30.10.2020

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Oktober 2020

 

Einkommen

InsbürO 2020, 415 ff.: Keine Berücksichtigung von Kindergeld beim Einkommen der Unterhaltsberechtigten

BGH, Beschl. v. 09.07.2020 - IX ZB 38/19, ZInsO 2020, 1842

Leitsätze des Bearbeiters:

1. Das Kindergeld stellt auch dann kein Einkommen des Kindes i.S.d. § 850c Abs. 4 ZPO dar, wenn das Kind erste unterhaltsberechtigte Person i.S.d. Vorschrift ist.

2. Das Insolvenzgericht kann im Rahmen der Entscheidung nach § 850c Abs. 4 ZPO bei der Berechnung des Lebensbedarfs der unterhaltsberechtigten Person zusätzliche Bedarfe wie den für Ausbildung, Unterkunft und Heizung berücksichtigen.

3. Der Besserungszuschlag von 30 - 50% ist allein aus dem sozialhilferechtlichen Regelbedarf zu berechnen.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Der 9. Zivilsenat des BGH beschäftigt sich in dem hier besprochenen Beschluss noch einmal ausführlich mit seiner Entscheidung vom 19.12.2019 (IX ZB 83/18, InsbürO 2020, 168 = ZInsO 2020, 435) und dem sehr praxisrelevanten § 850c Abs. 4 ZPO. Er stellt die Schritte der Prüfung, ob ein Unterhaltsberechtigter bei der Bestimmung des pfändbaren Einkommens des Schuldners zu berücksichtigen ist oder nicht, ausführlich dar. Im ersten Schritt ist zu prüfen, welches Einkommen der Unterhaltsberechtigte erzielt. Hier klärt der BGH, dass Kindergeld auch dann kein Einkommen des unterhaltsberechtigten Kindes ist, wenn das Kind an erster Stelle der Unterhaltsberechtigten steht. Unterhalt an das Kind von einem neben dem Schuldner Unterhaltsverpflichteten ist dagegen Einkommen des Kindes.

Ist das Einkommen des Unterhaltsberechtigten ermittelt, ist im nächsten Schritt zu prüfen, ob dieses Einkommen zur Deckung seines individuellen Lebensbedarfs ausreicht. Der Lebensbedarf bestimmt sich zunächst nach dem sozialrechtlichen Regelbedarf, auf den ein Zuschlag von 30 – 50 % gegeben wird. Dieser Zuschlag ist aber nur auf den Regelbedarf und nicht auf weitere mögliche sozialrechtliche Bedarfe zu gewähren. Der Zuschlag von 30 – 50 % erfolgt dabei nicht nur bei Erwerbstätigkeit des Unterhaltsberechtigten, sondern in jedem Fall, da sich der Schuldner und seine Familienangehörigen nicht mit dem sozialrechtlichen Bedarf begnügen müssen.

Schließlich ist zu prüfen, ob der Unterhaltsberechtigte weitere Bedarfe hat, die durch den sozialrechtlicher Regelbedarf plus 30 – 50 % Zuschlag noch nicht gedeckt sind. Der BGH betont, dass ein Teil möglicher Zusatzbelastungen wie Ausbildungskosten (bspw. durch Schulfahrten oder ein Studium) oder Unterkunfts- und Heizkosten bereits durch den Regelbedarf plus Zuschlag gedeckt sind, macht aber ebenso deutlich, dass besondere Belastungen des Unterhaltsberechtigten auch eine weitere Erhöhung des Lebensbedarfs rechtfertigen können. Ein höherer Bedarf kann sich nach dem Kontext der Entscheidung auch daraus ergeben, dass der Schuldner eine größere und damit teurere Wohnung anmieten muss, um auch dem Unterhaltsberechtigten Unterkunft bieten zu können.

 

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2020, 417 f.: Einordnung von IHK-Beiträgen als Masseverbindlichkeit

BVerwG, Urt. v. 11.03.2020 – 8 C 17.19, WKRS 2020, 25683

(C = Revisionsverfahren in Verwaltungsstreitsachen)

Amtlicher Leitsatz:

Beitragsforderungen einer Industrie- und Handelskammer, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer kammerzugehörigen Kapitalgesellschaft entstehen, stellen sonstige Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO dar.

