 2016 verpflichtet, da auf den 31.12.2014 (…) und den 31.12.2015 (…) verbleibende Verlustvorträge zur Einkommensteuer festgestellt worden waren. Die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ist … nichtdurch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit entfallen. … Für die Steuererklärungspflicht ist es … unerheblich, ob in der Insolvenzmasse ausreichende Mittel für die Beauftragung eines Dritten vorhanden sind (…). Dies muss aus Sicht des Senats erst recht dann gelten, wenn der Steuerschuldner – wie hier – selbst zur Fertigung einer Erklärung verpflichtet bleibt, weil eine Insolvenz in Eigenverwaltung angeordnet ist.                    

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Nach der vorgenannten Vorschrift des § 56 Satz 2 EStDV ist eine Steuererklärung abzugeben, wenn zum Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums ein verbleibender Verlustabzug festgestellt worden ist.

 

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2020, 339: Kein Anfechtungstatbestand des § 133 InsO bei gesetzlicher Pflichterfüllung zur Abgabe von Steuererklärungen

OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.11.2019 – I-12 U 17/19, ZInsO 2020, 413 (rkr.)

Aus der Begründung:

Soweit der Kläger (= Insolvenzverwalter) … geltend macht, die Schuldnerin habe durch die regelmäßige Abgabe der USt-Voranmeldungen auch nach Einstellung ihrer Zahlungen auf die Steuerverbindlichkeiten die Vollstreckungsmöglichkeit des Finanzamts aktiv gefördert, liegen darin keine gem. § 133 Abs. 1 InsO anfechtbaren Rechtshandlungen der Schuldnerin. …Nicht nur kam die Schuldnerin mit der Abgabe der USt-Voranmeldungen ihrer sich aus § 18 Abs. 1, Abs. 2 UStG ergebenden gesetzlichen Pflicht nach. Auch ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass es sich bei den aufgrund der Voranmeldungen festgesetzten Steuern um berechtigte und fällige Steuerverbindlichkeiten handelte, gegen die die Schuldnerin keine erfolgversprechenden Einwendungen hätte vorbringen können. … Soweit der Kläger meint, es liege ein die Einleitung der Zwangsvollstreckung begünstigendes Unterlassen der Schuldnerin i.S.d. § 129 Abs. 2 InsO vor, indem sie nach Einreichung der USt-Voranmeldungen in Kenntnis der Höhe und Fälligkeit der Steuerschuld diese bewusst nicht gezahlt, sondern die Vollstreckung abgewartet habe, führt auch dies nicht zur Anfechtbarkeit des jeweiligen Pfändungspfandrechts. … Die bloße Nichtzahlung der Steuerverbindlichkeiten bei Fälligkeit erfüllt ungeachtet der Frage, ob die Schuldnerin zahlungsunwillig oder -unfähig war, nicht die Anforderungen an ein anfechtungsrechtlich relevantes Unterlassen i.S.d. §§ 129 Abs. 2, 133 Abs. 1 InsO.

 

InsbürO 2020, 339: Wiederholte Rücklastschriften führen nicht zwingend zur Kenntnis von (drohender) Zahlungsunfähigkeit

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 11.11.2019 – 6 O 3391/19, ZInsO 2020, 608

Zum Sachverhalt:

Zwischen Jan. 2012 und Aug. 2015 kam es in 15 Fällen zur Rückbuchung von Lastschriften.

Aus der Begründung:

Die Rücklastschriften können, wie der Kläger zu Recht geltend macht, ein erhebliches Beweisanzeichen für eine drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und für dessen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz darstellen (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.2010 – IX ZR 70/08, Rn. 10 …). Allerdings sind im vorliegenden Fall zahlreiche Umstände zu berücksichtigen, die das Gewicht der vorbenannten Indizien deutlich verringern. … Die 15 Rücklastschriften der von der Beklagten eingezogenen Darlehensraten erfolgten über einen verhältnismäßig langen Zeitraum von ca. 3 1/2 Jahren hinweg und z.T. mit sehr langen Intervallen von mehr als einem Jahr. Darüber hinaus handelte es sich jeweils um relativ geringe Beträge von nicht mehr als 246 €. Von einer kontinuierlichen Zahlungsstockung des Schuldners kann also keine Rede sein, zumal die rückständigen Raten jeweils zeitnah ausgeglichen worden sind, es demnach zu keinen erheblichen Rückständen bei der Beklagten kam. … Im Ergebnis kam es aus Sicht der Beklagten also lediglich zu einer vorübergehenden Nichtbedienung der Darlehensforderung, wobei der jeweilige Rückstand im Verhältnis zum Gesamtkreditbetrag nicht sonderlich hoch war. Unter diesen Umständen musste die Beklagte nicht zweifelfrei auf unüberwindliche Zahlungsschwierigkeiten des Schuldners schließen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.09.2018 – 12 W 7/18, Rn. 11). Auch die Kammer kann sich nach Würdigung aller aufgeführten Tatsachen nicht von der erforderlichen Kenntnis der Beklagten überzeugen.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das LG Nürnberg-Fürth verweist auf die BGH-Entscheidung vom 01.07.2010 (IX ZR 70/08 in ZInsO 2010, 1598). Darin führt der BGH neben dem erheblichen Beweisanzeichen von Rücklastschriften aus, dass zur Feststellung der Kenntnis von der zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Gesamtbetrachtung der für den Anfechtungsgegner ersichtlichen Umstände zu erfolgen hat (Rn. 10). In dem vom BGH zu entscheidenden Fall gab es neben den Rücklastschriften ein Schreiben der Schuldnerin, wonach sie nicht in der Lage war, ihre fälligen Verbindlichkeiten zu bezahlen. Dadurch ergibt sich bei der Gesamtbetrachtung ein anderes Ergebnis als im vorstehenden Fall.

