20.12.2022

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick


Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Dezemberheft 2022

 

Unternehmensinsolvenzen
 

InsbürO 2022, 486: Keine Antragsberechtigung für Corona-Soforthilfen für fortgeführtes Unternehmen in der Insolvenz

BayVGH, Beschl. v. 03.08.2022 – 22 ZB 22.1151, WKRS 2022, 30655 (unanfechtbar)

Aus der Begründung:

Rn. 2: Mit Beschluss vom 02.04.2019 eröffnete das AG … das Insolvenzverfahren … Rn. 3: Am 09.04.2020 beantragte der Kläger als Insolvenzverwalter die Gewährung einer Soforthilfe i.H.v. 9.000 Euro nach den Richtlinien für die Gewährung von Überbrückungshilfen des Bundes für die von der Corona-Virus-Pandemie (SARS-CoV-2) geschädigten Unternehmen und Soloselbständigen … (BayMBl 2020, Nr. 175; …). Hierzu erläuterte er, dass der Gewerbebetrieb …, ein Restaurant, durch ihn als Insolvenzverwalter fortgeführt werde. … Rn. 16: Der Kläger meint, allein aus der Tatsache, dass … das Insolvenzverfahren eröffnet gewesen sei, folge nicht, dass das Unternehmen … nicht antragsberechtigt gewesen sei. … Ob es sich um ein neu gegründetes Unternehmen handele oder um ein in der Insolvenz fortgeführtes, sei kein sachliches Unterscheidungskriterium. … Rn. 18: Nach Nr. 2.3 der Soforthilfe-Richtlinien sind Unternehmen nicht antragsberechtigt, die bereits am 31.12.2019 … in wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren. … Rn. 20: Der Kläger kann auch nicht mit seinem Vorbringen durchdringen, dass es sich bei dem von ihm fortgeführten Unternehmen rechtlich und wirtschaftlich um ein "neues" Unternehmen handele. … Rn. 21: Das Entstehen eines "neuen" Unternehmens ergibt sich … auch nicht aus § 80 Abs. 1 InsO. … Der Schuldner bleibt Eigentümer des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens bzw. Inhaber der dazu gehörenden Rechte und Gläubiger der Forderungen gegen Dritte (…). … Rn. 23: Zu Gunsten des Klägers ergibt sich auch nichts aus seinem Vortrag, … eine Förderung zur Erfüllung von Altverbindlichkeiten zu vermeiden, werde vorliegend nicht gefährdet. … Bezweckt war … eine Begünstigung von Unternehmen, deren Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz gerade auf die Pandemie zurückzuführen war. Dies war hier nicht der Fall, denn bereits am 02.04.2019, also rund neun Monate vor Ausbruch der Pandemie, war das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin eröffnet worden.

 


Masseunzulänglichkeit
 

InsbürO 2022, 486: Keine Änderung der insolvenzrechtlichen Rangfolge durch Eintritt der Neumasseunzulänglichkeit

BAG, Urt. v. 25.08.2022 - 6 AZR 441/21

(6. Senat = u.a. zuständig für Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach einem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens)

Aus der Pressemitteilung des Gerichts:

Der beklagte Insolvenzverwalter hat sich im Laufe des Insolvenzverfahrens nach erfolgter Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit gem. § 208 Abs. 1 InsO im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung in der Folgezeit zunächst auf Neumasseunzulänglichkeit und sodann auf Neu-Neumasseunzulänglichkeit berufen und diese jeweils dem Insolvenzgericht gegenüber angezeigt. … Der von der Arbeitsleistung freigestellte Kläger hat Annahmeverzugsansprüche, die in den Zeitraum nach der „Neumasseunzulänglichkeitsanzeige“ des Beklagten (= Insolvenzverwalters) fallen, vorrangig mit einer Leistungsklage geltend gemacht. Hilfsweise hat er gestaffelt die Feststellung dieser Ansprüche als Masseverbindlichkeiten begehrt, die jeweils im Rang vor denjenigen Masseverbindlichkeiten stehen, die bis zu der jeweiligen (Neu-)Masseunzulänglichkeitsanzeige begründet worden sind. … Der Leistungsklage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG und des BGH können Ansprüche nur noch mit einer Feststellungsklage geltend gemacht werden, wenn nach erfolgter Anzeige der Masseunzulänglichkeit gem. § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO durch den Insolvenzverwalter die neu zu erwirtschaftende Insolvenzmasse nicht zur Deckung der Neumasseverbindlichkeiten ausreicht. Hat der Insolvenzverwalter nach § 208 Abs. 1 InsO (drohende) Masseunzulänglichkeit angezeigt, ändert sich nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung von BAG und BGH die Rangfolge für die Masseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 InsO nicht, wenn in der Folgezeit die neu zu erwirtschaftende Insolvenzmasse nicht ausreicht, um fällige Neumasseverbindlichkeiten zu decken. Diese sind dann nur noch quotal zu befriedigen. An dieser Rechtsprechung hat der 6. Senat festgehalten. Die InsO regelt abschließend, dass eine Rangfolgenordnung nur einmal erfolgt. Daher findet eine Rangabwertung der Neumasseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO bei erneuter Masseunzulänglichkeit nicht statt. Sog. Neu- bzw. Neu-Neumasseunzulänglichkeitsanzeigen des Insolvenzverwalters entfalten deshalb keine Bindungswirkung i.S.d. § 208 Abs. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter hat folglich die Neumasseunzulänglichkeit im Bestreitensfall darzulegen und zu beweisen.

 


Anfechtungsrecht


InsbürO 2022, 486 f.: Zeitpunkt der Sicherungsgewährung für Anfechtung entscheidend

BGH, Beschl. v. 12.05.2022 – IX ZR 30/21, ZInsO 2022, 1631

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Aus der Begründung:

Die Rechtssache hat keine grds. Bedeutung … Mit Urt. v. 25.03.2021 – IX ZR 70/20, … Rn. 50 f. hat der Senat zu § 3 Abs. 2 AnfG entschieden, dass eine dem Anfechtungsgegner früher als 4 Jahre vor der Anfechtung gewährte Sicherung oder Befriedigung der Vorsatzanfechtung unterliegen kann, wenn der Schuldner das Grundgeschäft mit dem dem anderen Teil bekannten Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen. Der Begriff des Grundgeschäfts i.d.S. meint bei der Gewährung einer Sicherung nicht deren Vereinbarung, sondern das Zustandekommen des gesicherten Anspruchs. Entsprechendes gilt für § 133 Abs. 2 InsO.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Wir hatten die Entscheidung der Vorinstanz (OLG München, Beschl. v. 09.02.2021 – 5 U 6404/20, InsbürO 2021, 291) veröffentlicht. Es ging darum, ob es für die Frist des § 133 Abs. 1 InsO nicht auf den Abschluss des Sicherungsvertrages, sondern auf die Zeitpunkte der Erlösauskehrung ankomme. Der BGH verweist vorstehend nun auf die bereits ergangene Entscheidung zu dieser Thematik. In der Entscheidung vom 25.03.2021 (IX ZR 70/20, ZInsO 2021, 1077) wird ausgeführt: „Rn. 25: Für die Fristberechnung nach § 4 Abs. 1 AnfG kommt es auf den Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung an (…).“ In diesem damaligen Fall ging es um die Frage, ob auch im Falle eines durch Auflassungsvormerkung gesicherten Anspruchs auf (tlw.) unentgeltliche Grundstücksübertragung gem. § 8 Abs. 2 Satz 2 AnfG der Antrag auf Eintragung der Auflassungsvormerkung maßgebend für den Beginn der Vierjahresfrist des § 4 AnfG sei. Der BGH entschied (Rn. 34), dass es für den Insolvenzschutz nach § 106 Abs. 1 InsO nicht auf den Entstehungszeitpunkt des Anspruchs ankomme. Die Sicherungswirkung könne zwar erst nach der Entstehung des Anspruchs geltend gemacht werden, dann jedoch mit rückwirkender Kraft ab Eintragung der Vormerkung.

 

InsbürO 2022, 487: Anfechtung nach § 133 InsO unter Berücksichtigung der neuen Voraussetzungen

LG Heilbronn, Urt. v. 06.07.2022 – Hi 10 O 68/21 (n. rkr.)

