17.02.2021

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

 

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Februar 2021

 

Eröffnungsverfahren

InsbürO 2021, 90 ff.: Zuständigkeitserschleichung durch Sitzverlegung

LG Bremen, Beschl. v. 05.10.2020 – 6 T 370/20, ZInsO 2020, 2541

Leitsätze des Bearbeiters:

1. Allein aus der Tatsache, dass sich der Tätigkeitsbereich einer Steuerberatungsgesellschaft auf die gesellschaftsrechtliche Übernahme wirtschaftlich angeschlagener Unternehmen konzentriert, kann nicht mit hinreichender Sicherheit geschlossen werden, dass dies quasi in unseriöser Weise geschieht.

2. Auch die Tatsache, dass der jetzige Geschäftsführer der Steuerberatergesellschaft für viele andere Gesellschaften mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten tätig ist, stellt ebenfalls kein Indiz für eine missbräuchliche Sitzverlegung dar.

 

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Das AG Bremen legt unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung des BGH aufgestellten Kriterien überzeugend dar, dass ein Fall der Zuständigkeitserschleichung vorliegt. Die vom Einzelrichter des LG Bremen dagegen aufgeführten Argumente überzeugen nicht. Weitere Bedenken kommen hinzu:

(1) Es fehlt die Feststellung, ob der Geschäftsbetrieb eingestellt ist. Nur dann käme eine Zuständigkeit des AG Bremen gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen (nach außen in Erscheinung tretende Abwicklungstätigkeit, vgl. Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht Kommentar, 4. Aufl. 2020, § 3 Rz. 15) in Betracht.

(2) Im Übrigen ist es fraglich, ob eine wirksame Sitzverlegung vorläge. Dies ist nicht der Fall, wenn im Zeitpunkt des Gesellschafterbeschlusses die Gesellschaft den Geschäftsbetrieb bereits eingestellt hatte oder insolvenzreif war (Schmerbach im Frankfurter Kommentar zur InsO, 9. Aufl., § 3 Rz. 31).

(3) Schließlich kommt eine rechtsmissbräuchliche Sitzverlegung in Betracht wegen der zeitlichen Nähe zwischen Eintragung der Sitzverlegung am 13.07.2020 und der Insolvenzantragstellung am 17.07./21.07.2020 (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 16.12.2003 - 2 W 117/03, InsbürO 2004, 39 = ZInsO 2004, 91, 92; OLG Celle, Beschl. v. 09.10.2003 - 2 W 108/03, ZInsO 2004, 205, 206).

 

InsbürO 2021, 94: Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters in Bezug auf ein Gemeinschaftskonto

BGH, Urt. v. 24.09.2020 - IX ZR 289/18, ZInsO 2020, 2262

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsätze des Gerichts:

  1. Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter, der zur Einziehung von Bankguthaben und sonstigen Forderungen des Schuldners ermächtigt ist, kann die für ein Gemeinschaftskonto vereinbarte Einzelverfügungsbefugnis nicht wirksam widerrufen.
     
  2. Das AGB-Pfandrecht der Bank an einem Guthaben auf einem im Kontokorrent geführten Girokonto erstreckt sich auch auf den girovertraglichen Anspruch auf das "Tagesguthaben".

 

Aus der Begründung:

Rn. 25: Die Rechtsmacht des vorläufigen Insolvenzverwalters erschöpft sich … darin, alle zur Einziehung erforderlichen Handlungen vorzunehmen. Die Umwandlung eines Oder-Kontos in ein Und-Konto durch Widerruf der Einzelverfügungsbefugnis gehört nicht zu diesen Handlungen. … Rn. 27: Der Anspruch auf Auszahlung des Guthabens auf dem Girokonto besteht nur i.H.v. 3.328,31 €; im Übrigen, also i.H.v. 11.583,66 €, ist er durch Aufrechnung der Beklagten (= Bank) mit dem infolge der Kündigung des Darlehensvertrags fälligen Darlehensrückzahlungsanspruch gegen den Schuldner und seine Ehefrau erloschen (§ 389 BGB). … Rn. 30: Die Beklagte hat die Möglichkeit zur Aufrechnung i.H.v. 3.328,31 € durch eine anfechtbare Rechtshandlung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO erlangt, … Rn. 31: Anfechtbare Rechtshandlung ist die Kündigung des Darlehensvertrags durch die Beklagte. … Rn. 34: Unmittelbar vor Beginn des nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO maßgeblichen Anfechtungszeitraums betrug das Guthaben auf dem Gemeinschaftskonto 11.779,29 €. An diesem Guthaben war die Beklagte anfechtungsfest durch ihr AGB-Pfandrecht gesichert.

 

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2021, 88 ff.: Neue Aspekte bei einer selbständigen Tätigkeit des Schuldners

BGH, Beschl. 19.11.2020 - IX ZB 10/19, WKRS 2020, 47623

Leitsatz des Bearbeiters:

Leistet der Schuldner seine gem. § 295 Abs. 2 InsO zu erbringenden Zahlungen bereits vorab im eröffneten Insolvenzverfahren, sind diese Zahlungen bei der Berechnung der Vergütung des Insolvenzverwalters zu berücksichtigen.