 

InsbürO 2020, 339 f.: Zur Nutzung einer mautpflichtigen Straße als Bargeschäft i.S.v. § 142 InsO a.F. 

BGH, Beschl. v. 05.03.2020 – IX ZR 158/18

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Aus der Begründung:

Die Rechtssache hat weder grds. Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen eines Bargeschäfts nach § 142 InsO in der bis zum 04.04.2017 geltenden Fassung ohne Rechtsfehler bejaht. Die Besonderheiten der Rechtsbeziehungen zwischen der durch die Bundesanstalt für Güterverkehr vertretenen Bundesrepublik Deutschland, der Beklagten als private Betreiberin des Lkw-Mautsystems und der Schuldnerin als Nutzerin mautpflichtiger Straßen rechtfertigen es, die Befugnis zur Nutzung der Straßen als vereinbarungsgemäße Gegenleistung für das - hier kongruent - an die Beklagte gezahlte Entgelt i.S.v. § 142 InsO a.F. anzusehen (vgl. BGH, Urt. v. 10.10.2013 - IX ZR 319/12, … Rn. 30).

                     

 

Steuerrecht

InsbürO 2020, 340: Berücksichtigung des Grundfreibetrages bei der Aufteilung der Einkommensteuer als Jahressteuer zwischen insolvenzfreiem Vermögen und Insolvenzmasse

FG Sachsen, Urt. v. 05.02.2020 – 5 K 1387/19, ZInsO 2020, 916

Aus der Begründung:

Sind in einem Veranlagungszeitraum mehrere insolvenzrechtliche Forderungskategorien betroffen, so ist die einheitlich ermittelte Einkommensteuerschuld aufzuteilen. … Nach Auffassung des BFH soll Aufteilungsmaßstab für die Steuerschuld - … - allein das Verhältnis der Höhe der einzelnen Teileinkünfte zur Summe der Einkünfte zueinander sein. … Der Senat ist allerdings nicht der Auffassung, dass der alleinige Aufteilungsmaßstab für die Steuerschuld - … - das Verhältnis der Höhe der einzelnen Teileinkünfte zur Summe der Einkünfte zueinander sein soll. Hierbei kommt es nicht nur zu einer ungleichen Progressionsbelastung der einzelnen "Besteuerungsabschnitte", … Der BFH hat bislang noch keine eindeutige Entscheidung dazu getroffen, ob bei Aufteilung der Gesamtsteuerschuld - … - der Grundfreibetrag zugunsten des Insolvenzschuldners gem. § 32 a EStG zu berücksichtigen ist, sich dies auf die Gesamteinkünfte niederschlägt und somit als Folge auch auf das Verhältnis der Teileinkünfte zueinander. … Der Grundfreibetrag - … - dient dazu, die zur Finanzierung des existentiellen Bedarfs benötigten Einnahmen von der Besteuerung freizustellen. Er soll das sächliche Existenzminium des Steuerpflichtigen und damit des Klägers sichern und nicht das "der Masse", die aus Sicht des Senats keinen Bedarf an Schutz eines irgendwie gearteten Existenzminimums hat. Es erscheint daher gerechtfertigt, den Grundfreibetrag anzusetzen. In ähnlicher Weise hat auch das FG Münster in einem, noch nicht rechtskräftigem Urteil (FG Münster, Urt. v. 28.02.2018 - 9 K 3343/13 E -, …, Rev. anhängig unter VIII R 19/18) entschieden, …

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

In der Entscheidung ist die abweichende Steuerbelastung für den Schuldner unter Berücksichtigung des Grundfreibetrages in tabellarischen Übersichten für zwei Jahre dargestellt, so dass man die Berechnung leicht nachvollziehen und auch den Steuervorteil erkennen kann. Das FG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.Die Frage der Berücksichtigung des Grundfreibetrags bei der Aufteilung der Gesamtsteuerschuld stelle sich in einer Vielzahl von Steuerfällen und sei zudem noch nicht vom BFH entschieden. Die Revision wurde auch eingelegt. Das Verfahren ist beim BFH unter dem AZ: X R 8/20 anhängig.