Zum Sachverhalt:

Die Beklagte ist eine Gemeinde, welche beim Schuldner die Gewerbesteuer geltend machte. Der Schuldner bat mehrfach in den Jahren um Ratenzahlungen, beglich die abgestimmten Raten aber nicht regelmäßig oder gar nicht. Es gab etliche Zahlungsaufforderungen und Mahnungen der Beklagten. Beim Gerichtsvollzieher waren mehrere Vollstreckungsversuche zu verzeichnen.


Aus der Begründung:

Auch bei umfassender Gesamtwürdigung erreichen die vorliegenden Umstände ein für die Zahlungseinstellung sprechendes Gewicht, das der Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können, gleichzustellen ist (vgl. BGH, Urt. v. 06.05.2021 – IX ZR 72/20 … Rn. 41). … Hinzu kommt, dass bereits im Zeitpunkt der Veranlassung der Überweisungen die Zahlungsunfähigkeit ein solches Ausmaß angenommen hatte, dass eine vollständige Befriedigung der Gläubiger auch in Zukunft nicht zu erwarten war (...). Konkrete Anhaltspunkte dafür, warum der Schuldner zu diesem Zeitpunkt auch im Angesicht der bereits eingetretenen massiven Zahlungsrückstände noch auf eine Verbesserung seiner Vermögenslage und damit einhergehenden künftigen Befriedigungsmöglichkeit der Gläubiger hoffen konnte, hat die Beklagte schon nicht vorgetragen. … Auch hatte die Beklagte Kenntnis von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners. … Die deutlichen Rückstände in fünfstelliger Höhe, der von der Beklagten ausgeübte Mahndruck und die erst zum Herbst einsetzenden geringfügigen Zahlungensprechen auch aus der Sicht der Beklagten für eine Zahlungseinstellung, weil alle diese Aspekte unmittelbar aus dem Kontakt mit der Beklagten stammen.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Gegen die Entscheidung wurde Berufung eingelegt, die zum Zeitpunkt der Druckfreigabe beim OLG Stuttgart unter dem Aktenzeichen: 3 U 137/22 geführt wird.

 

Arbeitsrecht


InsbürO 2022, 487: Coronabedingte Betriebsschließung: Kein Arbeitsausfallrisiko des Arbeitgebers und damit Zahlungspflicht für entgangene Entgelte der Arbeitnehmer

BAG, Urt. v. 04.05.2022 – 5 AZR 366/21, ZInsO 2022, 2096

(5. Senat = u.a. zuständig für Arbeitsentgeltansprüche)

Zum Sachverhalt:

Die Klägerin war bei der Beklagten als "Servicekraft für Spielstätten" in Wuppertal beschäftigt. Wegen der Corona-Pandemie und den getroffenen Maßnahmen musste die Beklagte ihre Spielstätten schließen und die Klägerin konnte nicht beschäftigt werden. Sie blieb auf Anordnung der Beklagten der Arbeit fern. Die Beklagte zahlte keine Vergütung. Mit ihr war keine Kurzarbeit vereinbart worden.
 

Aus der Begründung:

Rn. 11: Die Beklagte befand sich im Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB), weil sie die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum nicht beschäftigt hat. … Rn. 15: Nach der Rechtsgrundverweisung des § 615 Satz 3 BGB (…) bleibt dem arbeitsfähigen und arbeitswilligen Arbeitnehmer im Falle der Annahmeunmöglichkeit der Vergütungsanspruch aufrechterhalten, wenn der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. An Letzterem mangelt es im Streitfall. … Rn. 18: 183. Ob zu dem vom Arbeitgeber nach § 615 Satz 3 BGB zu tragenden Betriebsrisiko auch eine im Rahmen der Bekämpfung einer Pandemie - wie derjenigen der Corona-Pandemie - hoheitlich angeordnete (vorübergehende) Betriebsschließung gehört, ist im Schrifttum umstritten (…). Die Beantwortung der Frage … bedarf der Differenzierung (...): … Rn. 23: Dagegen trägt der Arbeitgeber nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn die behördlich verfügte Betriebsschließung im Rahmen allgemeiner Maßnahmen staatlicher Stellen zur Pandemiebekämpfung erfolgt und - betriebsübergreifend - zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden. … Rn. 25: Liegen die Voraussetzungen für Kurzarbeit vor, … dürfte der Arbeitgeber … aufgrund seiner Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet sein, von diesem Instrument Gebrauch zu machen und seinen Beschäftigten den Bezug von Kurzarbeitergeld zu ermöglichen. … Wie weit die Handlungspflichten der Beklagten im vorliegenden Fall reichten, bedarf keiner Entscheidung, weil die Klägerin aufgrund ihrer Eigenkündigung kein Kurzarbeitergeld hätte beziehen können. … Rn. 32: … Infolgedessen hat die Klägerin für diese Zeit keinen Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nach § 615 Satz 3 i.V.m. Satz 1, § 611a Abs. 2 BGB. … Rn. 34: … Die hoheitlichen Eingriffe dienten … allgemeinen epidemiologischen und gesundheitspolitischen Zielen.

 

Insolvenztabelle
 

InsbürO 2022, 484 f: Nachträgliche Anmeldung von Tatsachen zu Steuerstraftaten in der Insolvenztabelle

BFH, Urt. v. 28.06.2022 - VII R 23/21, ZInsO 2022, 2202

Leitsatz des Bearbeiters:

Die Finanzverwaltung kann im Wege des Bescheids auf einen Widerspruch des Schuldners gegen eine als Forderung aus Steuerhinterziehung angemeldete Steuerforderung feststellen, dass eine rechtskräftige Verurteilung des Schuldners wegen einer Steuerstraftat vorliegt.   
 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Der Bundesfinanzhof bestätigt mit dieser Entscheidung die finanzgerichtliche Rechtsprechung nach der die Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Widerspruch des Schuldners gegen einen als Forderung aus Steuerhinterziehung angemeldeten Anspruch bei den Finanzgerichten liegt. Es stellt sich damit deutlich gegen OLG Hamm (Urt. v. 14.12.2018 - 7 U 58/17, InsbürO 2019, 273), das mit guten Gründen den Zivilgerichtsweg angenommen hat. Der BFH betont, dass die finanzgerichtliche Zuständigkeit anzunehmen sei, da es nicht um die Feststellung einer Steuerstraftat, sondern allein um die Feststellung des Vorliegens einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Steuerstraftat gehe. Schuldner sollten vor dem Hintergrund dieser Entscheidung unbedingt Feststellungsbescheide der Finanzämter beachten und diese nicht als offensichtlich fehlerhaft ansehen.

Der BFH folgt aber immerhin in der Frage, bis wann ein Anspruch als besondere Forderung aus Steuerhinterziehung angemeldet werden kann, dem BGH und nimmt als letzte Anmeldemöglichkeit den Schlusstermin an. Wird der Schuldner bis zu diesem Termin nicht rechtskräftig wegen einer Steuerstraftat verurteilt, greift § 302 Nr. 1 1. HS InsO nicht und der Schuldner erlangt Restschuldbefreiung.

 

InsbürO 2022, 481 f.: Zu den Voraussetzungen für die Aufnahme eines Rechtsstreites betr. Zug-um-Zug-Vollstreckungstitel in der Insolvenztabelle

BGH, Urt. v. 11.08.2022 - IX ZR 78/21, WKRS 2022, 30661

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtliche Leitsätze:

  1. Es obliegt dem Bestreitenden, seinen Widerspruch zu verfolgen, wenn ein Gläubiger neben einem auf Zahlung Zug um Zug lautenden Titel auch über einen weiteren Titel verfügt, mit dem die Voraussetzungen für eine Zwangsvollstreckung aus dem Zug-um-Zug-Titel nachgewiesen werden.
     
  2.  Bei einem unterbrochenen Rechtsstreit handelt es sich um einen anhängigen Rechtsstreit über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung, wenn die angemeldete Forderung Gegenstand des Rechtsstreits ist und der Rechtsstreit Fragen betrifft, die für die Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle erheblich sind.
     