 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Im Rahmen einer Vergütungsfestsetzung treten in dieser Entscheidung einige interessante Fragen und Aspekte zur Selbstständigkeit des Schuldners im eröffneten Insolvenzverfahren und in der Wohlverhaltensperiode auf. Die vergütungsrechtliche Frage dürfte hierbei die wenigsten Schwierigkeiten bereiten. Massezuflüsse werden hinsichtlich der festzusetzenden Vergütung nicht nach dem Zweck behandelt, zu dem sie an die Masse geleistet werden. Folglich hat der 9. Zivilsenat das Insolvenz- und Beschwerdegericht zu Recht korrigiert. Ein für die anerkannten Schuldnerberatungsstellen wichtiger Aspekt der Entscheidung ist, dass hier Probleme zu einer Selbstständigkeit des Schuldners in einem Verbraucherinsolvenzverfahren auftreten. Der Schuldner war also zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens Verbraucher, hat diesen Status aber anschließend verloren. Dieser Statuswechsel führt nicht zu einer Umwandlung des Verbraucher- in ein Regelinsolvenzverfahren. Von daher könnte eine anerkannte Person oder Stelle den ursprünglichen Verbraucherschuldner hier gem. § 305 Abs. 4 InsO auch im Verfahren zu Fragen der Selbstständigkeit vertreten.

Für selbstständige Schuldner und insbesondere den Schuldner im vorliegenden Verfahren dürfte die wichtigste Frage sein, ob die Obliegenheit aus § 295 Abs. 2 InsO auch mit Vorauszahlungen erfüllt werden darf, ohne eine Versagung der Restschuldbefreiung zu riskieren. Hierzu ist aus Beratersicht zunächst einmal anzumerken, dass nicht überobligatorisch geleistet werden sollte, wenn hierdurch auch noch die Erteilung der Restschuldbefreiung gefährdet sein könnte. Denn zum Zeitpunkt der Zahlungen stand überhaupt noch nicht fest, ob die Zahlungsverpflichtung des Schuldners tatsächlich bis zum Ende des gesamten Insolvenzverfahren bestehen wird. Der verständliche Wunsch des Schuldners, seine Verpflichtungen auf einen Schlag zu erfüllen, hätte also gebremst werden sollen.

Des Weiteren lässt der BGH die Frage, ob der Schuldner durch seine vorfällige Zahlung, die den Ertrag für die Gläubiger vermeintlich durch die höhere Vergütung des Insolvenzverwalters gemindert hat, seine Obliegenheit aus § 295 Abs. 2 InsO verletzt hat, ausdrücklich offen. Eine Obliegenheitsverletzung nach §§ 295 Abs. 2, 296 InsO würde stets aber auch eine Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung voraussetzen. Hierzu ist zunächst zu berücksichtigen, dass die zwischen Verwalter und Schuldner vereinbarte Zahlung von monatlich 410,58 € keine abschließende Festlegung für ein mögliches Versagungsverfahren bedeutet. In diesem könnte der Schuldner anführen, dass er tatsächlich im Vergleich mit dem Einkommen aus einem fiktiven abhängigen Arbeitsverhältnis weniger hätte zahlen zu müssen. Es bestehen auch erhebliche Zweifel an einer Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung, da die Gläubiger zwar durch die erhöhte Vergütung des Verwalters weniger, dieses Weniger dafür aber sehr viel früher erhalten haben. Der Schuldner hätte nach der BGH-Rechtsprechung (Beschl. v. 19.07.2012 - IX ZB 188/09, ZInsO 2012, 1488) lediglich jährliche Zahlungen leisten müssen, hätte also bei fünfjähriger Laufzeit bis Mai 2022 zahlen können. Bei Prüfung einer Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung müsste daher der vom Schuldner gezahlte Betrag in Anlehnung an § 6 EStG mit jährlich 5,5 % abgezinst werden. Auch die Aussagen des Verwalters zur vorfälligen Zahlung werden eine Rolle spielen. Denn macht der Insolvenzverwalter oder Treuhänder dem Schuldner Vorgaben und hält der Schuldner diese ein, handelt der Schuldner u.U. nicht schuldhaft i.S.d. § 296 Abs. 1 (BGH, Beschl. v. 19.05.2011 - IX ZB 224/09, InsbürO 2011, 312 = ZInsO 2011, 1301).

 

Schließlich bietet die Entscheidung Gelegenheit, auf zwei wichtige Änderungen für die ab Jan. 2021 beantragten Verfahren durch das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens hinzuweisen. Zum einen wird § 35 InsO um einen neuen Abs. 3 ergänzt:

§ 35 Abs. 3 InsO n.F.:

„Der Schuldner hat den Verwalter unverzüglich über die Aufnahme oder Fortführung einer selbständigen Tätigkeit zu informieren. Ersucht der Schuldner den Verwalter um die Freigabe einer solchen Tätigkeit, hat sich der Verwalter unverzüglich, spätestens nach einem Monat zu dem Ersuchen zu erklären.“

Der selbstständige Schuldner kann daher in Zukunft schnell Klarheit darüber gewinnen, ob und wie er seine Selbstständigkeit fortführen kann. Es dürfte sich für bereits bei Insolvenzantragstellung selbstständige Schuldner anbieten, das Ersuchen an den Insolvenzverwalter bereits in den Insolvenzantrag mitaufzunehmen.

Ein neu eingefügter § 295a InsO wird den bisherigen § 295 Abs. 2 InsO ersetzen:

§ 295a InsO:

„(1) Soweit der Schuldner eine selbständige Tätigkeit ausübt, obliegt es ihm, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, als wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Die Zahlungen sind kalenderjährlich bis zum 31. Januar des Folgejahres zu leisten.

(2) Auf Antrag des Schuldners stellt das Gericht den Betrag fest, der den Bezügen aus dem nach Absatz 1 zugrunde zu legenden Dienstverhältnis entspricht. Der Schuldner hat die Höhe der Bezüge, die er aus einem angemessenen Dienstverhältnis erzielen könnte, glaubhaft zu machen. Der Treuhänder und die Insolvenzgläubiger sind vor der Entscheidung anzuhören. Gegen die Entscheidung steht dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu.“

Abs. 2 der neuen Regelung ermöglicht ausdrücklich nur dem Schuldner, Rechtssicherheit in der Frage zu erlangen, in welcher Höhe er Zahlungen zu leisten hat. Der selbstständige Schuldner wird also demnächst die Möglichkeit haben, den gem. § 295a Abs. 1 InsO zu leistenden monatlichen Betrag festsetzen zu lassen oder die Höhe Zahlung auf eigenes Risiko zu ermitteln und zu leisten.

