19.01.2023

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Januarheft 2023

 

Eröffnungsverfahren

InsbürO 2023, 46: Antragsabweisung wegen fehlender ladungsfähiger Anschrift

AG Düsseldorf, Beschl. v. 28.12.2021 - 503 IN 84/21, ZInsO 2022, 1866 (rkr.)

Aus der Begründung:

Der Eröffnungsantrag … ist unzulässig. Zwar ist nunmehr der der Gesellschaft übersandte Anhörungsfragebogen ausgefüllt an das Gericht zurückgesandt worden. Jedoch verstößt der Eröffnungsantrag gegen § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, der über § 4 InsO Anwendung findet (vgl. BGH v. 12.7.2007, IX ZB 82/04 Rn. 8 …). Danach sind im Rahmen einer Klageschrift bzw. im Rahmen des Eröffnungsantrags die Beteiligten genau zu bezeichnen. Hierbei gehört zur ordnungsgemäßen Bezeichnung auch die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift. Dies stellt keine bloße Soll-Vorschrift dar, sondern ist für eine ordnungsgemäße Klageerhebung/einen ordnungsgemäßen Eröffnungsantrag zwingend, insbesondere dann, wenn diese Angabe ohne weiteres möglich ist (vgl. BGH v. 9.12.1987, IVb ZR 4/87 Rn. 8 …). Die Angabe einer Postfachanschrift ist nicht ausreichend (vergl. … BVerwG v. 13.04.1999 - 1 C 24/97). Verfügt eine Gesellschaft nicht mehr über eine zustellungsfähige Anschrift, ist zwingend die zustellungsfähige Anschrift deren Vertreters anzugeben (vgl. § 170 Abs. 3 ZPO). … Ungeachtet des Umstands, dass ein Mailverkehr in gerichtlichen Verfahren nicht zulässig ist, kam eine Fristverlängerung nicht in Betracht, nachdem nunmehr seit drei Monaten die Schuldnerin ergebnislos auf die Mitteilung einer zustellungsfähigen Anschrift ausdrücklich hingewiesen worden war. … Da die Zulässigkeit des Eröffnungsantrages nunmehr allein daran scheitert, dass sich der Geschäftsführer der Schuldnerin weigert, eine zustellungsfähige Anschrift gegenüber dem Gericht anzugeben, ist es gerechtfertigt, … die Kosten des Verfahrens dem antragstellenden Geschäftsführer I aufzuerlegen.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das LG Düsseldorf hat die eingelegte Beschwerde abgewiesen und die Entscheidung des AG bestätigt (Beschl. v. 7.2.2022 – 25 T 2/22, rkr.). Es fehle an den erforderlichen Voraussetzungen des § 13 InsO. Nach § 13 Abs. 3 InsO hat das Insolvenzgericht den Antragsteller bei einem unzulässigen Eröffnungsantrag unverzüglich aufzufordern, den Mangel zu beheben und ihm hierzu eine angemessene Frist einzuräumen. Wie sich vorstehend ergibt, erfolgte daraufhin keine Behebung des Mangels.

InksbürO 2023, 46 f.: Voraussetzungen für Eröffnungsantrag der Staatsanwaltschaft

OLG Stuttgart, Beschl. v. 09.08.2022 – 302 AR 16/22, ZInsO 2022, 2266 (rkr.)

Aus der Begründung:

Der Antragsteller kann die Insolvenzantragstellung der Staatsanwaltschaft nach § 23 EGGVG nur mit der schlüssigen Behauptung angreifen, ihr sei nach § 111i Abs. 2 StPO die Stellung dieses Antrags versagt gewesen. … Nach § 111i Abs. 2 Satz 1 StPO stellt die Staatsanwaltschaft nur dann einen Antrag auf Eröffnung des Vermögens des Insolvenzschuldners, wenn es mehrere Verletzte gibt und der Wert des in Vollziehung des Vermögensarrestes gesicherten Gegenstands oder des durch dessen Verwertung erzielten Erlöses nicht ausreichen, um die Ansprüche der Verletzten auf Ersatz des Werts des Erlangten, die ihnen aus der Tat erwachsen sind und von ihnen gegenüber der Staatsanwaltschaft geltend gemacht werden, zu befriedigen ("Mangelfall", BT-Drucks. 18/9525, S. 80; …). … Der vorliegende Antrag ist nach diesen Maßstäben unbegründet, denn die Staatsanwaltschaft hat die Voraussetzungen des § 111i Abs. 2 StPO zu Recht angenommen.

InsbürO 2023, 47: Anforderungen an Stundennachweis eines Sachverständigen

OLG Hamm, Beschl. v. 08.08.2022 – 22 U 125/15, ZInsO 2022, 2214 (unanfechtbar)

Leitsätze des Gerichts:

  1. Das Gericht ist gehalten, die vom Gerichtssachverständigen in Rechnung gestellte Vergütung einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen. Anlass zur Nachprüfung besteht insbesondere dann, wenn der angesetzte Zeitaufwand im Verhältnis zur erbrachten Leistung ungewöhnlich hoch erscheint.
  2. Um eine Prüfung der Vergütungsabrechnung zu ermöglichen, ist der Sachverständige verpflichtet, eine Aufschlüsselung der einzelnen Arbeitsabschnitte mit dem hierfür verbundenen Zeitaufwand vorzunehmen.
  3. Gibt das Gericht dem Sachverständigen im Rahmen der Prüfung der Vergütung auf, die mit den angesetzten Stunden verbundenen Arbeitsschritte näher zu konkretisieren und kommt der Sachverständige dieser Auflage nicht nach, kann dies eine Kürzung der erstattungsfähigen Vergütung auf ein angemessenes Maß zur Folge haben.

