15.09.2021

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Septemberheft 2021

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2021, 376 f.: Zur Frage des Zeitpunkts für den Ausgleich der Verfahrenskosten bei RSB-Erteilung nach 5 Jahren

LG Darmstadt, Beschl. v. 17.06.2021 - 5 T 146/21

Leitsatz des Bearbeiters:

Für die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nach 5 Jahren gem. § 300 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 InsO kommt es nicht darauf an, ob die Verfahrenskosten innerhalb von 5 Jahren beglichen wurden.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Das LG Darmstadt trifft mit diesem Beschluss eine für Schuldner erfreuliche Entscheidung, die aber nicht überzeugt. Das LG stellt sich mit seiner Ansicht gegen die herrschende Kommentarmeinung (vgl. auch Lackmann in: Henning/Lackmann/Rein, Privatinsolvenz, § 300 InsO Rn. 20) und geht in seiner Argumentation auf die Gesetzesbegründung nicht ein. Dort heißt es (BT-Drs. 17/11268, S. 30): „Schließlich sieht der Entwurf in Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 eine vorzeitige Beendigung des Restschuldbefreiungsverfahrens vor, wenn der Schuldner innerhalb von fünf Jahren zumindest seine Verfahrenskosten begleicht. Hierdurch soll dem Schuldner, der die Mindestbefriedigungsquote verfehlt, ein weiterer Anreiz gesetzt werden, das Verfahren durchzustehen und durch eigene Bemühungen zu einem vorzeitigen Ende zu bringen. Dieser Anreiz ist auch erheblich, weil der Schuldner nach den Vorschriften über das Stundungsverfahren noch vier Jahre nach Erteilung der Restschuldbefreiung für die gestundeten Verfahrenskosten aufzukommen hat (§ 4b Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO).“ Nach dem Willen des Gesetzgebers soll daher das Anreizprinzip auch der Regelung des § 300 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 InsO zugrunde liegen, wenn es um die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nach 5 Jahren geht. Dieses Anreizprinzip kann aber nur funktionieren, wenn die Verfahrenskosten innerhalb von 5 Jahren gezahlt werden.

 

InsbürO 2021, 373 ff.: Verhältnis § 851c und § 850i ZPO bei Frage des Pfändungsschutzes für Guthaben aus Kapitallebensversicherung

BGH, Beschl. v. 29.04.2021 - IX ZB 25/20, ZInsO 2021, 1493

Leitsatz des Bearbeiters:

Liegen hinsichtlich des Guthabens des Schuldners aus einer Kapitallebensversicherung die Voraussetzungen eines Schutzes nach § 851c ZPO nicht vor, ist gleichwohl ein Pfändungsschutz nach § 850i ZPO nicht ausgeschlossen.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Mit dieser Entscheidung klärt der 9. Zivilsenat des BGH das Verhältnis der §§ 851c und 850i ZPO. Der Ansicht, dass allein § 851c ZPO anzuwenden ist, wenn ein Versicherungsvertrag mit Vorsorgeleistung betroffen und damit ein Schutz nicht gegeben ist, wenn seine Voraussetzungen nicht vorliegen, teilt der BGH nicht. Des Weiteren stellt der BGH fest, dass zumindest dann, wenn die Versicherungsleistung auf ein vom Insolvenzverwalter eingerichtetes Anderkonto überwiesen wurde, ein Schutzantrag des Schuldners nach § 850i ZPO auch nach Auszahlung noch zulässig ist. Aus Schuldnersicht sollte ein Schutzantrag aber grds. möglichst vor Auszahlung der Versicherungsleistung gestellt werden. Schließlich gibt der BGH dem LG Nürnberg-Fürth als Beschwerdegericht auf, nunmehr zu entscheiden, in welchem Umfang die Versicherungsleistung geschützt ist. Die anstehende Prüfung entspricht der im Fall einer massezugehörigen Direktversicherung, zu der der Schuldner ebenfalls einen Schutzantrag nach § 850i ZPO stellen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 20.12.2018 - IX ZB 8/17, InsbürO 2019, … = ZInsO 2019, …). Bei dieser Prüfung ist zu berücksichtigen, dass der Umfang des Schutzes nach § 850i Abs. 1 S. 1 ZPO grds. darauf gerichtet ist, dem Schuldner so viel zu belassen, als wenn er als abhängig Beschäftigter Einkommen erzielen würde. Orientierungsgröße ist folglich die Pfändungstabelle des § 850c ZPO. Erzielt der Schuldner verschiedene Renten oder zusätzliches Arbeitseinkommen werden diese gem. § 850e ZPO zusammengerechnet. Bei der freien Würdigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners nach § 850i Abs. 1 S. 2 ZPO dürfte neben seinen nicht mehr bestehenden weiteren Verdienstmöglichkeiten auch der besondere Charakter der Altersversorgung, die nach dem Arbeitsleben ein ausreichendes Einkommen für ein altersangemessenes Leben ermöglichen soll, zu berücksichtigen sein. Es kann also durchaus vertreten werden - wie es der Schuldner auch beantragt - eine lebenslange Aufstockung des vorhandenen Einkommens auf den jeweils unpfändbaren Betrag vorzunehmen.