 

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2021, 85 ff.: Zur Auslegung der Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO als Einzel- oder Generalermächtigung

FG Münster, Urt. v. 13.08.2020 - 5 K 96/17 U, ZInsO 2020, 2269 (rkr.)

Leitsatz der Bearbeiter:

Im Rahmen des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) werden nur insoweit Masseverbindlichkeiten begründet, als der Schuldner vom Insolvenzgericht hierzu ausdrücklich ermächtigt wurde. Ist eine Einzel- oder Gruppenermächtigung nicht hinreichend bestimmt, ist diese unwirksam. Für diesen Fall liegen die Voraussetzungen für die Begründung einer Masseverbindlichkeit nach § 270b Abs. 3 InsO insgesamt nicht vor.

 

Anmerkung von RA/FA f. Insolvenzrecht Oliver Arend und Regierungsrat Dr. Christian Tenbergen, Münster:

Innerhalb eines Besteuerungszeitraums ist die auf die Zeit nach Insolvenzeröffnung entfallende Umsatzsteuer (in der Praxis: unter einer neuen Steuernummer, die der Masse zugeteilt wird) durch Steuerbescheid festzusetzen. Die auf die Zeit bis zur Insolvenzeröffnung entfallende Umsatzsteuer ist dagegen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren zu verfolgen, d. h. regelmäßig als Insolvenzforderung zur Tabelle anzumelden.

Aus Sanierungsgesichtspunkten ist ausnahmsweise eine Qualifizierung als Masseverbindlichkeit möglich, wenn im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO oder im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO der Schuldner vom Insolvenzgericht hierzu im Wege einer Einzel-, Gruppen- oder Globalermächtigung ermächtigt worden ist.

Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers hat auch der eigenverwaltende Schuldner die Wahl, ob er sich vom Insolvenzgericht entweder nach dem Motto „alles oder nichts“ mit einer globalen Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ausstatten lässt oder alternativ Einzel- bzw. Gruppenermächtigungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten beantragt.  Diese Wahlmöglichkeit des eigenverwaltenden Schuldners im Schutzschirmverfahren hat der BGH ausdrücklich bestätigt.

Im Interesse einer möglichst großen Flexibilität wählen vorläufige schwache Insolvenzverwalter bzw. der eigenverwaltende Schuldner oftmals nicht hinreichend klare Formulierungen in Bezug auf die zu privilegierenden Gläubiger. Hieraus resultieren zwei voneinander zu trennende Problemkreise: Einerseits die durch Auslegung zu beantwortende Frage, a) ob es sich bei der konkreten Ermächtigung noch um eine Einzel- bzw. Gruppenermächtigung oder bereits um eine Globalermächtigung handelt und des Weiteren um b) das Problem der hinreichenden Bestimmtheit der Ermächtigung.

Mit einer solchen Fallgestaltung hatte sich das FG Münster in der vorliegenden Entscheidung zu befassen.

Zu a) Art der Ermächtigung

Nachdem unseres Erachtens solange von einer Einzel- bzw. Gruppenermächtigung ausgegangen werden kann, wie nach dem Wortlaut der Ermächtigung aus Sanierungsgesichtpunkten nicht alle denkbaren Gläubiger erfasst werden, hat das FG Münster zutreffend festgestellt, dass es sich bei der vorstehend im Sachverhalt wiedergegebenen Massebegründungsbefugnis um eine wirksame Gruppenermächtigung und nicht um eine Globalermächtigung handelt. Die erste getroffene Formulierung erfasst eindeutig nur die Begründung von Darlehen zur Insolvenzgeldvorfinanzierung. Damit sind sonstigen Massekreditgeber nicht erfasst, die in der Praxis die übliche Alternative zu der Privilegierung von Lieferanten und Dienstleistern darstellen, jedenfalls dann, wenn ein Massekreditgeber in der Krisensituation vorhanden ist. Die zweite getroffene Formulierung stellt die typische Differenzierung zu Massekreditgeber dar. Somit sind nach dem Wortlaut der Ermächtigung nicht alle unter Sanierungsgesichtspunkten in Betracht kommenden Gläubiger erfasst und eine Globalermächtigung deshalb auszuschließen.

Die in Rn. 47 getroffene Argumentation des Gerichts hinsichtlich der Differenzierung zwischen Primär- und Sekundäransprüchen einzelner Gläubiger vermag jedoch nicht zu überzeugen: Auf der Suche nach Verbindlichkeiten, die nicht von der erteilten Ermächtigung erfasst sein könnten, stellt das Gericht darauf ab, dass durch die Benennung von „Dienstleistern und Lieferanten“ als privilegierte Gläubiger ausschließlich deren Primäransprüche, nicht jedoch etwaige Sekundäransprüche wie vertragliche Schadensersatzansprüche, etwa aus Sachmängelhaftung beim Kaufvertrag, in den Rang einer Masseverbindlichkeit gehoben würden. Gegen diese Rechtsauffassung lässt sich einwenden, dass Sekundäransprüche auf dem ursprünglichen Schuldverhältnis beruhen und damit deren Schicksal teilen. Im Übrigen dürften Sachmängelansprüche, auf die das Gericht explizit abstellt, i.a.R. vom Insolvenzschuldner gegenüber den Lieferanten geltend gemacht werden. Hierbei handelt es sich dann jedoch um vom Insolvenzverwalter zu verfolgende Sekundäransprüche der Insolvenzmasse.