 

InsbürO 2020, 340: Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit bei Verwertung durch absonderungsberechtigten Gläubiger

FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 03.03.2020 - 5 K 1193/17, ZInsO 2020, 1030

Amtlicher Leitsatz:

Durch die Überlassung (nur) zur Verwertung nach § 170 Abs. 2 InsO erfolgt keine echte Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag, so dass die aus der Veräußerung durch den absonderungsberechtigten Gläubiger resultierende Einkommensteuer Masseverbindlichkeit ist.

Aus der Begründung:

Für die insolvenzrechtliche Begründung des Einkommensteueranspruchs kommt es … darauf an, ob der einzelne (unselbständige) Besteuerungstatbestand - insbesondere die Erzielung von Einkünften nach § 2 Abs. 1 EStG - vor oder nach Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde. Entscheidend ist, wann der Tatbestand, an den die Besteuerung knüpft, vollständig verwirklicht ist (so bereits BFH-Urteil v. 16.05.2013 - IV R 23/11, …; zuletzt BFH-Urteil v. 10.07.2019 - X R 31/16, …). … Dabei kann offenbleiben, ob die Einkommensteuer aufgrund einer "Handlung" des Insolvenzverwalters (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO) oder aber "in anderer Weise" (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO) begründet wurde. Es ist jedenfalls eine der beiden Alternativen erfüllt, wenn man mit der vorgenannten Rechtsprechung für das insolvenzrechtliche "Begründetsein" darauf abstellt, wann und durch wen der steuerauslösende (unselbständige) Besteuerungstatbestand i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG (vollständig) verwirklicht wurde. Dies ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Abgrenzung.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen: 

Das FG hat die Revision zugelassen. Diese wurde auch eingelegt. Das Verfahren ist per Stand Anfang Juli 2020 beim BFH unter dem AZ: X R 9/20 anhängig.              

 

InsbürO 2020, 340: Geschäftsführer-Haftung für nicht abgeführte Lohnsteuerbeträge nach Insolvenzantragstellung

BFH, Urt. v. 22.10.2019 – VII R 30/18, ZInsO 2020, 1096

(VII. Senat = u.a. zuständig für allgemeines Abgabenrecht)

Leitsätze des Gerichts:

1. Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH beantragt und ein vorläufiger Insolvenzverwalter unter Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts bestellt, verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim gesetzlichen Vertreter der GmbH.

2. Der Geschäftsführer kann sich nicht allein mit der Behauptung entlasten, er habe angenommen, der vorläufige Insolvenzverwalter werde seine Zustimmung zur Abgabentilgung verweigern; hypothetische Kausalverläufe sind nicht zu berücksichtigen.

3. Wegen der erhöhten Anforderungen an den Geschäftsführer in der Krise der GmbH ist im Regelfall eine solche Anfrage an den vorläufigen Insolvenzverwalter erforderlich, deren Nachweis dem Geschäftsführer obliegt.

4. Nur bei konkreten und eindeutigen objektiven Anhaltspunkten für die Sinnlosigkeit dieser Anfrage kann auf diese verzichtet werden (im Anschluss an Senatsurteil vom 26.09.2017 – VII R 40/16, … BStBl. II 2018, 772).

 

InsbürO 2020, 341: Nichtigkeit eines Haftungsbescheides nach rechtskräftigen Insolvenzplan

FG Köln, Urt. v. 25.06.2019 – 1 K 2623/15, WKRS 2019, 56390

Aus der Begründung:

Der angefochtene Haftungs- und Nachforderungsbescheid … ist nichtig, da der Beklagte (= Finanzamt) im Bekanntgabezeitpunkt der Bescheide keine rechtliche Befugnis mehr zu deren Erlass hatte. … Die besonderen Umstände des Streitfalls führen … dazu, dass das Finanzamt … die angefochtenen Bescheide ausnahmsweise trotz rechtskräftiger Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht erlassen durften. Dies folgt aus der Präklusionswirkung der im Insolvenzplan festgelegten und vom Insolvenzgericht rechtskräftig bestätigten Ausschlussfrist für Nachzügler. Die Fristen im Abs. 2 der Präklusionsklausel hat der Beklagte (= FinA) nicht ohne Verschulden verstreichen lassen. … Diese Präklusionsklausel ist zwar wegen ihres Charakters als materielle, nämlich nach ihrem Wortlaut und ihrem Sinngehalt anspruchsvernichtende Ausschlussklausel materiellrechtlich nichtig. … Dennoch ist im vorliegenden Fall wegen der rechtskräftigen Bestätigung des gesamten Insolvenzplans auch die materielle Präklusionsklausel als rechtswirksam anzusehen.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde zur Frage, ob das Finanzamt nach Aufhebung eines Insolvenzverfahrens befugt ist, einen Nachforderungs- und Haftungsbescheid zu erlassen, wenn eine (rechtswidrige) materielle Präklusionsklausel in einem Insolvenzplan vom Insolvenzgericht rechtskräftig bestätigt wurde, zugelassen und auch eingelegt. Das Verfahren ist per Stand Anfang Juli 2020 beim BFH unter dem AZ: VI R 33/19 anhängig.

 

 

Vollstreckungsrecht

InsbürO 2020, 341: Aussetzung einer Pfändung zwecks Beseitigung der öffentlich-rechtlichen Verstrickung

LG Flensburg, Beschl. v. 28.10.2019 – 5 T 198/19, ZInsO 2020, 786 (rkr.)

Aus der Begründung:

Die Verstrickung wird auch beseitigt, sofern das Vollstreckungsorgan die Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens aussetzt, ohne die Pfändung insgesamt aufzuheben (vgl. BGH, … 21.09.2017 - IX ZR 40/17 Rn. 14; ... AG Dresden, Beschl. v. 23.05.2018 - 545 IK 1176/17, …; vgl. AG Hamburg-Altona v. 12.06.2019 - 320 a M 7/13, NZI 2019, 673 m.w.N.; AG Zeitz, Beschl. v. 29.11.2018 - 5 M 754/16).    Der Ansicht des Insolvenzverwalters und anderer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassungen (bspw. AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018, Az.: 74 IK 155/18; AG Essen, … 01.08.2018 - 163 IK 206/15), nach denen eine Aussetzung nicht möglich sein und ein mit §§ 88, 89 InsO kollidierender Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nur vollständig aufgehoben werden können soll, wird hier nicht gefolgt. Insoweit schließt sich das Beschwerdegericht den folgenden, zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts Hamburg-Altona (a.a.O.) an.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Entscheidung reiht sich ein in die Vielzahl der anderen, tlw. auch vorstehend genannten Entscheidungen zur Frage, ob allein die Aussetzung der Vollziehung einer Pfändung die öffentlich-rechtliche Verstrickung aufhebe oder ob die Pfändungsmaßnahme an sich aufgehoben werden müsse. Der BGH hatte bekanntlich beide Möglichkeiten in seiner Entscheidung vom 21.09.2017 (IX ZR 40/17, InsbürO 2017, 506 = ZInsO 2017, 2267) aufgezeigt. Die Entscheidung des AG Hamburg-Altona, auf das sich das LG Flensburg bezieht, wurde in InsbürO 2019, 509 mit einer Anmerkung von Henning veröffentlicht. Das AG Hamburg-Altona hatte herausgearbeitet, dass die Unwirksamkeitserklärung zu einer Pfändung im laufenden Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren etwas anderes sei, als eine Ruhendstellung der Pfändung in der Zwangsvollstreckung durch den Gläubiger, die der BGH für unzulässig erklärt hatte (BGH, Beschl. v. 02.12.2015 – VII ZB 42/14, InsbürO 2016, 168 = ZInsO 2016, 148). 

 

 

Vergütungsrecht

InsbürO 2020, 341: Darlegung des Ergebnisses der Betriebsfortführung im Vergütungsantrag des vorl. Insolvenzverwalters

BGH, Beschl. v. 19.12.2019 – IX ZB 72/18, ZInsO 2020, 321

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Der Vergütungsantrag des vorläufigen Insolvenzverwalters hat im Fall einer Betriebsfortführung eine gesonderte Aufstellung der damit verbundenen Einnahmen und Ausgaben zu enthalten (Anschluss an BGH, Beschluss vom 22.2.2007 – IX ZB 106/06, NZI 2007, 341 Rn. 15). Dies gilt grds. auch in den Fällen, in denen die Betriebsfortführung mit einem Verlust endet.