Aus der Begründung:

In Ansatz gebracht werden kann nach der gesetzlichen Regelung nicht die tatsächlich aufgewendete, sondern nur die erforderliche Zeit. … Dabei sind der Umfang des ihm unterbreiteten Streitstoffes, der Grad der Schwierigkeit der zu beantwortenden Fragen unter Berücksichtigung seiner Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang seines Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschl. v. 16.12.2003 - X ZR 206/98 Rn. 11, … m.w.N.). … Zwar darf das Gericht grds. davon ausgehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit als richtig anzunehmen sind. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Angaben des Sachverständigen jeglicher, gerichtlicher Kontrolle entzogen sind. Vielmehr hat eine Plausibilitätsprüfung der Rechnung zu erfolgen (…).

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2023, 39 f.: Herausgabeanspruch gegen Dritten nach Versuch der Vermögensverschleierung

LG Bielefeld, Urt. v. 16.09.2022 – 1 O 256/21 (nicht rechtskräftig)

Leitsatz der Bearbeiterin:

Bei der Umleitung von Geldbeträgen durch eine Schuldnerin auf das Konto eines Dritten mit dem Ziel, das Vermögen nicht in die Insolvenzmasse fließen zu lassen, besteht ein Auszahlungsanspruch des Insolvenzverwalters gegen den Dritten, weil der Dritte den Herausgabeanspruch wegen der Insolvenzeröffnung nicht mehr wirksam gegenüber der Schuldnerin erfüllen kann, § 362 Abs. 1 BGB.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der Entscheidung liegt das Fehlverhalten einer Schuldnerin zugrunde, die nach der Insolvenzeröffnung versuchte, Geldbeträge außerhalb des Pfändungsschutzes für sich und damit an der Insolvenzmasse vorbei zu vereinnahmen. Dem Insolvenzverwalter war dies offenbar aufgefallen, so dass er die Rückzahlung von dem Dritten - hier der Tochter - forderte. Dieses Verhalten wird die Schuldnerin vermutlich nunmehr die Erteilung der Restschuldbefreiung kosten, denn es dürften die Versagungstatbestände des § 290 Abs. 1 Nr. 5 und 6 InsO vorliegen: Zum einen hat die Schuldnerin ihre Auskunfts- und Mitwirkungspflichten verletzt, denn sie hätte den Insolvenzverwalter über die nach der Insolvenzeröffnung anstehende Zahlung von Schmerzensgeld informieren müssen. Zum anderen wird vielleicht auch die bei Antragstellung abgegebene Vermögensübersicht bewusst fehlerhaft sein, denn es steht zu vermuten, dass sie auch dort das Schmerzensgeld nicht aufgeführt hat. Durch die bewusste Entscheidung, die Gläubiger zu schädigen und die Insolvenzmasse zu schmälern, dürfte die Frage des Vorsatzes hier auch eindeutig zu beantworten sein. Es werden in der vorstehenden Entscheidung mehrere interessante Sachverhalte angesprochen: Die Unwirksamkeit der Verfügung der Schuldnerin, der fehlende Pfändungsschutz aufgrund u.a. anderer Einkommensbezüge und auch der fehlende Gutglaubensschutz. Die tlw. detektivische Arbeit der Insolvenzbüros hat sich hier jedenfalls wieder einmal gelohnt: Nach der ersten Instanz gibt es die Hoffnung auf einen Ausgleich des entstandenen Schadens. Das macht Mut für zukünftige Fälle, allerdings ist ein Berufungsverfahren beim OLG Hamm unter dem AZ: I-24 U 203/22. anhängig.

 

Restschuldbefreiungsverfahren

InsbürO 2023, 43 f.: Versagung der Restschuldbefreiung durch willkürliche Nichtanwendung von Übergangsvorschrift durch das Insolvenzgericht

BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 29.7.22 - 2 BvR 1154/21, ZInsO 2022, 2018 (unanfechtbar)

Leitsatz des Bearbeiters:

Das Willkürverbot wird in einem Verfahren über die Versagung der Restschuldbefreiung verletzt, wenn das Beschwerdegericht die einschlägige Übergangsvorschrift des Art. 103h EGInsO nicht berücksichtigt und entgegen dem eindeutigen Wortlaut von § 290 Abs. 1 InsO a.F. eine schriftliche Antragstellung der Gläubiger auf Versagung der Restschuldbefreiung zugelassen hat, ohne dafür eine nachvollziehbare Begründung zu geben.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Die Verfahren über die Versagung der Restschuldbefreiung sind gerade hinsichtlich ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen anspruchsvoll. Es ist daher nachvollziehbar, wenn alle Verfahrensbeteiligten einschließlich der zuständigen Richterinnen und Richter mit diesen Verfahren ihre Schwierigkeiten haben. Nicht mehr nachvollziehbar ist allerdings, wenn wie vorliegend einschlägige und auch eindeutige Entscheidungen des BGH im Verfahren nicht beachtet werden. Das BVerfG hat die Entscheidung des Landgerichts daher zu Recht aufgehoben.

Das BVerfG hat damit in den letzten Jahren bereits dreimal über Beschwerden aus den Insolvenzverfahren der natürlichen Personen zugunsten der Schuldner entschieden: 2016 stellte es fest, dass der Schuldner nicht verpflichtet ist, dem Insolvenzverwalter Auskunft über den mit einer gem. § 35 Abs. 2 InsO freigegebenen Selbstständigkeit erzielten Gewinn zu erteilen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss v. 07.12.2016 - 2 BvR 1602/16, ZVI 2017, 164). 2020 folgte die Entscheidung, dass die Rechtsfragen, welche Anforderungen an die persönliche Beratung des Schuldners nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO n.F. zu stellen sind, und ob insbesondere eine telefonische Beratung zulässig ist, von grds. Bedeutung und ungeklärt sind (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss v. 04.09.20 - 2 BvR 1206/19, ZVI 2020, 424). Diese letzte Entscheidung führte zum Beschluss des BGH vom 24.02.2022 (IX ZB 5/21, ZVI 2022, 189), die wichtigen Ausführungen zur Bedeutung der Schuldnerberatung in den außergerichtlichen Verhandlungen enthält. Die Verfassungsbeschwerde ist daher auch in den Insolvenzverfahren der natürlichen Personen eine durchaus zu berücksichtigende Möglichkeit, um Rechtsverletzungen der Insolvenz- und Beschwerdegerichte entgegen zu treten.