Fraglich ist, ob dem Schuldner ein Einmalbetrag oder eine monatliche, halbjährliche oder jährliche Auszahlung zuzusprechen ist, da der BGH die Berücksichtigung weiterer, zukünftiger Einnahmen anmahnt. Eine Einmalzahlung wäre praxisfreundlich, ließe aber u.U. berechtigte Interessen der Gläubiger außer Betracht, wenn bspw. an einen unerwarteten Vermögenszuwachs beim Schuldner oder einen frühen Tod gedacht wird. Auch § 851c Abs. 2 ZPO stellt hohe Beträge unter Berücksichtigung des Sterblichkeitsrisikos frei, die aber in Form einer monatlichen Rente ausgezahlt werden. Alternative zur einmaligen Auszahlung des gesamten Versicherungsguthabens ist die Auszahlung in Teilbeträgen. Eine durch sich verändernde Verhältnisse erforderliche Anpassung der Zahlungen könnte über § 850g ZPO erfolgen, der gem. § 36 Abs. 1 InsO auch im Insolvenzverfahren Anwendung findet. Dies würde aber eine u.U. jahrzehntelange Abwicklung und damit eine erhebliche Belastung für alle Beteiligten bedeuten. Der Entscheidung des Beschwerdegerichts und dem möglichen weiteren Verfahrensverlauf kann daher mit Spannung entgegengesehen werden.

 

InsbürO 2021, 377 f.: Zur Kündigungsmöglichkeit einer Sterbegeldversicherung

AG Erfurt, Urt. v. 24.02.2021 – 5 C 2091/19, ZInsO 2021, 1040 (nicht rechtskräftig)

Leitsätze des Bearbeiters:

1. Bei dem Streit zwischen dem Schuldner und dem Insolvenzverwalter darum, inwieweit der Rückkaufswert einer Sterbegeldversicherung zur Masse zu ziehen ist, ist das Prozessgericht zuständig.

2. Bei einer Sterbegeldversicherung eines Insolvenzschuldners, die den gesetzlich vorgesehenen pfandfreien Betrag i.H.v. 3.579,00 Euro übersteigt, ist der Rückkaufswert anteilig im Verhältnis in einen pfändbaren und einen unpfändbaren Betrag aufzuteilen.

Anmerkung Prof. Dr. Hugo Grote:

Das Prozessgericht bejaht zunächst zurecht seine Zuständigkeit, da es hier nicht um einen Antrag nach § 850b ZPO zur Erweiterung der Pfändbarkeit geht, sondern der Schuldner als Kläger die Feststellung der Unpfändbarkeit begehrt.

Auch in der Sache ist der Entscheidung des AG Erfurt zuzustimmen. Das Gesetz knüpft für die Frage der Pfändbarkeit an die Höhe der Versicherungssumme an und nicht an die Höhe des erreichten Rückkaufswertes. Liegt diese über 3.579,00 €, so ist der Vertrag in einen pfändbaren und einen nichtpfändbaren Teil aufzuteilen. Letztendlich ist der Schuldner so zu stellen, als hätte er von vorneherein einen Vertrag mit einer Versicherungssumme von 3.579,00 € abgeschlossen, wobei die Annahme naheliegend ist, dass er in diesem Fall auch verhältnismäßig weniger in den Vertrag eingezahlt hätte. Das AG Erfurt hat den Rückkaufswert aufgeteilt, und zwar in dem Verhältnis der tatsächlichen (9.321,00 €) zur maximal geschützten Versicherungssumme (3.579,00 €). Daraus hat es den Schluss gezogen, dass nur 38,4 % des Rückkaufwertes zu schonen sind und der andere Teil des Rückkaufwertes zur Masse gezogen werden kann.

Die Versicherungssumme beträgt 9.321,00 €. Im Verhältnis zum Schonbetrag von 3.579,00 € errechnet sich die o. a. "Schonquote" von 38,4 %. Das Gericht hat daher den Betrag von 38,4 % des Rückkaufswertes i.H.v. 2.151,76 €, also letztlich 1.325,48 € für pfandfrei geklärt. Dies ist eine konsequente Umsetzung des Urteils des BGH vom 03.12.2009 und kann als Blaupause für künftige Entscheidungen nach § 850b ZPO genommen werden. Das Berufungsverfahren ist anhängig beim LG Erfurt unter dem AZ: 1 S 31/21.