Aus der Begründung:

Rn. 10: Die Insolvenzschuldnerin wurde im Beitragsjahr 2014 i.S.d. § 2 Abs. 1 IHKG zur Gewerbesteuer veranlagt. Dies begründet ihre Kammerzugehörigkeit. Rn. 11: … Ob ein Unternehmen tatsächlich zur Zahlung dieser Steuer herangezogen wird, wirkt sich auf die Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer nicht aus (…). Rn. 12: Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin hat ihre Gewerbesteuerpflicht nicht beendet. Diese knüpft bei Kapitalgesellschaften allein an die Rechtsform an. Der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG erfordert zwar auch bei Kapitalgesellschaften ausdrücklich eine "Tätigkeit" für die gesetzliche Einstufung als Gewerbebetrieb. Aus dieser Vorschrift folgt aber zugleich, dass eine Kapitalgesellschaft "stets und in vollem Umfang" allein gewerbliche Tätigkeiten ausübt. Sämtliche von der Kapitalgesellschaft entfalteten Aktivitäten fallen daher unterschiedslos in den Bereich gewerblicher Betätigung, unabhängig davon, ob es sich um werbende Tätigkeiten oder um Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Betriebsveräußerung oder -beendigung handelt (…). Anders als bei Einzelkaufleuten und Personengesellschaften endet die Gewerbesteuerpflicht einer Kapitalgesellschaft erst, wenn diese jegliche Tätigkeit einstellt, also nicht nur die eigentliche (werbende) Tätigkeit, sondern auch die Verwertungstätigkeit im Rahmen der Abwicklung, die ihrerseits mit der letzten Abwicklungshandlung endet. Das ist grds. der Zeitpunkt, in dem das Vermögen der Gesellschaft verteilt worden ist (…). … Rn. 14: Endet die Gewerbesteuerpflicht einer Kapitalgesellschaft erst, wenn diese jegliche Tätigkeit einstellt, steht der im Beitragsjahr 2014 fortbestehenden Gewerbesteuerpflicht der Insolvenzschuldnerin schließlich nicht entgegen, dass sie nach den Feststellungen der Vorinstanz schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre unternehmerische (werbende) Tätigkeit eingestellt und ihr Gewerbe abgemeldet hatte. … Rn. 20: … Die Beitragspflicht der Insolvenzschuldnerin für das Jahr 2014 entstand nach § 3 Abs. 1 der für dieses Geschäftsjahr maßgeblichen Beitragsordnung der Beklagten zum 01.01.2014, mithin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so dass eine Qualifizierung des Jahresbeitrags als Insolvenzforderung ausscheidet. … Rn. 22: Indessen sind Abgabenforderungen, soweit sie die Insolvenzmasse betreffen, den "in anderer Weise" durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründeten Verbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO) zuzuordnen. … Zu den Masseverbindlichkeiten zählen danach insbesondere kraft Gesetzes entstehende oder durch Verwaltungsakt angeordnete Abgabenforderungen, soweit sie selbst einen konkreten Bezug zur Insolvenzmasse aufweisen (…). Rn. 23: … Der mit der Kammerzugehörigkeit verbundene Vorteil besteht unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungskraft des Kammermitglieds.

 

InsbürO 2020, 418: Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters gegen GmbH-Beschluss über Zwangseinziehung GmbH-Anteil des insolventen Gesellschafters

OLG Dresden, Urt. v. 28.05.2020 – 8 U 2611/19, ZInsO 2020, 1529

Aus dem Sachverhalt und der Begründung:

Der Kläger (= Insolvenzverwalter) wehre sich ausdrücklich nicht gegen die Möglichkeit, sämtliche Geschäftsanteile der Schuldnerin … einzuziehen oder zu den gesellschaftsvertraglichen Bedingungen zwangsabzutreten, weil über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Es sei jedoch nicht zulässig, auf Grundlage dieser Satzungsregelungen durch eine Zwangsabtretung nur eines Teils der Geschäftsanteile der Schuldnerin deren Anteil gezielt unter die Sperrminorität von 25 %, aber über die 10-%-Grenze des § 39 Abs. 5 InsO zu drücken, um die Schuldnerin auf diese Weise in der Gesellschaft "verhungern" zu lassen. … Der Kläger hat die Beschlussanfechtungsfrist versäumt. Der Senat teilt die mittlerweile ständige Rechtsprechung des BGH, dass bei Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG - sofern die Satzung wie hier keine abweichende Regelung enthält – grds. einzuhalten ist (BGH, Beschl. v. 13.07.2009 - II ZR 272/08). Wird diese Frist überschritten, kommt es darauf an, ob zwingende Umstände den Gesellschafter an einer früheren klageweisen Geltendmachung des Anfechtungsgrundes gehindert haben (vgl. …; BGH, Urt. v. 14.03.2005 - II ZR 153/03). Dabei stellt der Umstand, dass die Beschlussfassung am 13.12.2018 dazu führte, dass die Weihnachtszeit in den Lauf der Beschlussanfechtungsfrist fällt, keinen Rechtfertigungsgrund für eine Fristüberschreitung dar (BGH, Urt. v. 22.12.2004 - 8 U 1432/04). … Eine inzwischen wohl leicht überwiegende Meinung vertritt, dass es dennoch zum Schutz des an der Gesellschafterversammlung nicht teilnehmenden Gesellschafters sachgerecht und geboten sei, dass die Anfechtungsfrist erst mit Kenntniserlangung vom Inhalt des Beschlusses zu laufen beginne, wobei allerdings Einvernehmen darüber besteht, dass dann aber den bei der Gesellschafterversammlung nicht anwesenden Gesellschafter eine Erkundigungspflicht trifft (OLG Hamm, …). … Dem Kläger (= Insolvenzverwalter) war es unbenommen, an der Gesellschafterversammlung teilzunehmen. Er hätte dort bereits seine Einwände gegen das Satzungsverständnis vortragen können. Jedenfalls hätte er dann auch unverzüglich Kenntnis von der Beschlussfassung erlangt. Zum anderen hat der klagende Insolvenzverwalter auch dann, wenn man die tatsächlich getroffene Beschlussfassung außer Acht lässt, seine Obliegenheit zur Wahrnehmung der sich aufdrängenden Interessenvertretung der Schuldnerin in mehrfacher Hinsicht verletzt, in dem er es unterlassen hat, bis spätestens 03.01.2019 Erkundigungen dazu anzustellen, welche Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung vom 13.12.2018 gefasst worden sind.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das OLG Dresden hat die Revision nicht zugelassen. Es wurde aber Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Das Verfahren ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe dieser Ausgabe beim BGH unter dem AZ: II ZR 101/20 anhängig.

 

 

Insolvenzplanverfahren

InsbürO 2020, 418 f.: Nachweis der Leistungsfähigkeit bei Drittmitteln im Insolvenzplan

LG Düsseldorf, Beschl. v. 16.04.2020 – 25 T 135/20, ZInsO 2020, 1935 (rkr.)

Aus der Begründung:

