22.06.2022

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick
 

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Juniheft 2022

 

Insolvenzeröffnungsverfahren

InsbürO 2022, 243 f.: Prüfungsbefugnis des Insolvenzgerichtes hinsichtlich der Bescheinigung über außergerichtlichen Einigungsversuch

BGH, Beschl. v. 24.02.2022 – IX ZB 5/21, WKRS 2022, 14346

Amtlicher Leitsatz:

Dem Insolvenzgericht steht keine inhaltliche Prüfungsbefugnis der von dem Schuldner vorgelegten Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs zu.
 

Anmerkung RiAG a.D. Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Das Ende einer unendlichen Geschichte. Nach mehr als drei Jahren wird das Insolvenzgericht über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheiden. Der BGH hat klargestellt, dass auch eine schriftliche oder telefonische Beratung des Schuldners genügt – ein in Corona-Zeiten wenig überraschendes Ergebnis. Für die Schuldnerin bleibt die Frage, ob sie an dem Antrag festhält und nach sechs Jahren (vorbehaltlich der Verkürzungsoption des § 300 InsO a.F.) Restschuldbefreiung erlangt oder den Weg einer Antragsrücknahme und erneuten Antragstellung wählt zu einer Restschuldbefreiung bereits nach drei Jahren.

 

InsbürO 2022, 244 f.: Anforderungen an den Eröffnungsantrag eines Betreuers

LG Potsdam, Beschl. v. 07.01.2022 – 14 T 206/21, ZInsO 2022, 945 (rkr.)

Leitsatz des Bearbeiters:

Unterschreibt nur der Betreuer den Eröffnungsantrag, ist Zulässigkeitsvoraussetzung, dass der Betreuer den Betreuerausweis im Original vorlegt.
 

Anmerkung RiAG a.D. Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Eröffnungsanträgen unter Betreuung stehender Schuldner bereiten immer wieder Schwierigkeiten. Die Praxis soll-te deshalb bestrebt sein, einen einfachen Verfahrensablauf zu gewährleisten. Folgt man der Entscheidung, bietet es sich an, dass nicht nur der Betreuer, sondern auch der Betreute die geforderten Unterschriften leistet. Die in der Praxis auftretenden Probleme wurden auch in zwei InsbürO-Beiträgen bereits thematisiert.

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2022, 246 f.: Zum Zeitpunkt der Zahlung der Mindestvergütung zur Abwendung der RSB-Versagung

LG Hannover, Beschl. v. 30.07.2021 - 11 T 12/21 (rkr.)

Leitsatz des Bearbeiters:

Die Zahlung der Mindestvergütung nach § 298 Abs. 2 InsO zur Abwendung der Versagung der Restschuldbefreiung kann bis zur Rechtskraft der Versagungsentscheidung erbracht werden.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Diese Entscheidung des LG Hannover verdient besondere Beachtung, da die Versagung der Restschuldbefreiung wegen Nichtzahlung der Mindestvergütung des Treuhänders nach § 298 Abs. 1 InsO die statistisch häufigste Versagungsart ist. Ein Teil der Rechtsprechung hat bislang § 298 Abs. 2 InsO sehr eng ausgelegt und eine Überschreitung der Zweiwochenfrist kategorisch abgelehnt (LG Göttingen, Beschl. v. 14.03.2011 - 10 T 20/11. NZI 2011, 292; LG Bochum, in der Entscheidung zitiert). Diese Ansicht überzeugt auch mit Blick auf §§ 26 Abs. 1 oder § 207 Abs. 1 InsO nicht, da dort die Vorschusszahlungen bis zur Rechtskraft des Abweisungsbeschlusses geleistet werden können. Die sich um ihre Restschuldbefreiung bemühende natürliche Person, die schließlich eine geforderte Mindestvergütung doch noch einzahlen kann, sollte aus eher formalistischen Gründen nicht schlechter gestellt werden als andere Beteiligte in anderen Insolvenzverfahren. Dieser Ansicht schließt sich das LG Hannover jetzt überzeugend an. Der Treuhänder kann im Übrigen seinen Versagungsantrag bis zur Rechtskraft der Versagungsentscheidung noch zurücknehmen (BGH, Beschl. v. 08.06.2010 - IX ZA 15/08, WKRS 2010, 18778) und so dem Schuldner, der erst nach Ablauf der Zweiwochenfrist zahlt, die Möglichkeit der Fortsetzung des Verfahrens gewähren.