Zu b) Bestimmtheit der Ermächtigung

Schließlich wies das Gericht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch die Rechtsauffassung der beklagten Finanzverwaltung zurück, wonach eine mangelnde Bestimmtheit der Ermächtigung im Hinblick auf eine Individualisierung der Gläubiger zur Folge habe, dass jedenfalls keine wirksame Gruppenermächtigung vorliege (sondern vielmehr eine unbeschränkte Globalermächtigung). Der BGH hatte in diesem Zusammenhang bereits mit Beschluss vom 18.07.2002 entschieden, dass bei fehlender Bestimmtheit der Ermächtigung die Voraussetzungen für die Begründung einer Masseverbindlichkeit insgesamt nicht vorliegen. Der trotz fehlender Bestimmtheit Verbindlichkeiten begründende Insolvenzschuldner hat auch keine anderen etwaigen Sanktionen zu erwarten. Vor diesem Hintergrund bedient sich die Insolvenzpraxis regelmäßig unbekümmert weiter entsprechender Formulierungen. Davor ist jedoch dringend zu warnen. Es sollte stets bedacht werden, dass die nicht zur beabsichtigten Wirkung gelangende Massebegründungsbefugnis auf Seiten der zu begünstigenden Gläubiger einen erheblichen Vertrauensverlust – auch bei anderen Insolvenzverfahren – zur Folge haben dürfte, welcher sich im weiteren Verfahrensablauf als Sanierungshindernis erweisen kann.

 

InsbürO 2021, 94: Rechtsfolgen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei einer Genossenschaft         

OLG Hamm, Beschl. v. 21.01.2020 – 27 W 112/19, ZInsO 2020, 2316 (rkr.)

Aus der Begründung:

Die Mitgliedschaft einer Genossenschaft im Prüfungsverband endet nach § 64c GenG nicht schon mit der Auflösung der Genossenschaft (hier durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 101 GenG), sondern erst mit ihrer Vollbeendigung (vgl. BGH, Beschl. v. 21.06.2011 – II ZB 12/10, Rn. 8 m.w.N., ZInsO 2011, 1696; …). Diese ist … noch nicht eingetreten, weil das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen ist, …

 

InsbürO 2021, 94: Nur eingeschränkte Verrechnungsvereinbarung durch Insolvenzverwalter möglich

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.02.2020 – 12 U 52/19, ZInsO 2020, 2387 (rkr.)

Leitsatz 3 des Gerichts:

Erklärt der Insolvenzverwalter die Zustimmung zur Fortsetzung der Zusammenarbeit "zu den bislang vereinbarten Konditionen" und bittet zugleich um Klarstellung, dass vom Gläubiger Altforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens nicht geltend gemacht werden, kommt eine neue Verrechnungsvereinbarung nur mit dieser Einschränkung zustande. Eine uneingeschränkte Verrechnungsvereinbarung des Insolvenzverwalters mit dem Gläubiger, die sich auch auf die Altforderungen aus der Zeit vor dem Insolvenzantrag erstreckte, liefe dem Zweck der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zuwider und wäre daher offensichtlich insolvenzzweckwidrig und unwirksam.

 

Aus der Begründung:

Das LG hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 36.028,90 EUR nebst Zinsen … verurteilt. … Die Entscheidung des LG ist … im Ergebnis richtig, weil die … vorgenommene Verrechnung von Forderungen der Schuldnerin aus Lieferungen im Eröffnungsverfahren mit Forderungen der Beklagten aus der Zeit vor dem Insolvenzantrag nicht auf einer (wirksamen) Verrechnungsvereinbarung zwischen dem Kläger (= Insolvenzverwalter) und der Beklagten beruht. … Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine ursprünglich zwischen der Schuldnerin und der Beklagten bestehende Verrechnungsvereinbarung erloschen. … Unwirksam ist eine Verfügung des Verwalters, wenn sie dem Insolvenzzweck der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (§ 1 Satz 1 InsO) klar und eindeutig zuwiderläuft (BGH, Urt. v. 08.05.2014 - IX ZR 118/12, … Rn. 13).

 

InsbürO 2021, 94 f.: Anforderungen an die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit

AG Frankfurt/O., Urt. v. 12.03.2020 – 412 Cs 147/18, ZInsO 2020, 2716 (rkr.)

Leitsätze des Gerichts:

  1. In die stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder herbeizuschaffenden Mittel, die im Rahmen der Prüfung auf eine etwaige strafbegründende Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO aufzustellen ist, sind rechtskräftig titulierte Forderungen von Gläubigern als von Anfang an bestehend und in voller Höhe einzustellen (… BGH, Beschl. v. 10.07.2018, 1 StR 605/16, …).
     
  2. Diese objektive Rückbeziehung im Rahmen der Prüfung auf Zahlungsunfähigkeit kann jedoch nicht ohne weiteres auch in subjektiver Hinsicht angenommen werden. Zu klären ist insoweit vielmehr die Frage, inwieweit die Organe des Schuldners die betreffende, nunmehr rechtskräftige Forderung bereits zu dem Zeitpunkt, in dem der die streitige Forderung betreffende Rechtstreit noch nicht entschieden oder ggf. noch gar nicht eingeleitet worden war, unberücksichtigt lassen durften. Dies setzt stets eine Ex-ante-Betrachtung voraus. Sprachen ernsthafte Gründe für eine erfolgreiche Abwehr des Anspruchs, so war es auch demjenigen, der schließlich als Schuldner erkannt wurde, gestattet, sich gegen eine gerichtliche Inanspruchnahme zu verteidigen. Wer jedoch einen Anspruch lediglich pauschal bestreitet oder sich mit sonstigen fadenscheinigen Argumenten wehrt, ist nicht schutzwürdig und muss sich die Rückbeziehung auf den Zeitpunkt der Fälligkeit auch subjektiv entgegenhalten lassen (… LG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 16.08.2019 - 22 Wi Qs 3/19, …):

 

InsbürO 2021, 95: D & O-Versicherungsschutz von GmbH-Geschäftsführer für Zahlungen nach Insolvenzreife der Gesellschaft

BGH, Urt. v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, ZInsO 2021, 53

(IV. Senat = u.a. zuständig für Versicherungsvertragsrecht)

Leitsätze des Gerichts:

Der in § 64 Satz 1 GmbHG geregelte Anspruch der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer auf Ersatz von nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleisteten Zahlungen ist ein gesetzlicher Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz i.S.d. Ziffer 1.1 ULLA.