Zu Recht hat das AG den streitgegenständlichen Insolvenzplan der Schuldnerin zurückgewiesen, weil dieser § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO i.V.m. § 230 Abs. 3 InsO nicht hinreichend Rechnung trägt. Hat ein Dritter für den Fall der Bestätigung des Plans Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern übernommen, so ist dem Plan zwar nach dem Wortlaut des § 230 Abs. 3 InsO die – nicht näher beschriebene – Erklärung des Dritten beizufügen. … Der Gläubiger soll sich von der Ernsthaftigkeit des – behaupteten – Drittengagements überzeugen können (…). Dazu müssen die im Insolvenzplan vorgesehenen Drittmittel frei verfügbar und bestandssicher zur Verfügung stehen. … Der reinen Erklärung lässt sich keine Aussage über die Leistungsfähigkeit des Dritten entnehmen. Hierzu kann erforderlich sein, Belege für die Leistungsfähigkeit des Dritten dem Plan oder der Erklärung beizufügen (…). Soweit … im Schrifttum tlw. bezweifelt wird, ob das Gericht diese auch verlangen kann, tritt die Kammer dem jedenfalls in der hiesigen Fallgestaltung nicht bei. … Da Ökonomisches nur eingeschränkt überprüfbar ist (mit Blick auf § 231 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO), zählt hier die verlangte Formalie besonders. Sie erzeugt nämlich ein Seriositätsindiz für die Plandurchführung – und zwar als eine justiziable (Formal-)Anforderung. … Zu Recht hat das AG ausgeführt, dass es dem organschaftlichen Vertreter der Schuldnerin und zugleich Drittmittelgeberin auch ohne weiteres möglich gewesen sein müsste, den erforderlichen Bonitätsnachweis zu erbringen. In der hiesigen Fallgestaltung ist nicht ausreichend aufgezeigt, wie die Drittmittelgeberin ihre erhebliche Zahlungsverpflichtung tatsächlich erfüllen will.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde lagen nicht vor. Das LG Düsseldorf führt aus, dass es nicht von bislang veröffentlichten obergerichtlichen Entscheidungen zur Auslegung der Anforderungen aus §§ 230, 231 InsO abweiche.

 

InsbürO 2020, 419: Vorläufige Außervollzugsetzung eines Insolvenzplanes wegen drohender Löschung einer zu Gunsten eines Gläubigers eingetragenen Auflassungsvormerkung

BVerfG, Beschl. v. 15.05.2020 – 2 BvQ 24/20, ZInsO 2020, 1365

Zum Sachverhalt und zu den Begründungen der Verfahrensbeteiligten:

Rn. 1: Die Antragstellerin schloss mit der späteren Insolvenzschuldnerin … einen notariellen Grundstückskaufvertrag mit Herstellungsverpflichtung … ab. … Zur Sicherung des Anspruchs der Antragstellerin auf Auflassung des Grundstücks bewilligte die Schuldnerin zu deren Gunsten eine Vormerkung … Rn. 3: Im Erörterungs- und Abstimmungstermin … wurde der vom Verwalter vorgelegte Insolvenzplan von allen Gruppen mit Ausnahme der – allein die Antragstellerin umfassenden – Gruppe der "Vertragspartner des Bauträgervertrages" angenommen. Der Plan sieht im gestaltenden Teil eine als "Vergleich" bezeichnete Regelung zwischen der Antragstellerin und der Schuldnerin vor. Durch sie wird der Bauträgervertrag einvernehmlich aufgehoben und der Rechtsstreit vor dem LG B für erledigt erklärt; die Antragstellerin stimmt der Löschung der zu ihren Gunsten im Grundbuch eingetragenen Vormerkung in grundbuchförmlicher Weise zu. … Rn. 5: Hiergegen legte die Antragstellerin … sofortige Beschwerde ein, … Rn. 8: Es liege auch kein besonders schwerer Rechtsverstoß i.S.d. § 253 Abs. 4 Satz 2 InsO vor. Ein solcher Verstoß müsse offensichtlich sein und bei der Prüfung geradezu ins Auge springen. Dem Plan müsse der Makel der Unwirksamkeit quasi auf der Stirn geschrieben stehen, wobei ein strenger Maßstab anzulegen sei. … Rn. 10: … Für etwaige Schadensersatzansprüche gem. § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO seien auf Grundlage des Insolvenzplans Rückstellungen i.H.v. 2,1 Mio. € vorgesehen. …

Aus der Begründung:

Rn. 15: Die – … innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingelegte – Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. … Rn. 16: Die nach § 32 Abs. 1 BVerfGG erforderliche Folgenabwägung lässt den Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten erscheinen. Die Folgen, die einträten, wenn die Löschung der zugunsten der Antragstellerin bestehenden Auflassungsvormerkung im Grundbuch erfolgte, sich aber später herausstellte, dass die Bestätigung des Insolvenzplans verfassungswidrig war, wiegen erheblich schwerer als die Folgen, die entstünden, wenn der Vollzug des Insolvenzplans insoweit einstweilen untersagt würde, sich aber später herausstellte, dass er ohne Verfassungsverstoß hätte vollzogen werden können.

