26.04.2023

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

Aprilheft 2023

 

Eigenverwaltung

InsbürO 2023, 164: Beschränkter Zustimmungsvorbehalt in der vorläufigen Eigenverwaltung

AG Ludwigshafen, Beschl. v. 12.12.2022 – 3a IN 389/22 Lu, ZInsO 2023, 107 (rkr.)

Leitsätze aus der Entscheidung:

  1. Auch im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren kann das Gericht besondere Verfügungsbeschränkungen auf Grundlage von § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO[1] erlassen. Nach dem klaren Wortlaut des § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO sollen lediglich die allgemeinen Verfügungsbeschränkungen des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO[2] nicht angeordnet werden. Zwar trifft es zu, dass das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren grds. die Verfügungsbefugnis des Schuldners erhalten will (…). Die besondere Verfügungsbeschränkung greift aber nur punktuell in die Verfügungsbefugnis ein. Zudem kommt eine Anordnung nur bei Erforderlichkeit in Betracht, mithin ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob mildere Mittel vorhanden sind, die gleich geeignet erscheinen, eine nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. In der vorliegenden Konstellation wird die Handlungsfähigkeit des eigenverwaltenden Schuldners durch die Anordnung eines beschränkten Zustimmungsvorbehalts sogar faktisch erweitert, da die Möglichkeit zur Unternehmensfortführung aufgrund fehlender Liquidität ohne die Anordnung gefährdet wäre.
  2. Vor diesem Hintergrund kann das Gericht einen beschränkten Zustimmungsvorbehalt in der tenorierten Form aussprechen, der den vorläufig eigenverwaltenden Schuldner von der Rechtsmacht zur Zahlung an die Sozialversicherungsträger befreit (…). An einer Erforderlichkeit der Anordnung fehlt es, wenn der Schuldnerin eine Bezahlung aus der vorhandenen Liquidität möglich wäre, ohne dass dadurch die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren beeinträchtigt würde. Die Schuldnerin hat im vorliegenden Fall aber hinreichend dargelegt, dass voraussichtlich keine hinreichende Liquidität vorhanden ist.
  3. Weiterhin fehlt es auch nicht im Hinblick auf § 15b Abs. 8 InsO[3] an einer Erforderlichkeit der Anordnung. § 15b Abs. 8 InsO ist nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis anwendbar. Eine analoge Anwendung auf Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung ist nicht möglich (…).
  4. Schließlich ist die bloße Übertragung derKassenführung auf den vorläufigen Sachwalter kein milderes Mittel … Da die Kassenführung nicht teilbar ist, dürfte die vollständige Übertragung der Kassenführung sogar stärker in die Rechte der Schuldnerin eingreifen. Weiterhin ist sehr fraglich, ob der gewünschte Ausschluss von der Strafbarkeit überhaupt eintreten kann, denn die Kassenführungsbefugnis schließt im Verhältnis zu Dritten gerade nicht aus, dass der Schuldner Zahlungspflichten wirksam erfüllen kann (…).
  5. Soweit die Schuldnerin auch die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts für Zahlungen auf Forderungen aus dem Steuerverhältnis i.S.v. § 37 AO beantragt hat, kann dem nicht entsprochen werden. Die Anordnung ist nicht erforderlich. Eine Pflichtenkollision liegt insoweit nicht vor, da die steuerliche Abführungspflicht hinter dem Zahlungsverbot zurücktritt (§ 15b Abs. 3, Abs. 8 InsO).

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2023, 163: Widerruf der Anwaltszulassung bei Vermögensverfall wg. Corona-Pandemie

BGH, Beschl. v. 14.10.2022 – AnwZ (Brfg) 17/22, ZInsO 2022, 2682

Aus der Begründung:

Rn. 9: Soweit der Kläger geltend macht, er sei 15 Jahre lang erfolgreich als Anwalt tätig gewesen und seine finanzielle Schieflage sei durch den Ausbruch der Corona-Pandemie bedingt, stellt auch dies die Richtigkeit des angegriffenen Urteils nicht infrage. Denn für den Widerruf ist nicht entscheidend, aus welchen Gründen der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist und ob er dies verschuldet hat oder nicht (…). Dies gilt auch dann, wenn – wie der Kläger behauptet – sein Vermögensverfall durch die Corona-Krise verursacht worden sein sollte (…).

 

Restschuldbefreiungsverfahren

InsbürO 2023, 160 f.: Widerspruch gegen Deliktsforderung bei „Nichtbelehrungsfällen“

AG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2023 – 513 IK 191/15, ZInO 2023, 290 (rkr.)

(Bestätigung (nebst Klarstellung) von AG Düsseldorf, Beschl. v. 01.07.2014 – 510 IK 125/06, InsbürO 2015, 67 = ZInsO 2014, 2281 ff.; entgegen AG Köln, Beschl. v. 04.06.2019 – 74 IN 7/15, ZInsO 2021, 394 ff.)

Leitsätze des Bearbeiters:

  1. Auf "Nichtbelehrungsfälle" bzgl. der Forderungen nach § 302 InsO sind die Vorschriften der Wiedereinsetzung nicht anwendbar.
  2. In "Nichtbelehrungsfällen" ist der Widerspruch gegen die Geltendmachung nach § 302 InsO jederzeit möglich. Das Gericht hat hierzu eine dem § 234 Abs. 1 ZPO entsprechende Frist zu setzen, sobald es von dem Nichtbelehrungsfall Kenntnis erlangt.
  3. Die Zwangsvollstreckung ist nur hinsichtlich der Vollstreckung nach § 850f Abs. 2 ZPO für unzulässig zu erklären, die Vollstreckung i.Ü. bleibt unberührt.

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Wird der Schuldner entgegen § 175 Abs. 2 InsO nicht ordnungsgemäß belehrt und unterlässt daher einen Widerspruch gegen die Deliktseigenschaft der angemeldeten Forderung, wird die Forderung als deliktisch in die Tabelle eingetragen und nimmt an der Restschuldbefreiung nicht teil, § 302 Nr. 1 InsO. Nach Erteilung der Restschuldbefreiung kann es ein böses Erwachen für den Schuldner geben. Belaufen sich diese Deliktforderungen auf einen höheren Betrag, ist die Restschuldbefreiung wirtschaftlich wertlos.

Die Praxis gewährt dem Schuldner überwiegend Wiedereinsetzung gem. § 4 InsO i.V.m. § 233 ZPO gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist des § 175 Abs. 2 InsO innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO. Die Präklusionsfrist des § 234 Abs. 3 ZPO von einem Jahr gilt nicht, da die Säumnis allein dem Gericht zuzurechnen ist (AG Duisburg, Beschl. v. 26.07.2008 – 62 IN 36/02).