 

 

Insolvenzverwalteramt

InsbürO 2020, 341 f.: Keine Hinweis- und Beratungspflicht des Insolvenzverwalters gegenüber Gläubigerausschussmitgliedern

LG Hamburg, Urt. v. 14.02.2020 – 322 O 321/19, ZInsO 2020, 604

Zum Sachverhalt:

Der Kläger macht Ansprüche auf Schadensersatz geltend, nachdem er für seine jetzt beendete Tätigkeit als Mitglied eines Gläubigerausschusses im Insolvenzverfahren über das Vermögen der R GmbH keine Vergütung erhalten hat. Er geht davon aus, dass dies auf einem pflichtwidrigen Verhalten des als Insolvenzverwalter tätig gewordenen Beklagten beruht. 

Aus der Begründung:

Der Insolvenzverwalter ist … nicht aufgrund von Hinweis- und Beratungspflichten gehalten gewesen, den Kläger als Mitglied des Gläubigerausschusses darauf hinzuweisen, dass sein Anspruch auf eine Vergütung gefährdet sein könnte, wenn er dafür keinen Vorschuss beansprucht. Eine solche Hinweispflicht ergibt sich nicht aus den Regelungen in der InsO, … Bevor es zu einer Schlussverteilung kommt, muss etwa der Gläubigerausschuss zustimmen (§ 187 Abs. 3 InsO). Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger im Zusammenhang damit Aktivitäten entfaltet hat, um auf seine noch offene Vergütungsforderung und deren mangelnde Absicherung aufmerksam zu machen. Der Kläger hat auch von seiner Möglichkeit, gegen die Aufhebung des Insolvenzverfahrens sofortige Erinnerung/Beschwerde einzulegen, keinen Gebrauch gemacht.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Gegen die Entscheidung wurde Berufung eingelegt. Das Verfahren ist per Stand Anfang Juli 2020 beim Hanseatischen OLG zum AZ: 5 U 29/20 anhängig.

 

 

Haftung

InsbürO 2020, 342: Keine Kommanditistenhaftung für nachrangige Insolvenzforderungen

AG Völklingen, Urt. v. 05.02.2020 – 5 C 98/19 (14), ZInsO 2020, 430

Aus der Begründung:

Ebenso wie nachrangige Forderungen der Insolvenzgläubiger gegenüber den Kommanditisten nicht geltend gemacht werden können (…), kommt auch eine Geltendmachung der Kosten des Insolvenzverfahrens und der Kosten für sonstige Masseverbindlichkeiten i.S.d. §§ 54, 55 InsO gegenüber den Kommanditisten nicht in Betracht.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das AG Völklingen lehnt eine Haftungsinanspruchnahme eines Kommanditisten für nachrangige Forderungen gem. § 39 InsO ab, begründet dies aber nicht näher. Das sieht das OLG Hamm (Urt. v. 02.09.2019 - 8 U 3/19, ZInsO 2019, 2648) anders und führt dazu aus: „Der Senat sieht keinen Grund, eine Haftung der Kommanditisten für Zinsforderungen von Insolvenzgläubigern auf Insolvenzforderungen (Gegenstand des § 39 Nr. 1 InsO) zu verneinen. Diese Zinsforderungen sind nämlich nicht durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden, sondern haben ihren Ursprung in zuvor durch die Insolvenzschuldnerin begründeten Forderungen bzw. in deren Nichterfüllung. … Entsprechend dem Vorbringen der Parteivertreter … hat auch der Senat keine die Berücksichtigung nachrangiger Forderungen nach § 39 Nr. 1 InsO bei der Kommanditistenhaftung verneinende obergerichtliche Rechtsprechung oder Literaturstimmen gefunden.“ Weil es keine abweichende obergerichtliche Rechtsprechung gäbe, wurde die Revision vom OLG Hamm nicht zugelassen.Gegen die vorstehende Entscheidung des AG Völklingen ist dagegen Berufung eingelegt worden. Das Verfahren ist per Stand Anfang Juli 2020 beim LG Saarbrücken (AZ: 10 S 20/20) anhängig. 

 

InsbürO 2020, 342: Inanspruchnahme eines Kommanditisten trotz Masseunzulänglichkeit

OLG München, Urt. v. 18.03.2020 – 7 U 2429/19 (rkr.)

