20.09.2022

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick


Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Septemberheft 2022

 

Eröffnungsverfahren
 

InsbürO 2022, 363 f.: Überschuldungsprüfung bei Start-Up-Unternehmen

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.20.2022 – I-12 U 54/21, ZInsO 2022, 1135 (rkr.)

Leitsätze des Bearbeiters:

  1. Eine (rechnerische) Überschuldung (§ 19 InsO) kann durch eine positive Fortführungsprognose überwunden werden.
     
  2. Bei finanzieller Unterstützung Dritter bedarf es einer verbindlichen Zusage (Abgrenzung zu OLG Düsseldorf, ZInsO 2021, 1802).

 

Anmerkung RiAG a.D. Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Der Senat präzisiert im Rahmen einer Haftungsklage gem. § 64 GmbHG in der bis zum 01.01.2021 geltenden Fassung (nunmehr § 15b InsO) seine Rechtsprechung im Beschluss vom 20.07.2021 (I-12 W 7/21, InsbürO 2021, 421 = ZInsO 2021, 1802). Eine (rechnerische) Überschuldung kann durch eine positive Fortführungsprognose überwunden werden. Erforderlich ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dokumentiert in einer realistischen und nachvollziehbaren Finanzplanung. Bei finanzieller Unterstützung Dritter bedarf es einer verbindlichen Zusage. Daran fehlte es im vorliegenden Fall im Gegensatz zu dem im Urteil vom 20.07.2021 (a.a.O.) entschiedenen Sachverhalt.

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen
 

InsbürO 2022, 365: Festsetzung des Abführungsbetrages eines selbständig tätigen Schuldners

AG München, Urt. v. 04.02.2022 - 1509 IK 1052/21, ZInsO 2022, 1505

Leitsatz des Bearbeiters:

Beantragt der selbstständige Schuldner gem. § 295a Abs. 2 InsO, seine mit einem angemessenen Dienstverhältnis zu erzielenden Bezüge festzusetzen, setzt das Insolvenzgericht lediglich das fiktive Bruttogehalt fest. Nettogehalt und pfändbaren Einkommensanteil hat der Schuldner aus dem festgesetzten Betrag selbst zu berechnen.
 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Diese soweit ersichtlich erste Entscheidung zu dem am 31.12.2020 in Kraft getretenen neuen § 295a InsO bestätigt die bisher auch in der Literatur vertretene Ansicht (vgl. bspw. Butenob, in: Henning/Lackmann/Rein, Handkommentar Privatinsolvenz, 2. Aufl., § 295a Rn. 17 ff.), dass das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners nur das fiktive Bruttogehalt festsetzt. Aus diesem Bruttogehalt hat der Schuldner dann selbst unter Berücksichtigung von Steuern, Sozialabgaben und Unterhaltspflichten das fiktive Nettogehalt und den pfändbaren Betrag zu ermitteln.

Der Schuldner hat im Übrigen die Festsetzung eines konkreten Betrags zu beantragen, dessen Höhe er mit geeigneten Mitteln glaubhaft zu machen hat, wozu Tarifverträge und andere seriöse Einkommensübersichten in Frage kommen. Über den Antrag entscheidet der Rechtspfleger, da § 295a InsO nicht im Katalog der richterlichen Zuständigkeiten des § 18 Abs. 1 RPflG enthalten ist (Ahrens, NZI 2021, 57, 64). Treuhänder und Insolvenzgläubiger sind anzuhören, wobei die Anhörung der Insolvenzgläubiger durch Veröffentlichung im Internet erfolgen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 18.10.2012 – IX ZB 131/10, WKRS 2012, 25946 = WM 2012, 2250). Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde steht dem Schuldner und den Insolvenzgläubigern, nicht aber dem Insolvenzverwalter oder Treuhänder zu. Der Schuldner ist schließlich nicht verpflichtet, einen Antrag auf Festsetzung zu stellen, sondern kann den abzuführenden Betrag auch selbst bestimmen (Pape/Laroche/Grote, ZInsO 2021, 57, 67).