  3.  Die Wirksamkeit der Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter hängt nicht von den Erfolgsaussichten seiner Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ab.


Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Bearbeitung der Insolvenztabelle birgt immer wieder spannende Fragen. Vorstehend geht es um eine titulierte Zug-um-Zug-Forderung. Die Klägerin hatte diese uneingeschränkt zur Insolvenztabelle angemeldet. Daher hat der Insolvenzverwalter diese vermutlich in die Insolvenztabelle aufgenommen. Die Anmeldung einer Zug-um-Zug-Leistung zur Insolvenztabelle ist nämlich nicht zulässig (BGH, Urt. v. 23.10.2003 - IX ZR 165/02, ZInsO 2003, 1138), so dass die Eintragung in die Insolvenztabelle durch das Insolvenzbüros bei ausdrücklicher Anmeldung abzulehnen wäre. Dazu führt der BGH in dieser damaligen Entscheidung aus: „Die von der Revision geforderte rechtliche Gestaltungsmöglichkeit, auch Zug-um-Zug-Leistungen zur Insolvenztabelle anmelden zu können, gäbe dem Gläubiger entgegen §§ 45, 174 Abs. 2 InsO das insolvenzfeste Recht, den Kaufvertrag gegen den Willen des Insolvenzverwalters - wenn auch hinsichtlich des Kaufpreisrückzahlungsanspruchs auf die Quote beschränkt - rückabzuwickeln. Hierfür gibt es keine gesetzliche Grundlage (...). Der Vertrag zwischen der Leasinggesellschaft und der Schuldnerin, auf den der Kläger seinen Rücknahmeanspruch gegen den Beklagten stützt, wirkt als schuldrechtliche Vereinbarung nur nach Maßgabe der §§ 103 ff. InsO gegen die Insolvenzmasse (…). Diese Vorschriften sind nicht abdingbar (§ 119 InsO).“ Nachdem der Insolvenzverwalter diese also ohne Einschränkung angemeldete Forderung in die Insolvenztabelle aufgenommen und bestritten hat, war nun die Frage zu klären, wer die Aufnahme des Rechtsstreites i.S.d. § 180 Abs. 2 InsO zu betreiben hat. Der BGH bestätigt den Insolvenzverwalter in seinem diesbezüglichen Antrag. Der Insolvenzverwalter habe ein Rechtsschutzbedürfnis, weil er eine titulierte Forderung bestritten habe und es ihm somit nach § 179 Abs. 2 InsO obliege, den Widerspruch zu verfolgen. Da ein Rechtsstreit bereits vor Insolvenzeröffnung anhängig war, könne er das Bestreiten in diesem Rechtsstreit durch Aufnahme desselben klären. Die Besonderheit der Zug-um-Zug-Leistung verhindere dies nicht.

 

Immobilienvermögen


InsbürO 488: Keine Pflicht des Insolvenzverwalters zur Angabe seines privaten Wohnorts oder seines Geburtsdatums zur Eintragung in das Grundbuch

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 02.08.2022 - 19 W 111/21, ZInsO 2022, 2306 (rkr.)

Amtlicher Leitsatz:

Vom Insolvenzverwalter kann auch in Ansehung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 GBV nicht verlangt werden, dass er seinen privaten Wohnort oder sein Geburtsdatum zur Eintragung in das Grundbuch angibt; es genügt die Angabe des Ortes des Kanzleisitzes.


Sachverhalt und Begründung in Auszügen:

Der Gläubiger ist Insolvenzverwalter. Am … beantragte er - wobei er im Rubrum die Parteibezeichnung "A. H. als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn H. P., (...)" verwendete -, eine Sicherungszwangshypothek am Miteigentumsanteil an dem im Rubrum näher bezeichneten Grundstück wegen einer Forderung von … einzutragen. … Der Annahme des Grundbuchamtes, das Gesetz lasse Ausnahmen von der Verpflichtung zur Wohnortangabe bei fehlendem Geburtsdatum nicht zu, steht die Formulierung des Gesetzes entgegen, wonach der Wohnort eingetragen werden "soll". Als Soll-Vorschrift gilt eine gesetzliche Bestimmung, die ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zwar für den Regelfall, aber nicht zwingend vorschreibt (…). … Die Bezeichnung des Berechtigten - hier des Gläubigers einer Sicherungszwangshypothek - im Grundbuch soll diesen so genau kennzeichnen, dass nach Möglichkeit jeder Zweifel über seine Person und jede Verwechselung ausgeschlossen ist und hierdurch die Klarheit des Grundbuchs erhalten wird (…) Diesem Zweck kann auch genügt werden, indem der Kanzleisitz des Gläubigers eingetragen wird, etwa ergänzt um die Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" oder die klarstellende Angabe "Kanzleisitz" vor der Ortsangabe. Jedenfalls mit solchen Zusätzen ist die Auffindbarkeit und Unterscheidbarkeit des Gläubigers in jeder Weise gewährleistet. … Es ist auch nachvollziehbar, dass der Insolvenzverwalter die Angabe seines Geburtsdatums und seines Wohnortes im Grundbuch vermeiden möchte. … Da es zu den Aufgaben des Insolvenzverwalters gehört, Insolvenzschuldnern nachteilige und ihre Lebensführung möglicherweise erheblich belastende Entscheidungen zu treffen, erscheint es ohne weiteres nachvollziehbar, dass er ein Bekanntwerden von Geburtsdatum und/oder Wohnanschrift vermeiden möchte. Derartige Angaben sind nämlich geeignet, Belästigungen des Insolvenzverwalters und Übergriffe in dessen privaten Bereich deutlich zu erleichtern.


Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen, weil Gründe für eine Zulassung nicht vorgelegen hätten.

 

 

Vergütungsrecht


InsbürO 2022, 488: Abzug von bezahlten Vergütungen für Dienstleistungen von der Verwaltervergütung

AG Fürth, Beschl. v. 15.08.2022 – IN 25/16, ZInsO 2022, 2388 (rkr.)

Aus der Begründung:

Mit Rücksicht auf Art und Umfang des Verfahrens wird die Ansicht vertreten, dass vorliegend die Besorgung der Buchführung mit der Regelvergütung abgegolten ist und durch eigene Kapazitäten erledigt hätte werden können, ohne auf die Unterstützung eines Dienstleisters zurückzugreifen. … Dies gilt ebenso für das Honorar des Rechtsanwalts für Arbeitsrecht Z, das aus der Masse gezahlt wurde: Grds. mag der Insolvenzverwalter zwar befugt sein, zur Erledigung besonderer Aufgaben Dienstleister zu beauftragen, doch die Vergütung des Dienstleisters darf nicht unangemessen sein: Vorliegend waren zwei Arbeitsverhältnisse abzuwickeln. Auch hier gilt nach dem Erachten des Gerichts, dass es sich mit Rücksicht auf Art und Umfang des Verfahrens um die Erfüllung einer Regelaufgabe des Insolvenzverwalters handelt, deren Erfüllung aber die Masse nicht durch die Beauftragung eines Dienstleisters belasten sollte.

 

          

Insolvenzverwalteramt
 

InsbürO 2022, 488 f.: Entlassung eines Insolvenzverwalters wg. fehlender Unabhängigkeit

LG Leipzig, Beschl. v. 27.06.2022 – 08 T 23/22, ZInsO 2022, 1757

Zum Sachverhalt:

Am 22.09.2021 gab der Insolvenzverwalter im Rahmen einer Besprechung zum Verfahrensablauf … bekannt, dass er den Anlegern gern die Möglichkeit eines gemeinsamen Vertreters, ähnlich dem Schuldverschreibungsgesetz, anbieten würde. … Am 28.09.2021 verfasste der Beschwerdegegner ein Schreiben, welches anschließend an alle Gläubiger versandt wurde, in welchem er für den Fall, dass der Adressat "nicht bereits anwaltlich vertreten oder an einer eigenen Terminwahrnehmung gehindert" sei, auf die Möglichkeit hinwies, einen von zwei namentlich genannten Rechtsanwälten mit einer kostenlosen Vertretung im Berichtstermin zu beauftragen. Dem Schreiben waren vorformulierte "Stimmrechtsvollmacht"-Erklärungen für RA … und RA … beigefügt. ... Mit … Schriftsatz … hat der Gläubiger beantragt, den Insolvenzverwalter aus wichtigem Grund aus dem Amt zu entlassen. …
 