 

Aus der Begründung:

Rn. 16: Den in § 64 Satz 1 GmbHG geregelten Anspruch der Gesellschaft auf Ersatz von nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleisteten Zahlungen wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte als auf bedingungsgemäßen Schadensersatz gerichtet ansehen. … Rn. 22: … Der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte kann und muss … rechtsdogmatischen Überlegungen beim Bemühen um das Verständnis von Ziffer 1.1 ULLA nicht anstellen. … Vielmehr hängt der Versicherungsschutz für ihn entscheidend davon ab, dass der Versicherte - wie im Falle des § 64 Satz 1 GmbHG - den Zustand vor Vornahme seiner pflichtwidrigen Zahlungen wiederherzustellen hat, gleichviel, ob dies der Gesellschaft oder den Gesellschaftsgläubigern zugutekommt (…). Rn. 24: … Dass der Versicherungsschutz auch davon abhängen soll, bei wem ein Vermögensschaden eingetreten ist und dass es insoweit einen Unterschied mache, ob die Schuldnerin oder die Insolvenzgläubiger geschädigt sind, kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte dem Leistungsversprechen in Ziffer 1.1 ULLA nicht entnehmen. … Rn. 28: Der durchschnittliche Versicherte erwartet, dass diese Versicherung als Passivenversicherung sein Interesse daran schützt, keine Vermögenseinbußen infolge von gegen ihn gerichteten Schadenersatzforderungen zu erleiden (…). Er wird deshalb nicht annehmen, dass gerade das für ihn bedeutende und potentiell existenzvernichtende Haftpflichtrisiko aus § 64 Satz 1 GmbHG von der Deckung der D&O-Versicherung deshalb ausgenommen sein soll, weil ein Vermögensschaden nicht bei der Versicherungsnehmerin, sondern bei deren Gläubigern eingetreten ist (…).

 

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2021, 95: Indizwirkung einer inkongruenten Deckung als Beweisanzeichen für Benachteiligungsvorsatz im Anfechtungsprozess

BGH, Urt. v. 17.09.2020 – IX ZR 174/19, ZInsO 2020, 2274

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsätze des Gerichts:

1. Die Indizwirkung einer inkongruenten Deckung für den Benachteiligungsvorsatz setzt nicht voraus, dass der Schuldner bei der Rechtshandlung bereits drohend zahlungsunfähig war.

2. Gewährt der Schuldner eine inkongruente Deckung, mit der er nahezu seine gesamte Liquidität einem beherrschenden Unternehmen überträgt, liegen finanziell beengte Verhältnisse vor, die ernsthafte Zweifel an der Liquiditätslage des Schuldners begründen, wenn der Schuldner aufgrund der Rechtshandlung nicht mehr in der Lage ist, bestehende Verpflichtungen aus einem Werkvertrag zu finanzieren.

3. Ob die Indizwirkung einer inkongruenten Deckung gemindert ist, weil die Rechtshandlung längere Zeit vor dem Insolvenzantrag liegt, hängt davon ab, inwieweit der Schuldner nach der Rechtshandlung weiter geschäftlich tätig gewesen ist und regelmäßig Einnahmen und Ausgaben zu verbuchen hatte.

 

Aus der Begründung:

Rn. 44: Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (…). … Rn. 49: Nach dem Vortrag des Klägers handelte es sich um eine planmäßige Vermögensverlagerung, mit der die Beklagte F. gezielt nahezu sämtliche Mittel entzog, statt ihr diese - zumindest tlw. - für die Erfüllung der Ausbauvereinbarung zu belassen. Vor diesem Hintergrund wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob F. mit der Auszahlung praktisch aller finanziellen Mittel an die Beklagte billigend in Kauf genommen hat, dass sie damit ihrer Ausbauverpflichtung nicht mehr nachkommen konnte. … Schließlich wird das Berufungsgericht zu erwägen haben, ob die Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags zum … - und damit wenig mehr als ein Jahr nach den Vereinbarungen mit H. und dem Abfluss der Liquidität - für einen gezielten Entzug der Liquidität spricht, nachdem hierfür ein sachlicher Grund bislang nicht ersichtlich ist.

 

InsbürO 2021, 96: Anfechtung von Beitragszahlungen bei fehlender möglicher Anfechtung der Sicherungsabtretung

OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.12.2019 – 5 U 6/19, ZInsO 2020, 1021 (rkr.)

Einer von zwei Leitsätzen des Gerichts:

Ist im Falle einer Sicherungsabtretung von Ansprüchen aus einem Lebensversicherungsvertrag die Abtretung selbst wegen Zeitablaufs nicht mehr anfechtbar, so können die während des Anfechtungszeitraumes von dem Sicherungsgeber an den Versicherer geleisteten Beitragszahlungen gegenüber dem Sicherungsnehmer anfechtbar sein.