                  

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2020, 419: Anfechtung eines Bargeschäftes nur auf Basis der neuen Regelungen

OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.02.2020 – I-12 U 31/19, ZInsO 2020, 1250 (rkr.)

Aus der Begründung:

Durch die am 05.04.2017 in Kraft getretene Neuregelung wird das Bargeschäftsprivileg auf vorsätzliche gläubigerbenachteiligende Handlungen erstreckt, sofern nicht ein Fall einer vom Anfechtungsgegner erkannten "unlauteren" Handlung des Schuldners vorliegt (§ 142 Abs. 1 InsO). Nur noch in einem solchen Fall soll die Vorsatzanfechtung vom Bargeschäftsprivileg ausgenommen sein (BT-Drucks. 18/7054, S. 13). Damit ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt worden (…). Der Rechtsprechung des BGH zur sog. bargeschäftsähnlichen Lage kommt danach – … – keine Bedeutung mehr zu. … Hier ist die Lastschrift … zwar … zurückgebucht worden, die Schuldnerin hat die gem. § 193 BGB erst am 02.05.2017 (Dienstag) fällige Rechnung v. 15.04.2017 aber mit nur 4 Bankarbeitstagen Verspätung am 08.05.2017 (Montag) ausgeglichen. Eine so geringfügige Zahlungsverzögerung von weniger als einer Woche lockert den Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung nicht derart, dass die schließlich erfolgte Zahlung nicht mehr als "unmittelbar" in Bezug auf die erbrachte Leistung angesehen werden kann. Mit einer so geringfügigen Zahlungsverzögerung ist die Grenze von der Bardeckung zur Kreditgewährung noch nicht überschritten. Die Unschädlichkeit derart kurzfristiger Zahlungsverzögerungen ist nach Auffassung des Senats interessengerecht, weil § 142 InsO in der schuldnerischen Krise zum Schutz des Anfechtungsgegners Bargeschäfte ermöglichen soll und in dieser ein Zahlungsverzug regelmäßig eintritt (…). … Da die Kenntnis der Unrentabilität seiner Geschäftstätigkeit nicht den Schluss auf die Unlauterkeit gestattet, fehlt es an dieser, wenn es dem Schuldner – wie hier – nur darum geht, seine Verbindlichkeit aus einem Bargeschäft zu tilgen (…).

 

InsbürO 2020, 419 f.: Anfechtungsvoraussetzungen bei Vorliegen einer Zahlungsvereinbarung

BGH, Urt. v. 07.05.2020 - IX ZR 18/19, ZInsO 2020, 1306

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsätze des Gerichts:

1. Eine unternehmerische Tätigkeit des Schuldners rechtfertigt den Schluss auf eine Kenntnis des Anfechtungsgegners von anderen, durch die angefochtene Rechtshandlung benachteiligten Gläubigern nur dann, wenn der Anfechtungsgegner von dieser Tätigkeit weiß.

2. Bei der Vermutung, dass der andere Teil im Falle einer Zahlungsvereinbarung oder einer sonstigen Zahlungserleichterung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zur Zeit der angefochtenen Handlung nicht kannte, handelt es sich um eine widerlegbare gesetzliche Vermutung.

3. Zur Widerlegung der Vermutung kann sich der Insolvenzverwalter auf alle Umstände berufen, die über die Gewährung der Zahlungserleichterung und die darauf gerichtete Bitte des Schuldners hinausgehen.

4. Die Vermutung kann auch durch den Nachweis widerlegt werden, dass der Anfechtungsgegner Umstände kannte, die bereits vor Gewährung der Zahlungserleichterung bestanden und aus denen nach der gewährten Zahlungserleichterung wie schon zuvor zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu schließen war.

Aus der Begründung:

Rn. 18: … In der Begründung des Gesetzesentwurfs sind beispielhaft verschiedene Umstände angeführt, die vom Insolvenzverwalter zur Widerlegung der Vermutung geltend gemacht werden können.