 

Unternehmensinsolvenzen


InsbürO 2022, 368: Indizwirkung zur Überschuldung durch einen Jahresabschluss im Entwurf und kein Ausgleich Masseverkürzung durch Dienstleistungen

KG Berlin, Urt. v. 28.04.2022 - 2 U 39/18, ZInsO 2022, 1343

Aus der Begründung:

Den Beweis für das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen der Insolvenzreife hat … der Anspruchsteller zu erbringen (vgl. BGH, Urt. v.  06.06.1994 - II ZR 292/91, … Rn. 33 …), vorliegend der Kläger. Dabei kommt einer Handelsbilanz indizielle Bedeutung zu (…). Legt der Anspruchsteller eine Handelsbilanz vor, hat er die insolvenzrechtlich bedeutsamen Abweichungen mitzuteilen, bspw. den vom Ansatz in der Handelsbilanz bzw. vom Fortführungswert abweichenden Liquidationswert (vgl. BGH, Beschl. v. 05.11.2007 - II ZR 262/06, … Rn. 2 …). Erläutert er weiter, ob und ggf. in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus der Handelsbilanz nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind, ist es Sache des beklagten Geschäftsführers, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Einzelnen vorzutragen, welche stillen Reserven oder sonstigen für eine Überschuldungsbilanz maßgeblichen Werte in der Handelsbilanz nicht abgebildet seien (…). … Dass der Jahresabschluss angesichts der Unternehmenskrise und des Zeitpunktes des Insolvenzantrages nicht mehr förmlich beschlossen und vom Beklagten unterzeichnet werden konnte, begründet dagegen jedenfalls vorliegend noch keine Bedenken gegen den Inhalt und die Indizkraft der Feststellungen, die auch nicht in augenscheinlichem Widerspruch zum Abschluss des Vorjahres (…) stehen. … Soweit sich der Kläger vorsorglich auch auf den Jahresabschluss 2011 stützt, ist dies eine zulässige prozessuale Vorgehensweise, die aber nicht für sich zur Entkräftung der Indizwirkung des Entwurfs des Jahresabschlusses für 2012 führt. …

Soweit dagegen die fraglichen Dienstleister für die geleistete Vergütung ihrerseits Leistungen an die Schuldnerin erbracht haben, stellen diese Leistungen für sich genommen noch keinen berücksichtigungsfähigen Massezufluss dar. Um die Masseverkürzung ausgleichen zu können, muss die in die Masse gelangende Gegenleistung nämlich zumindest für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein (vgl. BGH, Urt. v. 04.07.2017 - II ZR 319/15 Rn. 18 …). Dies lässt sich nicht feststellen: Die Leistungen des Vertriebsdienstleisters waren nicht für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet, weil Dienstleistungen nicht zu einer Erhöhung der Aktivmasse führen und damit kein Ausgleich des Masseabflusses sind (vgl. BGH, Urt. v. 04.07.2017 - II ZR 319/15 Rn. 18 … am Ende). …
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die maßgebenden Rechtsfragen durch die angeführte Rechtsprechung des BGH hinreichend geklärt seien. Es wurde aber Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die beim BGH zum Zeitpunkt der Druckfreigabe unter dem AZ: II ZR 86/22 anhängig ist.

 

InsbürO 2022, 368 f.: Einteilung Vergütungsanspruch für Jahresabschlussarbeiten in Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit

BGH, Urt. v. 28.04.2022 – IX ZR 68/21, ZInsO 2022, 1276

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 5: Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Honorarforderung der Klägerin beruhe auf der Vereinbarung eines Pauschalpreises mit der Schuldnerin und stelle sich insgesamt als Masseverbindlichkeit dar. Der Einordnung eines Teils der Forderung als Insolvenzforderung stehe entgegen, dass einerseits der dem Abschlussprüfer erteilte Auftrag mit der Verfahrenseröffnung nicht erlösche und andererseits die Forderung aufgrund des höchstpersönlichen Charakters der Abschlussprüfung nicht teilbar sei. … Rn. 8: Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der klageweisen Geltendmachung des Teils der Honorarforderung der Klägerin, der auf den vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Leistungen beruht, § 87 InsO entgegen. Insoweit handelt es sich bei dem erhobenen Vergütungsanspruch um eine Insolvenzforderung und nicht um eine Masseverbindlichkeit. … Rn. 18: Die Frage der rechtlichen Einordnung des Vergütungsanspruchs aus einem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO fortwirkenden Prüfungsauftrag ist umstritten. … Rn. 28: … Es genügt …, dass sich der Wert der erbrachten Teilleistung und ein auf sie entfallender Anteil der Gegenleistung im Verhältnis zur Gesamtleistung und Gesamtvergütung objektiv bestimmen lassen, erforderlichenfalls mit sachverständiger Hilfe (vgl. BGH, …). Der Senat versteht den Begriff der Teilbarkeit in seiner Rechtsprechung damit im denkbar weitesten Sinne (…). Die Teilbarkeit ist mit anderen Worten der Regelfall (…). … Rn. 33: Eine abweichende Betrachtung für geistige Werke – wie das des Abschlussprüfers – ist nicht geboten. … Mit dem gem. § 322 Abs. 1 Satz 1 HGB am Ende zu erteilenden Testat wird die Leistung des Abschlussprüfers nur formal abgeschlossen, … Für die Würdigung im vorliegenden Zusammenhang kommt es jedoch allein darauf an, dass sich die vor und nach Insolvenzeröffnung erbrachten Tätigkeiten auch im Fall der Abschlussprüfung voneinander abgrenzen und bewerten lassen. … Rn. 35: Der Teilbarkeit der Leistung der Beklagten steht auch nicht entgegen, dass es sich um eine höchstpersönliche Leistung handelte. … Rn. 39: Selbst bei einer Pauschalpreisabrede ist es bei der gebotenen objektiven Betrachtung und erforderlichenfalls unter Hinzuziehung eines gerichtlichen Sachverständigen möglich, die vor und nach Verfahrenseröffnung erbrachten Leistungen des Abschlussprüfers und somit auch den darauf jeweils entfallenden Vergütungsanteil nach dem genannten Maßstab zu ermitteln und zu bewerten (BGH …).


Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Wir hatten die Entscheidung der Vorinstanz in InsbürO 2021, 497 (OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.03.2021 – I 5 U 91/20) veröffentlicht. Das OLG Düsseldorf hatte keine Teilbarkeit angenommen, sondern auf § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO abgestellt, der die vor Eröffnung erfolgte wirksame Bestellung eines Abschlussprüfers auch für die Zeit nach der Eröffnung unberührt lasse und damit auch für die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahren erbrachten Arbeiten nichts anderes gelten könne. Der BGH setzt sich mit dieser Argumentation zwar eingehend auseinander. Er stellt aber insoweit - wie vorstehend ersichtlich - auf die Teilbarkeit der Leistungen und führt dazu aus: „Auch der Abschlussprüfer, der nur einen Teil seiner Tätigkeit vor Eröffnung erbracht hat, kann nicht besser stehen als derjenige, der seine Prüfung zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig abgeschlossen hat und insgesamt nur Insolvenzgläubiger gem. § 38 InsO ist (Rn. 26).“

 

InsbürO 2022, 369: Keine Amts- oder Staatshaftung für wirtschaftliche Verluste wegen pandemiebedingter Betriebsschließungen

BGH, Urt. v. 17.03.2022 – III ZR 79/21, ZInsO 2022, 1286

(III. Senat = u.a. zuständig für Staatshaftungsrecht)

Der Erste von drei Leitsätzen des Gerichts:

§ 56 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gewähren Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützte flächendeckende Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung noch im Wege verfassungskonformer Auslegung einen Anspruch auf Entschädigung.
 

Zum Sachverhalt:

Der Kläger ist Gastronom und Hotelier. Er begehrt von dem beklagten Land Entschädigung bzw. Schadensersatz für Einnahmeausfälle, die ihm entstanden sind, weil er die Gaststätte und das Hotel im Frühjahr 2020 auf Grund von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und der dadurch verursachten COVID-19-Krankheit vorübergehend tlw. schließen musste.
 