 

InsbürO 2021, 379: Versorgungsausgleich während eines Insolvenzverfahrens

BGH, Urt. v. 10.06.2021 - IX ZR 6/18, ZInsO 2021, 1615

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtliche Leitsätze:

1. Versorgungsanrechte können durch eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des ausgleichspflichtigen Ehegatten ergehende rechtskräftige Entscheidung zum Versorgungsausgleich im Wege der internen Teilung erworben werden.

2. Der Insolvenzverwalter ist am Verfahren über den Versorgungsausgleich bei der Scheidung zu beteiligen, wenn ein Versorgungsanrecht betroffen ist, welches zur Insolvenzmasse gehören kann.

3. Für einen erstinstanzlich nicht hinzugezogenen Beteiligten, der durch den Beschluss unmittelbar in seinen Rechten beeinträchtigt und daher beschwerdebefugt ist, wird die Beschwerdefrist jedenfalls dann in Lauf gesetzt, sobald ihm die vollständige Entscheidung vorliegt.

Zum Sachverhalt:

Das Familiengericht übertrug während des eröffneten Insolvenzverfahrens im Rahmen eines Scheidungsverfahrens ein auf das Ende der Ehezeit bezogenes Anrecht i.H.v. 32.298,20 € aus einem privat geschlossenen Rentenversicherungsvertrag des Schuldners auf die Ehefrau. Der Betrag wurde ausgezahlt. Der Insolvenzverwalter verlangte Rückzahlung. Er hatte bereits vor Einleitung des Scheidungsverfahrens die Vertragsablehnung nach § 103 InsO erklärt, die von der Versicherungsgesellschaft als Kündigung verstanden wurde.

Aus der Begründung:

Rn. 8: Der Kläger hat keinen vertraglichen Anspruch gegen die Beklagte (= Versicherungsgesellschaft) auf Auszahlung von … 32.298,20 €. … Rn. 14: … Dieser Rechtserwerb ist - ähnlich wie bei einem Rechtserwerb durch Zuschlagsbeschluss nach § 90 ZVG - nicht von der ausgleichspflichtigen Person abgeleitet, sondern erfolgt unmittelbar durch einen der materiellen Rechtskraft fähigen Richterspruch als rechtsgestaltender Hoheitsakt. Die Übertragung von Versorgungsanrechten auf den ausgleichsberechtigten Ehegatten im Rahmen des Versorgungsausgleichs wird daher von § 91 Abs. 1 InsO nicht erfasst (…). …  Der Beteiligung des Insolvenzverwalters an dem Versorgungsausgleichsverfahren steht nicht entgegen, dass der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO die familienrechtliche Stellung des Schuldners nicht berührt (…). Daraus folgt zwar, dass der Insolvenzverwalter an dem Scheidungsverfahren des Schuldners nicht zu beteiligen ist, weil es sich insoweit um die höchstpersönlichen Rechte und Pflichten des Schuldners handelt. Das Versorgungsausgleichsverfahren ist demgegenüber vermögensrechtlicher Natur. … Rn. 32: Obwohl die Versorgungsausgleichsentscheidung dem Kläger, der am Verfahren hätte beteiligt werden müssen, vom Familiengericht nicht zugestellt worden ist, ist die Entscheidung zwischenzeitlich rechtskräftig geworden. … Rn. 36: … Erlangt sie jedoch auf andere Weise Kenntnis von der Entscheidung, kann von ihr spätestens dann, wenn ihr die Entscheidung in Textform vorliegt und sie Kenntnis von ihrem Inhalt nehmen konnte, verlangt werden, dass sie zur Wahrung ihrer Rechte ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegt (…). … Rn. 40: Der Kläger bemängelt zu Recht, dass eine interne Teilung des Anrechts durch das Familiengericht nicht hätte ausgesprochen werden dürfen. … Mit der Kündigung des Vertrags wurde die Beendigung des Vertrags und die Umwandlung in ein Rückgewährschuldverhältnis bewirkt mit der Folge, dass der Schuldner nur noch einen Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswerts hatte (§ 169 VVG). Nach Ausspruch der Kündigung lag damit kein "bestehendes Anrecht" des Schuldners i.S.d. § 2 Abs. 1 VersAusglG mehr vor. Eine Einbeziehung des Anrechts in den Versorgungsausgleich schied aus, weil lediglich im Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung noch vorhandene Anrechte und keine nach der Kündigung eines Versicherungsvertrags bestehenden schuldrechtlichen Ansprüche gegenüber der Versicherung geteilt werden können (…). Zum anderen spricht einiges dafür, dass das von dem Schuldner bei der Beklagten im Rahmen des privaten Rentenversicherungsvertrags angesparte Deckungskapital zur Insolvenzmasse nach § 35 InsO gehörte und auch aus diesem Grund nicht uneingeschränkt im Versorgungsausgleich hätte geteilt werden dürfen. Rn. 41: Jedoch erwachsen auch materiell fehlerhafte Entscheidungen zum Versorgungsausgleich in Rechtskraft, wenn kein Rechtsmittel gegen sie eingelegt wird (…).