Einen anderen Weg - der aber regelmäßig zum selben Ergebnis führt - geht die vorliegende Entscheidung. Sie stellt darauf ab, dass ein (nachträglicher) Widerspruch gegen die Deliktseigenschaft in die Tabelle eingetragen werden kann, ohne dass zuvor Wiedereinsetzung gewährt werden muss, da keine der in § 233 Abs. 1 ZPO aufgeführten Fristen betroffen ist. Der Schuldner ist unter Fristsetzung zu belehren, dass er den Widerspruch in Schriftform nachholen kann gegenüber dem Insolvenzgericht. Dem Gläubiger bleibt es dann überlassen, vor den zuständigen Gerichten auf Feststellung zu klagen, dass die Forderung doch eine Deliktseigenschaft aufweist. Auch dem Schuldner steht das Recht auf eine (negative) Feststellungsklage zu.

 

InsbürO 2023, 163: Wirksamkeit eines Duldungsbescheides für Steuerforderung nach RSB-Erteilung

FG Niedersachsen, Urt. v. 23.08.2022 – 13 K 18/21,WKRS 2022, 41057 (n. rkr.)

Zum Sachverhalt:

Das Finanzamt ließ eine Zwangssicherungshypothek auf den Miteigentumsanteil eines Insolvenzschuldners eintragen. Dieser verkaufte das Grundstück vor der Insolvenzeröffnung. Dem Insolvenzschuldner wurde Restschuldbefreiung erteilt. Der Käufer begehrt Jahre später die Löschungsbewilligung. Das Finanzamt fordert den Ausgleich der offenen Zahlung. Der Streit konzentriert sich auf die Frage, ob die zur Naturalobligation gewordene Steuerforderung des Beklagten gegen den Vollstreckungsschuldner aufgrund des fortbestehenden zivilrechtlichen Rechts zur Vollstreckung in das Grundstück "vollstreckbar" ist i.S.d. abgabenrechtlichen Erfordernisses im Rahmen des Erlasses eines Duldungsbescheids.

Aus der Begründung:

Denn § 301 Abs. 2 S. 1 InsO[4] durchbricht mittelbar die Undurchsetzbarkeit der besicherten Forderung. Zwar trifft er im Kern … keine Anordnung zur Durchsetzbarkeit der Forderung. Vielmehr bleibt nur das Recht, welches zur abgesonderten Befriedigung führt, von der Restschuldbefreiung unberührt. Ist damit indes die Vollstreckung zulässig und führt sie gleichzeitig zur Erfüllung der besicherten Forderung, so ist die Forderung insoweit auch noch durchsetzbar. … Das muss für die Annahme einer vollstreckbaren Forderung i.S.d. §§ 191, 323 AO[5] genügen. … Der Senat meint …, dass das Widerspiel von § 301 Abs. 2 InsO auf der einen und §§ 191, 323 AO auf der anderen Seite einer systematischen Auslegung zugänglich ist. Und in diesem Zusammenhang ist zu konstatieren, dass … die Regelung des § 301 Abs. 2 InsO auch auf das Steuerrecht ausstrahlt und insoweit die Vollstreckbarkeit anzunehmen ist.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde zugelassen und ist auch eingelegt worden. Das Verfahren ist bei Druckfreigabe beim BFH unter dem AZ: VII R 32/22 anhängig.

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2023, 163: Haftung nach § 92 InsO bei GmbH-Gründung mit treuhänderischer Verwaltung

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.11.2022 – I-12 W 17/22, ZInsO 2023, 154

Zwei von vier Leitsätzen des Gerichtes:

  1. Allein die Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, bei der der Gesellschafter die Geschäftsanteile gegen ein Entgelt treuhänderisch für eine andere, nicht genannte Person hält, und auf deren Weisung einen Geschäftsführer einsetzt, dessen Qualifikation er nicht überprüft hat, stellt keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zu Lasten der Gesellschaft oder (künftiger) Gesellschaftsgläubiger dar.
  2. Ein vom Insolvenzverwalter geltend zu machender Gesamtschaden i.S.d. § 92 InsO setzt voraus, dass der Schaden auf einer Verkürzung der Insolvenzmasse beruht und der einzelne Gläubiger ausschließlich aufgrund seiner Gläubigerstellung und damit als Teil der Gesamtheit der Gläubiger geschädigt worden ist. Eine Gläubigerbenachteiligung durch Verkürzung der (potentiellen) Insolvenzmasse liegt bei der treuhänderischen Gründung einer GmbH für einen nicht genannten Treugeber nicht deshalb vor, weil im Insolvenzfall Haftungsansprüche gegen den „Hintermann“ erschwert oder verhindert werden.

Aus der Begründung:

Die Argumentation, die "wahren Akteure" hätten, wären sie nach außen hin in Erscheinung getreten, unter dem Druck der gesetzlichen Haftung mit Sicherheit ein umsichtiges und ordnungsgemäßes Geschäftsführerverhalten an den Tag gelegt, sodass zu unterstellen sei, dass deutlich geringere Verbindlichkeiten der Schuldnerin vorhanden wären, ist nicht geeignet, eine Insolvenzverursachung oder -vertiefung durch einen Entzug von Gesellschaftsvermögen darzulegen.

 

InsbürO 2023, 164: Immissionsschutzrechtliche Betreiberhaftung des Insolvenzverwalters

VGH Kassel, Beschl. v. 12.01.2023 – 9 B 954/22, ZInsO 2023, 390 (unanfechtbar)

Leitsatz des Gerichts:

Führt ein Insolvenzverwalter eine immissionsschutz-rechtlich nicht genehmigungsbedürftige Anlage der Gemeinschuldnerin zusammen mit einem als solchen genehmigungsbedürftigen Lager produktionsbedingter – vor Insolvenzeröffnung angefallener – Abfälle fort, kann er als Betreiber der Gesamtanlage Adressat einer auf § 20 Abs. 2 BImSchG gestützten Anordnung zur Beseitigung der Abfälle sein.

Aus der Begründung:

Trifft die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit den Insolvenzverwalter, handelt es sich um eine persönliche Pflicht, die nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO als Masseverbindlichkeit zu erfüllen ist. … Mithin war der Antragsteller ab seiner Bestellung zum Insolvenzverwalter zur fachgerechten Entsorgung der von der Gemeinschuldnerin zwischengelagerten Altsalze ordnungsrechtlich verpflichtet.

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2023, 164 f.: Verhältnis von Gläubiger und Bürge bei angefochtenen Darlehensbeträgen

BGH, Urt. v. 13.10.2022 – IX ZR 130/21

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Zum Sachverhalt:

Die Klägerin gewährte der Insolvenzschuldnerin ein Darlehen. Der Beklagte und Gesellschafter der Schuldnerin verbürgte sich für die Rückzahlung. Vor Insolvenzeröffnung leistete die Insolvenzschuldnerin eine Teilrückzahlung. Im eröffneten Verfahren zahlte die Klägerin diesen Betrag aufgrund erklärter Anfechtung an den Insolvenzverwalter zurück. Sie nimmt nun den Beklagten als Bürgen für diesen Betrag in Anspruch. In der zweiten Instanz hat der Beklagte die Klageabweisung bewirkt. Die Klägerin legte Revision ein.