 

Aus der Begründung:

Die Klägerin wurde mit Beschluss des AG … vom … zur Insolvenzverwalterin … bestellt. … Der Beklagten (= Gläubigerin der Schuldnerin) wurde der Anspruch auf die Überschussbeteiligung bereits im Jahre 1996 mit der Abtretung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zugewendet; diese Rechtshandlung kann - … - nach Ablauf des in § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO bestimmten 10-Jahres-Zeitraumesnicht mehr angefochten werden. … Denn in den Prämienzahlungen liegt eine mittelbare Zuwendung des Schuldners an den Anfechtungsgegner. Durch die Prämienzahlungen erfüllt der Schuldner zwar (auch) seine Verpflichtung aus dem Versicherungsvertrag gegenüber dem Versicherer; gleichzeitig erbringt er bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise auch eine Leistung an seinen Gläubiger. Auf diese Weise wird er selbst durch die Prämienzahlungen entreichert und dadurch die spätere Insolvenzmasse geschmälert; gleichzeitig wird der Wert des Anspruchs auf Auszahlung der Versicherungsleistung für den Erlebensfall, infolge der Erhöhung des Rückkaufswertes, gesteigert und für den Todesfall erhalten (vgl. BGH, Urt. v. 20.12.2012 - IX ZR 21/12, …).

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das OLG Saarbrücken verweist auf mehrere BGH-Entscheidungen. In der zuvor zitierten vom 20.12.2012 (IX ZR 21/12 in ZInsO 2013, 2340) erläutert der BGH in Rn. 19: „Das Werthaltigmachen abgetretener Forderungen ist im Übrigen gesondert anfechtbar. Zu den anfechtbaren Rechtshandlungen i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO gehören Rechtsgeschäfte und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen. Gewinnt durch solche Handlungen das Sicherungsgut für den Sicherungsnehmer an Wert, sind diese Handlungen selbständig anfechtbar, wobei gem. § 140 Abs. 1 InsO auf die Bewirkung der Werthaltigkeit, Wertsteigerung oder des Werterhalts abzustellen ist (…).“

 

InsbürO 2021, 96: Wirksamkeit einer vergleichsweisen Einigung mit dem Insolvenzverwalter

OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.02.2020 – I-12 U 36/19, ZInsO 2020, 2383 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Der Kläger macht als Insolvenzverwalter gegen den Beklagten 231.320,14 € nebst Zinsen aus anfechtbaren Darlehensrückzahlungen nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO geltend. Man verhandelt über einen Vergleich i.H.v. 115.000 €. Es findet ein Wechsel in der Bearbeitung des Bevollmächtigten des Klägers von RA H auf RA M statt. Die Anwältin des Beklagten behauptet wahrheitswidrig, es sei ein Vergleich mit einer Abgeltungsklausel mit dem vorherigen Kollegen erfolgt. RA M bestätigt den Vergleich, erklärt aber später die Anfechtung dieser Erklärung wegen Täuschung gem. § 123 Abs. 1 BGB.

 

Aus der Begründung:

Dass der Beklagte (haftender Kommanditist) keine bindende Vergleichsvereinbarung behauptet hat, ergibt sich … unmissverständlich aus der Aufforderung von Rechtsanwältin T, dazu Stellung zu nehmen, ob die Angelegenheit nunmehr kurzfristig wie vorgeschlagen beendet werden könne. Damit war eindeutig, dass der Beklagte vom Kläger eine Erklärung über die Annahme (oder Ablehnung) des von ihm vorgeschlagenen Vergleichs erwartete. … Das erklärte Einverständnis in der E-Mail v. … hatte aus der Sicht des Klägers somit auch in Bezug auf die Frage, ob ein Vergleich bereits abgeschlossen war oder nicht, Vergleichscharakter. Damit scheidet eine Veranlassung der Erklärung durch arglistige Täuschung per se aus, weil gerade die Uneinigkeit, die nach Darstellung des Klägers aufgrund der mündlichen Erklärungen bei dem Telefonat bestand, durch seine Erklärung, mit dem vorgeschlagenen Vergleich einverstanden zu sein, beseitigt werden sollte.

 

InsbürO 2021, 96 f.: Anfechtung von Sanierungshonorar

OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.07.2020 – I-12 U 55/19, ZInsO 2020, 2389 (rkr.)

Aus der Begründung:

Wenn der Schuldner einen Sanierungsberater aufsucht, dann oft deswegen, weil ihm die Zahlungsunfähigkeit droht und er dies erkennt. Der Sanierungsberater erkennt dies zwangsläufig auch. Wenn das schon ausreichen würde, um dann, wenn die Sanierung fehlschlägt und es zur Insolvenzeröffnung kommt, jegliche Honorarzahlung nach § 133 InsO anfechtbar zu machen, würde sich kein Sanierungsberater mehr finden lassen, seine Dienste anzubieten. Die Inanspruchnahme professioneller Krisenberatung gegen angemessene Vergütung durch den Schuldner darf deshalb nicht an § 133 Abs. 1 InsO scheitern (…). Die Zahlung eines angemessenen Honorars für ernsthafte und nicht von vornherein als aussichtslos erscheinende Sanierungsbemühungen kann selbst dann, wenn diese gescheitert sind, ein Bargeschäft sein (BGH, Urt. v. 06.12.2007 – IX ZR 113/06, … Rn. 23 …). … Stellt sich jedoch im Verlauf der Tätigkeiten des Sanierungsberaters heraus, dass keine erfolgversprechende Sanierung möglich ist, scheidet eine Gleichwertigkeit selbst bei einer angemessenen Vergütung aus, denn in der Vergütungszahlung liegt keine zur Fortführung des Unternehmens unentbehrliche Gegenleistung, die der Gläubigergesamtheit nützt (…). … Liegen der Vergütung – wie hier – keine Pauschalgebühren, sondern Stunden- oder Tagessätze zugrunde, muss der Steuerberater den tatsächlichen zeitlichen Aufwand konkret und in nachprüfbarer Weise darlegen, indem er stichwortartig niederlegt, welche konkrete Tätigkeit er innerhalb eines konkreten Zeitraums verrichtet hat. Erforderlich sind tätigkeitsbezogene Ausführungen zu Arbeits- und Gesprächsinhalten (…).