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Entscheidung zeigt einmal mehr, wie wichtig es für ein Insolvenzbüro ist, die bekannten Sachverhalte zeitlich engmaschig zu verfolgen und das Erfordernis entsprechender Handlungsschritte zu erkennen. Wie vorstehend ersichtlich hatte der Insolvenzverwalter Kenntnis von dem Versicherungsvertrag und führte Anfang 2010 Schriftwechsel mit der Versicherungsgesellschaft. Erst zwei Jahre später fragte er erneut bei der Versicherungsgesellschaft nach dem Sachstand. Auch eine übermittelte Klageerwiderung mit entsprechender Anlage wurde offensichtlich nicht als Informationsquelle für ein mögliches Handeln genutzt.

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2021, 379 f.: Zum Anspruch des Arbeitgebers auf Entschädigungszahlung für Arbeitnehmer in Quarantäne

VG Koblenz, Urt. v. 10.05.2021 - 3 K 108/21.KO (n. rkr.)

Zum Sachverhalt:

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Entschädigungszahlungen und Sozialversicherungsbeiträgen gem. §§ 56, 57 IfSG. Aufgrund einer infektionsschutzrechtlichen Anordnung nach § 30 IfSG befand sich eine Arbeitnehmerin der Klägerin, die eine Bäckereikette betreibt, vom 16. – 21.03.2020 in häuslicher Absonderung.

Aus der Begründung:

Die Klage ist … unbegründet. … Die Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlagen liegen … nicht vor. Diese verlangen für einen Anspruch des Arbeitgebers … ausweislich des gesetzlichen Wortlauts einen Verdienstausfall des abgesonderten Arbeitnehmers. … Ein solcher Lohnfortzahlungsanspruch kann sich grds. u.a. aus § 616 Satz 1 BGB ergeben (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.1978 – III ZR 43/77 …). Dies ist vorliegend der Fall. … Danach wird der zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Erfasst werden angesichts des Wortlauts „einen in seiner Person liegenden Grund“ nur subjektive Leistungshindernisse. … Nicht erfasst sind demgegenüber objektive Leistungshindernisse, die betriebsbezogen sind und sich auf einen größeren Kreis von Arbeitnehmern beziehen (…). Gemessen daran handelt es sich bei der behördlichen Absonderungsanordnung, die aufgrund eines Ansteckungsverdachts der Arbeitnehmerin der Klägerin ergangen ist, um ein subjektives Leistungshindernis. … Für die Abgrenzung zwischen subjektivem und objektivem Leistungshindernis kommt es daher nicht auf den Grund für die Absonderung, sondern den Grund für das Arbeitshindernis an. … Darüber hinaus stellt die aufgrund der Absonderung eingetretene Dauer der Arbeitsverhinderung der Arbeitnehmerin … von sechs Tagen noch eine verhältnismäßignicht erhebliche Zeit i.S.d. § 616 Satz 1 BGB dar. … Der Gesetzgeber des Infektionsschutzgesetzes, …, bezweckt mit der Entschädigung …, diese Personen in finanzieller Hinsicht mit Kranken gleichzustellen (vgl. BT-Drucksache III/1888, S. 27 …). Muss der Arbeitgeber … somit damit rechnen, im Falle der Krankheit seiner Arbeitnehmer … Lohnfortzahlung gewähren zu müssen, ist für ihn das Risiko, …, grds. kalkulierbar.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das VG Koblenz hat die Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wg. grds. Bedeutung zugelassen. Die Frage, ob § 616 Satz 1 BGB im Falle von zwei Wochen andauernden Absonderungen von Arbeitnehmern Anwendung finde und demnach einer Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG entgegenstehe, sei in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt. Diese wurde auch eingelegt. Das Verfahren ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe beim OVG Rheinland-Pfalz unter dem AZ: 6 A 10767/21.OVG anhängig. Das Ergebnis könnte für die Insolvenzbüros interessant sein, denn wenn ein Anspruch doch bestätigt werden sollte, könnte ein solcher für die Insolvenzmasse in den Fällen geltend gemacht werden, in denen das schuldnerische Unternehmen seit März 2020 Arbeitnehmer/innen beschäftigt hatte, die sich in Quarantäne befanden. Nach § 56 Abs. 1 IfSG gilt für die Geltendmachung eines Anspruches eine Frist von zwei Jahren nach dem Ende der Absonderung.