Aus der Begründung:

Rn. 3: Die Revision hat keinen Erfolg. … Rn. 7: Die durch die Bürgschaft gesicherte Darlehensverbindlichkeit der Schuldnerin ist infolge der von ihr … bewirkten Zahlung an die Klägerin gem. § 362 Abs. 1 BGB i.H.v. 50.000 € erloschen und nach Rückgewähr dieses Betrags an den Insolvenzverwalter … nicht gem. § 144 Abs. 1 InsO wiederaufgelebt. Gewährt der Empfänger einer Leistung das Erlangte an den Insolvenzverwalter auf dessen Verlangen zurück, lebt seine Forderung gem. § 144 Abs. 1 InsO nur dann wieder auf, wenn die Leistung tatsächlich anfechtbar war. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht eine Anfechtbarkeit der infrage stehenden Zahlung nach § 133 Abs. 1 InsO … verneint, weil es sich nicht von dem Vorliegen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes der Schuldnerin hat überzeugen können. … Rn. 14: Der Gläubiger des Hauptschuldners trägt im Verhältnis zum Bürgen grds. die Darlegungs- und Beweislast für die Anfechtbarkeit der Leistung. Zweifel am Vorliegen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes gehen zu seinen Lasten.

 

InsbürO 2023, 165: Kein Anfechtungsausschluss nach COVInsAG bei erfolgter Insolvenzeröffnung

LG Berlin, Urt. v. 23.09.2022 – 31 O 575/21, ZInsO 2022, 2693 (n. rkr.)

Aus der Begründung:

Sobald (das) Ziel – die Verhinderung eines Insolvenzverfahrens – nicht mehr erreichbar ist, kann § 2 Abs. 1 Nr. 5 COVInsAG so nicht mehr anwendbar sein. So bringen auch § 1 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. COVInsAG sowie § 1 Abs. 3 Satz 3, 2. Alt. COVInsAG klar zum Ausdruck, dass das COVInsAG in seiner Gesamtheit nur dann anwendbar sein soll, wenn noch die Möglichkeit besteht, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu verhindern. Nach dem Telos des COVInsAG muss also die Nichtstellung eines Antrages auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in § 2 COVInsAG mit hineingelesen werden.Die Insolvenzanfechtung ist nicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5 COVInsAG ausgeschlossen, da der Ausschlusstatbestand aufgrund der gebotenen restriktiven teleologischen Auslegung auf einen solchen Fall nicht anzuwenden ist.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Beim Kammergericht Berlin wurde zum AZ: 14 U 195/22 ein Rechtsmittel eingelegt.

 

InsbürO 2023, 165: Unentgeltliche Leistungen bei Auszahlung von Scheingewinnen im Rahmen eines Schneeballsystems

OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.12.2022 – 3 U 45/21, ZInsO 2023, 212 (n. rkr.)

Aus der Begründung:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Dem Kläger (= Insolvenzverwalter) steht … gegen den Beklagten (= stillen Gesellschafter) der geltend gemachte Anspruch i.H.v. 268.309,58 € aus §§ 143 Abs. 1, Abs. 2, 134 Abs. 1, 129 Abs. 1 … zu. Der Beklagte bzw. die Erblasserin (…) hat anfechtbare, unentgeltliche Leistungen von der Insolvenzschuldnerin i.S.d. § 134 Abs. 1 InsO innerhalb von 4 Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in dieser Höhe erhalten. … Zudem konnte der Beklagte selbst bei der Annahme einer fehlerhaften bzw. zumindest missverständlichen Bezeichnung der Auszahlungen die Formulierungen angesichts der eindeutigen Regelungen im Vertrag über die Errichtung der stillen Gesellschaft nicht als Vereinbarung einer gewinnunabhängigen Ausschüttung verstehen. … Nach diesen Maßstäben hat ein Schuldner Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund, wenn er weiß, dass er keine Gewinne, sondern im Gegenteil Verluste erwirtschaftet und ein betrügerisches Schneeballsystem betreibt, er also weiß, dass er an die Anleger lediglich Scheingewinne aus den Einzahlungen von ihm getäuschter Geldgeber auszahlt.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der Senat hat die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung angesichts der zu erwartenden abweichenden Entscheidung des OLG Zweibrücken (Hinweisbeschluss v. 06.12.2022 – 7 U 176/21) zugelassen. Diese wurde auch eingelegt. Das Verfahren ist beim BGH unter dem AZ: IX ZR 10/23 anhängig.

 

Steuerrecht

InsbürO 2023, 165: Steuern nach Restschuldbefreiung als Masseverbindlichkeiten bei Betriebsaufgabe nach Insolvenzeröffnung

BFH, Urt. v. 06.04.2022 – X R 28/19, ZInsO 2023, 276

(X. Senat = u.a. zuständig für Einzelgewerbetreibende)

Leitsätze des Gerichts:

  1. Die Erteilung der Restschuldbefreiung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens stellt für die Ermittlung des Gewinns aus einer Betriebsaufgabe auch dann ein rückwirkendes Ereignis dar, wenn der Betrieb erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben worden ist (Fortführung des Senatsurteils vom 13.12.2016 – X R 4/15, …).
  2. Die aus der Restschuldbefreiung resultierenden Steuern sind im Fall der Betriebsaufgabe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da sie Folge der Verwaltung durch den Insolvenzverwalter sind.

Aus der Begründung:

Rn. 70: Die steuerliche Rückwirkung gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO führt zum Wegfall der in der Aufgabebilanz ausgewiesenen betrieblichen Verbindlichkeiten, sodass die gewinnerhöhende Wirkung einer Restschuldbefreiung in den Fällen, in denen der Betrieb erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben worden ist, zu einem Zeitpunkt eintritt, in dem die Verwaltung der Masse dem Insolvenzverwalter obliegt. Die steuerlichen Auswirkungen der Restschuldbefreiung beruhen damit auf der Verwaltung bzw. Verwertung einer Insolvenzmasse, die der Insolvenzverwalter nicht freigegeben hat.

 

InsbürO 2023, 166: Aufteilungsmaßstab für Vorsteuerabzug aus Vergütung des Insolvenzverwalters bei Betriebsfortführung

FG Köln, Urt. v. 25.05.2022 – 9 K 1278/19,WKRS 2022, 36995 (n. rkr.)

Aus der Begründung:

Für den Bezug von Leistungen eines Insolvenzverwalters durch einen Insolvenzschuldner hat der BFH eine besondere Aufteilungsmethode für den Fall entwickelt, dass der Insolvenzverwalter ausschließlich Verwertungshandlungen vornimmt (BFH v. 15.04.2015 - V R 44/14, …). … Der Senat folgt diesem Ansatz grds., führt ihn jedoch für den Fall weiter, dass der Insolvenzverwalter … den schuldnerischen Betrieb fortsetzt und gerade so gut wie keine Verwertungshandlungen vornimmt. Die Vorsteueraufteilung bestimmt sich in diesem Fall nach dem Gesamtumsatz des Insolvenzverwalters während seiner Verwaltungszeit nach Maßgabe der Anteile steuerpflichtiger und steuerfreier bzw. nichtwirtschaftlicher Umsätze.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde wg. grds. Bedeutung zugelassen und auch eingelegt. Das Verfahren ist beim BFH unter dem AZ: XI R 20/22 anhängig.

 

Immobilienvermögen

InsbürO 2023, 166: Erlösverteilung zwischen Insolvenzmasse und Grundschuld-/Arrestgläubiger nach freihändigem Grundstücksverkauf durch Insolvenzverwalter

LG Stuttgart, Urt. v. 16.11.2022 – 27 O 56/22, ZInsO 2023, 333 (n. rkr.)

Aus der Begründung:

Denn die Parteien haben sich deshalb nicht über die Verteilung des gesamten Kaufpreises einigen können, weil der Beklagte (= Insolvenzverwalter) für die in die Masse fallende Eigentümergrundschuld Zinsen in Anspruch genommen hat, (während der Kläger dies ablehnt). … Gem. § 1178 Abs. 1 Satz 1 BGB erlischt die Hypothek für Rückstände von Zinsen und anderen Nebenleistungen, wenn sie sich mit dem Eigentum in einer Person vereinigt. Gem. § 1192 Abs. 1 BGB findet diese Vorschrift auch auf die Grundschuld Anwendung (BGH, Urt. v. 16.12.2011 – V ZR 52/11, …). Entgegen der Auffassung des Beklagten (= Insolvenzverwalters) gilt diese Vorschrift auch dann, wenn eine Eigentümergrundschuld in der Person eines solchen Eigentümers entsteht, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Der Insolvenzverwalter ist nicht Dritter i.S.d. § 1178 Abs. 1 Satz 2 BGB, was der BGH bereits – wenn auch in anderem Zusammenhang – entschieden hat.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Gegen die Entscheidung wurde Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren ist beim OLG Stuttgart unter dem AZ: 4 U 200/22 anhängig.

 

Insolvenztabelle

InsbürO 2023, 166: Annahmeverzugslohn in der Insolvenztabelle

ArbG Köln, Urt. v. 17.03.2022 – 6 Ca 3149/21, ZInsO 2023, 49

Aus der Begründung:

Die Klage ist als Feststellungsklage gem. § 179 Abs. 1 InsO zulässig. Der Klägerin stehen die erhobenen Insolvenzforderungen nicht zu. Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs (§ 615 Satz 1 BGB) sind im Zeitraum … nicht entstanden. Es kann insoweit dahinstehen, ob die Parteien wirksam eine Kurzarbeitsvereinbarung getroffen haben. … Die Klägerin hat aber ihre Arbeitsleistung im streitgegenständlichen weder tatsächlich noch wörtlich angeboten, sondern ist der Arbeit widerspruchslos ferngeblieben. Sie hätte zumindest gegen die Anordnung der Kurzarbeit protestieren und damit ihre Arbeitsleistung wörtlich anbieten müssen (vgl. BAG v. 25.02.2015 – 5 AZR 886/12, Rn. 42; …). …  Insoweit kann auch dahinstehen, ob im streitgegenständlichen Zeitraum darüber hinaus die Arbeitsleistung auch aufgrund einer behördlich angeordneten Schließung nicht erbracht werden konnte, was einen Annahmeverzugslohnanspruch ebenfalls ausschließen würde. Denn die im Rahmen eines allgemeinen "Lockdowns" zur Bekämpfung der Corona-Pandemie staatlich verfügte vorübergehende Betriebsschließung ist kein Fall des vom Arbeitgeber nach § 615 Satz 3 BGB zu tragenden Betriebsrisikos (BAG, Urt. v. 13.10.2021 – 5 AZR 211/21).

 

InsbürO 2023, 167: Vergütungsentnahme des Vertreters der Anleihegläubiger aus Quotenzahlung

BGH, Urt. v. 13.10.2022 – IX ZR 105/21, ZInsO 2023, 147

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 11: Der Vergütungsanspruch berechtigt den gemeinsamen Vertreter …, die angemessene Vergütung und seine Auslagen der auf den einzelnen Gläubiger entfallenden Quote zu entnehmen. Grundlage der Entnahmebefugnis ist der nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG gefasste Mehrheitsbeschluss der Gläubiger. Das Schuldverschreibungsgesetz schützt den einzelnen Gläubiger nicht vor Mehrheitsbeschlüssen, die sich nachteilig auf dessen Hauptforderung auswirken. … Rn. 12: Das Senatsurteil v. 10.03.2022[6] ist überwiegend kritisch aufgenommen worden (…). Der Senat hat die Kritik zur Kenntnis genommen, hält aber an seiner Auffassung fest. Wünschenswert wäre eine gesetzliche Regelung der Vergütung des gemeinsamen Vertreters nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners.

 

InsbürO 2023, 167: Anerkennung von Schmerzensgeld nach Fehlverhalten Schuldner als Apotheker

AG Essen, Urt. v. 07.10.2022 – 12 C 2/22, WKRS 2022, 39935

Aus der Begründung:

Die Forderung des Klägers … wird zur Insolvenztabelle im Insolvenzverfahren … zur laufenden Nr. 88 festgestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. … Der Kläger begehrt mit der ursprünglich beim LG Essen erhobenen Klage die Feststellung von Schmerzensgeldansprüchen im Insolvenzverfahren gegen Herrn B (im Folgenden: Insolvenzschuldner). … Der Kläger ist der Ehemann und alleinige Rechtsnachfolger der Frau C (im Folgenden: Erblasserin). … Die Erblasserin wurde im Rahmen ihrer ärztlich verordne-ten, medikamentösen Behandlung ihrer Krebserkrankung … mit Medikamenten des Insolvenzschuldners beliefert. Der Insolvenzschuldner war im Belieferungszeitraum als selbstständiger Apotheker Alleininhaber der Apotheke … Der am … festgenommene Insolvenzschuldner wurde … durch die … Strafkammer des LG Essen u.a. wegen des vorsätzlichen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in 14.537 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt (Az. …). … Zwischen … waren im Betrieb des Insolvenzschuldners mindestens 14.498 unterdosierte Medikamentenzubereitungen hergestellt worden. … Der Beklagte bestreitet, dass es zu einer Sorgfaltspflichtverletzung des Insolvenzschuldners gegenüber der Erblasserin gekommen sei. … Das Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB soll den vom Verletzten erlittenen immateriellen Schaden angemessen ausgleichen. Das Schmerzenzgeld hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine doppelte Funktion. Der Verletzte soll einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten und ihn in die Lage versetzen, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, die die erlittenen Beeinträchtigungen jedenfalls teilweise ausgleichen.

 

InsbürO 2023, 167: Zum Nachweis einer abgetretenen Forderung

OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.10.2022 – 24 U 18/22, ZInsO 2023, 209 (rkr.)

Leitsatz des Gerichts:

Soll eine Abtretung allein mit einem notariell beglaubigten Dokument bewiesen werden, in welchem der separate Abschluss eines nicht vorgelegten Abtretungsvertrages behauptet wird, muss aus dem Dokument hervorgehen, dass auch die eingeklagte Forderung von der Beglaubigung umfasst war.

Aus der Begründung:

Das Berufungsgericht vermag die Richtigkeit des klägerischen Sachvortrags schon deshalb nicht zu verifizieren, weil der Kläger zum Beleg seiner Forderung vor Gericht keine geöste notarielle Urkunde vorlegt, sondern lose Einzelblätter. Aus diesem Grund kann der Ursprung und die etwaige Zusammengehörigkeit der Forderungsaufstellung zu der in Bezug genommenen Globalurkunde nicht festgestellt werden.

 

InsbürO 2023, 167: Gerichtskosten aus Prozessführung in der Insolvenztabelle

LAG Hamm, Beschl. v. 24.11.2022 – 5 Ta 293/22, WKRS 2022, 49163 (rkr.)

Aus der Begründung:

Für die bereits bei Insolvenzeröffnung angefallenen Gerichtskosten ist die Staatskasse ebenso Insolvenzgläubigerin wie für auf sie gem. § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG übergegangene, vor Insolvenzeröffnung entstandene Rechtsanwaltsgebühren (BGH, Beschl. v. 28.08.2019, XII ZB 119/19, … Rn. 15). Anders verhält es sich bei Forderungen der Staatskasse, die - etwa im Zusammenhang mit einem neuen gerichtlichen Verfahren - nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen. Diese sind keine Insolvenzforderungen und daher auch nicht von der Durchsetzungssperre des § 87 InsO erfasst (so schon BGH, Beschl. v. 28.06.012, IX ZR 211/11, … Rn. 4). Für sie wird daher die Geltendmachung im Wege von Zahlungsanordnungen, die gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4a, Abs. 2 JBeitrG nach dem Justizbeitreibungsgesetz beigetrieben werden können, nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehindert.

 

Verwertungstätigkeit

InsbürO 2023, 167: Kein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters an sonstigen Rechten (hier: Markenrechte)

BGH, Versäumnisurteil v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21, WKRS 2022, 46252

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Das Recht des Insolvenzverwalters, bewegliche Sachen, an denen ein Absonderungsrecht besteht, und zur Sicherheit abgetretene Forderungen des Schuldners zu verwerten, erstreckt sich nicht auf sonstige Rechte.

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter veräußerte Markenrechte, die im Vorfeld der Insolvenz an eine Darlehensgeberin abgetreten waren. Die Darlehensgeberin ist der Ansicht, der Insolvenzverwalter sei zur Verwertung nach § 166 Abs. 2 InsO nicht berechtigt gewesen.

Aus der Begründung:

Rn. 10: Die Frage, ob § 166 InsO auf sonstige Rechte entsprechend anzuwenden ist, mithin ob auch insoweit ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters besteht, ist umstritten. Der BGH hat die Frage bislang offenlassenkönnen (…). … Rn. 13: … Maßgeblich ist insoweit vielmehr § 173 Abs. 1 InsO, woraus das Verwertungsrecht allein des Sicherungsnehmers folgt. Rn. 14: Der Wortlaut von § 166 Abs. 1 und Abs. 2 InsO, der Wortlaut und die Systematik der Insolvenzordnung im Übrigen sowie eine gesetzesübergreifende Betrachtung sprechen gegen eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz. … Rn. 21: Die grds. Verwertungsbefugnis des Sicherungsnehmers folgt bereits aus dem materiellen Recht (…). Nicht das Verwertungsrecht des Sicherungsnehmers bedarf der besonderen Rechtfertigung und gesetzlichen Anordnung in der Insolvenzordnung, sondern das des Insolvenzverwalters. § 173 Abs. 1 InsO ist unter Berücksichtigung dieses Umstands dahin zu verstehen, dass der Gläubiger insgesamt zur Verwertungberechtigt bleibt, soweit der Insolvenzverwalter nicht - ausnahmsweise - ein Verwertungsrecht nach § 166 Abs. 1 und Abs. 2 InsO hat. … Rn. 29: Ein Anspruch des Klägers hinsichtlich des von dem Beklagten durch die Verwertung erzielten Erlöses kann sich als Ersatzabsonderungsrecht aus einer entsprechenden Anwendung von § 48 InsO ergeben. Dieser Anspruch wäre auch nicht verjährt. Entscheidend für die abschließende Bewertung wäre sodann, ob der Verwertungserlös noch unterscheidbar in der Masse vorhanden ist.

 

Vertragsverhältnisse

InsbürO 2023, 168: Masse-Ansprüche eines Fluggastes bei Insolvenz der Fluggesellschaft

LG Frankfurt am Main, Urt. v. 14.06.2022 - 2-24 S 223/21, WKRS 2022, 36742

Aus der Begründung:

Vorliegend ist ein solches von Treu und Glauben geprägtes gesetzliches Schuldverhältnis nach Insolvenzeröffnung begründet worden, sodass die Beklagte eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO darstellt. … Die Beklagte (= Insolvenzschuldnerin) hat vielmehr durch den Hinflug, d.h. diese Handlung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, beim Kläger und seiner Ehefrau ein schutzwürdiges Vertrauen geschaffen bzw. dergestalt neu begründet, dass sie den Kläger und seine Ehefrau auch wieder nach Frankfurt/M. befördert - trotz des eröffneten Insolvenzverfahrens. Es ist mit dem Gesagten durch den Hinflug ein von Treu und Glauben gem. § 241 Abs. 2 BGB geprägtes gesetzliches Schuldverhältnis neu begründet worden. Dieses Vertrauen hat die Beklagte sodann durch die Annullierung am … enttäuscht und … den geltend gemachten Schaden in Form der Ersatzbeförderungs- und Visakosten verursacht.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde zugelassen und auch eingelegt.Das Aktenzeichen konnte bis zur Druckfreigabe nicht ermittelt werden.