Aus der Begründung:

Rn. 19: … Der Kläger ist … nicht gezielt personenbezogen als infektionsschutzrechtlicher Störer in Anspruch genommen worden. Rn. 20: Ungeachtet dessen gehörte er … auch nicht zum Kreis der nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG grds. Anspruchsberechtigten. Er war insbesondere nicht Ansteckungsverdächtiger i.S.v. § 2 Nr. 7 IfSG, … Rn. 30: … Maßnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung der durch das RKI bundesweit festgestellten Coronavirus-Krankheit COVID-19 hatten … nach dem erstmaligen Ausbruch der Krankheit ihre Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 1 IfSG und nicht in § 16 Abs. 1 IfSG, so dass § 65 IfSG als Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung in Geld ausscheidet. … Rn. 37: Der Kläger kann den geltend gemachten Entschädigungsanspruch auch nicht auf eine analoge Anwendung von § 56 Abs. 1 oder § 65 Abs. 1 IfSG stützen. Es fehlt nicht nur an einer planwidrigen Regelungslücke, sondern auch an der Wertungsgleichheit der Sachverhalte. … Rn. 55: Auch eine Entschädigungspflicht des beklagten Landes nach den Grundsätzen über den enteignenden Eingriff ist zu verneinen. … Rn. 59: … Letztlich würde die Gewährung von Ansprüchen für Vermögenseinbußen durch flächendeckende Infektionsschutzmaßnahmen wie Betriebsschließungen oder Betriebsbeschränkungen im Ergebnis darauf hinauslaufen, das Infektionsschutzgesetz kraft Richterrechts in unzulässiger Weise um eine Klausel für Ausgleichsleistungen im Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu ergänzen.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Im Insolvenzverfahren stand bisher im Raum, durch mögliche Ansprüche gegen den Staat oder gegen Versicherungen wegen der entstandenen Schäden aufgrund der vorgenommenen Betriebsschließungen eine Massemehrung zu erlangen. Der BGH hat eine Staatshaftung wie vorstehend ersichtlich abgelehnt. Wir hatten kürzlich auch schon eine BGH-Entscheidung zu etwaigen Ansprüchen gegen die Versicherungen veröffentlicht: Der IV. Senat des BGH (u.a. zuständig für Versicherungsvertragsrecht) hatte solche abgelehnt (BGH, Urt. v. 26.01.2022 – IV ZR 144/21, InsbürO 2022, 253 = ZInsO 2022, 835), weil weder die Krankheit COVID-19 noch der Krankheitserreger SARS-CoV-2 in dem Katalog der meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger zum Zeitpunkt der Betriebsschließung aufgeführt und damit vom Versicherungsumfang nicht abgedeckt war. Damit dürften solche Ansprüche also – zumindest in der allgemeinen Betrachtung - „vom Tisch sein“.

 

InsbürO 2022, 369 f.: Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage betr. Jahresabschluss zwecks Massemehrung („wirecard“)

LG München, Urt. v. 05.05.2022 – 5 HK O 15710/20, ZInsO 2022, 1423 (n. rkr.)

Aus der Begründung:

Die Klage ist als Nichtigkeitsfeststellungsklage jeweils nach §§ 256 Abs. 7 Satz 1, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG zulässig, wobei insbesondere die Klagebefugnis des Klägers als Insolvenzverwalter bejaht werden muss. … Im Rahmen seines Aufgabenbereichs übernimmt der Insolvenzverwalter auch die grds. dem Vorstand obliegende Rechtskontrolle. … Da die Rechtstellung des Insolvenzverwalters die Aufgabe beinhaltet, die Interessen der insolventen Gesellschaft gegenüber sämtlichen Gläubigern und Schuldnern zu vertreten, muss er zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage befugt sein, soweit die Fehlerhaftigkeit des Jahresabschlusses die Insolvenzmasse betrifft. Vorliegend haben die beanstandeten Mängel des Jahresabschlusses nachteilige Auswirkungen auf die Insolvenzmasse; der Wegfall des Jahresabschluss infolge der Nichtigkeit muss vorliegend als für die Masse günstig bezeichnet werden (vgl. BGHZ 225, 198, 204 ff., ZInsO 2020, 1312, …). … Aufgrund einer Überbewertung wäre es nicht ausgeschlossen, dass für die Beklagte für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 überhöhte steuerrechtliche Verbindlichkeiten ausgewiesen wurden, was im Fall der Nichtigkeit unter Beachtung der Vorgaben aus der AO zu Rückforderungsansprüchen in Zusammenhang mit überzahlten Gewerbe- und Körperschaftsteuerforderungen oder zum Wegfall direkter Steuerschulden führen könnte. … Danach ist wegen Verstoßes gegen Bewertungsvorschriften ein Jahresabschluss nichtig, wenn Posten überbewertet sind. Dies ist dann der Fall, wenn Aktivposten mit einem höheren Wert angesetzt sind als nach §§ 253 – 256a HGB zulässig. … Der Bewertungsmangel i.S.d. § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG muss ebenso wie der Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung als gläubigerschützende Vorschrift i.S.d. § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG als wesentlich angesehen werden.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Bis zum Zeitpunkt der Druckfreigabe konnte lediglich in Erfahrung gebracht werden, dass Berufung eingelegt wurde, aber das Aktenzeichen beim OLG München war noch unbekannt.

 

Masseunzulänglichkeit
 

InsbürO 2022, 370: Verjährungsfrist für im Insolvenzverfahren übergegangene Steueransprüche

BGH, Urt. v. 17.03.2022 – IX ZR 216/20, ZInsO 2022, 1295

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Einer von zwei Leitsätzen des Gerichts:

Gehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis auf einen leistenden Gesamtschuldner über, richtet sich die Verjährungsfrist nach dem Forderungsübergang auch dann nach der besonderen Zahlungsverjährung für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, wenn es sich beim Gesamtschuldner um einen privaten Gläubiger handelt.


Zum Sachverhalt:

Ein neuer Insolvenzverwalter berücksichtigte eine Erstattungsforderung des vorherigen Insolvenzverwalters aus geleisteter Steuerzahlung nach vorheriger Anzeige der Masseunzulänglichkeit am Verfahrensende wg. angeblicher Verjährung nicht als Masseverbindlichkeit und verteilte die Insolvenzmasse an die Insolvenzgläubiger. Der vorherige Insolvenzverwalter nimmt den neuen Insolvenzverwalter auf Schadensersatz nach § 60 InsO in Anspruch.
 

Aus der Begründung:

Rn. 10: … Es ist grds. Aufgabe des Massegläubigers, für eine Hemmung der Verjährung zu sorgen (BGH, Urt. v. 14.12.2017 - IX ZR 118/17 …). … Rn. 12: … Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, dass mit dem Übergang des Steueranspruchs auf den Kläger an die Stelle der Verjährungsvorschrift des § 228 AO die regelmäßige Verjährung gem. § 195 BGB trat. Rn. 13: Der gesetzliche Forderungsübergang nach § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB lässt den übergegangenen Anspruch unverändert. … Rn. 14: … Die Länge der Verjährungsfrist nach § 228 AO ist nicht an die Person des Gläubigers gebunden. Sie steht daher nach einem Forderungsübergang gem. § 426 Abs. 2 BGB auch dem neuen Gläubiger offen (…). … Rn. 18: Dem steht nicht entgegen, dass die Steuerforderung nach dem Forderungsübergang nur noch eine privatrechtliche Forderung darstellt. Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum der Forderungsübergang zu einer Verkürzung der in § 228 Satz 2 AO bestimmten Verjährungsfrist führen sollte. Die Länge der Verjährungsfrist und die Frage, welcher Teil bis zum Forderungsübergang bereits verstrichen ist, betreffen allein die Forderung selbst. Soweit angenommen wird, dass die auf einen privaten Gläubiger gem. § 426 Abs. 2 BGB übergegangene Steuerforderung grds. nicht nach steuerlichen Regeln verjähren könne, ist dies nur für die weitere rechtliche Behandlung der Verjährung, insbesondere den weiteren Lauf der Verjährungsfrist nach dem Forderungsübergang gemäß § 426 Abs. 2 BGB richtig. … Rn. 20: Die 5-jährige Verjährungsfrist des § 228 AO war zum Zeitpunkt der Schlussverteilung durch den Beklagten im Jahr 2017 noch nicht abgelaufen. Sie begann gem. § 229 Abs. 1 AO frühestens mit Ablauf des Jahres 2013 zu laufen, nachdem das FinA am 16.10.2013 einen Änderungsbescheid für die Einkommensteuer erlassen hatte.