 

InsbürO 2021, 380: Zur Vergleichsmöglichkeit für Ansprüche nach § 64 GmbHG a.F. während der vorl. Verwaltung

BGH, Urt. v. 20.04.2021 – II ZR 387/18, ZInsO 2021, 1277

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)

 

Leitsatz des Gerichts:

Eine Vereinbarung über Ansprüche aus § 64 Satz 1 GmbHG a.F. unterliegt auch dann dem Verzichts- und Vergleichsverbot, wenn ihr der vorläufige Insolvenzverwalter nach Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts zugestimmt hat.

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter verlangt von den Gesellschaftern die Zahlung von ca. 570.000 €, weil diese nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet worden seien. Die Gegenseite macht geltend, dass während der vorl. Verwaltung eine Vereinbarung geschlossen worden sei, in dem der Verzicht auf Sicherungsrechte erklärt verbunden mit der Regelung, dass der Wert dieses Verzichts bei der Geltendmachung von möglichen Haftungsansprüche nach § 64 GmbHG a.F. abgezogen werde.              

Aus der Begründung:

Rn. 29: Nach § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG ist ein Verzicht der Gesellschaft auf Ersatzansprüche nach § 9a GmbHG oder ein Vergleich der Gesellschaft über diese Ansprüche unwirksam, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist. … Rn. 30: Nach der Rechtsprechung des BGH gilt § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht für den Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft. … Rn. 31: Die … verneinte Anwendbarkeit von §§ 64 Satz 4, 43 Abs. 3 Satz 2, 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG a.F. auf einen von der Gesellschaft mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters geschlossenen Vergleich ist – soweit ersichtlich – bislang in der Rechtsprechung nicht erwogen worden und wird auch im Schrifttum nicht diskutiert. In der hier vorliegenden Fallgestaltung, in der der vorläufige Insolvenzverwalter nach Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO einer Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und ihrer Geschäftsführerin über den Umfang der Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG a.F. zugestimmt hat, ist … das Verzichts- und Vergleichsverbot entsprechend seinem Wortlaut anwendbar.

                     

Steuerrecht

InsbürO 2021, 380 f.: Zu Umsatzsteuererstattungen bei Bauleistungen

BFH, Beschl. v. 05.01.2021 – XI S 20/20, ZInsO 2021, 851

Leitsätze des Gerichts:

  1. NV: Die wirksame Berichtigung eines Steuerbetrags nach § 14c Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 1 UStG erfordert grds., dass der Unternehmer die vereinnahmte Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat.
  1. NV: Abweichendes gilt nicht für den Fall, dass strafbewehrte insolvenzrechtliche Vorschriften einer Rückzahlung der vereinnahmten Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger entgegenstehen sollten.

 

Zum Sachverhalt:

Die Insolvenzschuldnerin erbrachte … Bauleistungen für die … (A), … A zahlte die von der Insolvenzschuldnerin in Rechnung gestellten Leistungen einschließlich ausgewiesener USt. … Das für A zuständige Finanzamt (FA) Z war dagegen der Ansicht, dass A als Leistungsempfängerin die USt für die bezogenen Bauleistungen schulde (…). … Der Antragsteller (= Insolvenzverwalter) beantragte …, den geschuldeten Steuerbetrag … nach § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG zu erstatten. Er habe die ursprünglich ausgestellten Rechnungen von A zurückgefordert und ihr korrigierte Rechnungen, nunmehr ohne USt-Ausweis, übermittelt.

Aus der Begründung:

Rn. 19: Die wirksame Berichtigung eines Steuerbetrags nach § 14c Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 1 UStG erfordert grds., dass der Unternehmer die vereinnahmte USt. an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat (vgl. …). Die Rechnungsberichtigung als formaler Akt gegenüber dem Leistungsempfänger allein reicht für die wirksame Berichtigung eines Steuerbetrags i.S.v. §§ 14c Abs. 1 Satz 2, 17 Abs. 1 UStG mit der Folge, dass dieser dem Rechnungsaussteller zu erstatten ist, aber nicht aus (…).

 

InsbürO 2021, 381: Zur Frage der Verfassungswidrigkeit bei Säumniszuschlägen

FG Münster, Beschl. v. 16.03.2021 - 12 V 16/21 AO, WKRS 2021, 18665

Tenor:

Die Vollziehung des Abrechnungsbescheides … wird … insoweit aufgehoben, als darin Säumniszuschläge i.H.v. X € ausgewiesen sind.

Aus der Begründung:

In der Rechtsprechung ist die Frage, ob sich die Zweifel an der Vereinbarkeit der nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO festzusetzenden Zinsen mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 des GG auch auf Säumniszuschläge gem. § 240 Abs. 1 Satz 1 AO übertragen lassen, bisher … uneinheitlich und noch nicht höchstgerichtlich entschieden worden. Das FG München hat … Das FG Hamburg hat hingegen … In Anbetracht dieser unterschiedlichen Entscheidungen bestehen vorliegend jedenfalls mit Blick darauf, dass bei der Antragstellerin … eine Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit vorlag, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2013 i.H.v. X €. Die Entscheidung darüber, ob die Festsetzung der Säumniszuschläge als verfassungsgemäß zu beurteilen ist, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Beschwerde wurde zugelassen und beim BFH auch eingelegt: VII B 54/21 (AdV).     