 

 

Arbeitsrecht

InsbürO 2021, 97: Unwirksamkeit von angezeigter Massenentlassung für Kabinen Personal von A

BAG, Urt. v. 14.05.2020 – 6 AZR 235/19, ZInsO 2020, 1780

(6. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz zwei von drei Leitsätzen des Gerichts:

Bei vorläufiger Eigenverwaltung ist der Schuldner berechtigt, die Stilllegung des Unternehmens zu beschließen. Diesen Beschluss kann sich der später bestellte Insolvenzverwalter zu eigen machen, ohne selbst die Stilllegung zu beschließen.

 

Aus der Begründung:

Rn. 100: Der Schuldner kann daher - entgegen dem Sanierungsziel - auch die Entscheidung treffen, sein Unternehmen stillzulegen. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO findet auf ihn keine Anwendung. … Rn. 101: … Ist der vorläufige Sachwalter … der Auffassung, dass die Stilllegung im Eröffnungsverfahren nicht im Interesse der Gläubiger liegt, kann er gem. § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO dem Insolvenzgericht anzeigen, dass die Fortsetzung der vorläufigen Eigenverwaltung erwartbar zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. … Der Einsatz des "scharfen Schwerts" der Anzeige (…) dürfte zur Verhinderung einer vorzeitigen Stilllegung, die eine mögliche Sanierung und die daraus folgenden Befriedigungsmöglichkeiten verhindert, ausreichend sein.

 

 

Vergütungsrecht

InsbürO 2021, 97: Abzug von RVG-Gebühren von der Verwaltervergütung

AG Hannover, Beschl. v. 08.05.2020 – 904 IN 774/16 – 7, ZInsO 2020, 2067 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Im Vergütungsfestsetzungsantrag teilt der Insolvenzverwalter mit, dass er die A AG zur Ermittlung von gerichtsfesten Anfechtungsansprüchen und die L Rechtsanwälte GmbH für außergerichtliche Durchsetzung geltend gemachter Anfechtungsansprüche beauftragt hat.

 

Aus der Begründung:

Bei der Beurteilung, ob die Beauftragung Dritter gerechtfertigt war, spielt einzig                     und allein die Erforderlichkeit besondere Sachkunde hinzuzuziehen eine Rolle. … Aus dem Schriftsatz … geht jedoch weder die Notwendigkeit (besondere Sachkunde, schwierige Rechtsfragen in den konkreten Sachverhalten) der Beauftragung hervor, noch welche konkrete Tätigkeit der A AG sich hinter den gerichtsfesten Ermittlungen verbirgt. Das Gericht kann daher nicht einschätzen und überprüfen, welche über die Regelaufgabe hinausgehende Tätigkeit erbracht worden ist. … Des Weiteren geht aus dem Schriftsatz des Insolvenzverwalters nicht hervor, warum er nach einer sehr umfangreichen und intensiven Vorprüfung, die Erforderlichkeit sah, besondere Sachkunde für weitere Auswertungen und Sichtungen heranzuziehen, um aus seiner Vorprüfung und einer weiteren (Vor-)Prüfung der A AG eine gerichtsfeste Ermittlung machen zu können.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der Insolvenzverwalter hatte sofortige Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt. Das LG Hannover hat diese mit Beschluss vom 22.07.2020 (20 T 11/20) zurückgewiesen. Es ist der Begründung zu entnehmen, dass hier kein konkretes Erfordernis und keine konkreten Tätigkeiten der beauftragten Dritten dargelegt wurden. Dies ist aber nach der gängigen Rechtsprechung (BGH, Beschl. v. 11.11.2004 - IX ZB 48/04 Rn. 6, InsbürO 2005, 78 = ZInsO 2004, 1348; BGH, Beschl. v. 14.07.2016 - IX ZB 85/15 Rn. 8, WKRS 2016, 20775; BGH, Beschl. v. 14.07.2016 - IX ZB 62/15 Rn. 17, InsbürO 2016, 404 = ZInsO 2016, 1647; Graeber, Vergütungsrecht in der Insolvenzpraxis: Die Gesamtschau bei mehreren Zu- und Abschlagstatbeständen: Anforderungen an die Insolvenzgerichte; ZInsO 2020, 2293) das Mindeste, was in einem Vergütungsantrag erfolgen muss. Textbausteine (z.B. schwierige Rechtslage bei Anfechtungsgegenständen, ungeordnete Geschäftsunterlagen, fehlende betriebswirtschaftliche Unterlagen) reichen insoweit nicht aus, sondern das Erfordernis im Einzelfall ist näher darzustellen.

 

InsbürO 2021, 97 f.: (Keine) Zuschläge für Anfechtungsansprüche und Darlehensaufnahme während vorl. Verwaltung

LG Münster, Beschl. v. 13.08.2020 – 5 T 249/20, ZInsO 2020, 2172 (rkr.)

Leitsätze des Gerichts:

1. Hat der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen seiner gutachterlichen, bereits abgerechneten Tätigkeit Anfechtungsansprüche ermittelt, kann sich dies auf die Höhe des für die Ermittlung der Anfechtungsansprüche geltend gemachten Zuschlags für die Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter auswirken.

2. Ein Zuschlag für die erhöhte Risikobereitschaft im Rahmen der zur Betriebsfortführung notwendigen Darlehnsaufnahme ist nicht zu gewähren, wenn durch den Betriebsfortführungsüberschuss die Berechnungsgrundlage entsprechend höher und die Risikobereitschaft dadurch bereits hinreichend abgegolten ist.