 

Einkommen

InsbürO 2023, 45 f.: Freigabe der Energiepreispauschale aus dem Insolvenzbeschlag nach § 765a ZPO

AG Lüneburg, Beschl. v. 15.09.2022 – 46 IK 75/18, ZInsO 2022, 2494

Leitsatz der Bearbeiterin:

Eine Unpfändbarkeit der Energiepreispauschale scheidet wegen dem fehlenden Charakter der Lohnzahlung und der fehlenden zweckgebundenen Leistung aus. Aber eine Freigabe nach § 765a ZPO kommt wegen einer unbilligen Härte des Schuldners in Betracht.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das AG Lüneburg hat ebenso wie das AG Norderstedt (Beschl. v. 15.09.2022 - 66 IN 90/19, InsbürO 2022, 441) die Anwendung der einschlägigen Pfändungsschutzvorschriften (§§ 850 ff., 851 ZPO) abgelehnt, weil es sich bei der Energiepreispauschale weder um eine Lohnzahlung handelt, noch es eine zweckgebundene Regelung für sie gäbe. Es sieht aber eine besondere Härte für Insolvenzschuldner, denen sowieso nur der monatliche Pfändungsfreibetrag bleiben würde. Damit begründet das AG Lüneburg die Freigabe nach § 765a ZPO. Das AG Norderstedt hatte dazu keine Entscheidung treffen müssen, weil der Schuldner in dem betreffenden Verfahren keinen Vortrag dazu geleistet hatte. Das AG Norderstedt hatte nur darauf hingewiesen, dass hohe Hürden an einem Pfändungsschutz nach § 765a ZPO zu stellen seien. Es gibt inzwischen eine weitere Entscheidung des AG Wolfratshausen (Beschl. v. 20.10.2022 – IK 130/21, InsbürO 2022, … (in diesem Heft) = ZInsO 2022, …), welche die Vorschrift des § 765a ZPO als absolute Ausnahmeregelung versteht und die Anwendung nur bei einer Vollstreckung erfolgen könne, die eine unbillige Härte für den Schuldner darstelle.

InsbürO 2023, 40 f.: Umfang des Pfändungsschutzes für eine Abfindungszahlung

AG Hannover, Beschl. v. 26.04.2022 - 906 IK 1060/20 – 8, ZInsO 2022, 2384

Leitsatz des Bearbeiters:

Bei der Berechnung des dem Schuldner von einer arbeitsrechtlichen Abfindung gem. § 850i ZPO pfandfrei zu belassenden Anteils sind Leistungen an den Schuldner nach SGB II und SGB XII nicht zu berücksichtigen.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Das AG Hannover hatte sich hier mit einem Antrag nach § 850i ZPO auf Freigabe einer arbeitsrechtlichen Abfindung zu befassen. Die arbeitsrechtliche Abfindung ist als einmalige Leistung des Arbeitgebers Bestandteil des Arbeitseinkommens (BGH, Urt. v. 11.5.2010 - IX ZR 139/09 Rn. 11), die nicht nach der Pfändungstabelle in einen pfändbaren und einen unpfändbaren Anteil zu trennen, sondern nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben grundsätzlich voll pfändbar und massezugehörig ist. Der Schuldner kann aber über einen Antrag nach § 850i ZPO eine komplette oder teilweise Freigabe der Abfindung erreichen, um den ihm mit der Arbeitslosigkeit entstehenden wirtschaftlichen Nachteil auszugleichen. Nach der Rechtsprechung wird dem Schuldner ein aus den individuellen Verhältnissen folgender Betrag freigegeben, der ihm sein vorheriges Einkommen für einen angemessenen weiteren Zeitraum auch nach Eintritt der Arbeitslosigkeit von bspw. 6, 12 oder auch 24 Monaten sichern und so den Übergang in die Arbeitslosigkeit abfedern soll (vgl. LG Wuppertal, ZVI 2019, 436; AG Münster, NZI 2017, 357; LG Bochum, ZVI 2010, 479; LG Duisburg v. 11.6.2012 - 7 T 68/12).

Schwierigkeiten im vorliegenden Fall waren offensichtlich ein unbestimmter Antrag der Schuldnerin und ihre noch nicht geklärte Einkommenssituation nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Diese Schwierigkeiten lassen sich oft nicht vermeiden, da Bescheide zu Arbeitslosengeld oder anderen Leistungen noch nicht vorliegen. Da ein Schuldner aber hinsichtlich seiner Einkommenssituation darlegungs- und beweispflichtig ist, sollte er zunächst beantragen, den vom Arbeitgeber anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlten Abfindungsbetrag gem. § 850i ZPO in angemessenen Umfang pfandfrei zu stellen, um dann später die erforderlichen Angaben zu seinem aktuellen Einkommen nachzureichen.

InsbürO 2023, 47: Keine Unpfändbarkeit der Energiepreispauschale

AG Wolfratshausen, Beschl. v. 20.10.2022 – IK 130/21, ZInsO 2022, 2598 (rkr.)