 

Insolvenzplanverfahren
 

InsbürO 2022, 366 f.: Restschuldbefreiung im Insolvenzplan trotz fehlendem RSB-Antrag

BGH, Beschl. v. 19.05.2022 - IX ZB 6/21, ZInsO 2022, 1566

Leitsatz des Bearbeiters:

Auch der Schuldner, der keinen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt hat, kann im eröffneten Insolvenzverfahren einen Insolvenzplan vorlegen, nach dem er von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreit werden soll. Der Insolvenzplan muss in diesem Fall im darstellenden Teil aber Angaben dazu enthalten, ob ein Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt worden und wie ggf. der Stand des Restschuldbefreiungsverfahrens ist. Des Weiteren sind Angaben im darstellenden Teil zu den aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners einschließlich der Angabe erforderlich, ob sich die Verhältnisse ändern werden.
 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Der 9. Zivilsenat des BGH öffnet mit dieser Entscheidung das Planverfahren der §§ 217 ff. InsO für die Problemfälle, in denen eine Restschuldbefreiung nicht beantragt wurde oder die Versagung der Restschuldbefreiung droht, verlangt aber gleichzeitig vom Schuldner im darstellenden Teil des Planes in diesem Fall konkrete Angaben zu den Fragen der Restschuldbefreiung und seinen wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen während und nach dem Insolvenzverfahren.

Die Trennung des BGH von Restschuldbefreiung und Entschuldung über einen Insolvenzplan überzeugt ebenso wie die Unterscheidung der gerichtlichen Versagung der Planbestätigung nach § 250 InsO einerseits und der Versagung der Planbestätigung auf Gläubigerantrag nach § 251 InsO andererseits. Denn während die Restschuldbefreiung in einem regulär ablaufenden Verfahren allein dem redlichen Schuldner vorbehalten ist, sollen im Insolvenzplanverfahren die Gläubiger nur nach ihren wirtschaftlichen Interessen über die Entschuldung entscheiden dürfen. Das Gericht hat bei Prüfung des Insolvenzplans lediglich zu prüfen, ob dieser die für die Entscheidung der Gläubiger notwendigen Angaben enthält.

Der Schuldner muss den Gläubigern daher im Plan auch Angaben zu seinen Verhältnissen nach Beendigung des regulären Verfahrens geben, da dieses ohne Erteilung einer Restschuldbefreiung enden würde und die Gläubiger damit weiterhin auf das schuldnerische Vermögen zugreifen könnten. Wird der Schuldner nach Beendigung des regulären Verfahrens absehbar über pfändbares Einkommen verfügen, kann ein Gläubiger sich auf die Schlechterstellung durch den Plan gem. § 251 InsO berufen, wenn der Schuldner seine zukünftigen Einkommen nicht in seine Prognose einbezieht und in seinem Planangebot berücksichtigt.