 

InsbürO 2020, 420: Anfechtbarkeit einer inkongruenten Abtretung des Schuldners

LG Hamburg, Urt. v. 03.02.2020 – 307 O 9/18, ZInsO 2020, 1086

Aus der Begründung:

Mit der Sicherungsabtretung ging eine Verkürzung der künftigen Aktivmasse des Insolvenzschuldners und damit auch eine Gläubigerbenachteiligung einher (…). … Auf die sicherungshalber erfolgte Abtretung des anteiligen Auszahlungsanspruchs hatte die Beklagte (= Geschäftspartner des Schuldners) keinen Anspruch. Sie erweist sich deshalb als inkongruent (BGH …). … Entgegen der Auffassung der Beklagten wird die Inkongruenz zunächst nicht durch den Umstand infrage gestellt, dass die Beklagte die Sicherheit außerhalb der Dreimonatsfrist nach §§ 130, 131 InsO erlangt hat. … Entgegen der Auffassung der Beklagten tritt die Inkongruenz als Beweisanzeichen in ihrer Bedeutung vorliegend auch nicht deshalb zurück, weil die Abtretung rd. 2 3/4 Jahrevor der vor dem zur Insolvenzeröffnung führenden Antrag des Finanzamts vorgenommen wurde. … Nach ständiger Rechtsprechung des BGH bildet die Inkongruenz der Rechtshandlung dabei nicht nur ein starkes Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners, sondern auch für die Kenntnis des Gläubigers hiervon, wobei als zusätzliche Voraussetzung allerdings gefordert wird, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem die Wirkungen der Rechtshandlung eingetreten sind, der Empfänger zumindest aus seiner Sicht Anlass hatte, an der Liquidität des Schuldners zu zweifeln (…).

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Gegen die Entscheidung wurde Berufung beim Hanseatischen OLG eingelegt. Das Verfahren ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe unter dem AZ: 13 U 40/20 anhängig.

 

 

Insolvenztabelle

InsbürO 2020, 413 f.: Wiedereinsetzung für den Insolvenzverwalter

AG Düsseldorf (Abt. 502), Beschl. v. 03.06.2020 – 502 IN 223/13, ZInsO 2020, 1545 (rkr.)

Amtliche Leitsätze:

1. Die Vorschrift des § 186 InsO wirkt im schriftlichen Verfahren in analoger Anwendung auch zugunsten des Insolvenzverwalters.

2. Vor Aufstellung eines Verteilungsverzeichnisses ist der Verwalter nicht zu einem Abgleich mit den gerichtlichen Beurkundungen in der Insolvenztabelle verpflichtet.

3. Die Präklusionsfrist des § 234 Abs. 3 ZPO wirkt zu Lasten des Verwalters erst ab Beginn pflichtwidriger Nichtkenntnis des Beurkundungsstandes der Insolvenztabelle.

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Insolvenzverfahren sind ein Massengeschäft. Eine lückenlose Kontrolle ist nicht möglich. Es ist verständlich, dass in diesem Bereich Fehler passieren. Die vorliegende Entscheidung zeigt eine praxisnahe Lösung auf.

 

InsbürO 2020, 414 f.: Tabellenberichtigung jederzeit möglich

BGH, Beschl. v. 16.07.2020 - IX ZB 14/19, ZInsO 2020, 1760

Leitsatz des Bearbeiters:

Ein unrichtiger Eintrag in der Insolvenztabelle kann auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens auf Antrag oder von Amts wegen berichtigt werden.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Der BGH klärt in dieser Entscheidung zunächst, dass gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers über einen Antrag zur Berichtigung der Tabelle nur das Rechtsmittel der Rechtspflegererinnerung besteht. Er gibt zudem einen wichtigen Hinweis zur Korrektur unrichtiger Einträge. Diese können auch auf Antrag eines weiteren Beteiligten oder von Amts wegen berichtigt werden. Es ist folglich nicht erforderlich, dass der Gläubiger den unrichtigen Eintrag durch tlw. oder vollständige Rücknahme seiner Anmeldung korrigiert. Dies hat auch in den Fällen Relevanz, in denen eine Forderung aus vorsätzlich unerlaubtem Handeln angemeldet wurde, obwohl der Schuldner keine Restschuldbefreiung beantragt hat. Diese unzulässige Anmeldung (vgl. AG Köln, Beschl. v. 01.12.2016 - 73 IN 485/15, InsbürO 2017, 164 = ZInsO 2017, 109; AG Aurich, Beschl. v. 03.12.15 - 9 IN 145/15, NZI 2016, 143) kann auf Antrag des Schuldners oder von Amts wegen auch nach Beendigung des Verfahrens durch Streichung des besonderen Forderungsgrundes korrigiert werden.