Aus dem Sachverhalt und den Entscheidungsgründen in Auszügen:

Der Insolvenzverwalter forderte den Schuldner … auf, den Nettobetrag aus der Energiepreispauschale auf das Insolvenzanderkonto auszuzahlen, da es sich seiner Auffassung nach um eine pfändbare Einnahme handelt, die somit dem Insolvenzbeschlag unterliegt. Der Schuldner beantragte hierauf die Freigabe des gegenständlichen Betrags und beruft sich hierzu hauptsächlich auf eine Unpfändbarkeit der Energiepreispauschale gem. § 851 ZPO und zieht den Vergleich zu den Auszahlungen von Corona-Beihilfen. … Eine konkrete Zweckbindung oder eine Regelung über die Möglichkeit der Abtretung oder (Ver)Pfändung wurde hingegen vom Gesetzgeber an keiner Stelle geregelt. Es bleibt dem Schuldner also – anders als bei den Corona-Beihilfen – selbst überlassen, wofür er den Betrag verwendet. Hier findet keinerlei Kontrolle statt, ob der Schuldner den Betrag tatsächlich für die gestiegenen Energiekosten oder anderweitig verwendet … Eine Unpfändbarkeit gem. § 851 ZPO ist somit mangels Zweckbindung ausgeschlossen. Auch andere denkbare Wege, welche u.U. zu dem Ergebnis kommen könnten, dass hinsichtlich der Energiepreispauschale keine Massezugehörigkeit vorliegen könnte, sind vorliegend nicht einschlägig. … Vorliegend käme noch eine Auslegung des Antrags des Schuldners nach § 765a ZPO in Betracht. Die Vorschrift des § 765a ZPO ist als absolute Ausnahmeregelung zu verstehen, welche zur Voraussetzung hat, dass die Voll-streckung für den Schuldner eine unbillige Härte darstellt. Hiervon ist jedoch aufgrund der vom Insolvenzverwalter in seiner Stellungnahme … zutreffend geschilderten Einkommenssituation des Schuldners nicht auszugehen und wurde von diesem auch nicht dargelegt.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Dies ist – soweit ersichtlich – die dritte Entscheidung zur Frage der Pfändbarkeit der EPP. Alle drei Gerichte (AG Lüneburg, Beschl. v. 15.09.2022 – 46 IK 75/18, InsbürO 2022, … - in diesem Heft – und AG Norderstedt, Beschl. v. 15.09.2022 - 66 IN 90/19, InsbürO 2022, 441) sehen aufgrund der fehlenden gesetzlichen Regelungen keinen Pfändungsschutz in den einschlägigen Normen, sondern nur die Möglichkeit einer Freigabe nach § 765a ZPO aufgrund besonderer Härte. Das AG Lüneburg hatte diese sodann auch erklärt. In den Verfahren des AG Norderstedt und AG Wolfratshausen waren solche Anträge nach § 765a ZPO nicht konkretisiert worden, so dass keine Entscheidung zu treffen war. Es bleibt daher abzuwarten, wie weitere Instanzgerichte solche künftigen Anträge bescheiden werden.

InsbürO 2023, 42 f.: Kein Anspruch auf Wiedereinstellung in der Insolvenz

BAG, Urt. v. 25.5.2022 – 6 AZR 224/21, ZInsO 2022, 2197

Auszug aus den amtlichen Leitsätzen:

1. Kündigungsschutzprozesse werden durch die Insolvenzeröffnung nach § 240 ZPO unterbrochen, wenn durch die Klage das Arbeitsverhältnis zur Masse aufrechterhalten werden soll.

4. Der von der Rechtsprechung zur Korrektur einer fehlerhaften Prognose über den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs bei betriebsbedingter Kündigung entwickelte Wiedereinstellungsanspruch besteht jedenfalls in der Insolvenz nicht. Der zur Durchsetzung dieses Anspruchs erforderliche Kontrahierungszwang ist mit der Systematik der Insolvenzordnung nicht vereinbar. Der Verwalter ist durch § 108 Abs. 1 InsO nur an bereits vom Schuldner begründete Arbeitsverhältnisse gebunden. Außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Bestimmung werden der Masse keine Arbeitsverhältnisse oktroyiert.

5. Darum erlischt ein bereits gegen den späteren Schuldner oder einen Erwerber begründeter Anspruch auf Wiedereinstellung mit Insolvenzeröffnung. Kündigt der Insolvenzverwalter ein Arbeitsverhältnis wirksam, das der Masse nach § 108 Abs. 1 InsO oktroyiert worden ist, entsteht auch bei späterem Betriebsübergang kein Wiedereinstellungsanspruch. Das gilt unabhängig davon, ob der Übergang vor oder nach Ende der Kündigungsfrist erfolgt.

Anmerkung Notarassessor Robert Weber, LL.M., Sömmerda:

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Sie beendet für die Praxis einen Streit, nachdem das BAG die Frage eines Wiedereinstellungsanspruchs innerhalb eines Insolvenzverfahrens noch vor Ablauf der Kündigungsfrist ausdrücklich offenließ (BAG v. 13.5.2004 - 8 AZR 198/03). Das erleichtert Sanierungen. Potenzielle Interessenten würden sonst ggf. durch die unkalkulierbare Gefahr aufgezwungener, wiedereinzustellender Arbeitnehmer vom Erwerb absehen oder das Risiko einpreisen.

 

Steuerrecht

InsbürO 2023, 48: Zur Haftung der Organgesellschaft

BFH, Urt. v. 05.04.2022 – VII R 18/21, ZInsO 2022, 2369

Leitsätze des Gerichts:

  1. Die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers gem. § 73 AO beschränkt sich nicht notwendig auf solche Steuern, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind.
  2. Die Organgesellschaft kann in dem Umfang haften, in dem der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann.

