16.09.2021

Aus der Rechtsprechung

BGH: Haftung des Geschäftsführers bei vorsätzlicher sittenwidriger Insolvenzverschleppung

BGB § 826
BGH, Urteil vom 27. Juli 2021 - II ZR 164/20 (OLG Karlsruhe)

I. Leitsätze des Gerichts

a) Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i.S.d. § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird.

b) Der Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung erfasst Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können.

II. Sachverhalt

Im Januar 2015 beauftragte der Kläger eine GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte war, mit der Durchführung von Fassadenarbeiten und leistete dafür einen Werklohnvorschuss in Höhe von 13.000 €. Nach ergebnislosen Fristsetzungen zur Erbringung der vollständigen Werkleistung kündigte der Kläger im August 2016 den Vertrag, forderte die Beseitigung von Mängeln aus der bereits erbrachten Teilleistung sowie die Rückzahlung des unverbrauchten Vorschusses. Nachdem der Beklagte den Forderungen nicht nachkam, beantragte der Kläger ein selbständiges Beweisverfahren zu den behaupteten Mängeln sowie dem Leistungsstand und den darauf entfallenden Werklohn. Im November 2016 ordnete das Landgericht eine sachverständige Begutachtung an.

Im Dezember 2016 erging gegen den Beklagten ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung. Anschließend stellte der Beklagte einen Insolvenzantrag über das Vermögen der GmbH. Das Insolvenzverfahren wurde sodann im März 2017 eröffnet. Im Mai 2017 erstattete der Sachverständige im laufenden selbständigen Beweisverfahren ein schriftliches Gutachten, in dem die Mängel und der Umfang der Leistungserbringung festgestellt wurden. Im Juni 2017 äußerte sich erstmals der Insolvenzverwalter der GmbH im selbständigen Beweisverfahren und gab bekannt, dass die Insolvenzmasse nicht in der Lage sei, Kosten für die Vergütung eines Sachverständigen zu tragen. Rechtsfehlerfrei und ohne Beanstandung in der Revision stellte das Landgericht fest, dass für die GmbH bereits seit dem 1. Dezember 2015 der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit bestanden habe, mit der Folge der Pflicht des Beklagten, unverzüglich, spätestens aber nach drei Wochen einen Insolvenzantrag zu stellen. Der Kläger verlangt von dem Beklagten den Ersatz der Kosten für das selbständige Beweisverfahren.

III. Rechtliche Wertung

Sowohl vor dem Landgericht als auch in der Berufungsinstanz vor dem Oberlandesgericht wurde der Beklagte zum beantragten Schadensersatz verurteilt. Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg. Während die Vorinstanzen ihrer Verurteilung noch einen Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO zu Grunde legten, stütze der Bundesgerichtshof seine Entscheidung auf § 826 BGB. Die vom Berufungsgericht formulierte Zulassungsfrage hindere den Senat insoweit nicht daran, den Anspruch auf § 826 BGB zu stützen, denn eine Beschränkung der Zulassung auf Anspruchselemente oder einzelne von mehreren konkurrierenden Anspruchsgrundlagen sei nicht zulässig. Außerdem unterschieden sich die Anspruchsgrundlagen auch lediglich im Grad des Verschuldens und beruhten im Übrigen aber auf demselben Verhaltensstandard.

Der Beklagte hafte nach § 826 BGB, weil er vorsätzlich die Insolvenz der GmbH verschleppt habe. Die Absicht, die unabwendbare Insolvenz eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfülle den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung iSd § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen würde. Der Handelnde müsse die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Zumindest müsse er die Schädigung für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Dabei benötige der Handelnde keine genaue Kenntnis über die Anzahl der betroffenen Personen. Es reiche vielmehr aus, dass er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer Personen auswirken könne und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen habe. Wenn ein Geschäftsführer die Insolvenzreife der Gesellschaft erkannt habe und das Unternehmen dennoch weiterführe, ließe dies daraus schließen, dass er das unabwendbare Ende des Unternehmens zum Nachteil der Gläubiger nur hinauszögern wolle. Für Umstände, nach denen ein Verstoß gegen die guten Sitten ausnahmsweise ausscheide, sei der beklagte Geschäftsführer darlegungsbelastet.

Der Schutzbereich einer vorsätzlichen sittenwidrigen Insolvenzverschleppung erfasse Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit der GmbH getreten seien und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit mit Kosten belastet würden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können. Der Schutzbereich sei weiter als der der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung des § 15a Abs. 1 InsO. Auch im Hinblick auf den geschützten Personenkreis sei dies von Bedeutung, da in den Schutzbereich auch Dritte einbezogen werden könnten, die zuvor mit der Gesellschaft keine vertragliche Bindung eingegangen sind.

IV. Praxishinweis

Diese Entscheidung hat in der Praxis sowohl für die Geschäftsführer als auch für die Gläubiger eine erhebliche Bedeutung. Die Geschäftsführer sind bei einem vorsätzlich verzögerten Insolvenzantrag einer Haftung für vergeblich aufgebrachte Rechtsverfolgungskosten ausgesetzt, die unter Umständen auch nicht mehr von einer D&O-Versicherung aufgefangen werden. Darüber hinaus haben die Gläubiger die Möglichkeit, ihre Rechtsverfolgungskosten vollständig und schnell ersetzt zu bekommen, ohne auf eine eventuell irgendwann fällige Ausschüttung einer Insolvenzquote angewiesen zu sein.