 

Aus der Begründung:

… muss sich der Beteiligte zu 2 entgegenhalten lassen, in seinem Sachverständigenvergütungsantrag 4,5 Std. für "Auswertung von Unterlagen, Ermittlung/Prüfung Forderungen/Verbindlichkeiten" abgerechnet zu haben. Inwieweit in diesen 4,5 Std. nur Unterlagen gesichtet und Sachverhalte geprüft worden sein sollen, die nicht im Zusammenhang mit Anfechtungen stehen, erklärt sich nicht und ist auch nicht hinreichend dargetan / … zumal die Risikoerhöhung aufgrund der "bloßen" Darlehensaufnahme nicht als allzu hoch eingeschätzt wird (anders denkbar etwa dann, wenn sich der (vorläufige) Insolvenzverwalter für das Darlehen persönlich verbürgt hat, wodurch sein Risiko naturgemäß steigt (vgl. …)).

 

InsbürO 2021, 98: Vorschuss auf Zustellungsauslagen

LG Frankfurt/M., Beschl. v. 01.10.2020 – 2-09 T 294/20, ZInsO 2020, 2448 (rkr.)

Aus der Begründung:

Mit Beschl. … hat das AG dem Insolvenzverwalter einen Vorschuss auf die Zustellauslagen für 162.280 Gläubiger i.H.v. insgesamt 454.384 € zzgl. USt. gewährt. …Nach § 9 InsVV kann das Gericht wegen des durch die Zustellungen verursachten Aufwandes einen Vorschuss genehmigen, ... Auch eine vorherige Anhörung der Beteiligten ist nicht erforderlich. Für den Schuldner oder die Insolvenzgläubiger ist die Zustimmung des Gerichts zur Entnahme eines Vorschusses nicht anfechtbar, da sie nicht beschwert sind (…). … Diese Entscheidung musste auch nicht veröffentlicht werden.

 

 

Allgemeines

InsbürO 2021, 98: Verwerfungsbeschluss des BGH trotz Unkenntnis von insolvenzbedingter Verfahrensunterbrechung

BGH, Beschl. v. 05.08.2020 – VIII ZR 126/20, WKRS 2020, 34270

Aus der Begründung:

Rn. 4: Zwar ist das Beschwerdeverfahren seit dem … gem. § 240 ZPO unterbrochen, so dass ab diesem Zeitpunkt die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht weiterlief (§ 249 Abs. 1 ZPO) und der Senat an einer Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde gehindert gewesen wäre (vgl. § 249 Abs. 3 ZPO). Auf die Kenntnis des Gerichts von dem Unterbrechungsgrund kommt es insoweit nicht               an (…). Rn. 5: Eine in Unkenntnis einer eingetretenen Unterbrechung ergangene Gerichtsentscheidung ist jedoch nicht nichtig, sondern nur mit dem gegen die getroffene Entscheidung eröffneten Rechtsmittel anfechtbar (st. Rspr.; BGH, Urteil. V. 29.01.1976 - IX ZR 28/73, …). Gegen den Senatsbeschluss, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers als unzulässig verworfen worden ist, ist allerdings ein Rechtsmittel nicht statthaft; der Rechtsstreit ist mit der Zustellung des Verwerfungsbeschlusses rechtskräftig abgeschlossen (…). … Rn. 6: … Davon abgesehen hat der Kläger es unterlassen, den Senat rechtzeitig von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Kenntnis zu setzen. Ausweislich des vorlegten Zustellungsvermerks hat er den Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts am 04.06.2020 erhalten und diesen erst am 11.07.2020 dem Senat vorgelegt.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Hier zeigt sich mal wieder, wie wichtig es ist, unverzüglich nach Insolvenzeröffnung sämtliche erforderlichen Arbeitsschritte zu vollziehen, wozu auch die Mitteilung der Unterbrechung gem. § 240 ZPO an die Gerichte von anhängigen Verfahren gehört, um negative Rechtsfolgen zu vermeiden.

 

InsbürO 2021, 98: Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters gegenüber FA bzgl. personenbezogener Daten des Insolvenzschuldners

BVerwG, Urt. v. 16.09.2020 – BVerwG 6 C 10.19, ZInsO 2020, 2658

Leitsätze des Gerichts:

1. Statthafte Klageart für einen gegen eine Behörde gerichteten Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO ist die Verpflichtungsklage.

2. Der Insolvenzverwalter ist hinsichtlich der Steuerdaten des Insolvenzschuldners nicht „betroffene Person“ i.S.d. Art. 4 Nr. 1, Art. 15 Abs. 1 DSGVO.

3. Der Auskunftsanspruch des Insolvenzschuldners aus Art. 15 DSGVO geht nicht gem. § 80 Abs. 1 InsO in die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters über.

 

Aus der Begründung:

Rn. 20: Zu Recht hebt das Berufungsurteil … hervor, dass ein weites Verständnis des Begriffs der betroffenen Person, wie es der Kläger für den Insolvenzverwalter einfordert, dem Zweck der DSGVO geradezu zuwiderlaufen würde. Denn eine Anspruchsberechtigung des Insolvenzverwalters würde zu einer Weitergabe der personenbezogenen Daten des Insolvenzschuldners an einen Dritten führen und damit den als Schutz- und Kontrollrecht über die eigenen Daten konzipierten Auskunftsanspruch in sein Gegenteil verwandeln. … Rn. 25: … Denn in der Hand des Insolvenzverwalters soll die Erfüllung des Auskunftsanspruchs ausschließlich die Realisierung vermögensrechtlicher Ansprüche Dritter befördern. Gegenstand und Ziel des Anspruchs wäre nicht mehr die grundrechtlich verbürgte Kontrolle über die zur eigenen Person verfügbaren Daten, sondern die Gewinnung eines wirtschaftlich verwertbaren Wissens.