Aus der Begründung:

Mit jeder Zahlung eines in Anspruch genommenen Kommanditisten erlischt … jeweils ein entsprechender Anteil aller zur Tabelle festgestellten Forderungen aller Gläubiger. Dies wird regelmäßig zur Folge haben, dass der Insolvenzverwalter – um seinen Verpflichtungen aus seiner Stellung als gesetzlicher Prozessstandschafter der einzelnen Gläubiger gerecht zu werden – gezwungen ist, Sondermassen zu bilden und die eingezogenen Beträge treuhänderisch für die einzelnen Gläubiger zu verwalten und sie dann gem. §§ 187 ff. InsO quotal auszuschütten (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2015 – IX ZR 143/13, ZInsO 2016, 330). … Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite hat allein die Anzeige der Masseunzulänglichkeit … nicht zur Folge, dass aufgrund der Rechtsfolge (§§ 208, 209 InsO), wonach erst die Kosten und dann die Gläubigerforderungen bedient werden, der Beklagte als Kommanditist von seiner Einlagepflicht bzgl. der unzweifelhaft noch ausstehenden Haftungseinlage frei wird bzw. der Insolvenzverwalter die Einlageforderung nicht mehr geltend machen kann. Dies würde letztlich zu dem nicht tragbaren Ergebnis führen, dass trotz bestehender Einlagepflicht der Kommanditisten und bestehender Gläubigerforderungen gegen die Schuldnerin während des laufenden Insolvenzverfahrens eine Haftung der Kommanditisten allein aufgrund der angezeigten Masseunzulänglichkeit ausscheiden würde und eine Befriedigung der Gläubiger aus der Haftungssumme der Kommanditisten nicht erfolgen könnte.

 

InsbürO 2020, 342: Haftung eines Kommanditisten für Massekosten und Masseverbindlichkeiten

OLG München, Endurteil v. 05.03.2020 – 14 U 3393/17, ZInsO 2020, 907 (rkr.)

Aus der Begründung:

Nach dem Dafürhalten des Senats trifft es nicht, jedenfalls aber nicht ausnahmslos, zu, dass vom Insolvenzverwalter nach §§ 171 Abs. 2, 172 Abs. 4 HGB eingezogene Kommanditeinlagen nicht zur Begleichung von Masseverbindlichkeiten herangezogen werden dürften. Zwar gehört zur Masse im Insolvenzverfahren der KG nur das Gesellschaftsvermögen (§ 35 InsO), wozu die primär einzufordernde Einlage, nicht dagegen die Haftung des Kommanditisten gegenüber den Gläubigern gehört. Im Ergebnis bringt diese Sonderzuordnung aber nur die Zweckbindung der Haftung zugunsten der Gesellschaftsgläubiger zum Ausdruck. Es handelt sich bei der "Sondermasse" nicht um ein "dinglich" separiertes Sondervermögen, sondern die Sonderzuordnung wirkt sich nur obligatorisch und rechnerisch aus. … Eine Haftung des Beklagten für Forderungen im Rang des § 39 InsO ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Insbesondere haftet der Beklagte auch für Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da es sich hierbei um Forderungen der Gläubiger der Insolvenzschuldnerin gegen diese handelt.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen: 

Das OLG München bejaht die Haftung des Kommanditisten für Massekosten und Masseverbindlichkeiten. Dies hat große Praxisrelevanz, weil ohne die entsprechende Verrechnungsmöglichkeit u.a. eine gesonderte Schlussrechnung für die von Kommanditisten eingezogenen Beträge gefertigt werden muss. Die Revision wurde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gem. § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen, aber nicht eingelegt. Der Senat weiche in einem entscheidungserheblichen Punkt vom Urteil des OLG Stuttgart v. 31.07.2019 (20 U 30/18, ZInsO 2019, 2221) ab. Dieses hatte nämlich die Haftung des Kommanditisten für Massekosten und Masseverbindlichkeiten abgelehnt. Auch das OLG Stuttgart hatte gegen das von ihm getroffene Urteil die Revision zugelassen, die beim BGH per Stand Anfang Juli 2020 unter AZ: II ZR 183/19 anhängig ist. Heitsch begrüßt in einem Kommentar diese Entscheidung und erläutert seine Ansicht umfassend. Sie finden diese Anmerkung im Anschluss an die Entscheidung in ZInsO 2020, 907.

