04.05.2020

Rechtsprechungsüberblick

Eröffnungsverfahren

 

Berücksichtigung einer Erledigungserklärung vor Wirksamkeit eines Eröffnungsbeschlusses

AG Göttingen, Beschl. v. 01.11.2019 -74 IN 84/19 GÖ (rkr.)

Zum Sachverhalt:

Das Insolvenzgericht hat am 25.09.2019 um 9.00 Uhr das Insolvenzverfahren eröffnet. Am selben Tag ging eine Erledigungserklärung des FinA ein, die erst am 07.10.2019 vorgelegt wurde.

Aus der Begründung:

Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hin ist der Eröffnungsbeschluss aufzuheben. … Es ist davon auszugehen, dass die Erledigungserklärung vor der Wirksamkeit der Eröffnung bei Gericht einging. Die Erledigungserklärung enthält lediglich den Datumsstempel vom 25.09.2019 ohne Angabe einer Uhrzeit. In entsprechender Anwendung des § 27 Abs. 3 InsO (BGH, ZInsO 2010, 1496) ist von einem Eingang um 12:00 Uhr auszugehen. Der Eröffnungsbeschluss datiert zwar zeitlich früher auf 9:00 Uhr. Allerdings wird ein nicht verkündeter Beschluss erst wirksam, wenn er aufhört, eine innere Angelegenheit des Insolvenzgerichtes zu sein. Dazu genügt nicht die Übergabe an die Geschäftsstelle. Vielmehr ist auf die (erstmalige) Bekanntgabe abzustellen (FK-InsO/Schmerbach § 30 Rn. 7). Diese erfolgte im vorliegenden Fall durch Übersendung des Eröffnungsbeschlusses mittels EGVP an den Insolvenzverwalter um 14:49 Uhr. Zuvor eingegangene Schriftsätze sind bei der Entscheidung noch zu berücksichtigen (FK– InsO/Schmerbach § 5 Rz. 60). 

 

 

 
Insolvenzverfahren natürlicher Personen

 

Ohne rechtzeitige Forderungsanmeldung Restschuldbefreiung auch für Forderung aus unerlaubter Handlung 

BGH, Urt. v. 19.12.2019 - IX ZR 53/18, ZInsO 2020, 293

Leitsatz von RA Kai Henning, Dortmund:

Eine Insolvenzforderung gegen den Schuldner aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung wird von der Restschuldbefreiung erfasst, wenn der Gläubiger diese Forderung nicht unter Angabe des besonderen Rechtsgrundes bis spätestens zum Schlusstermin zur Tabelle angemeldet hat. Dies gilt auch, wenn der Schlusstermin im schriftlichen Verfahren durchgeführt wird.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund: 

Die Anmeldung der Forderung durch den Gläubiger als Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung ist Tatbestandsvoraussetzung des § 302 InsO. Nur die entsprechende, den Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 InsO genügende Anmeldung führt zur Ausnahme der Forderung von der Restschuldbefreiung. Mit der vorliegenden Entscheidung gibt der BGH nun zusätzliche Klarheit, bis zu welchem Termin die Anmeldung erfolgen muss. Sowohl bei mündlicher als auch schriftlicher Verfahrensführung ist dies der Schlusstermin. Eine nicht oder ohne den Hinweis auf den Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung oder nach dem Schlusstermin angemeldete Forderung wird daher von der Restschuldbefreiung erfasst. Bei mündlicher Verfahrensführung muss die Anmeldung bis zum Ende des Schlusstermins erfolgen, bei Schriftlicher bis zum Ende des als Stichtag festgesetzten Tages. Aus den Ausführungen des BGH zur nicht anzuerkennenden besonderen Schutzbedürftigkeit des zu spät anmeldenden Gläubigers kann auch geschlossen werden, dass eine Wiedereinsetzung nach §§ 233 ff. ZPO kaum möglich sein dürfte.

 

 

 

Einkommen

 

Zur Wertung von Betreuungsleistungen als Einkommen

BGH, Beschl. v.19.12.19 - IX ZB 83/18, ZInsO 2020, 435

Leitsatz von RA Kai Henning, Dortmund:

Betreuungsleistungen eines Elternteils und Kindergeld sind keine eigenen Einkünfte i.S.d. § 850c Abs. 4 ZPO des unterhaltsberechtigten Kindes.

Anmerkung RA Kai Henning, Dortmund:

Der 9. Zivilsenat des BGH klärt hier zwei offene Fragen zur sehr praxisrelevanten Vorschrift des § 850c Abs. 4 ZPO, der über § 36 Abs. 1 S. 2 InsO auch in den Verfahren der natürlichen Personen Anwendung findet. Die von einem Elternteil gegenüber dem Kind erbrachten Betreuungsleistungen und ausgezahltes Kindergeld sind keine eigenen Einkünfte der unterhaltsberechtigten Kinder. Offen lässt der BGH die Frage, ob Bafög-Leistungen eigene Einkünfte des Kindes sind, da sich der betroffene Schuldner nicht mit einer eigenen Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts gewandt hat. Der BGH gibt aber die Mehrheitsmeinung, die in diesen Leistungen keine eigenen Einkünfte sieht, ausführlich wieder.