Aus der Begründung:

Rn. 1: Streitig ist, ob eine ehemalige Organgesellschaft nach § 73 AO auch für die während des Bestehens der Organschaft steuerrechtlich noch nicht entstandene Umsatzsteuer in Haftung genommen werden kann. … Rn. 22: Grds. werden … jegliche Umsätze der Organgesellschaft einschließlich der Verwirklichung der Entnahmetatbestände und der übrigen Umsätze nach § 1 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 UStG dem Organträger zugerechnet. Dieser ist Schuldner der auf diese Umsätze entfallenden Umsatzsteuer. Er hat alle Pflichten zu erfüllen, die sich aus § 18 UStG für den Unternehmer ergeben. Er allein gibt Voranmeldungen und Jahreserklärungen für den gesamten Organkreis ab. Die Organgesellschaft hat grds. keine Steuererklärungspflicht (vgl. BFH v. 11.12.2019 – XI R 16/18, …). … Rn. 26: Dieses Verständnis liegt bereits der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Abgabenordnung 1977 in Bezug auf § 73 AO zugrunde. Darin wird ausgeführt, die Haftungsvorschrift finde ihre Rechtfertigung darin, "dass bei steuerlicher Anerkennung einer Organschaft die vom Organträger zu zahlende Steuer auch die Beträge umfasst, die ohne diese Organschaft von der Organgesellschaft geschuldet worden wären" (BT-Drucks VI/1982, S. 120; … BFH 31.05.2017 - I R 54/15], Rz. 9). … Rn. 28: Der Senat sieht … insbesondere nicht, dass sich das Tatbestandsmerkmal "für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist" nach Wortlaut und Systematik der Regelung lediglich auf die jeweilige Steuerart beziehen soll, welche von der Organschaft umfasst wird (…). … Rn. 30: …Anknüpfungspunkt für die Haftung nach § 73 Satz 1 AO ist das Bestehen der Organschaft. Rn. 31: Unter Anwendung der dargestellten Grundsätze kann der Senat nicht abschließend entscheiden, in welcher Höhe die GmbH als ehemalige Organgesellschaft nach § 73 Satz 1 AO haftet. Das FG hat … keine Feststellungen dazu getroffen, in welchem Umfang die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für März 2014 Steuern des Organkreises und nicht originäre Steuern der ehemaligen Organträgerin enthält.

 

Vertragsverhältnisse

InsbürO 2023, 48: Rückzahlung von Arbeitgeberdarlehen an Insolvenzverwalter

LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23.06.2022 – 5 Sa 363/21, ZInsO 2022, 2316 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin. Der Beklagte war bei der Schuldnerin beschäftigt. Zwischen der Schuldnerin und dem Beklagten wurde in Darlehensvertrag über einen Betrag von 50.000,00 € geschlossen. Der Insolvenzverwalter kündigte den Darlehensvertrag und forderte die Rückzahlung der Darlehenssumme.

Aus der Begründung:

Der Beklagte hat den Darlehensbetrag zzgl. der vereinbarten Zinsen unstreitig nicht in Geld zurückgezahlt. Er behauptet, die Rückzahlungsforderung sei durch Verrechnung mit Gegenansprüchen erloschen. … Der Vortrag des Beklagten, er sei bei Vertragsschluss … davon ausgegangen, dass ihm der Darlehensbetrag von 50.000,00 EUR als Gegenleistung für seine bereits in der Vergangenheit erbrachte Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werde, weil er zwischen … Umsätze von über 8 Mio. EUR bei "sehr geringem Entgelt" erwirtschaftet habe, vermag die Klageforderung nicht zu Fall zu bringen. Die Schuldnerin zahlte dem Beklagten ausweislich des vorgelegten Darlehensvertrags kein rückständiges Arbeitsentgelt oder Umsatzboni, sondern gewährte ihm ein (mit einem Darlehenszinssatz von 1,5 % am 01.01.2018 zurückzuzahlendes) Arbeitgeberdarlehen. Der Wortlaut ist eindeutig und lässt keine abweichende Auslegung zu. … Wenn die Schuldnerin dem Kläger für seine Arbeitsleistung … noch ein zusätzliches Nettoentgelt von 50.000,00 EUR hätte gewähren wollen, wäre kein Darlehensvertrag abgeschlossen worden, sondern eine entsprechende Gehaltsnachzahlung (unter Heranziehung der persönlichen Sozialversicherungs- und Steuermerkmale zu einem Bruttobetrag hochgerechnet) erfolgt.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde nicht zugelassen.

 

Vollstreckungsrecht

InsbürO 2023, 48 f.: Keine Vollstreckung von vertretbaren Handlungen während des Insolvenzverfahrens

OLG Brandenburg, Beschl. v. 13.07.2022 – 7 W 45/22, ZInsO 2022, 2241 (rkr.)

Aus der Begründung:

Der Insolvenzverwalter ist nunmehr anstelle des Insolvenzschuldners Beteiligter des Zwangsvollstreckungsverfahrens. … Das Verfahren ist nicht nach § 240 ZPO wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Insolvenzschuldners unterbrochen. Diese Vorschrift ist im Rahmen der Zwangsvollstreckung nicht anwendbar. … Die Folgen des Insolvenzverfahrens für die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner sind durch §§ 88 ff. InsO speziell geregelt. Daneben ist für die Anwendung von § 240 ZPO kein Raum (BGH, Beschl. v. 28.03.2007 - VII ZB 25/05 …). … Gemäß § 89 Abs. 1 InsO sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. Unzulässig ist auch die Vollstreckung der hier … vorliegenden vertretbaren Handlungen gem. § 887 ZPO (…).