 

Europäisches / internationales Recht

InsbürO 2021, 381: Keine „automatische“ Vorsteuerberichtigung bei Insolvenzeröffnung

EuGH, Urt. v. 03.06.2021 – C-182/20, B und D, ZInsO 2021, 1272

Leitsatz des Gerichts:

Die Art. 184 bis 186 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis entgegenstehen, wonach die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Wirtschaftsteilnehmers, das die Liquidation dieses Vermögens zugunsten der Gläubiger des Wirtschaftsteilnehmers impliziert, automatisch die Verpflichtung für diesen Wirtschaftsteilnehmer mit sich bringt, die Vorsteuerabzüge zu berichtigen, die er für Gegenstände und Dienstleistungen vorgenommen hat, die er vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen erworben hat, wenn die Eröffnung eines solchen Verfahrens der Fortführung der wirtschaftlichen Tätigkeit dieses Wirtschaftsteilnehmers i.S.v. Art. 9 der Richtlinie, namentlich zum Zweck der Liquidation des betreffenden Unternehmens, nicht entgegenstehen kann.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der EuGH hat sich mit vorstehender Entscheidung gegen die Ansicht gestellt, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stets die Liquidation nach sich ziehe und daher eine Vorsteuerberichtigung vorzunehmen sei. Wenn die unternehmerische Tätigkeit fortdauere, habe keine automatische Vorsteuerberichtigung zu erfolgen. Eine umfassende Stellungnahme zu dieser Entscheidung ist von de Weerth in ZInsO 2021, 1272, 1277 (Heft 25) zu finden.

 

Allgemeines

InsbürO 2021, 381 f.: Umfang der Informationspflicht einer Sparkasse gegenüber einem Insolvenzverwalter nach dem IZG

OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 21.01.2021 - 4 LB 3/19, ZInsO 2021, 500 (rkr.)

Einer von vier gerichtlichen Leitsätzen:

Als juristische Personen des öffentlichen Rechts unterliegen auch öffentlich-rechtliche Sparkassen der Informationspflicht nach dem Informationszugangsgesetz Schleswig-Holsteins, soweit sie in Erfüllung ihrer Aufgaben nach dem Sparkassengesetz Schleswig-Holsteins handeln. Die Informationspflicht besteht unabhängig davon, ob sie ihren öffentlich-rechtlichen Auftrag in den Handlungsformen des öffentlichen oder des Privatrechts erfüllen. Sie können sich im Einzelfall jedoch auf ein privates Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berufen.

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter forderte Informationen zu den mit dem Insolvenzschuldner abgeschlossenen Darlehensverträgen, die Übersendung der Darlehenskontoauszüge, einen Überblick über die bisherige Verwertung von Sicherheiten, Kopien des geführten Schriftwechsels, die übermittelten BWAs, Beratungsergebnisse etc.

Aus der Begründung:

Soweit die Beklagte … einen unverhältnismäßigen Aufwand geltend macht, stellt sie … selbst fest, dass § 9 Abs. 2 Nr. 5 IZG kein allgemeiner Ausschlusstatbestand für unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand zu entnehmen ist. Einen derartigen Ausschlusstatbestand kennt das IZG, anders als § 7 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes, nicht. Grds. mutet der Gesetzgeber den informationspflichtigen Stellen den mit der Erfüllung der Aufgaben des IZG einhergehenden Aufwand daher zu, insbesondere die erforderliche Durchsicht der Akten, Vornahme von Schwärzungen oder Ausheftungen und das Festhalten der Ergebnisse (…). … Es liegt schließlich auch kein Ausschlussgrund nach § 10 Satz 1 Nr. 1 IZG vor. Danach ist der Antrag abzulehnen, soweit durch die Bekanntgabe der Informationen personenbezogene Daten offenbart würden, deren Vertraulichkeit durch Rechtsvorschrift vorgesehen ist und das daraus folgende schutzwürdige private Interesse an der Geheimhaltung gegenüber dem öffentlichen Bekanntgabeinteresse überwiegt, ... Diese Regelung kann jedoch nicht herangezogen werden, wenn Zugang zu Informationen betreffend die eigene Person bzw. die dem Vorgehen zustimmende Person beantragt wird.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das ist die erste Entscheidung über die Frage, ob und inwieweit Sparkassen als juristische Personen des öffentlichen Rechts in den Anwendungsbereich des IZG des Landes SchlH (…) fallen. Heim und Wigand haben in ZInsO 2021, 500, 510 f. eine umfassende Stellungnahme zu dieser Entscheidung verfasst. Ihrer Ansicht nach haben die Insolvenzverwalter mit diesem Urteil gegenüber einer Vielzahl der knapp 400 Sparkassen in Deutschland ein "scharfes Schwert" für die Ermittlung von Anfechtungsansprüchen an die Hand bekommen. Allerdings sei es zu erwarten, dass die Informationsfreiheitsgesetze nunmehr um Bereichsausnahmen für Sparkassen ergänzt werden, wie das schon in Baden-Württemberg der Fall sei (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 LIFG-BW). Bayern, Niedersachsen und Sachsen hätten im Übrigen auch gar keine IFGs.