Des Weiteren stellt der BGH fest, dass es Einkünfte des Unterhaltsberechtigten gibt, die so unbedeutend sind, dass sie nicht zu berücksichtigen sind. Im vorliegenden Verfahren handelt es sich um Einkünfte in Höhe von 97 €, in einem anderen Verfahren hat der BGH schon 222 € bei einem 11jährigen Jungen als unbedeutend angesehen (Beschl. v. 21.12.2004 - IXa ZB 142/04 Rn. 15, ZInsO 2005, 491). Vor diesem Hintergrund ist es schwer nachvollziehbar, dass die Mutter mit ihrem eigenen Einkommen i.H.v. 374 € zum einen zu 71% nicht mehr als unterhaltsberechtigt anerkannt wird, zum anderen aus ihrem geringen Einkommen auch noch anzurechnenden Naturalunterhalt an ihre Kinder leistet, der im Fall der Tochter mit 74,37 € angenommen wird. Hier hätte ein höherer Bedarf der Mutter unter Berücksichtigung der Unterhaltspflichten gegenüber den Kindern eingefordert werden können (vgl. hierzu die deutliche Kritik an der vorinstanzlichen Entscheidung des LG Hildesheim, Beschl. v. 18.10.2018 – 5 T 97/18 durch Grote, InsbürO 2019, 225).

Schließlich stellt sich die Frage, wie in diesem komplexeren Fall mit drei nur tlw. zu berücksichtigenden Unterhaltspflichten der pfändbare Betrag aus dem Einkommen des Vaters konkret zu berechnen ist. Naheliegend mag erscheinen, den %-Satz der Nichtberücksichtigung auf den Unterschiedsbetrag aus der Pfändungstabelle anzuwenden. Der Unterschiedsbetrag zwischen keiner und der ersten Unterhaltspflicht beträgt 450 €. Demnach wären im vorliegenden Fall hinsichtlich der Ehefrau 71% von 450 € und damit 319,50 € pfändbar. Diese Berechnungsart genügt aber nicht den Vorgaben des § 850c Abs. 2 ZPO, aus dem sich eine differenziertere Berechnung ergibt (vgl. hierzu Zamaitat, Berechnung des pfändbaren Betrags unter nur tlw. Berücksichtigung von unterhaltsberechtigten Personen, InsbürO 2017, 317), die hier einen insgesamt beim Vater pfändbaren Betrag i.H.v. 231,10 € ergibt.

 

 

Pfändungsschutz für Sozialleistung an Haftgefangene 

VG Karlsruhe, Beschl. v. 26.04.2019 – 3 K 11231/18, ZInsO 2019, 2595 (rkr.)

Einer von zwei amtlichen Leitsätzen:

Bei Pfändung in das nach § 27b Abs. 2 Satz 2 SGB XII i.V.m. der Anlage zu § 28 SGB XII gewährte „Taschengeld“ eines Untersuchungsgefangenen kann Pfändungsschutz geltend gemacht werden.

Aus der Begründung:

Da eine Pfändung nicht zu Lasten öffentlicher Mittel erfolgen darf, dürfen dem Schuldner bei der Zwangsvollstreckung keine Gegenstände entzogen werden, die ihm der Staat aus sozialen Gründen mit Leistungen der Sozialhilfe wieder zur Verfügung stellen müsste (BGH, Beschl. v. 19.03.2004 - IXa ZB 321/03 …). … Dass die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO auf das aus Arbeitsbezügen gebildete Eigengeld von Strafgefangenen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht anwendbar sein sollen (BGH, Beschl. v. 16.07.2004 - IXa ZB 287/03 - Rn. 7, 13; …), beeinflusst die Pfändungsfreiheit des als Sozialhilfe gewährten Geldanspruchs von Untersuchungshäftlingen dagegen nicht. Denn die Rechtsprechung des BGHs zu dem aus Arbeitsentgelt gebildeten Eigengeld von Strafgefangen betrifft eine andere Situation. In den vom BGH entschiedenen Fällen wurde Arbeitsentgelt gepfändet, welches die Strafgefangenen durch Arbeit in oder außerhalb der Haftanstalt verdient hatten. Der BGH hat seine Entscheidung damit begründet, dass - da die Unterhaltssituation eines Schuldners, der in Freiheit lebt und ein Arbeitseinkommen hat, mit dem eines Schuldners, der in Strafhaft gem. § 49 JVollzGB BW III Arbeitsentgelt bezieht, nicht vergleichbar sei - auch das Schutzbedürfnis unterschiedlich sei. Im Fall des vorliegenden Geldanspruchs von Untersuchungsgefangenen würde demgegenüber in eine staatliche Sozialleistung eingegriffen, die im Falle derBedürftigkeit gewährt wird und das Ziel hat, das Existenzminimum zu sichern.

Anmerkung Insolvenzsachbearbeiterin Michaela Heyn:

Der BSG hatte mit Urteil vom 14.12.2017 (B 8 SO 16/16, WKRS 2017, 43579) entschieden, dass leistungsberechtigten Personen in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung analog § 27b Abs 2 SGB XII weiteren notwendigen Lebensunterhalt zu gewähren sei (Rn. 26). Hierzu zähle entsprechend § 27b Abs 2 Satz 2 SGB XII jedenfalls der Barbetrag zur persönlichen Verfügung i.H.v. mindestens 27 v.H. der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII (Rn. 26). Nach der BGH-Rechtsprechung (Beschl. v. 25.11.2010 – VII ZB 111/09, ZInsO 2012, 601, bestätigt durch BGH, Beschl. v. 05.07.2018 - VII ZB 40/17, InsbürO 2018, 486 = ZInsO 2018, 2015) ist ein Anspruch auf Sozialhilfe gem. § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht pfändbar (Rn. 20). Dies beruht darauf, dass die Sozialhilfeleistungen dazu dienen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern (BGH, VII ZB 40/17, a.a.O., Rn. 20).

 

 

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