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2022, 247 f.: Keine Anfechtung der Umwandlung einer Lebensversicherung zwecks Pfändungsschutz

OLG Karlsruhe, Urt. v. 10.01.2022 - 3 U 30/21, ZInsO 2022, 600

Leitsatz des Bearbeiters:

Die vor Insolvenzeröffnung erfolgte Umwandlung einer Lebensversicherung in eine nach § 851c ZPO geschützte Altersvorsorgeversicherung ist nicht anfechtbar.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Diese Entscheidung des OLG Karlsruhe wirft erneut die immer noch nicht abschließend geklärte Frage der Anfechtbarkeit der Umwandlung einer Lebensversicherung in eine nach § 851c ZPO geschützten Versicherung auf. Bereits zum 31.03.2007 ist das Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge in Kraft getreten. Es soll mit den Regelungen der § 851c ZPO und § 167 VVG insbesondere Selbständige in den Fällen einer Insolvenz oder der Zwangsvollstreckung in ihr Vermögen davor bewahren, die gesamte Altersvorsorge zu verlieren. Nach § 851c ZPO sind beginnend mit dem 18. Lebensjahr jährlich ansteigende Beträge unpfändbar, die den Kapitalstock einer Altersvorsorge bilden sollen. Gem. § 167 VVG besteht ein Anspruch auf Umwandlung einer bestehenden Versicherung in eine nach § 851c ZPO geschützte Versicherung. Der Gesetzgeber hat die Regelung im Gesetzgebungsverfahren mit der aus dem Menschenwürde- und Sozialstaatsprinzip folgenden Notwendigkeit der Sicherung des Existenzminimums begründet (BT-Dr 16/886, S. 7). Schuldnerberater/innen stehen angesichts der unklaren Rechtslage immer noch vor der Schwierigkeit, einerseits den Schuldner umfassend zu seinen Rechten aus § 851c ZPO beraten zu müssen, andererseits ihn mit dem Hinweis auf § 851c ZPO zu anfechtbaren und unter Umständen auch strafrechtlichen Handlungen anzustiften. Insolvenzverwalter müssen mit dem Vorwurf rechnen, massezugehöriges Vermögen nicht eingezogen zu haben, wenn sie auf eine kurz vor Insolvenzeröffnung erfolgte Umwandlung einer Lebensversicherung nicht reagieren. Mit der vom OLG zugelassenen Revision könnte die Frage jetzt höchstrichterlich geklärt werden. Neben den in der Entscheidung ausführlich behandelten anfechtungsrechtlichen Gesichtspunkten dürfte insbesondere der Wille des Gesetzgebers eine wichtige Rolle spielen, dem Schuldner durch die Umwandlung eine Möglichkeit an die Hand zu geben, im Alter sein Existenzminimum zu sichern. Diese Besonderheit aus den Insolvenzverfahren der natürlichen Person kann bei der anfechtungsrechtlichen Betrachtung nicht ohne Berücksichtigung bleiben, wie auch das OLG Karlsruhe bestätigt.

 

InsbürO 2022, 253: Kein Anfechtungsausschluss nach COVInsAG bei Zahlungen nach Insolvenzantragstellung

LG Hamburg, Urt. v. 08.03.2022 – 303 O 53/21, ZInsO 2022, 780

Aus der Begründung:

Nach der Ratio des § 1 COVInsAG und auch des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG genießen … Deckungen nach Antragstellung keinen Schutz mehr, denn im Fall der Antragstellung entfällt die Notwendigkeit des Dispens von der Antragspflicht. Die Tatsache der Antragstellung zeigt, dass die außerinsolvenzrechtlichen Sanierungsbemühungen nicht den erwünschten Erfolg gezeitigt haben. Für einen Fortbestand der Privilegierung nach Maßgabe von § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG verbleibt damit mit erfolgter Antragstellung kein Raum. Dieser zutreffenden Rechtsansicht schließt sich der erkennende Einzelrichter nach eigener Prüfung auch für den vorliegenden Einzelfall an.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das LG Hamburg verweist in seiner Begründung auf die Entscheidung des LG München I (Endurteil v. 13.07.2021 – 6 O 17571/20, InsbürO 2021, 415 = ZInsO 2021, 1817). Dieses hatte sich auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/18110, S. 17) bezogen, in der erläutert werde, dass ein Insolvenzschuldner mit einem Eigenantrag den Schutzbereich des COVInsAG verlasse. Diese Auffassung hat das OLG München auch bestätigt (Beschl. v. 20.10.2021 – 5 U 4809/21, InsbürO 2022, 47 = ZInsO 2021, 2450)

 

Einkommen

InsbürO 2022, 252: Einkünfte bleiben bis zum Freibetrag des § 850c Abs. 1 ZPO für Kind in der Ausbildung bei externer Unterbringung unberücksichtigt

LG Bielefeld, Beschl. v. 25.03.2021 - 23 T 33/21

Aus der Begründung:

Der pfändbare Betrag des Schuldners bestimmt sich nach der Tabelle des § 850c Abs. 3 ZPO. Bei der Feststellung des nach der Tabelle pfändbaren Betrages ist die Unterhaltspflicht des Schuldners gegenüber seinem Sohn … zu berücksichtigen. Der Antrag des Insolvenzverwalters auf Nichtberücksichtigung nach § 850c Abs. 4 ZPO wird zurückgewiesen. Zwar sind die Einkünfte des Sohnes i.H.v. derzeit 685,00 € brutto nicht unbedeutend (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 33. Aufl., § 850c Rn. 15b).  … Bei der erforderlichen Ermessensausübung nach § 850c Abs. 4 ZPO sind die Interessen der Gläubiger, des Schuldners und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen gegeneinander abzuwägen; eine schematische Übernahme etwa des vollstreckungsrechtlichen Grundfreibetrages nach § 850c Abs. 1 ZPO oder der Sozialhilfesätze scheidet aus. … Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist in dem hier vorliegenden Fall, in dem das unterhaltsberechtigte Kind nicht mehr im Haushalt des Schuldners lebt, als Orientierungshilfe der Grundbetrag des § 850c Abs. 1 ZPO zugrunde zu legen (BGH, NJW-RR 05, 1239). Dieser beträgt derzeit monatlich 1.178,59 €. Nach Abzug des Verdienstes des Sohnes (netto ca. 583,00 €) verbleibt ein nicht gedeckter Bedarf von 595,59 €. Bei monatlichen Einkünften des Schuldners von 1.981,84 € beträgt der Differenzbetrag zwischen den Tabellenstufen bei keinem und einem Unterhaltsberechtigten lediglich 382,07 €, sodass der Mehrbedarf des Sohnes nicht einmal voll abgedeckt ist. … Letzteres würde auch dann gelten, wenn man statt des Grundfreibetrages den um 50 % erhöhten Sozialhilfesatz zzgl. Wohn- und Fahrtkosten zugrunde legen würde.

 

Eigenverwaltung

InsbürO 2022, 253: (Keine) Anfechtbarkeit von Entscheidung über Aufhebung vorläufiger Eigenverwaltung

BGH, Beschl. v. 27.01.2022 – IX ZB 41/21, ZInsO 2022, 526

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters auf Antrag des vorläufigen Gläubigerausschusses ist nicht anfechtbar.

Aus der Begründung:

Rn. 12: Der Senat hat bereits entschieden, dass der Schuldner die Ablehnung der Eigenverwaltung im Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mit der sofortigen Beschwerde gem. § 34 Abs. 2 InsO gegen den Eröffnungsbeschluss angreifen kann (BGH, Beschl. v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, … Rn. 8 ff.) und dass ihm auch gegen die Aufhebung der Eigenverwaltung auf Antrag der Gläubigerversammlung gem. § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO a.F.) kein Rechtsmittel zusteht (BGH, Beschl. v. 11.1.2007, … Rn. 12). Für den Fall der Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung auf Antrag des vorläufigen Gläubigerausschusses gilt nichts anderes. … Rn. 20: Mit dieser Würdigung übereinstimmend betonte bereits der RegE von 1992 zur InsO (BT-Drucks. 12/2443, S. 100), dass die Eigenverwaltung allein vom Gläubigerwillen abhängen solle. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum SanInsFoG mit seiner tlw. Neufassung der Bestimmungen zur Eigenverwaltung hob erneut die Gläubigerautonomie als tragendes Steuerungsprinzip und das daraus folgende Erfordernis, die Eigenverwaltung (allein) an den Interessen der Gläubiger auszurichten, hervor (BT-Drucks. 19/24181, S. 202, 207).