 

 

Vollstreckungsrecht

InsbürO 2020, 420: (Kein) Vollstreckungsschutz bei bereits vor der Covid-19-Pandemie beantragten Insolvenzverfahren

FG Kassel, Beschl. v. 08.06.2020 – 12 V 643/20, ZInsO 2020, 1709

Aus dem Sachverhalt und der Begründung:

Die Antragsteller sind Gesellschafter der GbR, die ein gepachtetes Gastronomieobjekt betrieb. … Mit Beschluss des Insolvenzgerichts v. 12.12.2019 wurde unter dem Geschäftszeichen … gem. § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO die vorläufige Verwaltung des Vermögens der GbR angeordnet und der zunächst als Sachverständige bestellte RA zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. … Am 23.03.2020beantragte die GbR beim Finanzamt (im Folgenden: Antragsgegner) u.a. die Einstellung der ihr gegenüber vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund des Schreibens des BMF ... Dieses Schreiben habe die steuerlichen Maßnahmen zur Berücksichtigung der Auswirkungen des Coronavirus zum Inhalt. … Mit Schreiben v. 27.03.2020 teilte der Antragsgegner mit, dass … für die vor der Corona-Krise gestellten Insolvenzanträge keine Veranlassung bestehe, diese Anträge zurückzunehmen, da davon ausgegangen werden könne, dass die Zahlungsunfähigkeit des Vollstreckungsschuldners bereits vor Ausbruch der Corona-Krise vorgelegen habe. … Die Antragsteller sind der Auffassung, dass die Voraussetzungen gem. Nr. 3 des BMF-Schreibens erfüllt seien. Danach solle das Finanzamt bei Kenntnis der unmittelbaren und nicht unerheblichen Betroffenheit des Vollstreckungsschuldners bis zum 31.12.2020 von Vollstreckungsmaßnahmen bei allen rückständigen oder bis zu diesem Zeitpunkt fällig werdenden Steuern absehen. Da Unternehmensgegenstand der GbR die Gastronomie gewesen sei, habe sie infolge der Coronapandemie schließen müssen. … Das Insolvenzverfahren … diene rechtsmissbräuchlich allein der Existenzvernichtung. Demgegenüber hätten sie, die Antragsteller, entscheidende Maßnahmen zur wirtschaftlichen Rettung unternommen. So hätten sie … die Mikrodarlehen aus dem zweckgebundenen Förderprogramm Hessen-Mikroliquidität beantragt. Die Darlehensgewährung sei indes an dem Insolvenzverfahren gegen die GbR, deren persönlich haftende Gesellschafter sie seien, gescheitert. … Der Antrag ist unzulässig. … Zum einen verweist der Antragsgegner zutreffend auf das COVInsAG, wonach vorliegend keine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht anzunehmen ist, da die Insolvenzantragstellung bereits im Oktober 2019 erfolgte. Zum anderen sieht auch das BMF-Schreiben v. 19.03.2020 nur vor, dass im Anwendungsfall von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden soll. Der Normgeber zielt damit auf aktuell drohende Vollstreckungsmaßnahmen ab, die vorliegend allerdings nicht im Raum stehen.

 

InsbürO 2020, 420 f.: Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung trotz Vollstreckungsverbot

BGH, Beschl. v. 18.06.2020 - IX ZB 46/18, ZInsO 2020, 1586

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Zwei von drei Leitsätzen des Gerichts:

1. Widerspricht der Schuldner lediglich dem Rechtsgrund einer Forderung als vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung, ist dem Gläubiger auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung aus der Eintragung der Forderung in der Tabelle eine vollstreckbare Ausfertigung zu erteilen.

