22.06.2020

Aus der Rechtsprechung

 

Rechtsprechungsüberblick

Fundstellennachweis:

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Juni 2020

 

Insolvenzverfahren natürlicher Personen

InsbürO 2020, 256 ff.: Anforderungen an einen Verbraucherinsolvenzantrag eines unter rechtlicher Betreuung stehenden Schuldners

AG Hannover, Beschl. v. 24.03.2020 – 904 IK 109/20

Leitsätze des Bearbeiters: 

  1. Wäre die Erklärung zur Insolvenzantragstellung höchstpersönlicher Natur, ist eine Ausnahme jedenfalls dann zu machen, wenn ein betreuter Schuldner zu einer Erklärungsabgabe aus physischen oder psychischen Gründen nicht in der Lage ist. Dann genügt die Unterschrift des Betreuers.
  2. Die Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO ist eine reine Verfahrenshandlung und damit nach § 1812 Abs. 1 Satz 1 BGB genehmigungsfrei.

 

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Insolvenzanträge von unter rechtlicher Betreuung stehenden Personen sind nicht selten. Die Praxis verfährt häufig so, dass die erforderlichen Unterschriften sowohl Schuldner als auch Betreuer leisten. Dass auch die Unterschrift des Betreuers genügen kann, zeigt die vorliegende Entscheidung auf. Zutreffend wird zudem das Erfordernis einer vormundschaftlichen Genehmigung abgelehnt. Weitere Informationen zu dieser Thematik finden Sie bspw. in folgenden Beiträgen: Pollmächer, Der unter Betreuung stehende Schuldner – praktische Probleme für das insolvenzrechtliche Büro, InsbürO 2019, 28 ff. und Breiling, Der betreute Schuldner in der Insolvenz, InsbürO 2019, 26 ff.

InsbürO 2020, 262: Zur Bestimmung des zuständigen Insolvenzgerichts bei Inhaftierten

OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.10.2019 – 1 AR 46/19, ZInsO 2020, 380 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Ein Inhaftierter stellte aus der Justizvollzugsanstalt heraus einen Insolvenzantrag beim zuständigen Insolvenzgericht für den Ort der JVA. Das Mietverhältnis am vorherigen Wohnsitz, für den das AG Cottbus zuständig gewesen wäre, endete zwei Wochen vor Antragstellung.

Aus der Begründung:

Der Verweisungsbeschluss des AG Potsdam entbehrt … nicht jeglicher Grundlage, sondern geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass die Unterbringung eines Strafgefangenen in einer Justizvollzugsanstalt regelmäßig keinen Wohnsitz begründet und es mit Blick auf die bisherige Wohnung an einem entsprechenden Aufgabewillen fehlt (BGH, NJW-RR 1996, 1217; …).

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das OLG Brandenburg verweist auf eine BGH-Entscheidung vom 19.06.1996 (XII ARZ 5/96, WKRS 1996, 12271). Darin führt der BGH in Rn. 1 aus: „Entweder hatte der Beklagte zum maßgebenden Zeitpunkt der Klageerhebung noch seinen Wohnsitz in K., da der bloße Antritt einer Strafhaft noch keine Aufgabe des Wohnsitzes zur Folge hat (…). Oder der Beklagte hatte dort zwar seinen Wohnsitz willentlich aufgegeben und war nach seiner Entlassung aus der Haft … zunächst unbekannten Aufenthalts. Dann aber wäre gem. § 16 ZPO ebenfalls K. als der letzte Wohnsitz des Beklagten für den Gerichtsstand bestimmend gewesen. Denn mit dem Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt … hat der Beklagte keinen dortigen Wohnsitz begründet.“ Danach ist auch bei einem aktuell fehlenden Wohnsitz – wie vorliegend durch die Beendigung des Mietverhältnisses – trotzdem das Insolvenzgericht am letzten bekannten Wohnsitz zuständig und nicht das Insolvenzgericht am Sitz der JVA.

 

 

Einkommen

InsbürO 2020, 260: Frage der Pfändbarkeit und der Nutzung der Hilfen aus dem Soforthilfeprogramm

AG Hagen, Beschl. v. 07.04.2020 - 109 IN 13/20

Leitsatz des Bearbeiters:

Eine finanzielle Hilfe nach dem Soforthilfeprogramm des Landes NRW („NRW-Soforthilfe 2020“) ist unpfändbar und in einem Insolvenzverfahren nicht massezugehörig. Sie ist auf einem eingerichteten Pfändungsschutzkonto des Schuldners gem. §§ 850i/851/850k Abs. 4 ZPO freizugeben. 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Die Unpfändbarkeit der von den Bundesländern in der aktuellen Pandemie an Kleinselbstständige ausgezahlten Soforthilfen dürfte grds. wenig strittig sein. Ebenso unterliegen die Hilfen einem Auf- und Verrechnungsverbot und können daher von den girokontoführenden Instituten wegen eigener Forderungen gegen den Schuldner nicht einbehalten werden.

Höchst unklar ist aber, wofür die Soforthilfen verwandt werden dürfen. Nach aktuellen Meldungen sollen sie nicht für die Sicherung des Lebensunterhalts des Selbstständigen gedacht sein. Hierzu sollen die Betroffenen Hilfe zum Lebensunterhalt bei den Kommunen beantragen. Dies lässt sich den ergangenen Bescheiden allerdings nicht entnehmen. Im vorliegenden Verfahren wird im Bescheid der Bezirksregierung ausgeführt: „Die Soforthilfe erfolgt ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlage des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbstständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie als Einmalzahlung für einen Bewilligungszeitraum von drei Monaten ab Antragstellung.“ Auch das AG Hagen vertritt offensichtlich den Standpunkt, dass zur „Milderung der finanziellen Notlage“ auch die Deckung des Lebensunterhalts des Schuldners gehört.

InsbürO 2020, 260 f.: Kein Erfordernis eines Zusammenrechnungsbeschlusses für Kurzarbeitergeld und Aufstockungsbetrag

LAG Hamm Urt. v. 16.08.2006 - 2 Sa 385/06, WKRS 2006, 30495

Leitsatz des Bearbeiters:

Eine Zusammenrechnung von Kurzarbeitergeld und zusätzlichem Arbeitslohn ist nicht erforderlich, da der Arbeitgeber beide Leistungen zusammen auszuzahlen hat. 

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Die Entscheidung des LAG Hamm ist nicht aktuell, aber aktuell ist leider wegen der Corona-Pandemie die Frage der Art und Weise der Pfändung von Kurzarbeitergeld. Kurzarbeitergeld ist als Sozialleistung gem. § 52 Abs. 4 SGB I pfändbar wie Arbeitseinkommen. Es wird als Sozialleistung von einer beim Arbeitgeber vorliegenden Pfändung des Arbeitseinkommens aber nicht erfasst. Das bedeutet, dass das Kurzarbeitergeld außerhalb eines Insolvenzverfahrens mit einem gesonderten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gepfändet werden muss. Der Arbeitgeber als Drittschuldner hat bei Bezug des Arbeitnehmers von Kurzarbeitergeld und vorliegender Pfändung zu prüfen, ob eine entsprechende Pfändung vorliegt. Im Insolvenzverfahren ist ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht erforderlich. Im eröffneten Verfahren fällt der pfändbare Teil des Einkommens gem. §§ 35, 36 InsO automatisch in die Insolvenzmasse, in der Wohlverhaltensphase erfasst die vom Schuldner erteilte Abtretung das pfändbare Einkommen. Eine Zusammenrechnung des Kurzarbeitergelds mit möglichen weiteren Einkommenszahlungen ist nach überzeugender Argumentation des LAG Hamm nicht erforderlich, da auch das Kurzarbeitergeld vom Arbeitgeber ausgezahlt wird. 

InsbürO 2020, 262: Pfändungsfreibetrag nach § 850d ZPO bei Arbeitslosengeld II

BGH, Beschl. v. 15.01.2020 – VII ZB 5/19, ZInsO 2020, 357

(VII. Senat = u.a. zuständig für Zwangsvollstreckungsrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Arbeitslosengeld II-Leistungen, die der Schuldner erhält, sind bei einer erweiterten Pfändung (§ 850d ZPO) von Arbeitseinkommen unbeschadet des sich aus § 42 Abs. 4 Satz 1 SGB II ergebenden Pfändungsschutzes im Sinne einer Minderung des Pfändungsfreibetrags gem. § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO zu berücksichtigen, sofern und soweit bei einer derartigen Berücksichtigung das sozialhilferechtliche Existenzminimum des Schuldners gesichert bleibt.

Zum Sachverhalt:

Der Schuldner hat ein Nettoarbeitseinkommen von 450 € und erhält nach teilweiser Anrechnung dieses Arbeitseinkommens zusätzlich 170 € als Arbeitslosengeld II.

Aus der Begründung:

Rn. 15: Einer Minderung des Freibetrags durch Arbeitslosengeld II-Leistungen steht ein besonderer Zweck des Arbeitslosengelds II nicht entgegen. … Rn. 16: Da Ansprüche auf Arbeitslosengeld II-Leistungen nach § 42 Abs. 4 Satz 1 SGB II unpfändbar sind, wird tlw. vertreten, § 850e Nr. 2a ZPO stehe einer Minderung des Freibetrags nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO entgegen (…). Diese Auffassung ist unzutreffend. … Rn. 22: Nach der gesetzgeberischen Wertung des § 850d ZPO ist es grds. ungerechtfertigt, dass dem Schuldner die Beträge nach § 850c ZPO verbleiben, die quantitativ sein Existenzminimum überschreiten. Die gesetzlich Unterhaltsberechtigten sollen wegen ihrer Unterhaltsforderung auf diese Beträge zugreifen können und nicht auf die staatliche Sozialfürsorge verwiesen werden (…). Mit diesem Zweck wäre es unvereinbar, den Pfändungsfreibetrag nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ohne Berücksichtigung der Arbeitslosengeld II-Leistungen zu bestimmen. Dem Schuldner würde in diesem Fall neben den Arbeitslosengeld II-Leistungen im Regelfall ungeschmälert sein Arbeitseinkommen verbleiben und damit ein Gesamtbetrag, der nicht unerheblich über dem Existenzminimum liegen kann.

 

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2020, 263: Keine Namensänderung der Firma durch Insolvenzverwalter

BGH, Beschl. v. 26.11.2019 – II ZB 21/17, ZInsO 2020, 301

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)

Leitsatz des Gerichtes:

Der Insolvenzverwalter ist auch im Fall der Verwertung der Firma einer Aktiengesellschaft nicht befugt, die Satzung hinsichtlich der Firma zu ändern. Er kann eine Firmenänderung auch nicht außerhalb der Satzung kraft eigener Rechtsstellung herbeiführen.

Aus der Begründung:

Rn. 32: … Die Firma der Aktiengesellschaft ist gem. § 23 Abs. 3 Nr. 1 AktG ein notwendiger Bestandteil der Satzung und gehört zu den Grundinformationen über die Gesellschaft, … Diese Verlautbarungsfunktion würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn außerhalb einer Satzungsänderung eine von der Satzung abweichende Firma im Handelsregister eingetragen würde. … Rn. 38: … Der Insolvenzverwalter tritt auch dann nicht an die Stelle der Hauptversammlung als dem zur Änderung der Satzung berufenen Organ der Gesellschaft, wenn eine Satzungsänderung oder deren Unterlassung mittelbar Auswirkungen auf die Verwertung von Massegegenständen hat, sondern er wird ausschließlich auf Grund des ihm übertragenen Amts im eigenen Namen tätig (vgl. BGH, Urt. v. 07.01.2008 - II ZR 283/06, …). … Rn. 39: … Nach § 225a Abs. 1 und 3 InsO bleiben die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen vom Insolvenzverfahren unberührt, es sei denn, ein Insolvenzplan sieht eine gesellschaftsrechtlich zulässige Maßnahme vor (…). … Diese Regelungen machen deutlich, dass gesellschaftsrechtliche und registerrechtliche Vorgaben im Insolvenzverfahren grds. fortbestehen und nur nach den das Insolvenzplanverfahren betreffenden Vorschriften ersetzt bzw. modifiziert werden. 

 

 

Eigenverwaltung

InsbürO 2020, 263: (Keine) Haftung beim Firmenerwerb in angeordneter Eigenverwaltung

BGH, Urt. v. 03.12.2019 – II ZR 457/18, ZInsO 2020, 359

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)

Leitsatz des Gerichtes:

§ 25 Abs. 1 Satz 1 HGB ist auf den Erwerb eines Handelsgeschäfts aus der Insolvenz auch dann nicht anwendbar, wenn die Veräußerung nicht durch den Insolvenzverwalter, sondern durch den Schuldner in der Eigenverwaltung erfolgt.

Aus der Begründung:

Rn. 9: Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung findet § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB beim Verkauf des Handelsgeschäfts durch den Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren keine Anwendung (BGH, Urt. v. 24.09.2008 - VIII ZR 192/06, …). Die Veräußerung des Handelsgeschäfts durch den Insolvenzverwalter duldet eine Schuldenhaftung des Erwerbers nach § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB nicht, da sie den bestimmenden Grundsätzen des Insolvenzverfahrens zuwiderliefe. … Rn. 11: Für die Veräußerung im Insolvenzverfahren mit angeordneter Eigenverwaltung ergibt sich nichts anderes. … Rn. 16: Die Stellung des eigenverwaltenden Schuldners ähnelt nicht der des Sequesters, sondern ist derjenigen des Insolvenzverwalters angeglichen.

 

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2020, 263 f.: Anfechtung eines Unternehmenskaufvertrages

OLG Hamburg, Beschl. v. 20.11.2019 – 3 U 70/18 (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter begehrt von den Beklagten die Zahlung von Wert- und Nutzungsersatz für ein Handwerksunternehmen im Wege der insolvenzrechtlichen Anfechtung. In der ersten Instanz hatte das LG Hamburg (Urt. v. 14.03.2018 – 318 O 201/15) der Klage stattgegeben und festgestellt, dass die Beklagte zu 1 dem Kläger wegen der Unmöglichkeit der Herausgabe des übertragenen Gegenstands in Natur gem. §§ 129, 133 Abs. 2 Satz 1, 138 Abs. 1 Nr. 2 und 4, 143 Abs. 1, 145 Abs. 2 Nr. 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 Abs. 1, 987, 989 BGB einen Anspruch auf Zahlung von Wertersatz i.H.v. 74.775 € sowie von Nutzungsersatz i.H.v. 9.219,08 € schulde. Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt.

Aus Begründung des Landgerichts:

Durch die Veräußerung des Einzelunternehmens des Schuldners wurde die Aktivmasse verkürzt. Hierfür hat der Schuldner keine vollwertige Gegenleistung erhalten. Der Kaufpreis betrug 10.000 €. Demgegenüber belief sich der Wert des Unternehmens im Anschluss an die überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen W, denen sich das Gericht bis auf die Höhe der Umsatzerlöse 2010 als Ausgangspunkt der Berechnung anschließt, auf 74.775 € (vgl. …). Es handelte sich mithin um einen Verkauf weit unterhalb des objektiven Verkehrswerts des Einzelunternehmens.

Aus der Begründung des OLG:

Die Berufung der Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das LG dürfte die Beklagten zu Recht wie geschehen verurteilt haben. Der Senat verweist zur Begründung auf die detaillierten und zutreffenden Ausführungen des LG im angegriffenen Urteil.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das OLG hatte den Beklagten angeraten, die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen. Dies ist sodann auch geschehen, so dass die Entscheidung des LG rechtskräftig geworden ist. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hatte das OLG verneint.Das LG hat in seiner Begründung u.a. auf die BGH-Entscheidung vom 05.07.2006 (VIII ZR 172/05 in WKRS 2006, 19653) abgestellt, in der sich der BGH umfassend mit der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung eines Praxisübergabevertrages und der Unmöglichkeit der Herausgabe befasst.

InsbürO 2020, 264: Zum Vorsatz der mittelbaren Gläubigerbenachteiligung

BGH, Urt. v. 21.11.2019 – IX ZR 238/18, ZInsO 2020, 86

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Aus der Begründung:

Rn. 13: … Eine Gläubigerbenachteiligung entfällt nicht deshalb, weil die anzufechtende Rechtshandlung im Zusammenhang mit anderen Ereignissen der Insolvenzmasse auch Vorteile gebracht hat. Als Vorteil der Masse sind nur solche Folgen zu berücksichtigen, die an die angefochtene Rechtshandlung selbst anknüpfen (…). … Rn. 14: Auch wenn es wegen einer im erforderlichen Maß mit der angefochtenen Rechtshandlung zusammenhängenden ausgleichenden Gegenleistung an einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung fehlt, ist stets zu prüfen, ob nicht eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung vorliegt. Hierfür genügt es, wenn … die Möglichkeit der Gläubiger, sich aus dem Vermögen des Schuldners zu befriedigen, durch das Hinzutreten weiterer Umstände beeinträchtigt worden ist (…). Diese Voraussetzungen sind im Regelfall erfüllt, wenn nicht nur die mit der angefochtenen Rechtshandlung abgeflossenen Mittel, sondern auch die ausgleichende Gegenleistung nicht mehr dem Zugriff der Gläubiger offenstehen. Rn. 15: Nach diesen Grundsätzen sind die vom Beklagten (Verein = Einrichtung der Tarifvertragsparteien) erstatteten Urlaubsvergütungen i.H.v. insgesamt 48.105,03 € bei der Beurteilung, ob die Beitragszahlungen des Schuldners eine Benachteiligung seiner Gläubiger bewirkt haben, nicht zu berücksichtigen. … Rn. 16: … Die Bezahlung der Beitragsforderungen mindert … das den Gläubigern haftende Vermögen des Schuldners und führt deshalb zu einer (mittelbaren) Gläubigerbenachteiligung (…). … Rn. 27: Das Berufungsgericht hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Beklagten die gläubigerbenachteiligende Wirkung der angefochtenen Rechtshandlungen in gleicher Weise wie dem Schuldner möglicherweise nicht bewusst geworden ist, soweit er beim Empfang der jeweiligen Beitragszahlungen annehmen konnte, es werde durch von ihm zu erbringende Erstattungsleistungen zu einem Ausgleich im Vermögen des Schuldners kommen.

InsbürO 2020, 264: Anscheinsbeweis für Gläubigerbenachteiligung

BGH, Beschl. v. 06.02.2020 – IX ZR 5/19

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsätze des Gerichts:

1. Es spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass in dem eröffneten Verfahren die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen. Dabei sind auch die Forderungen einzubeziehen, denen der Insolvenzverwalter widersprochen hat, weil nach der Lebenserfahrung die Möglichkeit besteht, dass jener Widerspruch durch eine Feststellungsklage (§ 179 InsO) beseitigt werden kann. Greift der Anscheinsbeweis ein, muss der Anfechtungsgegner nachweisen, dass die angemeldeten Forderungen nicht bestehen oder nicht durchsetzbar sind und eine Feststellung zur Tabelle unter jedem Gesichtspunkt ausscheidet.

2. Der Anscheinsbeweis ist erschüttert, wenn die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Verlaufs feststeht. Dies kommt bspw. in Betracht, wenn es sich bei den bestrittenen Insolvenzforderungen um eine Vielzahl, auf vergleichbarem Sachverhalt beruhender Forderungen mehrerer Insolvenzgläubiger handelt, der Insolvenzverwalter sämtlichen dieser angemeldeten Forderungen widersprochen hat, seit dem Prüfungstermin und dem Widerspruch des Insolvenzverwalters eine erhebliche Zeit verstrichen ist, keiner der betreffenden Gläubiger eine Feststellungsklage erhoben hat, ein – nicht notwendig das Insolvenzverfahren betreffender – Musterprozess über die Feststellung einer solchen Insolvenzforderung rechtskräftig verloren gegangen ist und der rechtliche Bestand der Insolvenzforderungen erheblichen Zweifeln ausgesetzt ist.

Zum Sachverhalt:

Die Anmeldungen betrafen Treuhandkommanditisten. In einem den Schwesterfond betreffenden Insolvenzverfahren wurde eine Musterklage abgewiesen.

 

 

Steuerrecht

InsbürO 2020, 254 ff.: Veräußerung von Tickets für das Finale der UEFA Champions League als privates Veräußerungsgeschäft

BFH, Urt. v. 29.10.2019 – IX R 10/18, WKRS 2019, 57641 = DStR 2020, 707-710

Leitsätze:

1. Champions League-Tickets zählen zu den "anderen Wirtschaftsgütern", die Gegenstand eines privaten Veräußerungsgeschäfts i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG sein können.

2. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfasst auch Einkünfte aus der Veräußerung von Wertpapieren, soweit sie nicht zu § 20 EStG gehören.

3. Champions League-Tickets sind keine Gegenstände des täglichen Gebrauchs i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG.

Anmerkung Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, Essen:

1. Auf den ersten Blick erschließt sich der Zusammenhang zwischen der vorliegenden Entscheidung und Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen nicht. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Insolvenzverwalter nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO Vermögensverwalter ist und die steuerlichen Pflichten der Insolvenzmasse zu erfüllen hat. Verletzt er seine Pflichten, so haftet er gem. § 69 AO persönlich – und nicht die Insolvenzmasse – für den entstandenen Schaden; Ggf. kommen auch steuerstrafrechtliche Konsequenzen gem. §§ 370 ff. AO in Betracht. 

Gem. § 35 Abs. 1 InsO umfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, dass dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Zur Insolvenzmasse gehören freilich gem. § 36 Abs. 1 InsO die Gegenstände nicht, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen. Findet der Insolvenzverwalter in einem Insolvenzverfahren, das durchaus auch ein Verbraucherinsolvenzverfahren sein kann, Eintrittsberechtigungen wie bspw. Champions League-Tickets oder auch Konzert- und/oder Festival-Karten vor, so fallen diese in die Insolvenzmasse und sind vom Insolvenzverwalter zu verwerten. 

2. Der Insolvenzverwalter hat dabei die steuerlichen Konsequenzen zu ziehen. Gem. § 22 Nr. 1 EStG i.V.m. § 23 EStG unterliegen die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften der Einkommensteuer. Hierbei sollte man nicht lediglich an die „Spekulationsgewinne“ bei Grundstücken denken, die bei Anschaffung und Veräußerung innerhalb von zehn Jahren regelmäßig anfallen, sondern auch an Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern, also beweglichen Sachen, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt. Hierbei sind eine Reihe von unterschiedlichen Konstellationen denkbar: Handelt es sich bspw. um ein wenig nachgefragtes Konzert oder Musical, wird häufig lediglich bei einer Weiterveräußerung der Karten kein oder nur ein geringfügiger Übererlös zu erzielen sein. Handelt es sich aber bspw. um ein Festival, das seit längerer Zeit ausverkauft ist, so können erhebliche Gewinne erzielt werden, was auch bei beliebten Fußballspielen – wie der vorliegende Fall zeigt – der Fall sein kann. Verwertet der Insolvenzverwalter solche Eintrittskarten und erzielt er dadurch einen Überschuss, oder hat der Schuldner dies in einem zurückliegenden Zeitraum getan, für den noch keine Erklärungen abgegeben worden sind, sind die Einkünfte gem. § 22 Nr. 2 EStG i.V.m. § 23 EStG zu erklären. 

3. Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass der Schuldner solche Einkünfte hatte, aber nicht erklärt hat, obwohl für den Veranlagungszeitraum die Steuererklärung bereits abgegeben worden ist, ist der Insolvenzverwalter zur Berichtigung verpflichtet. Gem. § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerpflichtiger verpflichtet, unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen, wenn eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und es dadurch zu einer Verkürzung der Steuer kommen kann oder bereits gekommen ist. Da der Insolvenzverwalter gem. § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO verpflichtet ist, die steuerlichen Angelegenheiten des Schuldners zu erledigen, ist er auch zur Berichtigung verpflichtet. Der Insolvenzverwalter und seine Mitarbeiter sollten daher auch auf die „kleinen Dinge“ der Insolvenzmasse achten, also auch auf Eintrittskarten für Fußballspiele oder Festivals.

InsbürO 2020, 264 f.: Umsatzsteuer aus Zahlungen von Drittschuldnern an Insolvenzschuldner keine Masseverbindlichkeiten

FG Hessen, Urt. v. 19.11.2019 – 6 K 1571/18, ZInsO 2020, 551

Leitsätze des Gerichts:

1. Bei der Beurteilung, ob § 55 Abs. 4 InsO, der die nach §§ 55 Abs. 1 und 2 InsO bestehenden Tatbestände zur Begründung von Masseverbindlichkeiten erweitert, zur Anwendung kommt, sind die für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse zu berücksichtigen, wobei auf die Entgeltvereinnahmung, nicht aber auf die Leistungserbringung abzustellen ist.

2. Erfolgt der Forderungseinzug im Rahmen der für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse, führt dies dazu, dass umsatzsteuerrechtliche Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, die mit dem Forderungseinzug im Zusammenhang stehen, zu Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO werden.

3. Überweist ein Kunde infolge der durch den Insolvenzschuldner erteilten Rechnung auf dessen Bankkonto, erfolgt kein Forderungseinzug durch den Insolvenzverwalter auf ein Treuhandkonto.

Aus der Begründung:

Insbesondere hatte das Insolvenzgericht vorliegend auch kein Verbot gegenüber Drittschuldnern ausgesprochen, an den Insolvenzschuldner zu zahlen, sodass der Kläger (= Insolvenzverwalter) zwar einerseits Forderungen im eigenen Namen hätte durchsetzen können. Andererseits konnte er aber nicht verhindern, dass Drittschuldner auf das P-Bankkonto von Y schuldbefreiend Überweisungen tätigen, weshalb seine mögliche Zustimmung bzw. ein möglicher Widerspruch mangels rechtlicher Relevanz nicht den Tatbestand des § 55 Abs. 4 InsO erfüllen.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Revision wurde zugelassen und auch eingelegt. Es ist beim BFH per Stand der Druckfreigabe Anfang Mai das Revisionsverfahren (AZ: V R 2/20) mit der Frage anhängig, ob es sich bei den durch Zahlungseingänge auf dem Konto eines Insolvenzschuldners entstandenen Umsatzsteuerverbindlichkeiten um Insolvenz- oder um Masseverbindlichkeiten handelt.

InsbürO 2020, 265: Aufrechnung des Finanzamts mit Umsatzsteuer-Erstattungsansprüchen bei nicht erkannter Organschaft im Insolvenzverfahren zulässig

BFH, Urt. v. 15.10.2019 – VII R 31/17, ZInsO 2020, 626

(VII. Senat = u.a. zuständig für Verbrauchssteuern und allgemeines Abgabenrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Der Rechtsgrund für eine Erstattung von Umsatzsteuer wird auch dann im insolvenzrechtlichen Sinne bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt, wenn diese im Fall einer nicht erkannten Organschaft zunächst gegen die Organgesellschaft festgesetzt und von dieser auch entrichtet worden sind.

Aus der Begründung:

Rn. 19: Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO aufgrund zu hoher bzw. nicht geschuldeter Vorauszahlungen entsteht (§ 38 AO) nach ständiger Rechtsprechung bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der jeweiligen Vorauszahlung unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlung (…). … Rn. 21: …Es ist insolvenzrechtlich ausreichend, dass der Sachverhalt, der zu der Entstehung des Erstattungsanspruchs führt, verwirklicht ist (…). … Rn. 23: … Das FA ist somit in Bezug auf diesen Erstattungsanspruch bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens i.S.v. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO "etwas zur Insolvenzmasse schuldig" geworden. Rn. 24: Die Aufrechnung ist auch nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig gewesen. … Rn. 26: … Es wäre Aufgabe des Klägers (= Insolvenzverwalter) gewesen, der sich auf § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO beruft, konkret vorzutragen, welche Zahlungen von der GmbH wann geleistet worden sind; denn die Beweislast für die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO trifft den Insolvenzverwalter (…). 

InsbürO 2020, 265: (Keine) Beendigung von umsatzsteuerlicher Organschaft allein aufgrund Anordnung vorläufiger Eigenverwaltung 

BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, ZInsO 2020, 620

(XI. Senat = u.a. zuständig für Umsatzsteuer)

Leitsatz des Gerichts:

Weder die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung beim Organträger noch die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung bei der Organgesellschaft beenden eine Organschaft, wenn das Insolvenzgericht lediglich bestimmt, dass ein vorläufiger Sachwalter bestellt wird, sowie eine Anordnung gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO erlässt.

Aus der Begründung:

Rn. 52: Die vorläufige Eigenverwaltung und das vorläufige Insolvenzverfahren unterscheiden sich … grundlegend. Sowohl nach Auffassung des Gesetzgebers (vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung zum Vorschlag des Bundesrats zur Einfügung eines § 55 Abs. 4 Satz 2 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 52, 67 f.) als auch nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH-Urteil … v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16 Rn. 20 ff.) ähneln sich vorläufige Fremdverwaltung und vorläufige Eigenverwaltung nicht: Der Schuldner handelt während der vorläufigen Eigenverwaltung – anders als im vorläufigen Insolvenzverfahren – völlig autonom. Forderungen werden während der vorläufigen Eigenverwaltung – anders als im vorläufigen Insolvenzverfahren – allein vom Schuldner begründet und stehen nicht im Zusammenhang mit einer Tätigkeit eines vorläufigen Verwalters. Rn. 53: Ausgehend davon hat das FG zu Unrecht angenommen, dass die organisatorische Eingliederung mit der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters entfallen ist.

 

 

Arbeitsrecht

InsbürO 2020, 265 f.: Berücksichtigung von arbeitsvertraglich geschuldetem Bonus als variabler Entgeltbestandteil bei fehlender Zielvereinbarung

LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 20.11.2019 – L 18 AL 128/18,WKRS 2019, 47105 

Aus der Begründung:

Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 SGB III gehören zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis.Bei den vom Kläger nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom … zu beanspruchenden Bonuszahlungen handelt es sich dem Grunde nach um Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis im vorgenannten Sinn. Denn Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis sind alle Leistungen des Arbeitgebers, die eine Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers darstellen (…). Die beanspruchten Bonuszahlungen sind auch laufendes Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer für einen bestimmten Zeitraum erhält, …Die pauschale Festsetzung einer abstrakten Bonuszahlung kommt nicht in Betracht. § 287 ZPO gibt dem Gericht nicht das Recht, ohne konkrete Anhaltspunkte einen bestimmten Tatsachenverlauf zugunsten des Klägers zu unterstellen (…). … nur wenn und soweit allein die Forderungshöhe streitig ist, darf das Gericht insofern Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen anstellen.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht vor. Das LSG verweist in seiner Begründung auf mehrere Entscheidungen des Bundessozialgerichtes, so u.a. auf das Urteil vom 23.03.2006 (B 11a AL 29/05 R, WKRS 2006, 16460), das sich u.a. mit der Gewährung von Insolvenzgeld unter Berücksichtigung von variablen Vergütungsanteilen als Arbeitsentgelt beschäftigte (Rn. 25 ff.).

 

 

Insolvenztabelle

InsbürO 2020, 258 f.: Wirksame Rücknahme einer Forderungsanmeldung

LG Stuttgart, Beschl. v. 28.01.2020 – 19 T 320/19, ZInsO 2020, 791 (rkr.)

Leitsatz des Bearbeiters:

Mit der Übersendung eines Gläubigers-Schreibens an einen Treuhänder liegt weder ein Verzicht noch eine Rücknahme der Forderungsanmeldung vor, wenn der Treuhänder das Schreiben nicht an das Insolvenzgericht weiterleitet, da wirksame Rücknahme von Forderungsanmeldungen im laufenden Verfahren nur gegenüber dem Insolvenzgericht erklärt werden können.

Anmerkung RiAG Ulrich Schmerbach, Göttingen:

Der Beschluss zeigt die praktischen Konsequenzen aus der jüngsten Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 11.04.2019 - IX ZR 79/18, InsbürO 2019, 387 = ZInsO 2019, 1105) auf, wonach nach Durchführung des Prüfungstermins eine Rücknahme der Forderungsanmeldung wirksam nur gegenüber dem Insolvenzgericht erklärt werden kann. Eine dem Verwalter gegenüber erklärte Rücknahme wird erst wirksam, wenn sie an das Insolvenzgericht weitergeleitet wird. Da dies im vorliegenden Fall nicht geschehen war, kam es für die Entscheidung nicht auf die Wirksamkeit der Erklärung der Gläubigerin zu 1) an. Das Insolvenzverfahren ist daher im Wege der Nachtragsverteilung fortzusetzen. Der Schuldner kann versuchen, den die Vergleichssumme übersteigenden Betrag gem. § 812 BGB wegen ungerechtfertigter Bereicherung gesondert einzuklagen. Die Rechtsbeschwerde wurde im Übrigen nicht zugelassen.

InsbürO 2020, 266: Nur formelles Prüfungserfordernis bei vollstreckbarer Ausfertigung

AG Göttingen, Beschl. v. 09.12.2019 - 74 IN 453/05, ZInsO 2020, 941

Leitsätze des Gerichtes:

1. Im Verfahren über die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Insolvenztabelle sind nur formelle Einwendungen zu prüfen.

2. Inhaltliche Einwendungen wie die Bestätigung eines Insolvenzplanes in einem nachfolgenden Verfahren nach Rücknahme des Restschuldbefreiungsantrages sind nicht zu berücksichtigen und im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) geltend zu machen.

 

 

Verwertungstätigkeit

InsbürO 2020, 266: Einziehungsmöglichkeit eines Rückkaufswertes bei unwiderruflicher Bezugsberechtigung zugunsten eines geschäftsführenden Alleingesellschafters

OLG Braunschweig, Urt. v. 04.09.2019 - 11 U 116/18, ZInsO 2019, 2527 (rkr.)

Leitsatz des Gerichtes:

1. Ist die Übertragung des Kündigungsrechts bzgl. eines Rentenversicherungsvertrages vom Versicherungsnehmer auf einen unwiderruflich bezugsberechtigten Dritten nicht feststellbar, so verbleibt das Kündigungsrecht beim Versicherungsnehmer; dem Insolvenzverwalter über das Vermögen des Dritten kann aber aus dem Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung ein Anspruch auf Kündigung des Rentenversicherungsvertrages gegen den Versicherungsnehmer zustehen.

2. Ist einem Dritten bzgl. eines Lebensversicherungsvertrages ein unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden, so gehört der Rückkaufswert im Falle einer Insolvenz des Dritten zur Insolvenzmasse, soweit dem nicht die Pfändungsschutzvorschriften entgegenstehen.

3. Ist der Dritte Allein- oder Mehrheitsgesellschafter des Versicherungsnehmers, so            kann er sich nicht auf die Vorschriften des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen                  Altersvorsorge (BetrAVG) berufen.

Aus der Begründung:

Unstreitig ist zwischen der Beklagten (= Versicherungsnehmerin) und der A. Lebensversicherungs- AG ein Rentenversicherungsvertrag zustande gekommen, in dessen Rahmen dem Insolvenzschuldner eine unwiderrufliche Bezugsberechtigung eingeräumt worden ist. Eine Übertragung des Kündigungsrechts auf den Insolvenzschuldner durch die Beklagte ist nicht erfolgt.Der Insolvenzschuldner hat gegenüber der Beklagten grds. einen Anspruch auf Kündigung des Versicherungsvertrages. … Im vorliegenden Fall sind … keine einer Kündigung des Versicherungsvertrages entgegenstehenden Interessen der Beklagten erkennbar. … Dieser Anspruch des Insolvenzschuldners auf Kündigung des Versicherungsvertrages durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist im vorliegenden Fall auf den Kläger als Insolvenzverwalter übergegangen. … Der Anspruch des Insolvenzschuldners bzgl. des Rückkaufswertes ist Bestandteil der Insolvenzmasse. … Ansprüche auf einmalige Kapitalleistungen einschließlich des Anspruchs auf Vergütung des Rückkaufswerts bei vorzeitiger Vertragskündigung fallen … nicht unter § 850 Abs. 3 lit. b ZPO und werden auch nicht von § 850i ZPO erfasst. Sie sind daher grds. uneingeschränkt pfändbar (…). … Das Pfändungsverbot gem. § 851 Abs. 1 ZPO, § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG greift nicht, weil das BetrAVG - … - auf den Insolvenzschuldner als Alleingesellschafter-Geschäftsführer nicht anwendbar ist.

InsbürO 2020, 266: Kein Verwertungsrecht nach § 166 InsO an Bundesgarantien

BGH, Urt. v. 14.11.2019 – IX ZR 50/17, ZInsO 2019, 2624

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtliche Leitsätze:

1. Ein Kostenbeitrag setzt voraus, dass der Insolvenzverwalter eine Verwertung kraft seines Verwertungsrechts aus § 166 InsO vornimmt oder hätte vornehmen können.

2. Kommt der Insolvenzverwalter mit der Auskehr des Erlöses in Verzug, schuldet er Verzugszinsen.

3. Verzug mit der Auskehr des Erlöses tritt i.d.R. nicht ohne Mahnung ein.

Aus dem Tatbestand:

Rn. 7: Die Klägerin vereinnahmte nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Erlöse aus der Bundesgarantie und zog auf der Grundlage einer Vereinbarung mit dem Beklagten (= Insolvenzverwalter) zunächst auch die Forderungen gegen die Endkreditnehmer ein. Nach Beendigung dieser Vereinbarung zum … übernahm der Beklagte den Forderungseinzug gegenüber den Endkreditnehmern und erzielte hierbei per … einen Gesamterlös von 889.606,91 €. Rn. 8: Mit Ausnahme des Erlöses aus einem einzelnen Darlehensvertrag hat die Klägerin mit ihrer Klage vom Beklagten die Auszahlung dieses Gesamterlöses, abzgl. einer Pauschale für Feststellungs- und Verwertungskosten i.H.v. 9 %, mithin 548.639,11 € nebst Zinsen verlangt. Der Beklagte hat sich mit der Aufrechnung mit Gegenforderungen auf Zahlung von Feststellungs- und Verwertungspauschalen wegen der von der Klägerin aus der Bundesgarantie vereinnahmten Erlöse verteidigt.

Aus der Begründung:

Rn. 23: Die Inanspruchnahme der Bundesgarantie stellt keine Verwertung der an die Klägerin abgetretenen Endkreditnehmerforderungen i.S.v. § 170 Abs. 1 und 2 InsO dar. … Rn. 25: Der Beklagte hat gegen die Klägerin allein aus der Einziehung der Garantieansprüche ebenfalls keinen Anspruch aus § 170 Abs. 2, § 171 Abs. 1 InsO auf die geltend gemachte Feststellungskostenpauschale, weil ihm an den Garantieansprüchen kein Verwertungsrecht nach § 166 Abs. 2 InsO zustand. Rn. 27: … Ein solches käme nur in Betracht, wenn entweder die Schuldnerin diese ihr zur Sicherheit abgetretenen Forderungen an die Klägerin als Sicherheit (zurück-)abgetreten hätte (…) oder diese kraft Gesetzes auf sie übergegangen wären (…). Beides ist jedoch nicht der Fall.

                     

 

Vollstreckungsrecht

InsbürO 2020, 267: Nachweis des Vollstreckungsprivileg für vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung durch Vorlage eines vollstreckbaren Auszuges aus der Insolvenztabelle

BGH, Beschl. v. 11.03.2020 - VII ZB 38/19, ZInsO 2020, 892

(VII. Senat = u.a. zuständig für Zwangsvollstreckungsrecht)

Amtlicher Leitsatz:

Durch die Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle kann der Gläubiger den Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO führen, wenn sich daraus ergibt, dass eine solche Forderung zur Tabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten worden ist (Anschluss an BGH, Beschl. v. 04.09.2019 - VII ZB 91/17, …).

Aus der Begründung:

Rn. 10: An dieser Rechtsprechung hält der BGH aus den in dem genannten Beschluss aufgeführten Gründen fest.