 

 

Verwertungstätigkeit

InsbürO 2020, 334 ff.: Möglichkeit der wirksamen Abtretung einer Direktversicherung

BGH, Urt. v. 20.05.2020 - IV ZR 151/19, ZInsO 2020, 1476

(ebenso: BGH, Urt. v. 20.05.2020 - IV ZR 124/19, ZInsO 2020, 1433)

Leitsatz des Bearbeiters:

Bei einer Direktversicherung nach BetrAVG unterliegt eine Vorausabtretung des mit dem Eintritt des Versorgungsfalles fälligen Anspruchs auf Auszahlung der Versicherungsleistung nicht dem Verbot des § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Diese Entscheidung des 4. Zivilsenat des BGH kommt nach den Urteilen des BGH zur Pfändbarkeit (Beschl. v. 11.11.2010 - VII ZB 87/09, WKRS 2010, 27968 und Beschl. v. 11.12.2014 - IX ZB 69/12, InsbürO 2015, 202 = ZInsO 2015, 2219) und zur Massezugehörigkeit (BGH, Beschl. v. 20.12.2018 - IX ZB 8/17, InsbürO 2019, 195 = ZInsO 2019, 381) des Auszahlungsbetrags einer Direktversicherung sowie nach den Entscheidungen der Instanzgerichte OLG Stuttgart (v. 04.04.2019 – 7 U 247/18, WKRS 2019, 24800, Vorinstanz zu BGH – IV ZR 124/19) und OLG Saarbrücken (v. 08.05.2019 - 5 U 75/18, Vorinstanz zu BGH - IV ZR 151/19) nicht überraschend. Sie hat für die Insolvenzverfahren, in denen Schuldner über eine Direktversicherung nach BetrAVG verfügen, eine hohe Bedeutung. Denn nach dieser Entscheidung dürfte nun der Weg offen sein für zeitnahe wirtschaftliche Lösungen zur Verwertung des Guthabens in einer Direktversicherung. In die Masse fällt nach der Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 20.12.2018 - IX ZB 8/17, a.a.O.) der in der Direktversicherung zum Zeitpunkt der Aufhebung des Insolvenzverfahren enthaltene Wert, der aber erst zum Zeitpunkt des Endes der Laufzeit der Direktversicherung zur Masse gezogen werden kann. Nach der Entscheidung des 4. Senats kann der Insolvenzverwalter nun den ihm zustehenden Anteil am Auszahlungsbetrag im Wege der Abtretung an einen Finanzierer übertragen, der im Gegenzug den Auszahlungsbetrag gegen einen Abschlag vorfinanziert. Schuldner können einen Schutz ihrer Direktversicherung vor einer Verwertung im Insolvenzverfahren über eine – unwiderrufliche - Abtretung des Auszahlungsbetrags nur dann erreichen, wenn die erfolgte Abtretung nicht anfechtbar nach §§ 129 ff. InsO ist. Sie wird also lange vor dem Insolvenzverfahren erfolgen müssen. Für den zahlungsfähigen Arbeitnehmer und Inhaber einer Direktversicherung dürfte die Entscheidung einen Gewinn an finanziellem Gestaltungsspielraum bringen. Denn nun ist höchstrichterlich entschieden, dass der Auszahlungsbetrag in einer Direktversicherung z.B. als Sicherheit im Rahmen einer Baufinanzierung genutzt werden kann. Dies wird zum einen eine solche Finanzierung oft erst möglich machen, zum anderen bei der Finanzierung einen deutlichen Zinsvorteil bringen.

 

 

Allgemeines

InsbürO 2020, 343: Streichung von der Vorauswahlliste

AG Potsdam, Beschl. v. 13.12.2019 – 376 E/2-94, ZInsO 2020, 551

Aus dem Sachverhalt und der Begründung:

X hatte sich mit Schreiben v. … um eine Aufnahme auf die Insolvenzverwalter-Vorauswahlliste des Insolvenzgerichts Potsdam beworben. Unter dem … bestätigte der … zuständige Insolvenzrichter X die Aufnahme auf die Insolvenzverwalter-Vorauswahlliste …. Unter dem … übersandte X dem Insolvenzgericht eine sog. Preisbindungsgarantie, wonach angekündigt wurde, unabhängig vom tatsächlichen Arbeitsaufwand nur bestimmte Beträge für erteilte Aufträge abzurechnen. Für ein insolvenzrechtliches Sachverständigengutachten in einem IN-Verfahren einer natürlichen Person würden insoweit 250 € abgerechnet werden, in einem IK-Verfahren 150 €, in einem IN-Verfahren einer Gesellschaft 350 € und in eröffneten Insolvenzverfahren würde auf Zuschläge nach § 3 InsVV verzichtet. … X erfüllt nicht mehr die Voraussetzungen gem. § 56 InsO für die Bestellung als Insolvenzverwalter. Eine Person, deren Vermögensverhältnisse derartig sind, dass von ihr eine Vermögensauskunft im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens eingeholt werden muss, welche eine solche Vermögensauskunft verweigert, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren eingeleitet wurde, bei dem das zuständige Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen gem. §§ 21, 22 InsO einleitet und welche dem Insolvenzgericht eine Auskunft über die Umstände des Verlustes der ursprünglichen Zulassung als Rechtsanwalt verweigert, darf nicht als Insolvenzverwalter in einem Insolvenzverfahren bestellt werden. In der Folge ist eine solche Person von der Insolvenzverwalter-Vorauswahlliste eines Insolvenzgerichts zu streichen.