Aus der Begründung:

Die sofortige Beschwerde ist … begründet, denn die Voraussetzungen für die Entlassung des Insolvenzverwalters durch das Insolvenzgericht gem. § 59 Abs. 1 Satz 3 InsO liegen vor. Die Entlassung des Insolvenzverwalters auf Antrag eines Insolvenzgläubigers wie hier setzt gem. § 59 Abs. 1 Satz 3 InsO voraus, dass dies innerhalb von 6 Monaten nach der Bestellung beantragt wird, der Verwalter nicht unabhängig ist und das Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt wird. … Ob der Beschwerdeführer tatsächlich nicht ausreichend neutral war oder ob er in dem Bewusstsein handelte, Zweifel an seiner Unabhängigkeit zu wecken, ist nicht entscheidend, denn es kommt in diesem Zusammenhang lediglich auf die Sicht eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten auf die objektiven Umstände an. Aus diesem Grund kann auch offenbleiben, ob die Verfahrensweise üblich ist.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Rechtsbeschwerde wurde zugelassen, denn die Rechtssache habe hinsichtlich der – nach der Behauptung des Beschwerdegegners "üblichen" – Mitteilung von vertretungsbereiten Personen durch den Insolvenzverwalter an alle Gläubiger als Entlassungsgrund gem. § 59 InsO grds. Bedeutung. Sie wurde auch eingelegt und ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe beim BGH unter dem AZ: IX ZB 29/22 anhängig.

 

InsbürO 2022, 489: Zur Einflussnahme der Gläubiger wg. Aufsicht des Insolvenzverwalters

BayObLG, Beschl. v. 07.09.2022 – 102 VA 192/21, ZInsO 2022, 2131

Zum Sachverhalt:

Die Antragstellerin … begehrt mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung eine Anordnung gegenüber dem Insolvenzgericht, Zwischen- bzw. Schlussrechnungen des Verwalters nebst Belegwesen auf der Geschäftsstelle auszulegen.
 

Aus der Begründung:

Rn. 25: Der Antrag ist unstatthaft, da den Verfahrensbeteiligten im Insolvenzverfahren nur im beschränkten Umfang Beschwerdemöglichkeiten gegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts eingeräumt sind und nach dieser gesetzgeberischen Entscheidung dem Gläubiger kein Rechtsbehelf zusteht, sollte das Gericht dessen Anregung auf aufsichtsrechtliches Einschreiten nicht nachkommen. … Rn. 33: Nichts anderes gilt in Bezug auf das Begehren der Antragstellerin, das Insolvenzgericht zu einem Vorgehen nach § 66 Abs. 2 InsO anzuhalten. Die Norm ist Ausfluss der Aufsichtspflicht (…). § 66 Abs. 2 InsO begründet ebenso wenig wie § 58 InsO einen mittels eines Antrags nach § 23 EGGVG durchsetzbaren Anspruch des Gläubigers oder eines anderen Verfahrensbeteiligten dahingehend, dass das Gericht im Wege der Aufsicht eine Rechnungslegung des Verwalters durchsetzt (vgl. BGH, Beschl. v. 23.09.2010 - IX ZR 242/09, …). Rn. 34: Der Senat hat damit weder darüber zu entscheiden, ob das Insolvenzgericht zu Recht wegen der Bestandskraft des Insolvenzplans abgelehnt hat, den Insolvenzverwalter zur Vorlage einer Zwischen- und/oder Schlussrechnung bzw. des Belegwesens - sei es für das vorläufige oder für das endgültige Insolvenzverfahren - aufzufordern, noch besteht Veranlassung, das Verhältnis von § 66 Abs. 4 InsO zu § 58 InsO näher zu beleuchten. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass der Insolvenzplan eine Zwischenschlussrechnung des Insolvenzverwalters vorsieht. Die von der Antragstellerin insoweit thematisierten Rechtsfragen sind mangels Statthaftigkeit ihres Antrags nicht entscheidungserheblich.
 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen.