22.10.2021

Aus der Rechtsprechung

Rechtsprechungsüberblick

Nachfolgende Texte wurden in ähnlicher Form in der InsbürO - einer Zeitschrift für die Insolvenzpraxis - veröffentlicht. Die Zeitschrift erscheint im Carl Heymanns Verlag, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Unsere Mitarbeiterin Michaela Heyn ist Schriftleiterin und Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.

 

Oktoberheft 2021

 

Anfechtungsrecht

InsbürO 2021, 415: Kein Anfechtungsausschluss nach CovInsAG bei Lohnsteuerzahlungen

LG München I, Endurteil v. 13.07.2021 – 6 O 17571/20, ZInsO 2021, 1817

Zum Sachverhalt:

Die Insolvenzantrag datiert vom 11.05.2020. Die Insolvenzeröffnung erfolgte am 01.09.2020. Der Insolvenzverwalter fordert im Wege der Insolvenzanfechtung gem. §§ 129 Abs. 1, 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO i.V.m. § 143 Abs. 1 InsO die Rückzahlung von im Juli und August 2020 gezahlten Lohnsteuerbeträgen inkl. Nebenkosten von rund 36.000,00 €.

 

Aus der Begründung:

Die Klage ist zulässig und begründet. … Die Insolvenzanfechtung ist nicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG ausgeschlossen, da der Ausschlusstatbestand aufgrund der gebotenen restriktiven teleologischen Auslegung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuwenden ist. Zunächst kommt § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG vorliegend schon deswegen nicht zur Anwendung, da die Insolvenzschuldnerin zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen bereits einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte, und sich somit außerhalb des Schutzbereichs des COVInsAG begeben hatte. … Auch ist der Beklagte vorliegend nicht vom persönlichen Schutzbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG erfasst. Nach ihrem Wortlaut unterscheidet die Regelung nicht zwischen verschiedenen Arten von Gläubigern. Führt man sich jedoch Sinn und Zweck der Privilegierung vor Augen, wird deutlich, dass diese nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur für solche Gläubiger gelten soll, die in einem vertraglichen Verhältnis zum Insolvenzschuldner stehen. … Die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit entfällt auch nicht unter dem Aspekt des Bargeschäftseinwands (§ 142 BGB). Dieser ist auf die Zahlung von Lohnsteuer nicht anzuwenden (BGH …). … Der Arbeitgeber führt die Lohnsteuer auch nicht aufgrund eines gegenseitig verpflichtenden Verhältnisses ab, sondern weil er gesetzlich verpflichtet ist, die Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen (…).

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die vorstehende Entscheidung ist – soweit ersichtlich – eine der ersten Entscheidungen zur Anwendung des COVInsAG auf Anfechtungsansprüche. Allein durch den Eigenantrag sei der Schutzbereich des COVInsAG verlassen. Dies folgert das LG München aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/18110, S. 17), die es auch zitiert. Die weiteren Argumente für die Bejahung des geltend gemachten Anfechtungsanspruches (kein Vertragspartner und kein Bargeschäft) sind aber ebenfalls interessant und könnten in anderen Fällen greifen, in denen kein Eigenantrag vorliegt. Von daher liefert die Entscheidung sowohl für die künftigen Kläger als auch die Gerichte eine erste Grundlage. Es sind weitere Entscheidungen zu erwarten, denn die vier Fassungen des COVInsAG werden nach hiesiger Einschätzung noch viele Fragen in der Anwendung aufwerfen.

 

InsbürO 2021, 417 f.: Auszahlung der Darlehensvaluta keine unentgeltliche Leistung des späteren Insolvenzschuldners

BGH, Urt. v. 29.04.2021 - IX ZR 266/19, ZInsO 2021, 1454

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Amtliche Leitsätze:

  1. Erhält der Darlehensnehmer die Darlehensvaluta nicht vom Darlehensgeber als seinem Vertragspartner, sondern vom späteren Insolvenzschuldner, handelt es sich bei der Auszahlung der Darlehensvaluta jedenfalls dann nicht um eine unentgeltliche Leistung des späteren Insolvenzschuldners an den Darlehensnehmer, soweit der Darlehensnehmer (Zuwendungsempfänger) zur Rückzahlung des Darlehens an seinen Vertragspartner verpflichtet ist und das Darlehen zurückgezahlt wird.
     
  2. Nimmt der Schuldner Rechtshandlungen vor, mit denen er durch ein betrügerisches Anlagemodell eingeworbene Gelder planmäßig bewusst und gewollt an Dritte verschiebt, um sie dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen und für Hintermänner zu sichern, stellt dies ein deutliches Indiz für einen Benachteiligungsvorsatz dar.

 

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Der BGH hat die Sache ans Berufungsgericht zurückverwiesen mit dem Hinweis darauf, zu prüfen, ob ggf. eine Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO vorliege, weil die Schuldnerin offensichtlich mit Hilfe eines Schneeballsystems ein betrügerisches Anlagegeschäft betrieb und dies den Schluss rechtfertige, dass die Schuldnerin bei der Zahlung mit dem bedingten Vorsatz handelte, ihre Gläubiger zu benachteiligen.

 

InsbürO 2021, 421: Bestimmung von Wertersatz für noch im Vermögen des Anfechtungsgegners befindlichen Vermögensgegenstand

OLG Nürnberg, Urt. v. 15.04.2021 – 5 U 1524/17, ZInsO 2021, 1220

Leitsatz des Gerichts:

Jedenfalls dann, wenn sich der durch eine anfechtbare Rechtshandlung des Insolvenzschuldners weggegebene Gegenstand noch im Vermögen des Anfechtungsgegners befindet, ist für die Berechnung des Wertersatzes auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen, auch wenn der Anfechtungsgegner schon zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur noch Wertersatz schuldete (in Abgrenzung zu: BGH, Urt. v. 09.07.1987 - IX ZR 167/86, …).

Zum Sachverhalt:

Der Schuldner hatte im Vorfeld der Insolvenz mit einem Teilerbauseinandersetzungsvertrag einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück an den anderen Miterben zu Alleineigentum übertragen. Dieser sollte als Ausgleich für die Übertragung einen Betrag von 140.000 € zahlen. Nach Insolvenzeröffnung machte der Insolvenzverwalter geltend, dass der Betrag weiter unter dem Markt- und Verkehrswert liege. In Höhe von 65.000,00 € erklärte er daher die Anfechtung einer Schenkung i.S.v. § 134 InsO.

Aus der Begründung:

Im Zwei-Personen-Verhältnis ist eine Leistung als unentgeltlich anzusehen, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zugunsten der anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Verfügenden ein entsprechender Vermögenswert vereinbarungsgemäß zufließen soll. … Im vorliegenden Fall hat der Kläger den Nachweis eines objektiven Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung, bezogen auf den Zeitpunkt der beeinträchtigenden Verfügung des Schuldners, geführt. … Zwar behauptet der Beklagte, dass die Parteien von einer Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung ausgegangen seien. Objektive Umstände, die eine derartige Annahme der Vertragsparteien erlaubt hätten, hat er jedoch nicht dargelegt; … Im Streitfall besteht … die Besonderheit, dass eine Rückgewähr der Leistung rechtlich nicht möglich ist. Wie bereits dargelegt, hat nicht der Schuldner einen Miteigentumsanteil veräußert, … vielmehr ist, …, eine auf einen einzelnen Nachlassgegenstand beschränkte Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft erfolgt, die ebenso wenig wie eine Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft insgesamt in der Weise rückgängig gemacht werden kann, dass hinsichtlich des ausgeschiedenen Nachlassgegenstands eine Neubegründung der Erbengemeinschaft vorgenommen wird (…). Eine Rückgewähr des in anfechtbarer Weise weggegebenen Gegenstands in Natur scheidet deshalb aus (…). Der Anspruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO richtet sich bei einer solchen Fallgestaltung von vornherein auf Wertersatz (…).

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde nicht zugelassen, aber es wurde Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH (Az: IX ZR 73/21) eingelegt.

 

InsbürO 2021, 421 f.: Anfechtbarkeit von Zahlungen an einen Abschlussprüfer

OLG Frankfurt/M., Urt. v. 28.04.2021 - 4 U 72/20

Amtlicher Leitsatz:

Vergütungsansprüche des noch von der Insolvenzschuldnerin bestellten Abschlussprüfers, die sich auf vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Tätigkeiten beziehen, sind auch dann keine Masseverbindlichkeiten, wenn die Prüfung erst nach der Insolvenzeröffnung abgeschlossen wird.

Aus der Begründung:

Soweit die Beklagte auf die Rechtsprechung des 2. Zivilsenats des BGH (Beschl. v. 08.05.2018 - II ZB 17/17, Rn. 8 ff., …) verweist, nach der die Wirksamkeit der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten Bestellung eines Abschlussprüfers nicht nur für das Geschäftsjahr vor der Eröffnung des Verfahrens, sondern auch für die davorliegenden Geschäftsjahre von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt bleibt, ergibt sich daraus, dass § 155 Abs. 3 S. 2 InsO als gesetzliche Durchbrechung der Regelungen der §§ 115, 116 InsO anzusehen ist, nach denen Geschäftsbesorgungsverträge durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 9 m.w.N.). … Die von der Beklagten für die Abschlussprüfungen erbrachten Leistungen sind danach tatsächlich ohne weiteres in vor und nach der Insolvenzeröffnung erbrachte Leistungen teilbar, … Stehen noch einzelne Prüfungsschritte aus, so ermöglicht es ihm die Regelung des § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, seine Honoraransprüche wenigstens für den nach Insolvenzeröffnung erbrachten Teil der Leistungen als Masseforderungen geltend zu machen. … Dem Kläger steht gegen die Beklagte wegen einer Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO a.F. … zu. … Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin folgt … daraus, dass die Schuldnerin aufgrund der Prüfungstätigkeit der Beklagten Kenntnis von Indizien hatte, die auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit schließen ließen. Es bedarf insoweit … keiner Darlegungen des Klägers zur Liquiditätslage der Schuldnerin.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde zugelassen. Es sei bislang ungeklärt, ob vor der Insolvenzeröffnung erbrachte Leistungen eines Abschlussprüfers in Fällen, in denen die Abschlussprüfung erst nach Insolvenzeröffnung abgeschlossen wird, Masseverbindlichkeiten begründen und dies sei vor dem Hintergrund des Beschlusses des BGH vom 08.05.2018 (II ZB 17/17) voraussichtlich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen relevant. Die Revision wurde auch eingelegt und ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe dieser Ausgabe Mitte September beim BGH unter dem AZ: IX ZR 75/21 anhängig.

 

Unternehmensinsolvenzen

InsbürO 2021, 418: Gesamtverantwortung aller Geschäftsführer trotz interner Ressortverteilung bei Eintritt finanzieller Krise der Gesellschaft

OVG NRW, Beschl. v. 19.04.2021 – 14 B 43/21, ZInsO 2021, 1232 (unanfechtbar)

Leitsätze des Gerichts:

1. Die gesetzlichen Pflichten des § 34 Abs. 1 AO können nicht durch privatrechtliche Vereinbarung oder eine abweichende firmeninterne Aufgabenverteilung abbedungen werden.

2. Werden Geschäfte des laufenden Geschäftsverkehrs, die für die jur. Person nicht von existenzieller Bedeutung sind, regelmäßig von einem der gesetzlichen Vertreter wahrgenommen, dürfensich die anderen gesetzlichen Vertreter auch ohne schriftliche Festlegung der Aufgabenverteilung auf die ordnungsgemäße Wahrnehmung dann verlassen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Der die Aufgabe wahrnehmende gesetzliche Vertreter muss persönlich vertrauenswürdig sein.
  • Der ihm vertrauende gesetzliche Vertreter muss generelle Kenntnis davon haben, dass die Geschäftsführung ordnungsgemäß wahrgenommen wird.
  • Es muss gewährleistet sein, dass die Geschäfte die Grenzen des laufenden Geschäftsverkehrs nicht übersteigen und dass bei einer auch nur entfernt zu befürchtenden Gefährdung der Liquidität oder des Vermögens der juristischen Person alle gesetzlichen Vertreter unverzüglich unterrichtet werden.

3. Jede, ob schriftliche oder nur faktische, interne Aufgabenverteilung und die damit verbundene Haftungsbegrenzung endet dann, wenn das Unternehmen in eine finanzielle Krise gerät. Die Gesamtverantwortung aller Geschäftsführer wird spätestens dann wirksam, wenn die laufende Erfüllung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht mehr gewährleistet ist und infolgedessen Unregelmäßigkeiten in der Erklärung der Steuern oder der Erfüllung der Steuerverbindlichkeiten zu besorgen sind.

4. Die Haftung nach den §§ 34, 69 AO setzt voraus, dass zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem den Haftungsanspruch begründenden Steuerschaden eine adäquate Kausalität besteht. Dies gilt nicht nur im Fall der Nichterfüllung der Steuerschuld (§ 69 Satz 1, 2. Alt. AO), sondern auch im Fall der Verletzung von Steuererklärungspflichten (§ 69 Satz 1, 1. Alt. AO).

5. An einer adäquaten Kausalität der schuldhaften Pflichtverletzung der nicht rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung für den entstandenen Steuerschaden fehlt es, wenn oder soweit die jur. Person in dem Zeitpunkt, zu dem die Steuer bei rechtzeitiger Abgabe der Steuererklärung fällig geworden wäre und auch später, über keine oder keine ausreichenden Mittel verfügte, um die Steuer zu entrichten.

 

InsbürO 2021, 419: Haftung einer Sanierungsberaterin in der Krise einer GmbH

LG Aachen, Urt. v. 14.04.2021 – 11 O 241/17, ZInsO 2021, 1343

Zum Sachverhalt:

Der Insolvenzverwalter fordert im Wege der Anfechtung gem. § 133 InsO die Rückzahlung von gezahlten Beraterhonoraren in Höhe von mehr als 470.000 €.

Aus der Begründung:

Hinzu kommt, dass zahlreiche Indizien dafürsprechen, dass der Geschäftsführer die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin kannte. … Gleichzeitig erscheint es unbillig, die Beklagte (= Sanierungsberaterin) vollständig aus der Haftung zu entlassen. Denn sie hat der Schuldnerin ihre Expertise zur Sanierungsberatung angeboten. Die Schuldnerin hat sie aufgrund dieser Expertise beauftragt, um der Schuldnerin einen Weg aus der Krise aufzuzeigen. Sie durfte sich damit auch auf den Rat der Beklagten verlassen. Was die Schuldnerin hingegen bekommen hat, ist ein unbrauchbares Sanierungskonzept, das unklare und widersprüchliche Aussagen trifft. Einerseits gibt die Beklagte darin an, man könne die Fortführung der Unternehmung wieder auf eine tragfähige Basis stellen. Andererseits wies sie darauf hin, dass möglicherweise eine erhebliche Überschuldung vorliege. Außerdem ist der Beklagten vorzuwerfen, dass sie die anfänglichen Empfehlungen, einen Experten mit der Prüfung der Insolvenzantragspflicht zu beauftragen, nicht mit Nachdruck gegenüber dem Geschäftsführer wiederholte. Sie hätte diesen Rat im Sanierungskonzept wiederholen müssen. Im weiteren Verlauf der Beratung hätte es zahlreiche Gelegenheiten gegeben, die die Beklagte alle ungenutzt verstreichen ließ und stattdessen Zuversicht bei dem Geschäftsführer verbreitete. Die Beratung der Schuldnerin und die von ihr erstellten Konzepten waren letztendlich für die Schuldnerin wertlos.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Das LG Aachen verweist in der Begründung vielfach auf die BGH-Rechtsprechung, u.a. auf diejenige vom 10.01.2013 (AZ: IX ZR 28/12 Rn. 19, WKRS 2013, 10178), wonach zu der Zeit der angefochtenen Handlung ein schlüssiges, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehendes Sanierungskonzept vorliegen muss, das mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt worden ist und bei der Schuldnerin die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigt, was das LG Aachen vorliegend für nicht gegeben ansieht. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Es ist zum Zeitpunkt der Druckfreigabe Mitte August ein Berufungsverfahren beim OLG Köln unter dem AZ: 2 U 23/21 anhängig.

 

InsbürO 2021, 419 f.: Beiträge aus gesetzlicher Unfallversicherung als Masseverbindlichkeit während der starken vorl. Verwaltung

BSG, Urt. v. 15.12.2020 - B 2 U 14/19 R, ZInsO 2021, 1859

(B = BSG und 2 U = 2. Senat, u.a. zuständig für Fragen der gesetzlichen Unfallversicherung)

Aus der Begründung:

Rn. 11: Die Beitragsabfindung gilt nach § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO als Masseverbindlichkeit. Denn die Beitragsansprüche, die der Abfindung zugrunde liegen, sind für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (…) aus dem Mitgliedschaftsverhältnis zwischen der KG und der Beklagten im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses entstanden und der Kläger hat als starker vorläufiger Insolvenzverwalter die Haftungsfreistellung als Gegenleistung für das von ihm verwaltete Vermögen der KG in Anspruch genommen. Zwischen der Beklagten und der KG bestand bis … in der gesetzlichen Unfallversicherung ein Mitgliedschaftsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, das als Dauerschuldverhältnis i.S.d. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO zu qualifizieren ist (…). … Indem der Kläger das Unternehmen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortführte und Arbeitnehmer (weiter-)beschäftigte, nahm er für das von ihm verwaltete Vermögen der KG den Versicherungsschutz mit entsprechender Haftungsbeschränkung für Personenschäden bei Eintritt eines Versicherungsfalls in Anspruch, und dafür entstanden Beitragsverbindlichkeiten, die gem. § 164 Abs 2 SGB VII abgefunden wurden. … Rn. 12: § 55 Abs. 3 InsO steht der Zuordnung einer Beitragsabfindung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu den Masseverbindlichkeiten nicht entgegen. Diese Regelung, die in Abweichung von § 55 Abs. 2 InsO bestimmte Forderungen zu Insolvenzforderungen i.S.d. §§ 38, 87 InsO zurückstuft, findet auf die Beitragsforderungen der Unfallversicherungsträger keine Anwendung.

                     

InsbürO 2021, 420: Verlustteilnahme von Kommanditisten bei gesellschaftsvertraglicher Regelung zur Pflichteinlagefälligkeit

BGH, Urt. v. 23.02.2021 – II ZR 184/19,ZInsO 2021, 1406

(II. Senat = u.a. zuständig für Gesellschaftsrecht)

Einer von zwei amtlichen Leitsätzen:

Eine im Zeitpunkt des Ausscheidens eines Kommanditisten noch offene Einlageverpflichtung ist grds. unabhängig von ihrer Fälligkeit eine rückständige Einlage i.S.v. § 167 Abs. 3 HGB. Daran ändert sich nichts, wenn der Gesellschaftsvertrag, nach dem ein Teil der Pflichteinlage bar geleistet und der andere Teil mit ausschüttungsfähigen Gewinnen verrechnet werden sollte, dahin geändert wird, dass ein Teil der noch offenen Pflichteinlage fällig wird, wenn sie durch die Geschäftsführung schriftlich eingefordert wird, und der Rest der Pflichteinlage eingefordert werden kann, wenn ein entsprechender Gesellschafterbeschluss gefasst wird.

Aus der Begründung:

Rn. 20: Das Berufungsgericht hat … zutreffend angenommen, dass die Klägerin (= Publikums AG) die Beklagte (= ehemalige Kommanditistin) aufgrund des Gesellschaftsvertrags i.V.m. §§ 161 Abs. 2, 105 Abs. 3 HGB, §§ 735, 738, 739 BGB gem. § 167 Abs. 3 HGB nur bis zur Höhe ihrer "rückständigen Einlage" auf Ausgleich eines negativen Kapitalkontos in Anspruch nehmen kann. … Rn. 25: … Wie … ausgeführt hat, handelte es sich bei § 4 Nr. 3 Satz 2 – 4 GV a.F. lediglich um eine Fälligkeitsregelung, mit der der nicht als Geldeinlage zu leistende Anteil von 46 % des Zeichnungsbetrags zunächst gestundet wurde. Das ergibt sich bei objektiver Auslegung … bereits aus dem Wortlaut der Klausel, wonach die restlichen "46 % der Pflichteinlage … fällig" werden sollten, wenn die Gesellschafter diesen Betrag aus erwirtschafteten und ausschüttungsfähigen Gewinnen leisten konnten, die dann mit dem "ausstehenden Teil der Pflichteinlage" verrechnet werden sollten. Eine Auslegung der Regelung i.S.e. aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) dahin gehend, dass eine weitere Einlageverpflichtung hinsichtlich 46 % des Zeichnungsbetrags nur bei Erzielung entsprechender ausschüttungsfähiger Gewinne entstehen sollte, kommt angesichts der ausdrücklichen Bezeichnung der restlichen 46 % als ausstehender Teil der Pflichteinlage nicht in Betracht. … Rn. 26: … Eine Unterscheidung zwischen in der Gesellschaft verbleibenden und aus ihr ausscheidenden Gesellschaftern ist dem Wortlaut von § 4 Nr. 3 GV a.F. nicht zu entnehmen. …

 

InsbürO 2021, 420: Haftung des Aufsichtsrats wegen Verletzung von Kontroll- und Aufsichtspflicht bei Zahlungen nach Insolvenzreife

KG, Beschl. v. 29.04.2021 – 2 U 108/18, ZInsO 2021, 1323

Aus der Begründung:

Rn. 65: Die Pflicht aus § 92 Abs. 2 S. 1 AktG, nach Eintritt der Insolvenzreife keine Zahlungen mehr zu leisten, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht vereinbar sind, richtet sich zwar an den Vorstand der Aktiengesellschaft und nicht an deren Aufsichtsrat; ihr entspricht aber eine Beratungs- und Überwachungspflicht des Aufsichtsrats (BGH, Urt. v. 16.03.2009 - II ZR 280/07 und 20.09.2010 - II ZR 78/09, …). Erkennt also der Aufsichtsrat, dass die Gesellschaft insolvenzreif ist, oder musste er dies erkennen und bestehen für ihn Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Vorstand entgegen dem Verbot des § 92 Abs. 2 S. 1 AktG Zahlungen leisten wird, so hat er darauf hinzuwirken, dass der Vorstand die verbotswidrigen Zahlungen unterlässt (BGH, …). … Nach § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG hat der Vorstand über den Gang der Geschäfte, insbesondere den Umsatz, und die Lage der Gesellschaft, vierteljährlich zu berichten. … Ist die Lage der Gesellschaftangespannt oder bestehen sonstige risikoträchtige Besonderheiten, so muss die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrates entsprechend der jeweiligen Risikolage intensiviert werden (OLG Düsseldorf, Urt. v. 31.05.2012 - I-16 U 176/10, …). Die Pflicht zur eigenen Urteilsbildung betrifft auch nicht nur den Aufsichtsrat als Gesamtorgan, sondern jedes einzelne Mitglied (OLG Stuttgart, Urt. v. 29.02.2012 - 20 U 3/11, …). … Der Aufsichtsrat ist ein eigenes unabhängiges Kontrollorgan, das gerade dann von besonderer Bedeutung ist, wenn auf Seiten des Vorstands Versäumnisse zu verzeichnen sind. Versäumnisse des Vorstands können daher von vornherein nicht zu einer Entlastung des Aufsichtsrates führen. … Da § 116 S. 1 AktG auch auf § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG verweist, gilt die Gleichstellung des Schadens der Insolvenzgläubiger mit einem Schaden der Gesellschaft auch für den Aufsichtsrat, der seine Überwachungspflicht in Bezug auf die Einhaltung des Verbots des § 92 Abs. 2 S. 1 AktG durch den Vorstand verletzt; auch er ist, wenn er seine Überwachungspflicht schuldhaft verletzt hat, zum Ersatz der verbotswidrig geleisteten Zahlungen verpflichtet (vgl. BGH, Urt. v. 20.09.2010 - II ZR 78/09, …).

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde nicht zugelassen, aber es wurde Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt (AZ: II ZR 103/21).

 

InsbürO 2021, 421: Zur Fortbestehensprognose bei Start-Up-Unternehmen

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.07.2021 – I-12 W 7/21 (rkr.)

Aus der Begründung:

Das LG ist zutreffend davon ausgegangen, dass bei einem Start-Up Unternehmen wie der Schuldnerin die Grundsätze, die der BGH für eine positive Fortbestehensprognose aufgestellt hat (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 23.01.2018 – II ZR 246/15 Rn. 23, ZInsO 2018, 815), nicht uneingeschränkt anwendbar sind. Solche Unternehmen sind in einer – mehr oder weniger langen – Anfangsphase meist nicht ertragsfähig, jedoch sind in derartigen Fällen operative Geschäftschancen trotz möglicherweise derzeit fehlender Ertragskraft nicht auf Dauer ausgeschlossen. Zumindest in Fällen von Start-Ups sieht der BGH die Ertragsfähigkeit (Selbstfinanzierungskraft) nicht als Voraussetzung einer positiven Fortführungsprognose an (vgl. BGH, Urt. v. 14.05.2007 – II ZR 48/06, Rn. 18 …). Es liegt in der Natur eines solchen Unternehmens, dass es zunächst nur Schulden macht und von Darlehen abhängig ist. In diesen Fällen muss daher auf die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum abgestellt werden, wobei die erforderlichen Mittel auch von Dritten (Fremdkapitalgeber oder Eigentümer) kurz-, mittel- oder langfristig zur Verfügung gestellt werden können (…). Die Fortführungsfähigkeit muss im Rahmen des § 19 InsO überwiegend, also zu mehr als 50 % wahrscheinlich sein; maßgeblich ist also, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen zu decken (…). … Nach diesen Maßstäben genügt im konkreten Fall zur Feststellung der positiven Fortbestehensprognose im Zeitraum der geltend gemachten Zahlungen die dokumentierte Zahlungszusage des ehemaligen Gesellschafters und Investors C … Ein rechtlich gesicherter und damit einklagbarer Anspruch auf die Finanzierungsbeiträge ist jedenfalls, wie sich aus der Dornier-Entscheidung des BGH (Urt. v. 13.07.1992 – II ZR 269/91, … Rn. 15) ergibt, nicht Voraussetzung für eine positive Fortbestehensprognose, denn dies würde einem Wahrscheinlichkeitsgrad von 100 % entsprechen (…).

 

 

Insolvenztabelle

InsbürO 2021, 416 f.: Zum Umgang mit dem anmeldefähigen Arbeitnehmeranspruch aus Versorgungszusage bei Betriebsübergang

BAG, Urt. v. 26.01.2021 – 3 AZR 139/17, ZInsO 2021, 1236

(3. Senat = u.a. zuständig für die betriebliche Altersvorsorge)

Leitsätze des Gerichts:

1. Die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts gehen § 613a BGB als Spezialregelungen für bereits entstandene Ansprüche oder Anwartschaften vor, so dass der Erwerber nicht für eine aufgrund des Endgehaltsbezugs einer Versorgungsordnung bei Insolvenzeröffnung bereits vom Arbeitnehmer erdiente Dynamik einstehen muss. Insoweit scheidet auch eine Eintrittspflicht des Pensions-Sicherungs-Vereins (PSV) aus. Die wertmäßige Differenz kann der Arbeitnehmer als aufschiebend bedingte Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden.

2. Arbeitnehmern muss als Mindestschutz ihrer Forderungen auf betriebliche Altersversorgung ein Anspruch nach Art. 3 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2001/23/EG i.V.m. Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG gewährt werden. Das begründet in Deutschland einen unmittelbar aus dem Unionsrecht folgenden Anspruch gegen den PSV.

Aus der Begründung:

Rn. 2: … Als Eintritt des Versorgungsfalles gilt für die Altersrente das Erreichen der Altersgrenze. … Rn. 44: Der Haftungseinschränkung steht auch nicht entgegen, dass der PSV als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung nach § 7 Abs. 2 BetrAVG für die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens gesetzlich unverfallbare Versorgungsanwartschaft des Klägers nur nach Maßgabe von § 7 Abs. 2 Satz 6 BetrAVG (jetzt § 7 Abs. 2a Satz 4 BetrAVG n.F.) und damit unter Berücksichtigung des Festschreibeeffekts und der Veränderungssperre einzutreten hat. Rn. 45: Nach § 7 Abs. 2 BetrAVG haben Personen, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer Direktzusage eine gesetzlich unverfallbare Anwartschaft erworben haben, bei Eintritt des Versorgungsfalls gegen den PSV einen Anspruch auf Gewährung der erworbenen Versorgungsleistung. Bei der Berechnung der Höhe dieses Anspruchs sind nach § 7 Abs. 2 Satz 6 BetrAVG (jetzt …) Veränderungen der Versorgungsregelung und der Bemessungsgrundlagen, die nach dem Eintritt des Sicherungsfalls eintreten, nicht zu berücksichtigen. Damit hat der PSV im Fall einer endgehaltsbezogenen Versorgungszusage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgende Steigerungen des Gehalts bei der Berechnung der den Arbeitnehmern bei Eintritt des Versorgungsfalls zu gewährenden Leistungen außer Betracht zu lassen. … Rn. 47: … Damit gehen die gesetzlich unverfallbaren Anwartschaften der Arbeitnehmer bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch nur in dem Umfang auf den PSV über, in dem dieser … einzutreten hat (…). Rn. 48: Die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erdienten, nicht durch den PSV insolvenzgeschützten Anwartschaften verbleiben hingegen beim Arbeitnehmer. Rn. 49: Eine solche wertmäßige Differenz ist als aufschiebend bedingteInsolvenzforderung anzumelden. Nach §§ 191 Abs. 1, 198 InsO hat dies zur Folge, dass der auf die aufschiebend bedingte Forderung entfallende Anteil nicht auszuzahlen, sondern zu hinterlegen ist. Die Auszahlung hat erst mit Eintritt des Versorgungsfalls an den Arbeitnehmer zu erfolgen.

                   

 

Arbeitsrecht

InsbürO 2021, 422: Unzulässige Verknüpfung von Sozialplanabfindung mit Klageverzichtsprämie

LArbG Nürnberg, Urteil v. 21.01.2021 – 4 Sa 217/20, ZInsO 2021, 1581

Leitsatz des Gerichts:

Die Verknüpfung der Zahlung eines Teils der Sozialplanabfindung mit einem Verzicht auf die Kündigungsschutzklage (sog. Klageverzichtsprämie) ist zweckwidrig und daher unwirksam. Dies gilt auch, wenn die Klageverzichtsprämie in einer eigenen Betriebsvereinbarung geregelt, die Prämie aber aus dem Sozialplanvolumen finanziert ist. In einem solchen Fall können Sozialplan und Betriebsvereinbarung als Einheit zu betrachten sein mit der Folge, dass nicht die Betriebsvereinbarung insgesamt unwirksam ist, sondern die Klageverzichtsprämie die im Sozialplan vorgesehene Abfindung erhöht ggf. unter Berücksichtigung etwaiger Kappungsgrenzen.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die Revision wurde wg. grds. Bedeutung zugelassen, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob die Umgehung des Verbots, Sozialplanleistungen von einem Klageverzicht abhängig zu machen, und wenn die Klageverzichtsprämie aus den für die Sozialplanleistungen zur Verfügung stehenden Mitteln finanziert wird, immer zur Unwirksamkeit einer BV Klageverzichtsprämie führt (vgl. BAG 31.05.2005 - 1 AZR 254/04, Rn. 40) oder sie im vorliegenden Fall als Teil der Sozialplanregelungen angesehen werden kann. Die Revision ist auch eingelegt worden. Das Verfahren war bei Druckfreigabe beim BAG unter dem AZ: 1 AZR 103/21 anhängig.

 

InsbürO 2021, 422: Besonderheiten im betrieblichen und persönlichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes

BAG, Urt. v. 27.04.2021 - 2 AZR 540/20, ZInsO 2021, 1685

(2. Senat = u.a. zuständig für die Beendigung oder Änderung eines Arbeitsverhältnisses durch Kündigung)

Aus der Begründung:

Rn. 14: Entgegen der Auffassung des LAG liegt kein Wertungswiderspruch darin, einem Fremdgeschäftsführer gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG den Kündigungsschutz zu versagen, ihn aber bei der Berechnung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG miteinzubeziehen. Dies ist Ausdruck des gesetzgeberischen Regelungskonzepts, das zwischen dem persönlichen und dem betrieblichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes unterscheidet. Auch Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat, erhalten keinen Kündigungsschutz und sind dennoch bei der Berechnung der Betriebsgröße nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG mitzuzählen.

 

 

Allgemeines

InsbürO 2021, 415 f. Frage der Zuständigkeit für Abwehr von Leistungsbescheiden

AG Köln, Beschl. v. 18.06.2021 – 70a IN 111/19 (283 M 555/21), ZInsO 2021, 1578 (n. rkr.)

Leitsätze des Gerichts:

  1. § 89 Abs. 3 InsO begründet keine Rechtswegzuständigkeit. Die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts als besonderes Vollstreckungsgericht nach § 89 Abs. 3 InsO setzt voraus, dass nach allgemeinen Grundsätzen die Zivilgerichte zuständig sind.
  2. § 89 Abs. 3 InsO begründet kein eigenständiges Rechtsmittel. Die Norm enthält lediglich eine Zuständigkeitszuweisung an das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht und setzt ein zulässiges Rechtsmittel zu den (zivilgerichtlichen) Vollstreckungsgerichten voraus.

Zum Sachverhalt:

Die Antragsgegnerin, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, hat … Leistungsbescheide erlassen, in denen es um einen Ausgleichsbeitrag zur Finanzierung der Ausbildungsvergütung in der Altenpflege gem. § 25 Altenpflegegesetz ging. Sie vertrete die Ansicht, sie könne aufgrund des gegen den Schuldner ergangenen rechtskräftigen Bescheides in die Masse vollstrecken. Der Antragsteller (= Insolvenzverwalter) rügt neben der Verletzung allgemeiner Vollstreckungsvoraussetzungen die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aufgrund § 89 Abs. 1 InsO.          

Aus der Begründung:

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist unzulässig. Zuständig für den Rechtsstreit sind die Verwaltungsgerichte, im konkreten Fall das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Köln, an das gem. § 17a Abs. 2 GVG zu verweisen war. … Denn insbesondere § 185 InsO und die Gesetzesbegründung zu § 185 InsO lassen einen eindeutigen Willen des Gesetzgebers erkennen, die Zuständigkeiten der Fachgerichte nicht antasten zu wollen. Die Gesetzesbegründung lautet (BT-Drs. 12/2443 vom 15.04.1992, S. 185 zu § 213 RegE): "... Streitigkeiten um Forderungen, für deren Feststellung die ordentlichen Gerichte nicht zuständig sind, sollen von den zuständigen anderen Gerichten oder der zuständigen Verwaltungsbehörde entschieden werden. …“ … Soweit der Antragsteller darauf abstellt, es gebe in der VwGO keinen § 766 ZPO entsprechenden Rechtsschutz, so führt dies ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Denn Zweck des § 89 Abs. 3 InsO ist es nicht, weitere Rechtsmittel zu schaffen, sondern lediglich bestehende Rechtsmittel, namentlich die in der Gesetzesbegründung benannte Erinnerung nach § 766 ZPO, den Insolvenzgerichten als besonderes Vollstreckungsgericht zuzuweisen, soweit die zivilgerichtlichen Vollstreckungsgerichte zuständig sind.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn, Ahlen:

Die vorstehende Konstellation dürfte kein Einzelfall sein: Es werden Leistungsbescheide erlassen und in der zuständigen Behörde fehlen detaillierte Kenntnisse über das Insolvenzrecht, so dass weder die Frage der Einordnung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit noch die Frage des Adressaten im Leistungsbescheid als Problem erkannt wird. Normalerweise kann dies durch Erläuterungen und Belege geklärt werden, aber hin und wieder bleibt „ein Amt hartnäckig“ bei der eigenen – wie hier fehlerhaften - Auffassung. Der Insolvenzverwalter im vorliegenden Fall wollte sich also entsprechend über die Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO wehren, um Schaden von der Insolvenzmasse abzuwenden. Zu dieser Thematik finden sich kaum Ausführungen in den Kommentierungen zu § 89 Abs. 3 InsO. Aber Wimmer/Amend im Frankfurter Kommentar zur InsO (9. Aufl. 2018, § 89 InsO Rn. 60) teilen bspw. die Rechtsansicht des AG Köln nicht. Sie erläutern, dass der Gesetzgeber das Verhältnis von § 89 Abs. 3 InsO zu den für die Verwaltungsvollstreckung geltenden Zuständigkeitsbestimmungen in §§ 72, 73 VwGO und § 367 Abs. 1 AO nicht ausdrücklich geregelt habe. Aus der Tatsache, dass es der Gesetzgeber für geboten hielt, wegen der besonderen Entscheidungsrelevanz insolvenzspezifischer Fragen die Prüfungszuständigkeit auch bei Vollstreckungsmaßnahmen im Zwangsvollstreckungsverfahren vom bisher dafür zuständigen Vollstreckungsgericht (§ 764 ZPO) auf das Insolvenzgericht zu übertragen, lasse sich jedoch schließen, dass auch bei Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung primär die insolvenzspezifischen Fragen die gerichtliche Kontrollbefugnis bestimmen und darum auch dafür die Erinnerung gegeben sein solle. Das schließe nicht aus, dass gegen Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung Widerspruch bzw. Einspruch eingelegt werde, falls nicht ein Verstoß gegen § 89 InsO gerügt, sondern z. B. ein Ermessensfehler bei einer nach § 89 InsO ausnahmsweise zulässigen Vollstreckung beanstandet werde. In bestimmten Fällen könne es sogar geboten sein, zweigleisig vorzugehen, etwa wenn sich nicht eindeutig sagen lässt, ob die Forderung des Gläubigers als Insolvenzforderung oder als Masseforderung zu qualifizieren sei.

                        

InsbürO 2021, 418 f.: Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen im Rahmen von KUG an insolvente Unternehmen

LSG Bayern, Beschl. v. 10.05.2021 – L 10 AL 61/21 B ER, ZInsO 2021, 1790 (unanfechtbar)

Zum Sachverhalt:

Bei der Schuldnerin handelt es sich um einen Modekonzern mit ca. 4.600 Arbeitnehmern. Vor der Insolvenzantragstellung wurde Kurzarbeitergeld und die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen bewilligt. Im Januar wurde die vorläufige Eigenverwaltung angeordnet. Die Bundesagentur erklärte daraufhin, dass eine Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr möglich sei, da von einer Anfechtbarkeit nach §§ 129 ff. InsO ausgegangen werde. Im Hinblick darauf, dass die gezahlten Sozial-versicherungsbeiträge mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefochten und zur Insolvenzmasse gezogen würden, sei für die Erstattung nach § 2 der Verordnung über Erleichterungen der Kurzarbeit v. 25.03.2020 (KugV) „kein Raum“.

Aus der Begründung:

Das Begehren der Antragstellerinnen richtet sich auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch Erlass einer Regelungsanordnung (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). … Dem Anspruch der Antragstellerinnen (= Schuldnerin) steht nicht die Weisung … der Antragsgegnerin (= Arbeitsagentur) … entgegen. Sie entfaltet keine Bindungswirkung für das Gericht. … Die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen nach § 2 Abs. 1 KugV steht nicht im Ermessen der Antragsgegnerin. Zwar handelt es sich beim Kurzarbeitergeld nach § 95 SGB III und der damit verbundenen Erstattung von Beiträgen zur Sozialversicherung um Leistungen der aktiven Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 2 SGB III), die grds. Ermessensleistungen sind (§ 3 Abs. 3 SGB III). Hiervon ausgenommen ist jedoch explizit das Kurzarbeitergeld bei Arbeitsausfall (§ 3 Abs. 3 Nr. 5 SGB III) und damit nach Auffassung des Senats auch die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge nach § 2 Abs. 1 KugV, die nach der gesetzgeberischen Ermächtigung des § 109 Abs. 5 Nr. 3 SGB III sowie nach der Umsetzung in § 2 Abs. 1 KugV akzessorisch zum Anspruch auf Kurzarbeitergeld ist (…). … Eine derzeit nur als möglich zu erachtende Insolvenzanfechtung hängt … von verschiedenen in der Zukunft liegenden, ungewissen Umständen ab. … Es ist auch nicht erkennbar, warum die Antragstellerinnen kein schutzwürdiges Interesse am wenigstens kurzzeitigen Erhalt der Erstattungsleistungen haben sollten. Den Vortrag der Antragstellerinnen als richtig unterstellt, könnten diese über den Hebel der Erhaltung des Massekredits entscheidend für die Fortführung des Unternehmens und damit den Erhalt der Arbeitsplätze der Arbeitnehmer sein, die gegenwärtig von der Antragstellerin durch Zahlung von Kurzarbeitergeld gefördert werden. … Durch die Bewilligung von Kurzarbeitergeld hat die Antragsgegnerin … bereits ihrer Einschätzung einer positiven Prognose für die Arbeitsplätze bei den Antragstellerinnen Ausdruck verliehen; warum sich diese Einschätzung im Rahmen der Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge gegenteilig darstellen soll, leuchtet nicht ein. …

 

InsbürO 2021, 422 f.: Zur Erstattung der Zustellungskosten eines Pfändungs- und Überweisungsbeschluss bei mehreren Drittschuldnern

BGH, Urt. v. 10.06.2021 – IX ZR 90/20, ZInsO 2021, 1737

(IX. Senat = u.a. zuständig für Insolvenzrecht)

Leitsatz des Gerichts:

Ergeht ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auch wegen der Zustellungskosten für diesen Beschluss, erstreckt sich die Pfändung auf die Kosten der Zustellung des Beschlusses an den Schuldner und an die im Beschluss genannten Drittschuldner.

Zum Sachverhalt:

Es wurde ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen mehrere Drittschuldnerin erwirkt. Der Drittschuldner 1 beglich die Forderung. Offen blieben die Zustellungskosten an die Drittschuldner 2 und 3 für diesen vorgenannten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss.

Aus der Begründung:

Rn. 21: Zwar hat die fehlende Bezifferung der Kosten für die noch vorzunehmende Zustellung an den Schuldner und die Drittschuldner im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zur Folge, dass es dem Drittschuldner jedenfalls im Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses an ihn nicht möglich ist, auf einen Blick den Umfang der Pfändung und des Pfandrechts zu ersehen. … Rn. 22: Trotz der damit für den Drittschuldner zunächst einhergehenden Unsicherheiten erachtet es der Senat für die Bestimmbarkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bezogen auf die Zustellungskosten für ausreichend, dass die nach Durchführung der Zustellungen feststehenden konkreten Kosten dem Drittschuldner im Nachgang mitgeteilt werden und gegebenenfalls durch Vorlage der Kostenrechnungen der Gerichtsvollzieher nachgewiesen werden (…). Rn. 23: Die für den Drittschuldner bei der Pfändung auch der Zustellungskosten einhergehenden Unsicherheiten finden ihre Rechtfertigung im Sinn und Zweck des § 788 Abs. 1 ZPO.

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