                  

Vertragsverhältnisse

InsbürO 2022, 253: Zur Auslegung von Versicherungsbedingungen im Hinblick auf behördliche Schließungsanordnung anlässlich der COVID-19-Pandemie in Betriebsschließungsversicherungen

BGH, Urt. v. 26.01.2022 – IV ZR 144/21, ZInsO 2022, 835

(IV. Senat = u.a. zuständig für Versicherungsvertragsrecht)

Leitsätze des Gerichts:

  1. Nach § 2 Nr. 1 Buchst. a Hs. 1 ZBSV 08 besteht Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger ergeben sich aus dem Katalog in § 2 Nr. 2 ZBSV 08, der abschließend ist und weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 aufführt.
     
  2. Die Regelung in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 ist weder intransparent (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) noch benachteiligt sie den Versicherungsnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB).


Aus der Begründung:

Rn. 42: Mit dem Abschluss einer Betriebsschließungsversicherung bezweckt der Versicherungsnehmer Schutz vor finanziellen Einbußen aufgrund von behördlichen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz. Dem wird die vom Kläger gehaltene Betriebsschließungsversicherung trotz der Begrenzung des nach § 2 Nr. 1 ZBSV 08 gegebenen Leistungsversprechens auf die in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 abschließend aufgezählten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger gerecht. Bei dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird … nicht der unzutreffende Eindruck geweckt, die nach den Bedingungen versicherten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger würden die beim Eintritt des Versicherungsfalles nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger vollständig abdecken. Angesichts der Vielzahl der nach § 2 Nr. 2 ZBSV 08 vom Versicherungsschutz erfassten Krankheiten und Krankheitserreger, bei deren Vorliegen nach dem Infektionsschutzgesetz Maßnahmen zulässig sind, ist ein erhebliches Risiko abgedeckt (…). … Rn. 44: Dem Versicherer kann ein Interesse an einer kalkulierbaren Begrenzung des Versicherungsschutzes nicht abgesprochen werden. Ein dynamischer Verweis auf das Infektionsschutzgesetz wäre für ihn mit einem erheblichen Risiko verbunden, da für ihn nicht vorhersehbar ist, welche Krankheiten und Krankheitserreger in Zukunft die Voraussetzungen der Auffangtatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 IfSG und des § 7 Abs. 2 Satz 1 IfSG erfüllen oder vom Gesetzgeber durch Änderungen des Infektionsschutzgesetzes als meldepflichtig eingestuft werden. … Für eine verlässliche Risikoeinschätzung des Versicherers ist daher eine abschließende Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger zweckmäßig. Diese dient nicht nur dem Schutz der Versichertengemeinschaft, sondern aufgrund der damit möglichen Begrenzung der Prämienhöhe auch dem Versicherungsnehmer (…).           

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Wir hatten bereits Entscheidungen zu dieser Thematik veröffentlicht, nämlich das Urteil des LG Mannheim v. 29.04.2020 – 11 O 66/20 (InsbürO 2020, 455), das die Formulierung „die in §§ 6, 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ nicht als statische Verweisung wertete, sondern als dynamische Bezugnahme, und auch die Entscheidung des OLG Hamm (Beschl. v. 15.07.2020 – 20 W 21/20 InsbürO 2020, 497), das die Aufzählung der „versicherten“ Krankheiten und Krankheitserreger in den vereinbarten Bedingungen als abschließend befand. Mit der vorstehenden BGH-Entscheidung dürfte eine Vielzahl von offenen Fällen nunmehr geklärt sein. Es bestand bisher die Hoffnung, die Insolvenzmasse aus der möglichen Versicherungsleistung mehren zu können.