 

InsbürO 2020, 343: Darlehensstundung aufgrund des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie 

AG Frankfurt/M., Beschl. v. 08.04.2020 - 32 C 1631/20 (89)

Aus der Begründung:

Der Antragsteller ist Privatperson und Arbeitnehmer. Die Antragsgegnerin führt die im Tenor bezeichneten Konten für den Antragsteller und hat diese zum 08.04.2020 gekündigt und den vom Antragsteller in Anspruch genommenen Überziehungskredit zu jenem Tag fällig gestellt. Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Frist … zur Rückführung der ihm … eingeräumten Kontenüberziehung bis zum 31.05.2020 zu verlängern. … Zur Begründung beruft sich der Antragsteller auf Einnahmeausfälle, die durch im Zuge der Coronavirus-Pandemie angeordnete Kurzarbeit hervorgerufen worden seien. … Der Antrag ist zulässig. … Die in Betracht kommende Rechtsgrundlage (Art. 240 § 3 EGBGB in der Fassung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-3/519-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.03.2020, BGBl. I, S. 569) sieht eine Stundung zunächst lediglich für einen Zeitraum von 3 Monaten vor. In dieser Zeit ist die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens nicht zu erwarten, zumal aufgrund der Pandemie auch der Justizbetrieb Einschränkungen, insbesondere hinsichtlich der Durchführung von Präsenzverhandlungen unterworfen ist. … Der Antragsteller hat auch ein Rechtschutzbedürfnis für die Anordnung der begehrten Stundung. Zwar tritt die Stundungswirkung nach Art. 240 § 3 Abs. 1 EGBGB kraft Gesetzes ein. Der Verbraucher hat jedoch die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift nachzuweisen (vgl. Begründung RegE, BT-Drs. 19/18110, S. 38 f.). … In der Sache ist dieser Anspruch nach dem Gesetzeswortlaut jedoch beschränkt auf den bis zum 15.03.2020 in Anspruch genommenen Überziehungskredit, weshalb der weitergehende Antrag abzulehnen war. 

 

InsbürO 2020, 336 f.: Anspruch eines Gläubigers auf Akteneinsicht im Insolvenzverfahren

BGH, Beschl. v. 07.05.2020 - IX ZB 56/19, ZInsO 2020, 1367

Leitsatz des Bearbeiters:

Die Verfahrensbeteiligten eines Insolvenzverfahrens haben ein weit zu verstehendes Akteneinsichtsrecht. Eine Beschränkung des Einsichtsrechts ist ihnen gegenüber nur ausnahmsweise zulässig, wenn die Einsicht den Verfahrenszweck gefährden würde, weil ein Missbrauch der aus der Akte gewonnenen Erkenntnisse im konkreten Einzelfall droht.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Der BGH stellt hier fest, was in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht anders sein darf. Die Verfahrensbeteiligten können jederzeit den aktuellen Stand des Verfahrens oder auch die weiteren am Verfahren Beteiligten durch Einsicht in die Gerichtsakte erfahren. Diese Möglichkeit sollten Gläubiger und Schuldner auch nutzen, um sich Klarheit z.B. - aus Gläubigersicht - über das Vorliegen von Versagungsgründen oder - aus Schuldnersicht - von angemeldeten Forderungen aus vorsätzlich unerlaubten Handlungen zu verschaffen. Schuldner, die sich scheuen, in außergerichtlichen Verhandlungen ihre persönlichen Daten und wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen, sollten bedenken, dass diese nach Insolvenzeröffnung für jeden beteiligten Gläubiger vollständig einzusehen sind. Die Akteneinsicht erfolgt auf der Geschäftsstelle des Gerichts. Eine vorherige Terminabsprache ist angeraten. Ein Anspruch auf Übersendung der Akte mit der Post besteht nicht (so schon BGH, Urt. v. 12.12.1960 - III ZR 191/59). Die Akteneinsicht kann für Auswärtige aber in Form der Zusendung einer Kopie der gesamten Akte erfolgen. Gem. KV 9000 GKG fallen hierbei für die ersten 50 Kopien jeweils 0,50 €, für jede weitere Kopie 0,15 € an. Kopie und Zusendung einer 250-seitigen Insolvenzakte verursachen so Kosten i.H.v. 55 €, die im Regelfall unter den bei Aufsuchen der Geschäftsstelle anfallenden Fahrt- und Zeitaufwandskosten liegen dürften.