2. Das während der Wohlverhaltensphase im Restschuldbefreiungsverfahren geltende Vollstreckungsverbot steht der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Tabelle nicht entgegen.

Aus der Begründung:

Rn. 18: Sollte die Erteilung der Restschuldbefreiung in Rechtskraft erwachsen und die Restschuldbefreiung nicht widerrufen worden sein, wäre die vollstreckbare Ausfertigung aus der Tabelle nur noch für die in der Beitragsforderung enthaltenen Arbeitnehmerbeiträge zu erteilen. … Rn. 20: … Der BGH hat mehrfach entschieden, dass der Widerspruch des Schuldners gegen den angemeldeten Rechtsgrund nicht die Vollstreckung aus der Eintragung in die Tabelle hindert (BGH …). … Die Vollstreckung aus der Tabelle bleibt möglich. Gegen diese kann sich der Schuldner im Wege einer Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) zur Wehr setzen (BGH …). … Rn. 21: Sollte noch nicht rechtskräftig über die Restschuldbefreiung entschieden sein, wäre die vollstreckbare Ausfertigung aus der Insolvenztabelle auch für die nicht unter dem Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung angemeldeten Forderungen zu erteilen. Dem stünde das in der Wohlverhaltensphase geltende Vollstreckungsverbot (§ 294 Abs. 1 InsO) nicht entgegen. Die Beantragung einer vollstreckbaren Ausfertigung ist nicht Teil der Vollstreckung, sondern bereitet diese lediglich vor (BGH …).

 

 

Vergütungsrecht

InsbürO 2020, 421: Frage der Vergütung des Sonderinsolvenzverwalters nach GesO oder InsVV

LG Leipzig, Beschl. v. 12.05.2020 – 08 T 17/20, ZInsO 2020, 1559

Aus dem Sachverhalt und der Begründung:

Am 07.01.2011 hat das AG beschlossen: "Herr RA … (…) wird zum Sonderverwalter gem. § 8 GesO bestellt. … Am 13.12.2019 hat der Sonderverwalter mit korrigiertem Antrag die Festsetzung seiner Vergütung gem. § 7 VergO auf insgesamt 101.872,16 € beantragt. Am 17.12.2019 hat das AG beschlossen, die Vergütung des Sonderverwalters auf 99.080,49 € festzusetzen … Der Gesamtvollstreckungsverwalter hat … erklärt, er lege sofortige Beschwerde gegen den Beschluss ein. Der Beschwerdeführer macht geltend, nach der Rechtsprechung des BGH stehe dem Sonderverwalter lediglich eine Vergütung nach dem RVG zu … Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschl. v. 26.03.2015 – IX ZB 62/13, Rn. 6, …) kann sich die Vergütung des Sonderinsolvenzverwalters der Höhe nach zwar unmittelbar aus dem RVG ergeben. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Sonderinsolvenzverwalter lediglich die Aufgabe hat, einzelne Ansprüche zu prüfen, zur Tabelle anzumelden oder anderweitig durchzusetzen, und dass die Voraussetzungen des § 5 InsVV vorliegen. Das AG hat zutreffend erkannt, dass diese Voraussetzungen vorliegend nicht gegeben sind.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Rechtsbeschwerde wurde vom LG Leipzig gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und Abs. 3 ZPO zugelassen. Es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob der erst im Jahr 2011 bestellte Sonderverwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren nach der VVO zu vergüten ist und ob bei der Bestimmung der Höhe seiner Vergütung der Rechtsgedanke des § 5 InsVV wie bei einem Sonderinsolvenzverwalter zu berücksichtigen sei. Diese Rechtsfragen seien auch entscheidungserheblich. Die Rechtsbeschwerde wurde auch erhoben. Das Verfahren ist bei Druckfreigabe dieser Ausgabe beim BGH unter dem AZ: IX ZB 27/20 anhängig.