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Nach der Rechtsprechung und Kommentarliteratur sind vertretbare Handlungen vom Vollstreckungsverbot erfasst. Ansprüche auf Vornahme einer unvertretbaren Handlung (§ 888 ZPO) bleiben gegen den Schuldner selbst durchsetzbar, so bspw. der Anspruch auf Zeugniserteilung (LAG Köln v. 19.05.2008 – 11 Ta 119/08, ZInsO 2008, 1160). Im vorliegenden Fall wurde die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.

InsbürO 2023, 49: Vollstreckung aus europäischem Titel

BGH, Beschl. v. 07.07.2022 – IX ZB 38/21, ZInsO 2022, 2159

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtlicher Leitsatz:

Ein Antrag auf Versagung der Vollstreckung nach der Brüssel Ia-Verordnung ist unzulässig, wenn der Gläubiger aus einer als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung gegen den Schuldner vorgeht.

Aus der Begründung:

Rn. 8: Die Antragsgegner betreiben die Zwangsvollstreckung aus der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung. Der Antragsteller ist daher auf die insoweit bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten beschränkt. Im Vollstreckungsstaat zählen dazu insbesondere die Anträge auf Verweigerung, Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung nach Art. 21 und 23 der … EuVTVO[1]. Für die Anträge nach Art. 21 und 23 EuVTVO ist in Deutschland das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht ausschließlich zuständig (§ 1084 Abs. 1 ZPO).

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Entscheidung gibt den Anlass dafür, auf die kürzlich erschienene Beitragsreihe von Cranshaw („Grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung in der EU, im Europäischen Wirtschaftsraum, im Rechtsverkehr mit dem Vereinigten Königreich und Drittstaaten“[2]) zu verweisen, in der u.a. Berührungspunkte im Insolvenzverfahren näher dargelegt werden.

InsbürO 2023, 49 f.: Gläubigerantrag auf gerichtliche Anordnung von Fragen zur Konkretisierung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses

BGH, Beschl. v. 07.09.2022 – VII ZB 38/21, ZInsO 2022, 2235

(VII. Zivilsenat = u.a. zuständig für Zwangsvollstreckungsrecht)

Zum Sachverhalt:

Auf Antrag der Gläubigerin erließ das AG … einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, mit dem die fälligen und künftig fälligen Ansprüche der Schuldnerin gegen den Drittschuldner "aus Anwaltsvertrag/Geschäftsbesorgungsvertrag" sowie Schadensersatzansprüche der Schuldnerin aus Anwaltshaftung gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen wurden. Mit Schreiben v. … hat die Gläubigerin beantragt, den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss um eine "Anordnung nach § 836 Abs. 3 ZPO"[3] zu ergänzen, wonach die Schuldnerin gegenüber dem zuständigen Gerichtsvollzieher von der Gläubigerin im Einzelnen vorgegebene Fragen betreffend die gepfändeten, gegen den Drittschuldner gerichteten Ansprüche zu beantworten und ihre Angaben an Eides statt zu versichern habe

Aus der Begründung:

Rn. 9: Zu Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass das Vollstreckungsgericht nicht befugt ist, den Inhalt und Umfang der den Schuldner treffenden Auskunftsverpflichtung nach § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO auf Antrag des Gläubigers durch Auskunfts- oder Offenbarungsanordnungen in dem Überweisungsbeschluss oder einem diesen ergänzenden Beschluss festzulegen. Die Entscheidung, ob eine von dem Gläubiger begehrte Auskunft zur Geltendmachung der Forderung gegenüber dem Drittschuldner nötig ist, obliegt nach dem Gesetz dem Gerichtsvollzieher. Der Antrag der Gläubigerin an das Vollstreckungsgericht, den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss um einen an den Schuldner gerichteten Fragenkatalog zu ergänzen, ist deshalb unzulässig. … Rn. 12: Eine Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts in diesem Zusammenhang widerspräche zudem dem erklärten Ziel des Gesetzgebers der 2. Zwangsvollstreckungsrechtsnovelle, durch die Verlagerung von Kompetenzen auf die Gerichtsvollzieher eine Entlastung der Vollstreckungsgerichte herbeizuführen (vgl. BT-Drucks. 13/341, S. 12 f.). … Rn. 17: Es steht dem Gläubiger, der von dem Schuldner die zur Geltendmachung der gegen den Drittschuldner gerichteten Forderung nötigen Auskünfte nicht erhält, außerdem frei, bei Beauftragung des Gerichtsvollziehers mit der Durchführung des Verfahrens nach § 836 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Fragen aufzulisten, die seines Erachtens für die Durchsetzung der überwiesenen Forderung erforderlich sind (…). Zusätzlich kann er … grds. an dem Termin zur Abgabe der Auskunft und eidesstattlichen Versicherung durch den Schuldner teilnehmen und darauf hinwirken, dass dieser dem Gerichtsvollzieher die aus Sicht des Gläubigers nötigen Auskünfte erteilt.

 

Vergütungsrecht

InsbürO 2023, 50: Kein pauschaler Vergütungszuschlag von 20 % wegen Bauinsolvenz

LG Münster, Beschl. v. 22.07.2022 – 5 T 1570/21, ZInsO 2022, 2051 (unanfechtbar)

Aus der Begründung:

Diesbezüglich ist es zwar anerkannt, dass bei der Abwicklung von Bauinsolvenzen Insolvenzverwalter regelmäßig besondere Schwierigkeiten zu bewältigen, die deutlich von den Aufgaben in einem klassischen Normalverfahren und der darin gegebenen gesetzlichen Aufgabenerfüllung abweichen können (…). Dabei ist aber immer eine "besonders intensive Inanspruchnahme im Einzelfall" erforderlich (...), die der Insolvenzverwalter konkret darlegen und begründen muss (…). Diesen Anforderungen ist der Beschwerdeführer hier nicht nachgekommen. Insofern ist es nicht ausreichend, dass der Beschwerdeführer vorgetragen hat, dass sich der Mehraufwand daraus ergebe, dass die Schlussrechnungen an/von … zum Projekt … habe geprüft werden müssen sowie bis in das Jahr … hinein Mängel- und Folgeschädenanzeigen von fünf Firmen auf ihre sachliche Richtigkeit und Begründetheit geprüft worden seien sowie hinsichtlich zurückbehaltener Gewährleistungseinbehalte und ausgereichter Mängelgewährleistungsbürgschaften mehrfach die Auszahlung bzw. Rückgabe der Sicherheiten nach Ablauf der Gewährleistungsfrist habe angefordert und tlw. durch Mahnbescheid durchgesetzt worden sei. Denn der Beschwerdeführer hat - auch nach entsprechendem Hinweis des Gerichts - insofern weder dargelegt, in welchem zeitlichen Umfang die angeführten Tätigkeiten durchgeführt wurden, insbesondere auch unter Berücksichtigung, dass im Hinblick auf Mängelanzeigen tlw. auch eine rechtsanwaltliche Bearbeitung erfolgte, noch inwieweit dies konkret einen Mehraufwand erforderte gegenüber der Bearbeitung von vergleichbaren Verfahren, in denen ebenfalls etwa eine Forderungsprüfung durchzuführen ist (…).

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der Entscheidung kann man Hinweise darauf entnehmen, wie man einen Zuschlag für die Mehrarbeit bei der Abwicklung einer Bauinsolvenz besser begründen kann. Das Gericht fordert u.a. eine Angabe zum zeitlichen Mehraufwand und eine Aussage zur Tätigkeit einer Forderungsprüfung in vergleichbaren Verfahren. Es gilt also wie eigentlich immer: Keine pauschalen Ausführungen, sondern konkrete Darlegungen im Einzelfall (BGH, Beschl. v. 21.09.2017 -IX ZB 28/14 Rn. 24, InsbürO 2018, 13 = ZInsO 2017, 2307).

 

Insolvenzverwalteramt

InsbürO 2023, 50: Anspruch auf Vorschussrückzahlung gegen ehemaligen Insolvenzverwalter wg. Untreuehandlungen

OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 29.06.2022 – 9 U 1/22, ZInsO 2022, 2049 (n. rkr.)

Sachverhalt und Begründung in Auszügen:

Mit Beschluss v. … entließ das Insolvenzgericht den Beklagten als Insolvenzverwalter vor dem Hintergrund eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Untreue und der Beihilfe zur Untreue zulasten verschiedener Insolvenzmassen aus wichtigem Grund und bestellte den Kläger zum neuen Insolvenzverwalter. … Der Kläger (= neuer Insolvenzverwalter) hat gegen den Beklagten einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB auf Herausgabe des aus der Insolvenzmasse entnommenen Vorschusses auf die Insolvenzverwaltervergütung, da mit Beschluss …, demzufolge der Vergütungsanspruch aufgrund zum Nachteil der Masse begangener strafbarer Handlungen verwirkt ist, der Rechtsgrund für die vorschussweise Entnahme entfallen ist. … Die Verwirkung des Anspruchs auf Entschädigung hat Strafcharakter und soll den Insolvenzverwalter bei Meidung des Verlustes seiner Vergütung dazu anhalten, die ihm gegenüber seinem Auftraggeber obliegende Treuepflicht zu wahren (BGH, Beschl. v. 22.11.2018 – IX ZB 14/18, … Rn. 26). … Eben dieser Sanktionszweck würde unterlaufen, wenn sich der Insolvenzverwalter, der den entnommenen Vorschuss verbraucht, auf Entreicherung berufen könnte. … Der Anspruch des Klägers auf Herausgabe des vom Beklagten entnommenen Vorschusses ist nicht verjährt. … Wie vorstehend … ausgeführt, ist der bereicherungsrechtliche Rückzahlungsanspruch mit der Zurückweisung des Festsetzungsantrags wegen Verwirkung des Anspruchs auf Insolvenzverwaltervergütung mit Beschl. v. … entstanden.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das OLG hat die Revision mit der Begründung zugelassen, dass in der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung ungeklärt erscheint, ob im Fall einer Verwirkung des Anspruchs auf Insolvenzverwaltervergütung die Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Entnahme eines Vorschusses bis zur Zurückweisung des Antrags auf Festsetzung der Insolvenzverwaltervergütung einen Rechtsgrund i.S.d. § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB darstellt oder aber auf den Fortfall des Anspruchs auf Insolvenzverwaltervergütung ex tunc abzustellen sei. Die Revision wurde auch eingelegt und wird zum Zeitpunkt der Druckfreigabe beim BGH unter dem AZ:  IX ZR 153/22 geführt.

InsbürO 2023, 51: Verwirkung des Vergütungsanspruchs des Insolvenzverwalters wegen strafrechtlicher Pflichtverletzung

BGH, Beschl. v. 15.08.2022 – IX ZB 19/21, ZInsO 2022, 2191

(IX. Zivilsenat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Sachverhalt und Begründung in Auszügen:

Rn. 4: Zudem sei es in 18 Insolvenzverfahren des früheren Insolvenzverwalters zu Vergütungsentnahmen ohne Gerichtsbeschluss und zu überhöhten oder doppelten Entnahmen gekommen. … Rn. 7: Ein Insolvenzverwalter ist … nicht verpflichtet, dem Insolvenzgericht vor der Bestellung ungefragt jegliche Pflichtwidrigkeit aus anderen Verfahren mitzuteilen. Daher führt eine unterlassene Offenbarung von Pflichtverletzungen in anderen Insolvenzverfahren grds. nicht zum Verlust des Vergütungsanspruchs. Vielmehr muss die unterlassene Offenbarung der Pflichtverletzungen in anderen Insolvenzverfahren selbst eine schwere, subjektiv in hohem Maße vorwerfbare Verletzung der Treuepflicht darstellen. Denn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet eine enge Begrenzung der Fälle, in denen ein Anspruch auf Vergütung ausgeschlossen ist (…). Rn. 8: Nach den … Feststellungen des Beschwerdegerichts (…) hat der frühere Insolvenzverwalter in dem parallel geführten Insolvenzverfahren (…) eine strafbare Untreue begangen, indem er eine Rechnung des von ihm in seiner Funktion als Sachverständiger im Eröffnungsverfahren beauftragten Sachverständigen- und Auktionatorenbüros B GmbH aus dem Verfahrenskonto beglichen und hierdurch vorsätzlich die Insolvenzmasse verkürzt hat. Dabei hat es sich … nicht um einen Einzelfall, sondern vielmehr um die mehrfach geübte Praxis gehandelt, dass der frühere Insolvenzverwalter Auslagenfür das genannte Sachverständigen- und Auktionatorenbüro bei der Staatskasse einzog, den Rechnungsbetrag dann aber aus der jeweiligen Insolvenzmasse beglich. Insgesamt ist es in 18 weiteren von dem früheren Insolvenzverwalter geführten Insolvenzverfahren zu Pflichtverstößen in einem erheblichen Ausmaß gekommen. Die Annahme des Beschwerdegerichts, der Vergütungsanspruch des früheren Insolvenzverwalters sei unter den gegebenen Umständen auch im vorliegenden Verfahren verwirkt, ist auch unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.

 

Allgemeines

InsbürO 2023, 51: Strafbare Hilfe bei „Firmenbestattung“ trotz berufstypischer Handlungen

BGH, Beschl. v. 09.06.2022 – 5 StR 407/21, ZInsO 2022, 1796

(5. Strafsenat = keine Zuweisung einer Spezialmaterie)

Aus der Begründung:

Das LG hat zu Recht angenommen, dass die im Rahmen der "Firmenbestattungen" vorgenommenen Handlungen den Tatbestand des Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB erfüllen. … Da der Tatbestand mit Blick auf die Gläubigerinteressen auszulegen ist, geht es bei der Tathandlung des Verschleierns zwar in erster Linie um die unrichtige Darstellung der Vermögensverhältnisse. Zu den geschäftlichen Verhältnissen zählt aber auch die (geplante) zukünftige Entwicklung des Unternehmens (vgl. BGH, Beschl. v. 15.11.2012 - 3 StR 199/12, …). … Das LG ist in der rechtlichen Würdigung deshalb rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer bei seinen Tatbeiträgen in Form von Beratungsleistungen "Kenntnis" von der bestehenden Insolvenzantragspflicht hatte und "wusste", dass die bereits umgesetzten und geplanten gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen die Gläubiger und Geschäftspartner täuschen sollten. … Denn weiß der Gehilfe wie hier positiv, dass das Handeln der Haupttäter auf die Begehung von Straftaten abzielt, ist der Beihilfevorsatz auch bei berufstypischen "neutralen" Handlungen gegeben. Es kann daher dahinstehen, ob überhaupt eine berufstypische "neutrale" Handlung des Angeklagten vorlag. Hiergegen könnten die konkreten Beratungsleistungen gegenüber den Schuldnern im Vorfeld der Insolvenzantragstellung sprechen, in deren Rahmen der Angeklagte auch einen Weg aufzeigte, wie der Bestellung anderer Insolvenzverwalter vorgebeugt werden konnte, um selbst als solcher bestellt zu werden, und bei deren Kenntnis das Insolvenzgericht Zweifel an seiner notwendigen Unabhängigkeit i.S.v. § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO hätte hegen müssen (vgl. BGH, Beschl. v. 17.03.2016 - IX AR (VZ) 1/15 …).

InsbürO 2023, 51: Folgen der Nichtbeachtung des ERV[4]

BGH, Beschl. v. 20.09.2022 – IX ZR 118/22, WKRS 2022, 39997

(IX. Zivilsenat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Aus den Entscheidungsgründen:

Rn. 1: Die Nichtzulassungsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen. … Rn. 11: Der Schriftsatz … wurde lediglich auf dem Postweg und per Fax versandt. Das Fax ist kein elektronisches Dokument i.S.d. §§ 130a, 130d ZPO. Rn. 12: Die Übermittlung der Rechtsmittelrücknahme in Form des elektronischen Dokuments war auch nicht gemäß § 130d Satz 2 ZPO entbehrlich. … Rn. 15: Die Klägerin ist auch darauf hingewiesen worden, dass die eingereichten Schriftsätze den Anforderungen der §§ 130a, 130d ZPO nicht genügen, ohne dass der v.g. Formmangel behoben worden wäre.

 


[1] EuVTVO = Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.04.2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen

[2]Teil 1: InsbürO 2021, 19 ff., Teil 2: InsbürO 2022, 56 ff. und Teil 3: InsbürO 2022, 143 ff.

[3] § 836 ZPO - Wirkung der Überweisung, Abs. 3: „Der Schuldner ist verpflichtet, dem Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötige Auskunft zu erteilen und ihm die über die Forderung vorhandenen Urkunden herauszugeben. Erteilt der Schuldner die Auskunft nicht, so ist er auf Antrag des Gläubigers verpflichtet, sie zu Protokoll zu geben und seine Angaben an Eides statt zu versichern. Der gem. § 802e zuständige Gerichtsvollzieher lädt den Schuldner zur Abgabe der Auskunft und eidesstattlichen Versicherung. …“

[4] ERV = Elektronischer Rechtsverkehr