 

Anfechtungsrecht
 

InsbürO 2022, 370 f.: Zur Einordnung einer Forderung aus Lizenzvertrag als Gesellschafterdarlehen

BGH, Urt. v. 24.02.2022 – IX ZR 250/20, ZInsO 2022, 757

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsätze des Gerichts:

  1.  Die Zahlungsunfähigkeit stellt nur dann ein Indiz für den Benachteiligungsvorsatz dar, wenn der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit erkannt hat. Hält der Schuldner eine Forderung, welche die Zahlungsunfähigkeit begründet, aus Rechtsgründen für nicht durchsetzbar oder nicht fällig, steht dies einer Kenntnis entgegen, sofern bei einer Gesamtwürdigung der Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit nicht zwingend naheliegt.
     
  2. Ob die aus einem Lizenzvertrag herrührende Forderung eines Gesellschafters auf Bezahlung von Lizenzgebühren wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen entspricht, richtet sich im Rahmen einer Gesamtwürdigung nach Art, Inhalt und Umständen des tatsächlich gewährten Zahlungszeitraums und der marktüblichen Konditionen, bei der die Auswirkungen von Fälligkeitsvereinbarung und Stehenlassen zusammen zu betrachten sind.


Aus der Begründung:

Rn. 39: Erfolg hat die Revision … hinsichtlich einer Anfechtung gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. … Rn. 49: Das Berufungsgericht wird die erforderliche Auslegung des Lizenzvertrags und die Gesamtwürdigung nachholen … müssen. … Rn. 50: … Bereits die vertragliche Fälligkeitsvereinbarung führt dazu, dass die Schuldnerin die ihr eingeräumte Lizenz über 5 Monate nutzen konnte, ohne dass auch nur ein Teil des vereinbarten jährlichen Entgelts zu zahlen war. Die Beklagte hat zudem diese Teilforderung tatsächlich erst am … und damit weitere mehr als 8 Wochen später bezahlt erhalten. Beide Zeiträume überschreiten schon für sich genommen den bargeschäftlichen Leistungszeitraum deutlich. Dass die Beklagte in diesem Zeitraum Maßnahmen ergriffen hätte, um eine zügige Zahlung der Schuldnerin zu erhalten, hat sie nicht behauptet. Rn. 51: … Traf die Beklagte mit der Schuldnerin unterschiedliche Fälligkeitsvereinbarungen für Teile der Lizenzgebühren, welche die Fälligkeit zugunsten der Gesellschaft tlw. erheblich hinausschoben, kann dies für eine wirtschaftlich einem Darlehen gleichstehende Forderung sprechen.
               

InsbürO 2022, 371: Anwendbarkeit des Anfechtungsprivilegs des § 2 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 COVInsAG

OLG Hamburg, Beschl. v. 30.04.2022 - 11 U 169/21, WKRS 2022, 20678

Amtlicher Leitsatz:

Der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG ist dahin teleologisch zu reduzieren, dass die Vorschrift jedenfalls auf solche Rechtshandlungen keine Anwendung findet, die vorgenommen wurden, nachdem der Schuldner einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt und der Gläubiger hiervon Kenntnis erlangt hat.
 

Aus der Begründung:

Die Geschäftsleitung der Schuldnerin war … trotz Insolvenzreife der Schuldnerin nicht – wie sonst - verpflichtet, einen Eigenantrag zu stellen. Indem sie es dennoch tat, hat sie auf den Schutz des COVInsAG verzichtet. … Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber angesichts der Kürze des Gesetzgebungsverfahrens von elf Tagen - die Ankündigung durch das BMJV erfolgte am 16.03.2022, die Verkündung am 27.03.2022 - in der Lage war, sämtliche Konstellationen hinreichend zu bedenken. Es kann deshalb schon nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber überhaupt die Möglichkeit gesehen hat, dass ein Schuldner auf die Privilegierung des § 1 Abs. 1 Satz 1 COVInsAG verzichtet.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Bei dem vorstehenden Beschluss handelt es sich um einen Hinweisbeschluss zur Rücknahme der Berufung. Da diese nicht erfolgt war, erging sodann am 09.05.2022 die Zurückweisung der Berufung, die Sie unter WKRS 2022, 20679 im Online-Portal von Wolters Kluwer finden. Hiergegen wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die beim BGH unter dem AZ: IX ZR 108/22 anhängig ist.