                         

InsbürO 2021, 382: Aufnahme eines Aktivprozesses durch den Insolvenzverwalter

BGH, Urt. v. 12.03.2021 – V ZR 181/19, ZInsO 2021, 1388

(V. Senat = u.a. zuständig für Grundstücksrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 12: Eine Aufnahme gem. § 85 InsO scheidet aus, weil ein hierfür erforderlicher Aktivprozess nicht gegeben ist. Dies würde voraussetzen, dass mit der Klage ein Vermögensrecht für den Schuldner und damit zu Gunsten der späteren Teilungsmasse in Anspruch genommen werden soll („Rechtsstreitigkeiten über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen“). Hieran fehlt es, weil Gegenstand des Rechtsstreits eine Insolvenzforderung des Beklagten ist, gegen die sich die Schuldnerin im Wege der Vollstreckungsgegenklage gewendet und materiell-rechtliche Einwendungen erhoben hat. Unerheblich ist, dass die Schuldnerin in dem Prozess Klägerin war. Für die Einordnung als Aktivprozess i.S.d. § 85 Abs. 1 InsO kommt es nicht auf die Parteirolle des Schuldners, sondern auf das materielle Begehren an (BGH, …).

 

InsbürO 2021, 382: Zuständigkeit bei Streit über Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss

BGH, Urt. v. 11.03.2021 - IX ZR 266/18, ZInsO 2021, 841

Leitsätze des Gerichts:

  1. Zuständig für die Entscheidung über Streitigkeiten darüber, wer Mitglied im Gläubigerausschuss ist, ist das Insolvenzgericht, nicht das Prozessgericht.
  1. Wird über das Vermögen einer GmbH, die Mitglied in einem Gläubigerausschuss eines anderen Insolvenzverfahrens ist, das Insolvenzverfahren eröffnet, unterliegt ihre Vertretung in dem Gläubigerausschuss dem Verwaltungsrecht ihres Insolvenzverwalters.

 

Aus der Begründung:

Rn. 13: Die Insolvenzordnung enthält zwar keine ausdrückliche Bestimmung darüber, dass das Insolvenzgericht Streitigkeiten über die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Gläubigerausschuss entscheidet. Eine dahingehende Befugnis ist jedoch analog § 70 InsO anzuerkennen (…). … Rn. 19: Mitglieder, die das Mitgliedschaftsrecht eines anderen Ausschussmitglieds in Abrede stellen und dadurch dessen Mitwirkung an der Ausschussarbeit beeinträchtigen, wird das Insolvenzgericht ggf. zunächst im Wege einer Abmahnung auf das Bestehen des Mitgliedschaftsrechts hinweisen (…) und dadurch einen Streit unter den Ausschussmitgliedern über die Zugehörigkeit zum Ausschuss frühzeitig beilegen. Soweit Ausschussmitglieder das Mitgliedschaftsrecht dann weiterhin leugnen, wird das Insolvenzgericht eine entlassungsrelevante Pflichtverletzung dieser Mitglieder zu prüfen haben. … Rn. 21: Für die Anerkennung einer Entscheidungszuständigkeit des Insolvenzgerichts spricht überdies, dass dadurch ein sachnäherer Rechtsschutz gewährleistet werden kann, als dies im ordentlichen Zivilprozess der Fall wäre.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Wir hatten die vorhergehende Entscheidung des OLG Celle (Urt. v. 21.08.2018 – 13 U 104/17) in InsbürO 2019, 53 veröffentlicht. Das OLG Celle hatte die Revision zugelassen. Hintergrund war, dass die übrigen Gläubigerausschussmitglieder die Teilnahme des Insolvenzverwalters in den Ausschusssitzungen verweigerten und auch keine Informationen erteilen wollten.

 

InsbürO 2021, 383: Unterbrechung und Aufnahme eines Rechtsstreites wg. Unterlassungsansprüchen

OLG Frankfurt/Main, 25.02.2021 - 16 U 131/20, ZInsO 2021, 1213 (unanfechtbar)

Amtliche Leitsätze:

1. Nach § 240 Abs. 1 ZPO wird ein Rechtsstreit wegen Unterlassungsansprüchen nach §§ 1, 4 UKlaG unterbrochen. Zu den die Insolvenzmasse betreffenden Ansprüchen zählen gegen die Insolvenzschuldnerin gerichtete Unterlassungsansprüche wegen der Verwendung von nach §§ 307 bis 309 BGB unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 1, 4 UKlaG. Dies gilt auch bei Anordnung der Eigenverwaltung nach § 270 InsO.