 

InsbürO 2023, 168: Zur (Un-)Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln

BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 213/21, ZInsO 2023, 86

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsätze des Gerichts:

  1. Eine insolvenzabhängige Lösungsklausel ist unwirksam, wenn der insolvenzabhängige Umstand für sich allein die Lösung vom Vertrag ermöglicht und die Lösungsklausel in Voraussetzungen oder Rechtsfolgen von gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweicht, ohne dass für diese Abweichungen bei objektiver Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf der Grundlage der wechselseitigen Interessen der Parteien berechtigte Gründe bestehen (Ergänzung BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11 …).
  2. Solche berechtigten Gründe können sich bei insolvenzabhängigen Lösungsklauseln allgemein aus einer insolvenzrechtlich gerechtfertigten Zielsetzung oder zugunsten eines Sach- oder Dienstleistungsgläubigers ergeben. Hingegen ist eine insolvenzabhängige Lösungsklausel zugunsten eines Geldleistungsgläubigers regelmäßig unwirksam.
  3. Vereinbaren die Parteien eines Schülerbeförderungsvertrags, dass eine Kündigung aus wichtigem Grund zulässig ist, ist die Klausel, dass der vom Erbringer der Leistungen gestellte Insolvenzantrag als wichtiger Grund gilt, wirksam, wenn der Besteller bei einer typisierten, objektiven Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein berechtigtes Interesse daran hatte, mit der Vereinbarung eines Insolvenzereignisses als wichtigem Grund Vorsorge für eine allgemein bei Schülerbeförderungsverträgen mit einem Insolvenzfall einhergehende besondere Risikoerhöhung zu treffen.

 

Aus der Begründung:

Rn. 16: Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat bislang keine abschließende Entscheidung zur Wirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln getroffen. … Rn. 25: Eine ausdrückliche Regelung, wonach insolvenzabhängige Lösungsklauseln unwirksam sind, ist nicht Gesetz geworden. Die Entstehungsgeschichte des § 119 InsO spricht gegen ein umfassendes Verbot von Lösungsklauseln. … Rn. 28: Ebenso wenig hat der Gesetzgeber eine allgemeine, ausdrückliche Regelung vorgesehen, dass insolvenzabhängige Lösungsklauseln stets wirksam sind. … Rn. 36: Mangels einer klaren gesetzlichen Vorgabe bedarf eine auf § 119 InsO gestützte Unwirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln einer besonderen Rechtfertigung. Diese muss den Grundsatz der Vertragsfreiheit berücksichtigen (…). … Rn. 54: … Für die typisierte Bewertung ist entscheidend, ob die mit der Insolvenz einhergehenden Risiken die weitere Vertragserfüllung in einem Ausmaß gefährden, das nach der Art der geschuldeten vertraglichen Leistungen und der wechselseitigen Interessen der Parteien bei einer vom Einzelfall losgelösten Betrachtung einen wichtigen Grund darstellen kann.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der BGH führt in der Begründung auf, für welche Bereiche er eine außerordentliche Kündigung bereits anerkannt hat, so bspw. bei Bauverträgen (Rn. 22), wenn der Auftragnehmer insolvent ist (BGH, Urt. v. 07.04.2016 - VII ZR 56/15 … Rn. 41) oder er insolvenzabhängige Lösungsklauseln bereits für unwirksam erklärt hat (Rn. 20, 21), so bspw. zugunsten des Vermieters von Räumen (BGH, Urt. v. 22.10.2013 - II ZR 394/12, Rn. 13) oder zugunsten eines Geldleistungsgläubigers bei Verträgen über die fortlaufende Lieferung von Waren oder Energie (BGH, Urt. v. 15.11.2012 - IX ZR 169/11, … Rn. 13). Er stellt dann detailliert die Anforderungen an die Prüfung von berechtigten Gründen auf beiden Seiten der Vertragsparteien vor und führt in Rn. 55 aus: „Hat der andere Vertragsteil kein schutzwürdiges Interesse an der Ausübung des vertraglich eingeräumten insolvenzabhängigen Lösungsrechts oder überwiegen die schutzwürdigen Belange des Schuldners das Interesse des Ausübungsberechtigten, schließt dies die Ausübung des insolvenzabhängigen Lösungsrechts mit Blick auf Treu und Glauben aus.“

 

Europäisches / internationales Recht

InsbürO 2023, 169: Umsatzsteuerliche Organschaft in Deutschland

EuGH, Urt. v. 01.12.2022 – Rs. C-141/20, ZInsO 2023, 162

Leitsätze des Gerichts:

  1. Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2000/65/EG des Rates vom 17.10.2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, zum einzigen Steuerpflichtigen einer Gruppe von Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, den Organträger dieser Gruppe zu bestimmen, wenn dieser in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern dieser Gruppe durchzusetzen, und unter der Voraussetzung, dass diese Bestimmung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führt.
  2. Art. 4 … ist … dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Möglichkeit einer Einheit, mit dem Unternehmen des Organträgers eine Gruppe von Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zu bilden, an die Bedingung knüpft, dass der Organträger zusätzlich zu einer Mehrheitsbeteiligung an dieser Einheit über eine Stimmrechtsmehrheit bei ihr verfügt.
  3. Art. 4 … ist … dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht gestattet, Einheiten im Wege der Typisierung als nicht selbständig anzusehen, wenn sie finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in den Organträger einer Gruppe von Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, eingegliedert sind.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

In der ZInsO 2023, 162 (170) (Ausgabe 4/2023) finden Sie eine Anmerkung von de Weerth zu dieser EuGH-Entscheidung. So heißt es dort auszugsweise: „… Für Insolvenzverwalter dürften auch die vom EuGH erleichterten Möglichkeiten zur Bildung einer umsatzsteuerlichen Organschaft bedeutsam sein. Allerdings ist das vorliegende Urteil und die sonstige Rechtsprechung des EuGHs so konturlos, das nicht hinreichend sicher vorherzubestimmen ist, wann möglicherweise der BFH einen entsprechenden Fall dem EuGH vorlegen würde. …“

 

InsbürO 2023, 169: Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen und die Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter

BGH, Beschl. v. 08.12.2022 - IX ZB 72/19, WKRS 2022, 53319

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtlicher Leitsatz:

Nach dem autonomen internationalen Insolvenzrecht hindert ein in einem Drittstaat gestellter Eröffnungsantrag allein nicht die internationale Zuständigkeit deutscher Insolvenzgerichte.

Aus der Begründung:

Rn. 17: Das Insolvenzgericht war für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen und die Bestellung des Beteiligten zu 1 zum vorläufigen Insolvenzverwalter international zuständig. … Rn. 24: Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vom Tatrichter vorgenommene Gesamtbewertung, der Ort der Hauptverwaltung der Schuldnerin habe auch für Dritte erkennbar in Düsseldorf gelegen, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. … Rn. 40: Der bei dem High Court am … gestellte Insolvenzantrag steht der internationalen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts auch nach autonomem deutschem Insolvenzrecht nicht entgegen. … Rn. 46: Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage nach autonomem internationalem Insolvenzrecht von der Rechtslage nach der EuInsVO. Die Regelungen der EuInsVO beruhen auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, der erfordert, dass die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten die Entscheidung zur Eröffnung eines solchen Verfahrens anerkennen, ohne die vom ersten Gericht hinsichtlich seiner Zuständigkeit angestellte Beurteilung überprüfen zu können (…). Nur vor diesem Hintergrund hat der Gerichtshof der Europäischen Union einem in einem Mitgliedstaat anhängigen Antrag Sperrwirkung für die internationale Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats, der zeitlich nachfolgend mit einem auf dasselbe Ziel gerichteten Antrag befasst wird, beigemessen (vgl. …). … Rn. 48: Im Zeitpunkt der Entscheidung des Insolvenzverfahrens durch das Insolvenzgericht … lag nach den für den Senat … bindenden Feststellungen des Beschwerdegerichts lediglich ein bei dem High Court gestellter Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor. Hingegen hat der High Court bis zu diesem Zeitpunkt weder ein Insolvenzverfahren in England eröffnet, noch hatte er Sicherungsmaßnahmen angeordnet. Es ist auch nicht ersichtlich, dass allein der Insolvenzantrag vor dem High Court in England als Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens im Sinne des § 343 Abs. 1 Satz 1 InsO zu qualifizieren ist.

 

Haftung

InsbürO 2023, 170: Wirkung eines Loan Agreements auf Zahlungsunfähigkeit

OLG München, 25.10.2022 - 7 U 1785/18, ZInsO 2023, 44 (n. rkr.)

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter macht Haftungsansprüche gegen das Vorstandsmitglied einer AG bzw. gegen dessen Erben gem. §§ 93 Abs. 3 Nr. 6, 92 Abs. 2 AktG wegen Zahlungen nach Insolvenzreife der Schuldnerin geltend.

Aus der Begründung:

Am … schlossen die Schuldnerin und die I GmbH (…) den als Loan Agreement bezeichneten Vertrag … Hiernach gewährte die I GmbH der Schuldnerin im Hinblick auf die bis dahin aufgelaufenen Verbindlichkeiten aus dem Ergebnisübernahmevertrag ein Darlehen über rd. 11,7 Mio. €, welches binnen 2 Wochen nach Kündigung zum Quartalsende zur Rückzahlung fällig sein sollte. … Die Schuldnerin war … vor Abschluss des Loan Agreements zahlungsunfähig. … Diese Zahlungsunfähigkeit ist durch das Loan Agreement entfallen. Die Verbindlichkeit über 9,3 Mio. € war hierdurch nunmehr von einer Kündigung abhängig und damit nicht mehr fällig. Weitere zum Stichtag fällige bzw. binnen 3 Wochen danach fällig werdende Verbindlichkeiten der Schuldnerin trägt keine Partei vor. Damit kann eine zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin führende Unterdeckung auf der Basis des Loan Agreements nach dessen Abschluss nicht mehr festgestellt werden.

AnmerkungInsolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde zwar nicht zugelassen, aber es wurde Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt (AZ: II ZR 196/22) geführt.

 

InsbürO 2023, 170: Einforderung der Stammeinlage

LG Essen, Versäumnisteil- und Schlussurteil v. 11.08.2022 – 6 O 83/22, ZInsO 2022, 2698

Aus der Begründung:

Der Kläger verlangt als Insolvenzverwalter die Nachzahlung einer Stammeinlage i.H.v. 12.500 € von dem Beklagten. … Die Beschränkung der Haftung nach § 22 Abs. 2 GmbHG[7] auf solche Beträge, die vom Rechtsnachfolger nicht zu erlangen sind, gilt nach dem klaren Wortlaut nur für frühere Rechtsvorgänger und nicht für den letzten Rechtsvorgänger (…).

 

Vollstreckungsrecht

InsbürO 2023, 162: Qualifizierte elektronische Signatur bei Vollstreckungsaufträgen mit titelersetzender Wirkung

LG Essen, Beschl. v. 17.10.2022 – 7 T 272/22, WKRS 2022, 43938

Amtlicher Leitsatz:

Unter Übertragung der Rechtsprechung des BGH mit Beschluss vom 18.12.2014 (Az.: I ZB 27/14) auf den nunmehr zwingenden elektronischen Rechtsverkehr bedarf es zur Wahrung des dort aufgestellten materiellen Schriftformerfordernisses bei Vollstreckungsaufträgen mit titelersetzender Wirkung der qualifizierten elektronischen Signatur oder eines elektronischen Siegels der Behörde.

Aus der Begründung:

Der Obergerichtsvollzieher hat den streitgegenständlichen Vollstreckungsantrag richtigerweise mangels qualifizierter elektronischer Signatur abgelehnt. … Mit der hier gewählten Übermittlung des Vollstreckungsauftrages über ein besonderes Behördenpostfach (beBPo) als sicheren Übermittlungsweg i.S.d. § 130a Abs. 3, 4 ZPO ohne qualifizierte elektronische Signatur ist die Gläubigerin nur den prozessualen Anforderungen an eine formell ordnungsgemäße Übermittlung eines Antrages nach §§ 130d, 130a ZPO gerecht geworden. Sie genügte damit jedoch nicht den erweiterten, materiellen Anforderungen an einen titelersetzenden Vollstreckungsauftrag. Unter Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den Formvorschriften bei Einreichung derartiger … titelersetzender Vollstreckungsaufträge ist - unter Übertragung auf die nunmehr nach dem 01.01.2022 geltende Rechtslage - der höchstmögliche Sicherheitsstandard und damit die qualifizierte elektronische Signatur einzufordern. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in dem - über § 1[8], § 2 Abs. 1 JBeitrG[9] auch für die hiesige Vollstreckung anwendbaren - § 7 S. 2 JBeitrG[10] geregelt ist, dass der auch hier streitgegenständliche Antrag nach § 7 S. 1 JBeitrG[11] den grds. nach §§ 754, 802a Abs. 2 ZPO erforderlichen und vorzulegenden vollstreckbaren Schuldtitel ersetzt. Der Antrag hat insofern eine Doppelfunktion und stellt gleichzeitig den Antrag auf Durchführung der Zwangsvollstreckungsmaßnahme und den hierfür erforderlichen Vollstreckungstitel dar. … Hinsichtlich der konkreten Anforderungen an die seit dem Inkrafttreten des § 130d ZPO und der auf diesen Bezug nehmenden Verweisungsvorschriften am 01.01.2022 verpflichtende Einreichung diverser Anträge und Erklärungen auf elektronischem Wege fehlt es bisher an ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung. Es bedarf daher der Übertragung der bisherigen höchstrichterlich herausgearbeiteten Grundsätze auf die neue Rechtslage. … Das in § 6 ERVV normierte beBPo[12] unterliegt zwar grds. einem Identifizierungsverfahren nach § 7 ERVV[13] und der Zugang erfolgt ausweislich § 8 Abs. 2 ERVV[14] ausschließlich mithilfe des Zertifikats und des Zertifikats-Passworts des Postfachinhabers. Zu beachten ist jedoch, dass der Postfachinhaber i.S.d. ERVV keine natürliche Person ist. Vielmehr ist in § 8 Abs. 1 ERVV ausdrücklich geregelt, dass der Postfachinhaber die natürlichen Personen bestimmt, die Zugang zum besonderen elektronischen Behördenpostfach erhalten sollen und ihnen das Zertifikat und das Zertifikats-Passwort zur Verfügung stellt. … Hieraus ergibt sich jedoch, dass dieser Übermittlungsweg die seitens des BGH bisher für die Einreichung in Papierform geforderte Möglichkeit der persönlichen Identifizierung der konkreten, in Verantwortung stehenden natürlichen Person betreffs den Vollstreckungsauftrag nicht bietet. … Ein in ein elektronisches Dokument eingefügtes Dienstsiegel bietet für das elektronische Dokument … für die Beurteilung der Echtheit und des Ausstellers keinerlei Mehrwert, kann vielmehr wie die "einfache" Signatur problemlos von einem anonymen Aussteller eingefügt werden. … An dieser - für das beA auch bei lediglich einfacher Signatur sichergestellten - Authentizität fehlt es dem beBPo bei fehlender qualifizierter Signatur, da das Postfach gerade nicht personenspezifisch, sondern übergeordnet behördenweit verwendet wird. … Soweit tlw. die gleichzeitige papierschriftliche Einreichung des Vollstreckungsauftrages neben der elektronischen Einreichung, wie er bisher eingereicht wurde, eingefordert wird, ist dies nach Auffassung des Beschwerdegerichts nicht mehr geboten.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde mit der Begründung zugelassen, dass die für klärungsbedürfte erachtete Frage bislang – soweit ersichtlich – höchstrichterlich nicht geklärt und zu erwarten sei, dass die Frage in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten wird, weshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist. Sie wurde auch eingelegt und ist bei Druckfreigabe beim BGH unter dem AZ: I ZB 84/22 anhängig.

 

Allgemeines

InsbürO 2023, 170: Folgen eines fehlerhaften Adressaten beim beA-Schriftverkehr

BGH, Beschl. v. 30.11.2022 – IV ZB 17/22,WKRS 2022, 45467

(IV. Senat = u.a. zuständig für Versicherungsrecht)

Leitsätze des Gerichts:

  1. Ein über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichtes elektronisches Dokument ist erst dann gem. § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO wirksam bei dem zuständigen Gericht eingegangen, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gespeichert worden ist.
  2. An die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA sind keine geringeren Anforderungen zu stellen als bei der Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax (hier: Übermittlung der Berufungsbegründung an falschen Empfänger).

Zum Hintergrund und aus der Begründung:

Der Klägervertreter übermittelt die Berufungsbegründungsschrift über das besondere elektronische Anwaltspostfach (im Folgenden: beA) versehentlich an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (im Folgenden: EGVP) des Landgerichts. Diese wurde an das Berufungsgericht weitergeleitet. …  Rn. 6: Das Berufungsgericht hat zu Recht die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil es ohne Rechtsfehler die Frist zur Begründung des Rechtsmittels als versäumt erachtet und das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes nicht als ausreichend dargelegt angesehen hat. … Rn. 10: … Auch bei der Nutzung des beA ist es … unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen (BGH, …). Aus diesem Grund umfassen die Kontrollpflichten auch die Überprüfung der nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO übermittelten automatisierten Bestätigung, ob die Rechtsmittelschrift an das richtige Gericht übermittelt worden ist (…).

 

InsbürO 2023, 170: Bindung des Insolvenzverwalters an (vorinsolvenzrechtlich) getroffene Gerichtsstandsvereinbarung

BayObLG, Beschl. v. 17.10.2022 – 101 AR 80/22, ZInsO 2022, 2601

Leitsatz aus der Begründung:

Die zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten getroffene Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands ist auch bei der Durchsetzung der vor Insolvenzeröffnung entstandenen vertraglichen Ansprüche durch die Insolvenzverwalterin zu beachten, obwohl diese selbst nicht gem. § 38 Abs. 1 ZPO pro- und derogationsbefugt ist (…).

 

 


[1] Ergänzung der Bearbeiterin: § 21 InsO – Anordnung vorläufiger Maßnahmen, Abs. 1 Satz 1: „Das Insolvenzgericht hat alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. …“

[2] § 21 InsO – Anordnung vorläufiger Maßnahmen, Abs. 2: „Das Gericht kann insbesondere … Nr. 2. dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen oder anordnen, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind; …“

[3] Ergänzung der Bearbeiterin: § 15b InsO - Zahlungen bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Verjährung, Abs. 8: „Eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten liegt nicht vor, wenn …“

[4] § 301 Abs. 2 Satz 1 InsO: „Die Rechte der Insolvenzgläubiger gegen … sowie die Rechte dieser Gläubiger aus … oder aus einem Recht, das im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, werden durch die Restschuldbefreiung nicht berührt.“

[5] § 191 AO – Duldungsbescheide, § 323 Vollstreckung gegen den Rechtsnachfolger

[6] BGH, Senatsurteil v. 10.03.2022 – IX ZR 178/20

[7] § 22 GmbHG – Haftung der Rechtsvorgänger

[8] Ergänzung der Bearbeiterin: § 1 JBeitrG, Abs. 2 + 3: „Dieses Gesetz findet auch auf die Einziehung von Ansprüchen im Sinne des Absatzes 1 durch Justizbehörden der Länder Anwendung, soweit die Ansprüche auf bundesrechtlicher Regelung beruhen. Die Vorschriften dieses Gesetzes über das gerichtliche Verfahren finden auch dann Anwendung, wenn sonstige Ansprüche durch die Justizbehörden der Länder im Verwaltungszwangsverfahren eingezogen werden.“

[9] Ergänzung der Bearbeiterin: § 2 JBeitrG, Abs. 1 + 2: „Die Beitreibung obliegt in den Fällen des § 1 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 den nach den Verfahrensgesetzen für die Vollstreckung dieser Ansprüche zuständigen Stellen, soweit nicht die in Abs. 2 bezeichnete Vollstreckungsbehörde zuständig ist, im Übrigen den Gerichtskassen als Vollstreckungsbehörden. Die Landesregierungen werden ermächtigt, an Stelle der Gerichtskassen andere Behörden als Vollstreckungsbehörden zu bestimmen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltung übertragen.“

[10] Ergänzung der Bearbeiterin: § 7 JBeitrG, S. 1 + 2: „Die Abnahme der Vermögensauskunft beantragt die Vollstreckungsbehörde bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher; die Vollstreckung in unbewegliches Vermögen beantragt sie bei dem zuständigen Amtsgericht. Der Antrag ersetzt den vollstreckbaren Schuldtitel. …“

[11] S. Fn. 6 (zuvor)

[12] beBPo = Behördenpostfach

[13] § 7 ERVV - Identifizierungsverfahren

[14] § 8 ERVV - Zugang und Zugangsberechtigung; Verwaltung