 

InsbürO 2022, 254: Folgen der Geschäftsschließung wg. Corona-Pandemie

BGH, Urt. v. 12.01.2022 – XII ZR 8/21, ZInsO 2022, 531

(XII. Senat = u.a. zuständig für gewerbliches Mietrecht)

Leitsätze des Gerichts:

  1. Die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts führt nicht zu einem Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder tlw. unmöglich.
     
  2. Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt grds. ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB in Betracht.
     
  3. Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.
     

Aus der Begründung:

Rn. 55: Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters … auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus (…). Die wirtschaftlichen Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung erlitten hat, beruhen nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie sind vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann. … Rn. 57: Deshalb kommt eine Vertragsanpassung dahin gehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grds. um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in Betracht (…). … Rn. 59: Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grds. auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich dieser pandemiebedingten Nachteile erlangt hat (…). Auch Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters können zu berücksichtigen sein (…). Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht, …

 

Vollstreckungsrecht

InsbürO 2022, 255: Frage der Zuständigkeit für die Aussetzung der Pfändung auf dem P-Konto

BGH, Beschl. v. 02.12.2021 – IX ZB 11/21, ZInsO 2022, 847

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 7: Die von der Rechtspflegerin des Vollstreckungsgerichts getroffene Aussetzungsentscheidung ist nicht gem. § 8 Abs. 4 Satz 1 RPflG unwirksam. Die Rechtspflegerin hat kein ihr nicht übertragenes Geschäft des Richters wahrgenommen. Die Entscheidung des Rechtspflegers, den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auf eine Vollstreckungserinnerung des Schuldners nach § 766 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht aufzuheben, sondern lediglich auszusetzen, stellt sich als ein Minus und damit eine Teilabhilfe dar. Diese Teilabhilfeentscheidung ist wirksam, weil sie funktionell dem zur Abhilfe berechtigten Rechtspfleger zugewiesen ist (BGH, Beschl. v. 02.12.2021 – IX ZB 10/21, … Rn. 8). Rn. 8: Es kann im zu entscheidenden Fall dahinstehen, ob das Insolvenzgericht funktionell zuständig gewesen wäre, wie die Rechtsbeschwerde meint. Gem. § 576 Abs. 2 ZPO kann die Rechtsbeschwerde auf eine etwaige Unzuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts nicht gestützt werden.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Und schon wieder eine Entscheidung zum „leidigen“ Thema der Frage der Aussetzung der öffentlich-rechtlichen Verstrickung. Am selben Tag wie die Vorstehende ist noch eine weitere Entscheidung zu dieser Thematik ergangen (Beschl. v. 02.12.2021 - IX ZB 10/21, InsbürO 2022, … = ZInsO 2022, …). Breiling hat zur offenen gelassenen Frage der Zuständigkeit des Rechtspfleger Stellung genommen und vor allem auch das fachliche Wissen der Rechtspfleger hervorgehoben, das in einer anderen Stellungnahme in Frage gestellt wurde.

 

Allgemeines

InsbürO 2022, 255: Folgen der Nichtnutzung des elektronischen Rechtsverkehrs

LG Frankfurt/M., Versäumnisurt. v. 19.01.2022 – 2-13 O 60/21, ZInsO 2022, 479

Leitsatz des Gerichtes:

Ein bei Gericht nach dem 01.01.2022 nicht in der Form des § 130d ZPO als elektronisches Dokument eingereichter Schriftsatz ist formunwirksam und damit unbeachtlich. Eine per Fax eingereichte Verteidigungsanzeige kann daher ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren nicht verhindern.
 

Aus der Begründung:

Mit seiner Klage wegen eines Anspruchs auf Einzahlung der restlichen Stammeinlage begehrt der Kläger die Verurteilung des Beklagten wie erkannt. … Die Form der Einreichung ist eine Frage der Zulässigkeit und von Amts wegen zu beachten. Auf die Einhaltung der Vorgaben des § 130d ZPO können die Parteien nicht verzichten (§ 295 ZPO) …