2. Das Verfahren wegen auf §§ 1, 4 UKlaG gestützte Ansprüche kann vom Kläger (= Verbraucherschutzverband) als Passivprozess nach § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO (analog) aufgenommen werden. Die Norm findet auch auf Unterlassungsansprüche nach dem UKlaG wegen der Verwendung von nach §§ 307 bis 309 BGB unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen analoge Anwendung.

 

InsbürO 2021, 383: Zur Einsicht Dritter in Vergütungsbeschlüsse

BGH, Beschl. v. 25.03.2021 - IX AR VZ 1/19, ZInsO 2021, 1162                   

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtliche Leitsätze:

  1. In Insolvenzsachen kann der Gerichtsvorstand am Verfahren nicht beteiligten Dritten anonymisierte Abschriften von Entscheidungen des Insolvenzgerichts erteilen, ohne dass dies den Anforderungen an die Gewährung von Akteneinsicht unterliegt.
  1. Soweit die berechtigten Belange und Rechte der Beteiligten des Insolvenzverfahrens durch die Weitergabe einer Abschrift trotz Anonymisierung verletzt sein können, steht dem Gerichtsvorstand ein aufgrund der Besonderheiten des Insolvenzverfahrens erweitertes Ermessen zu, ob und in welchem Umfang Schwärzungen vorzunehmen sind.
  1. Der Gerichtsvorstand kann eine Weitergabe insgesamt verweigern, wenn die erforderlichen Schwärzungen dazu führen, dass die Entscheidung in den verbleibenden Teilen nicht mehr aus sich heraus verständlich ist, die Schwärzungen sinnentstellend sind oder die verbleibenden Teile den Inhalt der getroffenen Entscheidung verfälschen.

 

Aus der Begründung:

Rn. 1: Der Antragsteller ist Mitverfasser von Kommentaren und Handbüchern zu Vergütungsfragen im Insolvenzrecht und zu wissenschaftlichen Zwecken um Übersendung. … Rn. 15: … Das … verfolgte wissenschaftliche Interesse stellt - nicht zuletzt im Licht des Art. 5 Abs. 3 GG - ein öffentliches Interesse dar, welches eine Veröffentlichungspflicht auslöst.

                 

InsbürO 2021, 383: Akteneinsichtsrecht von Baugeldgläubiger wg. deliktischem Schadensersatz

LG München I, Urt. v. 25.03.2021 – 11 O 17663/20, ZInsO 2021, 1394

Zum Sachverhalt:

Die Klägerin meint, gegenüber den drei Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin Ansprüche auf Schadensersatz gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 des Gesetzes zur Sicherung von Bauforderungen (BauFordSiG) zu haben. Die Klägerin erklärt sich die Nichtzahlung ihrer offenen Schlussrechnungsbeträge damit, dass diese Forderungen nicht mehr erfüllt werden konnten, weil die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin für diese zwar von ihren Auftraggebern Baugeld i.S.v. § 1 Abs. 1 BauFordSiG hereingeholt, dieses aber dann zweckwidrig verwendet hatten. Der Beklagte (= Insolvenzverwalter) meint, … er schulde der Klägerin weder Akteneinsicht noch Auskunft. Die Geschäftsunterlagen der Insolvenzschuldnerin seien nicht Bestandteil der gerichtlichen Insolvenzakte. Es sei anerkannt, dass dem Insolvenzgläubiger kein Einsichtsrecht in die vorinsolvenzlichen Geschäftsunterlagen zustehen könne.

Aus der Begründung:

Ein rechtliches Interesse besteht nur dann, wenn persönliche Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt berührt werden und der Bezug zum Streitstoff hinreichend deutlich ist (vgl. BGH, ZInsO 2006, 597; …). Nicht ausreichend ist ein Interesse des Dritten, durch die Akteneinsicht Tatsachen zu erfahren, damit er sich leichter tut, Ansprüche geltend zu machen oder abzuwehren, die in keinem rechtlichen Bezug zum Prozessgegenstand stehen (…). Denn dabei geht es nur um ein wirtschaftliches Interesse, das für § 299 ZPO nicht ausreicht.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das Gericht befasst sich auch mit zwei weiteren Vorschriften, aus denen die Klägerin meint, ein Einsichtsrecht zu begründen: § 242 BGB (Leistung nach Treu und Glauben) und § 810 BGB (Einsicht in Urkunden). Beides lehnt das LG München ab. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Es ist ein Rechtsmittelverfahren beim OLG München unter dem AZ: 5 U 2208/21 anhängig.